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Produktdetails
  • Verlag: Manholt Verlag
  • Originaltitel: Lewis et Irene
  • Seitenzahl: 159
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 308g
  • ISBN-13: 9783924903152
  • ISBN-10: 3924903158
  • Artikelnr.: 08844663
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2001

Ein Flegel von Welt
Wie neu: Paul Morands brillanter Unternehmerroman von 1924

Abgesehen von Felix Krull und ein paar anderen Hochstaplern hat das Profil der Jungunternehmer die Literatur wenig interessiert. Sie traten allenfalls als Vorfahren der Hanno-Buddenbrook-Generation auf. Kaum ein Berufsstand hat sich aber seit den altväterlichen Privatkontors so stark verändert und ist im Kern doch so sehr derselbe geblieben wie der des Unternehmers. Das allein macht ihn schon interessant. Dieser 1924 erstmals erschienene und sofort erfolgreiche Roman von Paul Morand trägt die Züge jener Aufbruchsjahre kurz vor dem Börsenkrach und scheint doch bereits alle weiteren Generationswechsel bis zur New Economy vorwegzunehmen. Das Ergebnis ist ein spannendes Doppelporträt zwischen Alt und Neu, von der Zeitgeschichte mitsigniert.

Der Herr, der am Romananfang auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise zu Grabe getragen wird, hat keine drei Jahre zuvor noch mit strenger Miene die Vorstandssitzung der Franco-Afrikanischen Investbank geleitet. Aus der Runde von fünfundzwanzig kahlen Schädeln hatte damals nur die dunkle Haarfülle des Neulings Lewis sich abgehoben. Der junge Draufgänger brauchte aber nicht lange, um die alten Herrschaften mit ihrer publizitätsscheuen Überzeugung, gute Ware empfehle sich von selbst, herauszuschubsen und die Spezialverbindung zur Börse durch achtzehn neue Telefonleitungen für die Arbitragegeschäfte zu ersetzen.

Der deutsche Übersetzungstitel des Romans wirkt wie die Synthese zum antithetischen Originaltitel "Lewis et Irène": Geschäfts- und Liebestransaktionen sind im unternehmerischen Generationenkontrast wie in einem Vexierbild fusioniert. Weniger die Romanhandlung hält das Lesen in Spannung als das permanent sich verändernde Doppelprofil der beiden Titelfiguren, das von den Rändern her sich zeitgeschichtlich kräuselt unter dem Einfluß europäischer Zwischenkriegspolitik.

Der intelligente, intuitiv vorgehende und genialisch unordentliche Manager Lewis - nach den Worten seines verstorbenen Vorgängers ein "Flegel von Welt" - ist eine geborene Spielernatur, die sich in der feinen Pariser Gesellschaft gern mit den vom Waldlauf noch matschigen Stiefeln auf den Boden setzt und im Sakko zwischen dekolletierten Damen speist. Der Erfolg bei Geschäften wie bei Frauen klebt ihm wie eine Pechsträhne an der Haut, und manch einem Managerkollegen, der ihn zu imitieren versucht, geht es wie den Schafen, die der Ziege aufs Eis folgen: Sie sind halt schwerer und brechen ein. Lewis ist eine "Art Jansenist der schlechten Sitten", bleibt immer in Bewegung, schläft fast nie, arbeitet, wie er spielt: anarchisch, individuell, schnell, und er pfeift auf alles Wesen der Dinge.

In dieser widerstandslosen Welt der ständigen Abwechslung an der Oberfläche des Lebens stößt Lewis aber schließlich doch auf einen harten Kern. Die Frau im Badekleid, die - bäuchlings auf dem Boot liegend - vor der sizilianischen Küste ein Bleigewicht ins Wasser hält und offenbar die Meerestiefe auslotet, ist nicht nur zum Baden da. Irène Apostolatos von dem in Triest ansässigen griechischen Bankhaus Apostolatos hatte dem aus Paris Angereisten schon das einzige Auto am Ort vor der Nase weggemietet. Beim Kauf der verfügbaren Schwefelminen konnte er ihr dann gerade noch zuvorkommen, hatte aber schließlich doch einige Mühe, ihren Beteiligungsantrag am Unternehmen auszuschlagen. Zum ersten Mal sah er eine Persönlichkeit vor sich, "die Gefühle nur gegen verbürgtes Inkasso abgab". Und ohne Gefühlskitzel geht es beim geborenen Spieler nun einmal nicht ab. Hier handelt es sich offensichtlich sogar noch um etwas mehr.

