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In seinem zweiten Roman (frz. Erstausgabe 1946) bescheibt Jean Genet seine Kindheit. Er tut dies als Dichter, der die Enttäuschungen, Demütigungen und Schrecken seiner elternlosen Jugend mit Hilfe der Poesie zu verzaubern und zu verherrlichen versteht. In dieser Werkausgabe veröffentlicht der Verlag die Urfassung des Romans aus dem Jahr 1946. Diese Ausgabe enthält somit auch die Textpassagen, die seit 1951 in den späteren französischen (und deutschen) Ausgaben des Romans nicht mehr enthalten waren.

Produktbeschreibung
In seinem zweiten Roman (frz. Erstausgabe 1946) bescheibt Jean Genet seine Kindheit. Er tut dies als Dichter, der die Enttäuschungen, Demütigungen und Schrecken seiner elternlosen Jugend mit Hilfe der Poesie zu verzaubern und zu verherrlichen versteht. In dieser Werkausgabe veröffentlicht der Verlag die Urfassung des Romans aus dem Jahr 1946. Diese Ausgabe enthält somit auch die Textpassagen, die seit 1951 in den späteren französischen (und deutschen) Ausgaben des Romans nicht mehr enthalten waren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2000

Eine Schnittblumenernte im Gefängnis
In ungekürzter Fassung: Jean Genets Rosenwunder · Von Joseph Hanimann

Die von zeremonieller Gegenheiligkeit umflorten Blumen Jean Genets mögen entfernte Sämlinge von Baudelaires Blumen des Bösen sein, doch wachsen sie nicht in den Hinterhöfen der Pariser Faubourgs. Sie leuchten in der Heimatlosigkeit der Gefängnisse und Erziehungsanstalten. Nach dem Erstlingsroman "Notre-Dame-des-Fleurs" wurde das Blumenmotiv im ebenfalls weitgehend im Gefängnis entstandenen "Wunder der Rose" autobiographisch weiterentwickelt. Wie auf einem windungsreichen Stationenweg bewegt sich die Erinnerungscollage zwischen den Blumenwundern und läßt die Verbrecher sich zu Märtyrern verklären. Das erste Wunder geschieht, wenn der im Zentralgefängnis Fontevrault ankommende Jean den zu Tode verurteilten Mithäftling Harcamone zu Gesicht bekommt: Dessen Ketten verwandeln sich beim Vorübergehen in Rosengirlanden, was den mit einer Nagelschere dastehenden Jean dazu übermannt, wie ein Glaubensfanatiker vorzupirschen, eine Blüte zu erhaschen und sie abzuschneiden. Während der Blütenkopf zu Boden fällt, kreuzen sich die beiden Häftlingsblicke in erschreckter Fassungslosigkeit über das Vorzeichen. Die Floralmetaphorik Genets hat es meistens mit Schnittblumen zu tun.

Geschnitten wurde in den Texten Jean Genets noch anders, mit der Schere der Zensur und wohl auch Selbstzensur. Nach der 1946 erschienenen Erstausgabe von "Miracle de la rose" beim Lyoner Verleger Marc Barbezat war schon die in der Werkausgabe bei Gallimard fünf Jahre später erschienene Fassung revidiert. Sie diente als Grundlage auch für die 1963 erschienene deutsche Erstausgabe im Merlin Verlag. Zwei weitere, jeweils leicht revidierte Fassungen sind in Frankreich seither erschienen. Wie im ersten Band der neuen Werkausgabe beim Merlin Verlag (F.A.Z. vom 13. Februar 1999) wurden die gestrichenen Stellen auf Grund der französischen Erstausgabe von 1946 wieder eingefügt. Sie reichen von einem Wort bis zu Abschnitten. Insgesamt ist dadurch der bisher bekannte Roman um ein Zehntel länger geworden.

Wer die Streichungen vorgenommen hatte und mit welchen Motiven, scheint unklar, denn nicht nur möglicherweise anstößig wirkende Passagen sind betroffen. Laut dem Editionsbericht Friedrich Flemmings dürfte Genet selbst auch aus stilistischen Überlegungen bei den Eingriffen mitgewirkt haben. Das ist um so wahrscheinlicher, als das in den Gefängnismonaten von 1943 angefangene "Wunder der Rose" aus der Verschmelzung zweier unterschiedlicher Texte entstand: aus der lyrischen Huldigung an Harcamone im Gefängnis Fontevrault und den sachlicheren Erinnerungen an die Erziehungsanstalt La Mettray, die der Autor in einem Brief vom November 1943 an den Verleger Berbezat unter dem Titel "Kinder des Unglücks" erwähnt. Der endgültige Text des fünfhundert Seiten langen Romans, an dem Genet besonders hing und bei dessen Niederschrift er sehr litt, hat in ihrem Registerwechsel etwas zutiefst Unentschiedenes.

Die Unsicherheit wird größer, seitdem im März vorigen Jahres bei einer Versteigerung in Paris ein Manuskript Genets aus dem Jahr 1943 mit dem Titel "Le Mystère des enfants des anges" (Mysterium der Engelskinder) zum Vorschein kam. Handelt es sich dabei um jenes Manuskript "Kinder des Unglücks", das als verschollen galt, angeblich von einem Gefängniswärter vernichtet? Ein Vergleich mit dem "Wunder der Rose" wird das klären müssen.

"Die Gefängnisse, meine Herren, verbergen so viele Schönheiten, daß man sie weder zu zeigen noch zu benennen wagt", beginnt eine wieder in den Roman eingefügte Stelle. Sie schließt an eine Würdigung der Größe Harcamones und der "Poesie der großen Raubvögel" an. Mit Beispielen wird jene Schönheit anschaulich gemacht: ein lebenslänglich verurteilter Chinese, der mit einem Nagel an einem Eichenbrett schnitzt, Häftlinge, die geheime Landschaften auf den Boden zeichnen oder mit dem Fingernagel Symbole in die Gipswände ritzen. Warum ist diese Stelle aus der späteren Romanfassung gestrichen worden? Es ist, als wäre dem zu Tode verurteilten Harcamone, der nur im Heiligenschein halbgöttlicher Untätigkeit erscheint, die textliche Nähe zum werkelnden Kunstgenie der Kleinverbrecher unzumutbar. Zwischen der Schönheit todgeweihter Verbrecherschicksale und dem in den Zellen ruhelosen Lebenswillen bewegt sich Genets Wunderbericht von der Rose. Die sorgfältig revidierte Textfassung dieser Neuausgabe zeigt ihn mit einem leicht veränderten inneren Frontverlauf, etwas ferner vom Heiligenschein, etwas näher an der Naht, unter der Eros blüht.

Jean Genet: "Wunder der Rose". Urfassung. Werkausgabe Band 2. Mit einem Nachwort von Jean-Pierre Bejaoui. Aus dem Französischen übersetzt von Manfred Unruh. Merlin Verlag, Gifkendorf 2000. 533 S., geb., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Die Publikationsgeschichte dieses zweiten Werks von Jean Genet ist verwickelt, unterschiedliche, von Zensur und Selbstzensur beschnittene Versionen, sind im Laufe der Jahrzehnte erschienen. Hier nun sind die einst gestrichenen Passagen wieder hinzugefügt. Das ändert, wie der Rezensent Joseph Hanimann feststellt, allerdings wenig daran, dass diese "Erzählcollage" etwas "zutiefst Unentschiedenes" hat. Neben der lyrischen Feier der Figur des Harcamone stehen die prosaischeren autobiografischen Erinnerungen an die Anstalt La Mettray. Eine einst gestrichene, nun wieder eingefügte Passage ändere dann doch den "inneren Frontverlauf" des Textes: in der Nähe "zum werkelnden Kunstgenie der Kleinverbrecher" erscheint der Held Harcamone nicht mehr ganz so göttlich.

© Perlentaucher Medien GmbH"