Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 10,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Bonner Siva Series
  • Seitenzahl: 191
  • Deutsch
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 208g
  • ISBN-13: 9783926548993
  • ISBN-10: 3926548991
  • Artikelnr.: 09723620
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht ohne den Hinweis darauf, dass es sich hier, gemessen an den seit 1947 gerade mal 28 direkt aus dem Indischen ins Deutsche übersetzten Büchern, geradezu um eine Flut von Neuerscheinungen handelt, bespricht Martin Kämpchen drei neue Bände indischer Literatur in deutscher Sprache.
1) Dilip Chitre: "Worte des Tukaram" (A1 Verlag)
Bei diesem Band handelt sich um die Übersetzung des Mystikers Tukaram aus dem 17. Jahrhundert zunächst ins Englische, dann, im ständigen Abgleich mit dem Marathi-Original, ins Deutsche. Der Rezensent hält dieses Spiel über die Bande wegen der Marathi-Sprachkenntnis des deutschen Übersetzers für ganz und gar gelungen, für eine Wiedererschaffung des Originals. Die vishnuitische Mystik des Textes erscheine "gedanklich nachvollziehbar und überraschend zeitgemäß."
2) Konrad Meisig (Hg.): "Orientalische Erzähler der Gegenwart" (Harrassowitz Verlag)
Was das Konzept des Bandes angeht, äußert der Rezensent zunächst Bedenken: wo ist das Zielpublikum für eine Mischung von Übersetzungen aus dem Türkischen, Urdu, Hindi und Chinesischen, unter die dann noch wissenschaftliche Aufsätze gestreut sind. Gerechtfertigt, so Kämpchen, werde das fragwürdige Konzept durch die "hervorragend gelungenen" Übersetzungen, die auf "philologische Tüftelei" verzichten. Ein besonderes Verdienst sei es, dass die nobelpreiswürdige Hindi-Autorin Krishna Sobti mit zwei Erzählungen erstmals in die deutsche Sprache übersetzt wurde.
3) Mahasveta Devi: "Pterodactylus" (Bonner Siva Series)
In diesem Roman geht es um den Ureinwohner-Stamm der Adivasis, seine Vernachlässigung durch die indische Regierung. Ein Journalist besucht ein Adivasi-Dorf, in dem das Auftauchen eines urzeitlichen Vogels, des Pterodactylus, die Abergläubischen unter den Einwohnern beunruhigt. Die Autorin deutet ihn dagegen, so der Rezensent Martin Kämpchen, als "Symbol für das Aufeinanderprallen von archaischen Vorstellungen und den Lebensanforderungen der Gegenwart". Problematisch an diesem Stück engagierter Literatur sei nur, dass das Literarische mitunter zu kurz komme und von "essayistisch-belehrenden, anklagenden Passagen" überlagert werde. Dennoch empfiehlt der Rezensent dieses Buch. Manches Indien-Klischee lässt sich seiner Meinung nach durch die Lektüre überwinden.

&copy
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2000

Der Gott, der den Rücken kehrt
Jenseits der Klischees: Neue Literatur aus indischen Sprachen

Die indische Literatur hat es nie leicht gehabt, sich in unserem Land durchzusetzen. Sie wirkt zu fremdartig in Stoff und Stil. Es gibt nur wenige Übersetzer, die aus einer der zwei Dutzend indischen Literatursprachen kongenial ins Deutsche übersetzen können. Der Mersch Verlag war lange Zeit der einzige Verlag in Deutschland, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die indische Literatur zu fördern. Nach dem Tod des Verlegers blieb das Programm noch einige Jahre als Teil des Verlags Im Waldgut in der Schweiz erhalten, vor einigen Jahren wurde es dort aufgelöst. Inzwischen hat die indische Literatur im deutschsprachigen Raum keine feste verlegerische Heimat mehr. Es gibt auch keine Zeitschrift mehr, die ihr als Forum dienen könnte.

