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Der Autor nimmt den Fall der Mauer in Berlin am 9. November 1989, den er als Redakteur der Deutschen Welle in Köln erlebte, zum Anlass, seine Kindheits- und Jugenderinnerungen - 1945 bis 1954 - in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)/DDR (Westsachsen) Revue passieren zu lassen. Am Einzelschicksal werden hier die politischen Ereignisse - Ende des 2. Weltkrieges, die schleichende Stalinisierung der SBZ, die Gründung der DDR 1949 und die Einführung des SED-Sozialismus zu Beginn der 50er Jahre, die zum Volksaufstand am 17. Juni 1953 führte, aus der Sicht eines Heranwachsenden erzählt. Der…mehr

Produktbeschreibung
Der Autor nimmt den Fall der Mauer in Berlin am 9. November 1989, den er als Redakteur der Deutschen Welle in Köln erlebte, zum Anlass, seine Kindheits- und Jugenderinnerungen - 1945 bis 1954 - in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)/DDR (Westsachsen) Revue passieren zu lassen. Am Einzelschicksal werden hier die politischen Ereignisse - Ende des 2. Weltkrieges, die schleichende Stalinisierung der SBZ, die Gründung der DDR 1949 und die Einführung des SED-Sozialismus zu Beginn der 50er Jahre, die zum Volksaufstand am 17. Juni 1953 führte, aus der Sicht eines Heranwachsenden erzählt. Der entbehrungsreiche Alltag, die Sorge der Eltern, ihre vier Kinder großzuziehen, die permanente Angst, dass der Vater, ein ausgemachter Antikommunist, von der Stasi abgeholt würde sowie die Auseinandersetzungen in Schule und Familie mit den SED-Phrasen vom Aufbau des Sozialismus und der ewigen Verbundenheit zu Stalin und der Sowjetunion ziehen sich wie ein roter Faden durch die Aufzeichnungen. Der Gedanke an eine Flucht in den Westen ist dabei stets gegenwärtig. Der Autor will mit diesem Buch den Opfern der SED-Diktatur sowie denen, die sich gegen die totalitäre Herrschaft auflehnten, ein Denkmal setzen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2008

S-Bahn in die Freiheit

Rückblick eines Zonenkinds: Mourad Kusserow stellt seine Erinnerungen an das Leben in der Sowjetischen Besatzungszone neuen DDR-Verklärungen entgegen.

Rüber machen" - wer kennt diesen Ausdruck heute noch? Vermutlich die Menschen im deutschen Osten. Im Westen dagegen dürften sich höchstens die Älteren an den Slogan erinnern. Sich in die Bundesrepublik abgesetzt hat auch der Autor des vorliegenden Buches, allerdings bereits im Jahre 1954, da war er gerade mal fünfzehn Jahre alt. Er erzählt uns, wie der Untertitel verkündet, von einer Kindheit und Jugend in jenem Bereich unseres Landes, der bei Kriegsende 1945 als Sowjetische Besatzungszone begann und ab 1949 den Anspruch erhob, eine Deutsche Demokratische Republik zu sein.

Natürlich erlebte der damalige Knabe nichts Herausragendes, sondern nur das, was Heerscharen anderer Kinder genauso widerfuhr. Doch das autobiographische Moment ist auch nicht des Autors Hauptanliegen, vielmehr dient es ihm als Medium einer Untersuchung der Lebenswelt, die mehr als vier Jahrzehnte lang siebzehn Millionen Deutschen aufgenötigt war und auch ganz allmählich "rüber macht" ins Reich des Vergessens oder, schlimmer noch, umgedeutet und umgelogen wird. In seinem Vorwort nimmt der Autor "uneinsichtige SED- und Stasi-Funktionäre", die "öffentlich an einer Geschichtsfälschung stricken, indem sie die Verbrechen der SED-Diktatur rechtfertigen", unter Beschuss. Ihnen, so verlangt Kusserow, "darf die Aufarbeitung der dunklen Seiten der DDR nicht überlassen werden".

Kusserow also legt einen Gegenentwurf vor, der aber keineswegs belehrend wirkt. So begleitet der Leser ihn gerne auf seinem nicht einfachen Weg. Flüchtlinge waren die Kusserows, als 1945 die Sowjetarmee zum Sturm auf Berlin ansetzte. Vater, Mutter und vier kleine Kinder, das älteste, unser Autor, noch nicht ganz sechs Jahre alt, wanderten aus dem Oderbruch westwärts und landeten im sächsischen Crimmitschau. Weiter kamen sie nicht. Der Vater träumte zwar zuweilen vom Aufbruch in den Westen, den sehr bald und dann Jahr für Jahr viele Ostdeutsche riskierten. Doch die Mutter konnte sich nicht entschließen, die hart errungene Nachkriegsbasis, so jämmerlich sie auch war, gegen eine neue Ungewissheit zu tauschen. Die nachgeborenen Deutschen, im Westen ohnehin, doch längst auch im Osten, haben in der Regel wenig Ahnung von den Zumutungen, mit denen die Bürger des angeblich sozialistischen Staates fertig werden mussten.

Was der Autor Kusserow berichtet, könnte für viele also eine Art Geschichtsunterricht sein, und zwar einer, der Interesse und Geduld der Schüler nirgends überfordert. Durchaus unterhaltsam bietet Kusserow seinen Lesern die Geschichte eines Kindes und eines Jünglings. Gewissermaßen aus Unschuldsperspektive lässt er sie nacherleben, was ihm einst geschah. Was nicht heißt, dass irgendetwas fehlt: nicht die trübseligen Bedingungen, unter denen der Vater, allen offiziellen Jubelparolen zum Trotz, sein Arbeiterdasein führen musste; nicht die Nöte, mit denen die Mutter bei der Versorgung ihrer Familie fertig zu werden hatte; nicht die Schwierigkeiten, die Kluft zwischen staatlicher Großrednerei und kargem Alltagsdasein so zu bewältigen, dass keinem der Kusserows Böses widerfuhr, dass sich zum Beispiel nicht etwa die Staatssicherheit um sie kümmerte. Aber das alles gewahrt man aus dem Blickwinkel eines blutjungen Menschen, der nie die Hoffnung verliert, er werde die Sache schon deichseln.

Das hat er schließlich auch geschafft. Traurige Voraussetzung war, dass die geliebte Mutter starb, der er eine Trennung nicht zuzumuten wagte. Danach aber sah er keinen Grund mehr, seinen Freiheitsdrang, seine Neugier auf den großen Rest der Welt im Zaum zu halten. Im Juni 1954 beorderte man ihn zum II. Deutschlandtreffen der FDJ nach Ost-Berlin. Kusserow nutzte die Gelegenheit, sich aus den Fesseln der DDR zu lösen. Er bestieg einen S-Bahn-Zug nach West-Berlin. Bei dem Gedanken kann es einen grausen: Ein Fünfzehnjähriger, ohne Geld, ohne Beruf, riskiert den Sprung in eine Freiheit, von deren Bedingungen er keine Ahnung hat. Doch was wäre geschehen, hätte er gewartet? Sieben Jahre später entstand die Mauer. Vielleicht wäre er an ihr verblutet wie Peter Fechter und viele andere, oder er wäre in einer Bautzener Zuchthauszelle gelandet. Gerade rechtzeitig entzog er sich einem Regime, das seinen Untertanen nur die Wahl zwischen Kadavergehorsam und Verderben ließ.

SABINE BRANDT

Mourad Kusserow: "Rüber machen ..." Eine Kindheit und Jugend in der Sowjetischen Besatzungszone/DDR. Verlag Donata Kinzelbach, Mainz 2008. 170 S., br., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Gewinn liest Sabine Brandt dieses Erinnerungsbuch. So wenig herausragend die von Mourad Kusserow aufgeschriebene Kindheit und Jugend in der Sowjetischen Besatzungszone und in der frühen DDR der Rezensentin auch vorkommt, so stark und wichtig erscheint ihr das Buch als "keineswegs belehrender", dafür unterhaltsamer Gegenentwurf zu uneinsichtigen Rückschauen ehemaliger SED- und Stasifunktionäre. Dass es dem Autor weniger um das Autobiografische geht, als um eine bewahrende Untersuchung einer vergangenen Lebenswelt, daran besteht für Brandt kein Zweifel. Die "Unschuldsperspektive" des Kindes, so verstehen wir die Rezensentin, passt ganz gut dazu.

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