Das Verfolgungsspiel führt Lewis jedenfalls über das Londoner Landhaus des alten Apostolatos-Onkels bis zum vollkommenen Eheglück mit Irène, wo über der selbstgeschaffenen Leere des Zuzweitseins der eine vom anderen abhängt wie Angebot und Nachfrage. Der Preis dafür ist das, was man heute "Aussteigen" nennt: der Rückzug in die archaische Inselwelt der nördlichen Sporaden. Wo selbst die schwachen Gezeiten des Mittelmeers aber im Börsenjargon als "Hausse" und "Baisse" erlebt werden, ist auch die mediterrane Verschlafenheit des Müßiggangs nicht mehr weit. Dank seiner Intelligenz versteht Lewis indessen selbst die Langeweile als Spielvariante zu goutieren. Und je mehr sich zugleich die mit ihm nach Paris zurückgekehrte Griechin in ihre orientalisch strenge Schamhaftigkeit versteift, desto begehrenswerter wird sie für ihn. Irène kann aber als erste das Makeln nicht länger lassen und geht wie ein geheimer Liebhaber ihren Geschäften nach. Mehr als Strafe denn aus wirklicher Lust muß auch Lewis seine früheren Geschäftsabenteuer wiederaufnehmen, um nicht als betrogener Ehemann dazustehen. Die beiden Leben driften auseinander, kommen aber dank Mussolinis Beschlagnahmung des griechischen Besitzes schließlich zur wahren Fusion.

Der schnell, leicht und brillant hingeschriebene Erstlingsroman des 1888 geborenen Morand hat alle Qualitäten der ihm vorausgehenden Erzählungen. Für die Sammlung "Tendres Stocks" hatte Marcel Proust schon ein bewunderndes Vorwort geschrieben. Hinter der subtilen Charakterzeichnung und behenden Erzähldynamik raschelt im Roman immerfort feuilletonistisches Apropos mit. Das müde Zwischenkriegs-Frankreich erscheint wie ein "geschlossenes Gefäß" in Europa, dessen Grenzbahnhöfe den Schnellzugfahrer Lewis jeweils schon ins kommende Europa-Flair tauchen - vom zärtlich über die Waggonfenster streichenden Farnkraut bei Modane vor Italien über die düster-gefrorene Wasser-, Fichten- und Graslandschaft des Schweizer Zollpostens Frasne-Vallorbe oder die "herrliche germanische Arbeit" - ein "eilig über den Rhein geworfener Eiffelturm" - der Brücke von Kehl bis zu der wie auf einen Primadonnenauftritt wartenden Dauerbeleuchtung der belgischen Ausgangsorte Jeumont und Feignies.

Beim Fußweg hinunter zum sizilianischen Meeresstrand hingegen öffnet sich die Szene auf einen mediterranen Riesenzirkus, dessen Ränge von Gibraltar bis zum Atlas und von Toulon bis zum Libanon reichen.

Ein paar terminologische Retouchen würden genügen, um diesen Zwischenkriegsroman in die Gegenwart zu rücken. Dirk Hemjeoltmanns hat mit seiner insgesamt gelungenen, federnden Übersetzung auch manches in dieser Richtung getan. Daß es hier aber doch unverkennbar um die Fusion der feinen Bankiers- und Juwelierslogik der Apostolatos-Tochter mit dem frechen Industriekalkül des Draufgängers Lewis geht, trägt zum reizvollen Verfremdungseffekt dieses anachronistischen Epochenromans bei.

JOSEPH HANIMANN

Paul Morand: "Die Fusion". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Dirk Hemjeoltmanns. Manholt Verlag, Bremen 2000. 159 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Roman über den draufgängerischen Manager Lewis und die Geschäftsfrau Irène des 1888 geborenen Paul Morand - 1924 zuerst erschienen - ist zwar in der Zwischenkriegszeit angesiedelt, nimmt aber für Joseph Hanimann sämtliche nachfolgende Generationenwechsel bis hin zur New Economy vorweg. "Schnell, leicht und brillant" und mit einer "behänden Erzähldynamik" habe Morant ein spannendes Doppelporträt mit "subtilen Charakterzeichnungen" geschrieben, lobt der Rezensent. Sehr gelungen findet er auch die "federnde" Übersetzung von Dirk Hemjeoltmanns. Für Hanimann gibt es keinen Zweifel daran, dass dieser anachronistische Epochenroman, 1924 ein riesiger Erfolg, auch heute nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat. Ein paar "terminologische Retouchen" würden dem Rezensenten dafür genügen.

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