Eine im letzten Jahr erstellte Bibliographie verzeichnet 28 Bücher indischer Autoren, die seit 1947 direkt aus den indischen Regionalsprachen ins Deutsche übersetzt worden sind. Eine karge Bilanz! Verdrängt wird die Literatur aus den indischen Sprachen von der anglo-indischen Literatur, also von Salman Rushdie, Arundhati Roy, Vikram Seth und einem halben Dutzend anderer Autoren, die regelmäßig ins Deutsche übersetzt werden und inzwischen in den Augen des deutschen Lesers "die" indische Literatur repräsentieren. Wie ungerecht dies ist, zeigt sich, wenn man bedenkt, welchen Umfang die wichtigen Literatursprachen schon zahlenmäßig haben. Hindi oder Bengalisch wird von mehr Menschen gesprochen als Deutsch. Und im Kulturleben des Landes spielt die Literatur die größte Rolle: Das Theaterspiel und das Nacherzählen der Mythen sind auch bei dem analphabetischen Teil der Bevölkerung in den Städten und Dörfern höchst beliebt.

Um so erfreulicher, daß innerhalb eines Jahres drei bemerkenswerte Bücher zur indischen Literatur bei uns erschienen sind. Der bekannte, Marathi und Englisch schreibende Schriftsteller Dilip Chitre hat Tukaram, den bedeutenden Mystiker des 17. Jahrhunderts, ins Englische übersetzt. Doch ein Dichter wie Chitre übersetzt nicht nur dienend, er führt einen Dialog und konfrontiert das Orginal mit dem gegenwärtigen Zeitgeist. Lothar Lutze hat diesen dem modernen Bewußtsein anverwandelten Tukaram dann ins Deutsche übertragen.

Im allgemeinen sind solche Übersetzungen über zwei Ecken heute philologisch nicht mehr tragbar. Doch Lutze, Freund von Chitre und geübter Übersetzer aus indischen Sprachen, hat den modernen englischen Text in ständigem Vergleich mit dem alten Marathi-Original authentisch in der deutschen Sprache wiedererschaffen. Tukarams Lyrik bewegt sich im Rahmen der bekannten Themen vishnuitischer Mystik. Er beschwört seinen Gott Krishna, hadert, rechtet mit ihm, unterwirft sich ihm, begehrt auf. "Immer wenn ich dich anrede / Drehst du mir den Rücken zu / So hab ich gelernt zu verstehen / Was du für mich fühlst", beklagt sich Tukaram. Seinem Gott scheint nichts Menschliches fremd zu sein. Diese Mystik ist kühn. Dank der beiden Übersetzer wirkt sie jetzt auch bei uns gedanklich nachvollziehbar und überraschend zeitgemäß.

Nicht weniger mutig ist der Band "Orientalische Erzähler der Gegenwart", der auf eine Ringvorlesung an der Mainzer Universität zurückgeht. Interdisziplinär vereinigt der Herausgeber, der Indologe Konrad Meisig, Erzählungen aus dem Türkischen, dem Urdu, Hindi und Chinesischen. Eingestreut sind Aufsätze über moderne arabische, persische, tamilische, Urdu- und Hindi-Literatur. Jedem Verleger stellt sich da die Frage nach dem Zielpublikum. Denn längst gibt es den einfach nur "orientalisch" interessierten Leser nicht mehr. Und soll der Band wissenschaftlich oder literarisch interessierte Leser ansprechen? Daß die riskante Konzeption dennoch aufgeht, ist den Übersetzungen zu verdanken: Sie sind hervorragend gelungen, sprachlich glatt und bisweilen sogar elegant, ohne die philologische Tüftelei am Detail, die Übersetzungen aus nichteuropäischen Sprachen häufig anhaftet. Der Leser kann die Erzählungen auf sich wirken lassen, ohne durch tausend Türen der kulturellen und religiösen Anpassung gehen zu müssen.

Wie vertraut etwa mutet uns Saadat Hasan Mantos Erzählung "Der Geruch" an, die vom betäubend anziehenden Körpergeruch eines einfachen Mädchens handelt, vertraut, obwohl der Urdu-Schriftsteller aus Pakistan in hart gefügten, bohrenden Sätzen schreibt, die uns fremd anmuten. Im selben Band kommt auch zum erstenmal in deutscher Sprache die großartige Hindi-Schriftstellerin Krishna Sobti mit zwei Erzählungen zu Wort. Von ihr hat ein erfahrener indischer Kritiker behauptet, sie habe längst den Nobelpreis verdient. Exemplarisch stellt Meisig drei junge, unbekannte Hindi-Erzähler vor, die die jüngste indische Vergangenheit literarisch verarbeiten, satirisch, traurig und kritisch engagiert. Vorbildlich beschreibt der Übersetzer den historischen Kontext der drei Kurzgeschichten in einem begleitenden Aufsatz.

Die indischen Ureinwohner-Stämme, die sogenannten Adivasis, haben im deutschsprachigen Raum wegen ihrer sozialen Not und Vernachlässigung durch den indischen Staat immer auch Aufmerksamkeit erregt und Unterstützung erhalten. Das Narmada-Staudamm-Projekt, das die Umsiedlung Tausender von Adivasis aus ihrem angestammten Gebiet erzwingt, ist international bekannt geworden. Eine der zornigen, sprachmächtigen Streiterinnen für die Rechte der Adivasis in Nordindien ist die Schriftstellerin Mahasveta Devi, die in Kalkutta wohnt und auf bengalisch schreibt. Höchste nationale und internationale Auszeichnungen, so der Jnanpith-Preis der indischen Regierung (1996) und der Magasaysay-Preis (1997), der auf den Philippinen verliehen wird, haben die über siebzigjährige, unscheinbar-schlichte Frau in Indien berühmt gemacht. Zahlreiche englische Übersetzungen ihrer Romane und Erzählungen sind in den letzten Jahren erschienen; nun kommt ihr Roman "Pterodactylus" als erster Text in deutscher Sprache heraus. Nach ihren eigenen Worten enthält dieses Buch die Summe dessen, was sie zur Situation der Ureinwohner mitteilen möchte.

Die Handlung führt in ein Dorf des Bundesstaates Madhya Pradesh, dessen chronische Verarmung, Wassernot und Hunger die Außenwelt nicht weiter für bemerkenswert hält. Ein urzeitlicher Vogel, ein Pterodactylus, wird mehrfach von der Dorfbevökerung gesichtet. Den Abergläubischen gilt er als die Seelen der Verstorbenen, die keine Ruhe bekommen und die Nachfahren strafen, weil sie von der reinen Lehre ihrer Opferreligion abgekommen seien. Sie sehen nicht das Unrecht, das seit Generationen an ihnen verübt wird, sondern nur ihr eigenes. Ein Journalist besucht das arme Dorf, entdeckt die Korruption der Regierung und ihrer Handlanger, kapituliert aber auch vor der sturen, ihm unverständlichen Mentalität der Ureinwohner. Auch der Journalist sieht den mythischen Vogel, aber er entschließt sich, nicht darüber zu schreiben, weil er nicht von der Misere der Dorfbevölkerung ablenken will. Für die Dichterin ist die bedrohliche Erscheinung jedoch ein Symbol für das Aufeinanderprallen von archaischen Vorstellungen und den Lebensanforderungen der Gegenwart.

Mit Empathie beschreibt Mahasveta die Situation der Menschen "ganz unten", die sie in Gesprächen zwischen dem Journalisten und der Bevölkerung deutlich werden läßt. Ihre Wut auf Beamte, ausbeuterische Geschäftsleute und Großgrundbesitzer ist radikal und erschütternd. In deutscher Sprache finden wir diesen unbarmherzigen Mechanismus der Ausbeutung kaum jemals so zupackend von innen beschrieben. Allerdings verhindert dieses soziale Engagement - Mahasveta ist seit Jahrzehnten in Stammesdörfern auch als Aktivistin tätig -, daß sich ihre Handlung literarisch voll entfaltet. Essayistisch-belehrende, anklagende Passagen häufen sich, die Zeichnung der Figuren bleibt häufig skizzenhaft, auch werden die Probleme nicht hinreichend individualisiert. Leider ist auch die Übersetzung noch nicht vollständig geleistet. Das fünfköpfige Übersetzerteam, Bengalen und Deutsche, hätte die Eigenheiten des bengalischen Stils mit größerer Konsequenz in die deutsche Sprache auflösen müssen. Sprachliche Unebenheiten und ein etwas unglückliches Verweissystem, das Ausdrücke im Text mit dem Glossar hinten verknüpft, stören das Leseerlebnis. Und dennoch sei dieses Buch empfohlen als ein hervorragendes Beispiel einer indischen Littérature engagée, die sämtliche Klischees unserer Indienvorstellung attackiert.

MARTIN KÄMPCHEN.

Mahasveta Devi: "Pterodactylus". Roman. Bonner Siva Series, Bonn 2000. 191 S., geb., 22,- DM.

Dilip Chitre: "Worte des Tukaram". Aus dem Englischen übersetzt von Lothar Lutze. A1 Verlag, München 1999. 232 S., geb., 36,- DM.

Konrad Meisig (Hrsg.): "Orientalische Erzähler der Gegenwart". Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1999. 318 S., geb., 138,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr