Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 4,02 €
  • Gebundenes Buch

Reise nach Unterkralowitz beschreibt ein Familienpanorama über vier Generationen hinweg. Warum der Großvaterüberhaupt für den Kaiser Franz Joseph in den Krieg gezogen ist; warum der Vater unter den Nazis plötzlich u. k., unabkömmlich war und sich dennoch nie bei der NSDAP eingeschrieben hat; wie der Sohn sich auf die Suche nach seiner eigenen Vergangenheit im Osten macht und mit seinem kleinen Kind nach Unterkralowitz aufbricht, um etwas zu finden, das er in seiner anderen Heimat Wien nicht finden kann. Begleitet werden die beiden von Erinnerungen an die Schatten ihrer Vorväter und von anderen…mehr

Produktbeschreibung
Reise nach Unterkralowitz beschreibt ein Familienpanorama über vier Generationen hinweg. Warum der Großvaterüberhaupt für den Kaiser Franz Joseph in den Krieg gezogen ist; warum der Vater unter den Nazis plötzlich u. k., unabkömmlich war und sich dennoch nie bei der NSDAP eingeschrieben hat; wie der Sohn sich auf die Suche nach seiner eigenen Vergangenheit im Osten macht und mit seinem kleinen Kind nach Unterkralowitz aufbricht, um etwas zu finden, das er in seiner anderen Heimat Wien nicht finden kann. Begleitet werden die beiden von Erinnerungen an die Schatten ihrer Vorväter und von anderen skurillen Verwicklungen einer ganz normal verrückten Familie.
Autorenporträt
Manfred Chobot, geboren 1947 in Wien, Studium der Kulturtechnik, lebt als freier Schriftsteller. Seit 1972 mehrere Preise und Stipendien (u. a. Theodor-Körner-Preis und Preis der Arbeiterkammer Oberösterreich 1981, Staatsstipendium 1986/87 und 1996/97, Literaturpreis des Landes Burgenland 2006, BEWAG-Literaturpreis 2007). Etwa 50 Hörspiele und Features für ORF, HR, Süddeutschen Rundfunk, Radio Bremen und RAI. Zahlreiche Bücher.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2010

Gemischtwaren aus Ottakring
Der Großvater-Mythos: Manfred Chobot reist in die versunkene böhmische Heimat

Nicht alle Wiener Romane sind dick wie die Heimito von Doderers, Minimum dreizehnhundertfünfundvierzig Seiten, und darauf alles zwischen Porzellangasse und Julius-Tandler-Platz. Manfred Chobot arbeitet mit einem schlanken Format und füllt es doch bis an den Rand, mit greifbaren Schicksalen, Abneigungen, Verhängnissen, Sympathien und historischen Ereignissen. Er erzählt von seiner eigenen Familie, ein Leben erinnert an das andere, Urgroßvater, Großvater, Vater und Sohn, und mit ihnen die Frauen und Witwen, Katharina, Antonia, Gerlinde und Maria, verheiratet oder nicht. Eine kleine, nicht enge Welt, denn sie stammen ursprünglich alle aus Mähren oder Böhmen, manche schreiben ihre Namen noch mit einem Hatschek (Häkchen) über gewissen Konsonanten, und sie alle zählen zu den tschechischen Zugereisten, die im neunzehnten Jahrhundert in der Kaiserstadt ihr Auskommen suchten, Arbeiter, Handwerker oder - aufsteigend - glückliche Besitzer einer kleinen Gemischtwarenhandlung oder "Greißlerei" im kleinbürgerlich-proletarischen Bezirk Ottakring, nicht im noblen Döbling.

Allerdings findet die Reise nach Unterkralowitz, wie sie der Titel verspricht, niemals statt, zumindest nicht im wörtlichen Sinne, denn der mittelböhmische Ort (die symbolische Ursprungsheimat) ist seit 1974 auf den Grund eines neuen Stausees versunken, mitsamt dem feudalen Schloss, dem alten jüdischen Friedhof und den Bauerngehöften, deren Bewohner man an die Peripherie naheliegender Dörfer umsiedelte. Die Reise in das Heimatdorf der Urgroßmutter Katharina Chudy führt allein in die Richtung des epischen Interesses, das über die Vergangenheit und die Familienverhältnisse aufzuklären sucht.

Der Erzähler ist selbst Vater geworden, allerdings zum Schrecken seiner Eltern ein single Daddy, und er hat kein leichtes Leben, denn sein vier Monate alter Sohn, Fuzzi oder Quäko genannt, ein "echter Liebestöter", schreit leicht und aus Leibeskräften. Der Vater schiebt den Kinderwagen vor sich her, im widerspenstigen Kies des Schönbrunner Schlossparks, und der Ort erinnert ihn an seine eigenen Spaziergänge mit seinem Vater zum theresianischen Obelisken im Park und zum Schlossteich, wo sie ihr selbstgebasteltes Boot ausprobierten. Chobot war gerade 21 Jahre alt, als das Jahr achtundsechzig heraufdämmerte, und sein Verhältnis zu seinen Eltern bleibt von Distanz und Misstrauen geprägt, auch der Mutter gegenüber, die es an Zärtlichkeit fehlen ließ, weil sie, nach lauten Konflikten im Haushalt, die Tür zuwarf und tagelang ihre eigenen Wege ging.

Ihr Gatte war zwar in der Ostmark-Zeit kein Nazi, aber er arbeitete als Sekretär der Greißler-Organisation fröhlich mit, und der Sohn lebt merklich auf, wenn er über seine Fußballinteressen und die Hunger- und Schwarzhandelszeit nach dem Zweiten Weltkrieg berichtet, über die interessanten wöchentlichen Expeditionen in die Provinz, zu einem Dorf-Fleischhauer, und die Rückkehr nach Wien mit den vollen Rucksäcken, um die Ottakringer Kundschaft zu bedienen.

Chobot erzählt nicht traditionell und ordentlich der Reihe nach, aber freischweifend und assoziativ. Seine Sprache erhebt nicht den Anspruch auf poetische Kühnheit, aber er zeigt seinen Erfindungsgeist in der Kombination der Motive (zuzeiten übernimmt eine Figur die Aufgaben des Ich-Erzählers) und in der plötzlichen Verschiebung der erzählerischen Aufmerksamkeit, die das Nacheinander fast zu einem Nebeneinander des Familienporträts verwandelt, in dem, wie in einer vergilbten Gruppenfotografie, alle Generationen zugleich gegenwärtig sind.

Der Verdacht liegt nahe, dass der Sohn des wendigen Gemischtwarenhändlers und seiner selbstherrlichen Frau selbst Vater sein wollte, um sich endgültig von den ungeliebten Eltern abzulösen - nicht aber von seinen Großeltern, die er, über Epochen und die Geschichte hinweg, innig verehrt. Nicht einfach zu erklären, warum; vielleicht deshalb, weil Großvater Franz Johann Chudy ein ehrlicher und selbstbewusster Metallarbeiter war und der Enkel, aus ideologischen Gründen, seine proletarische Aura und Geradlinigkeit liebte. Der Großvater zieht letzten Endes alle Aufmerksamkeit auf sich, der Erzähler verankert seine Familienmythen in authentischen Briefen und Dokumenten und erhebt den verehrten Großvater zu einer historischen Figur. Der Enkel zitiert aus den vielen ethnographischen Büchern, die der Großvater in seiner kleinen Bibliothek besaß, darunter auch der Mobilisationsaufruf des Kaisers vom Sommer 1914: "An meine Völker". Wort für Wort und aus entscheidenden Gründen.

Großvater Franz folgte dem Ruf des Kaisers sogleich und als Freiwilliger, obgleich er tschechischer Herkunft war (aber zugleich ein königlich-kaiserlicher Patriot), und seine Partnerin, denn sie waren nicht verheiratet, diente als Schaffnerin der Wiener Straßenbahnen. Es ist eine ganz andere Frage, ob das Finale des Buches, das plötzlich vom Familiären, Zivilen und Privaten ins Öffentliche und Historische umschlägt, der ursprünglichen Konzeption nicht Abbruch tut. Chobot besteht darauf, lange Auszüge aus dem Tagebuch des Kriegsgefangenen, der im Jahre 1916 in einem russischen Kriegsgefangenenlager am Flecktyphus starb, mit seinem enthusiastischen Bericht über die Demonstrationen der Künstler und Friedensfreunde Österreichs von 1974 zu konfrontieren, und diese ideologische Konstruktion mit seinem geradezu medizinischen Bericht über die Geburt seines Sohnes Quäko abzuschließen. Will er sagen, dass sein Sohn in eine alte Welt geboren wird oder schon in eine neue, die von den Demonstrationen und Worten der friedensliebenden Dichter und Künstler illuminierte?

PETER DEMETZ

Manfred Chobot: "Die Reise nach Unterkralowitz". Roman. Limbus Verlag, Hohenems 2009. 191 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ins böhmische Unterkralowitz reist der Erzähler von Manfred Chobots Roman, der darin seiner Familiengeschichte nachspürt, nicht, denn dieser Ort existiert längst nicht mehr, erklärt Rezensent Peter Demetz. Dennoch bildet der Ort die "symbolische Ursprungsheimat", in deren Richtung sich der alleinerziehende Held eines unaufhörlich schreienden Kindes von Wien aus bewegt, um die Geschichte seiner Eltern und vor allem seiner Großeltern zu rekonstruieren. Sprachlich ambitioniert ist der Roman nicht unbedingt, meint Demetz, Originalität erreiche er aber durch die überraschende Zusammenstellung der Motive und eine assoziative, der Chronologie nicht folgenden Erzählweise. Nicht recht überzeugt aber ist Demetz, wenn Chobot seine Familiengeschichte am Ende vom Persönlichen ins Historische kippen lässt, indem er Briefe aus der Kriegsgefangenschaft dem  Bericht über die "Demonstration der Künstler und Friedensfreunde Österreichs" von 1974 und schließlich dem medizinisch expliziten Geburtsbericht seines Sohnes gegenüberstellt. Was will uns der Autor damit sagen?, fragt sich der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH