Marktplatzangebote
18 Angebote ab € 0,50 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Ein junger Iraker gerät unter die Gotteskrieger und flieht nach Deutschland. Ein kluger Abenteuerroman, der mit Spannung zeigt, wie ein kleines Leben von großen Umwälzungen erfaßt wird.
Das Buch erzählt die Geschichte des jungen Kerim, von Beruf Koch, der sich aus dem irakischen Grenzland auf die beschwerliche und gefährliche Reise nach Europa macht. Von früh an der Idee verfallen, sich zu verwandeln, hat er noch andere Gründe für seine Flucht, war er doch unter die Gotteskrieger geraten und mit ihnen durch das Land gezogen, bevor er sich von ihrem Weg der Gewalt lossagte. Kerim, bemüht, in…mehr

Produktbeschreibung
Ein junger Iraker gerät unter die Gotteskrieger und flieht nach Deutschland. Ein kluger Abenteuerroman, der mit Spannung zeigt, wie ein kleines Leben von großen Umwälzungen erfaßt wird.
Das Buch erzählt die Geschichte des jungen Kerim, von Beruf Koch, der sich aus dem irakischen Grenzland auf die beschwerliche und gefährliche Reise nach Europa macht. Von früh an der Idee verfallen, sich zu verwandeln, hat er noch andere Gründe für seine Flucht, war er doch unter die Gotteskrieger geraten und mit ihnen durch das Land gezogen, bevor er sich von ihrem Weg der Gewalt lossagte. Kerim, bemüht, in Deutschland ein neues Leben zu beginnen, kann, obwohl er in dem fremden Land auch Zuwendung und sogar seine erste Liebe findet, die Vergangenheit nicht abschütteln, vielmehr scheint diese sich fortwährend auf ihn zuzubewegen.
In diesem Roman geht es nicht um den Islam, sondern um den Extremismus, der viele Erscheinungsformen haben kann, um seine Verführungsmacht und die Folgen. Extremismus entsteht nicht in einem Kopf, sondern unter realen Lebensbedingungen. So ist Kerims Geschichte die eines kleinen, konkreten Lebens inmitten großer Umwälzungen, und sein spirituelles wie auch seine realen Abenteuer sind nicht so außergewöhnlich, wie sie aus europäischer Sicht scheinen mögen. Viele haben sich wie er auf den Weg gemacht, viele sind auch wie er verstrickt worden, wenn schon nicht immer aus nachvollziehbaren Gründen, so zumindest doch auf eine Weise, welche auch die besten Nachrichtenbilder uns nicht zeigen können.
Autorenporträt
Sherko Fatah, geboren 1964 in Berlin, aufgewachsen in der DDR, 1975 Übersiedlung nach West-Deutschland. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin. Auszeichnungen: 2001 mit dem aspekte-Literaturpreis und dem Deutschen Kritikerpreis sowie 2015 mit dem Großen Kunstpreis und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008

Die Leiden des Migrationsmelancholikers
Sherko Fatahs beklemmender Terror-Roman / Von Wolfgang Schneider

Ein getretener Hund krümmt sich und würgt eine menschliche Hand heraus. Dergleichen kommt vor im Straßenleben des Iraks. Dort sind Teile zerfetzter Menschenkörper keine ganz seltene Beute für die Tiere.

Es sind solche Szenen, die sich ins Lesergedächtnis einbrennen bei der Lektüre von Sherko Fatahs deutsch-irakischem Roman "Das dunkle Schiff". Ein fabelhaftes, spannendes Buch, sehr zu Recht ein Kandidat für den Preis der Leipziger Buchmesse. Egal, ob es die Auszeichnung erhält oder nicht - Fatah ist eine Entdeckung. Vor sieben Jahren debütierte er mit dem Roman "Im Grenzland". 1964 in Ost-Berlin geboren, hat er nicht nur durch seinen Vater einen irakischen Migrations-, sondern zudem einen DDR-Hintergrund. Eine Biographie, die einen Schriftsteller formen kann.

Einen dermaßen starken Romananfang voll Schönheit und Schrecken hat man jedenfalls lange nicht gelesen: Ein Sommertag im bergigen Nordirak, eine Landschaft "wie eine geöffnete Hand", Wolken ziehen "wie Luftschiffe durch den tiefblauen Himmel". Lachend und schwatzend sammeln die Landfrauen Kräuter. Der kleine Kerim beobachtet die Szene. Da nähert sich ein Helikopter, landet, Soldaten springen heraus, treiben die Frauen zusammen. Mit den Kräutersammlerinnen steigt der Helikopter wieder auf, der Junge winkt, auch er wäre gerne mitgeflogen: "Und tatsächlich kam die Maschine erneut heran, das Donnern wurde laut und lauter, bis er sich die Ohren zuhielt. Den Kopf im Nacken sah er die Frauen. Da fielen sie, eine nach der anderen stürzte aus der Luke, mit gebreiteten Armen glänzten sie auf im Licht, und wie um sie aufzuhalten, riss an ihren Gewändern der Wind."

Viel später erst ist von diesem Ausflug, den Kerim mit dem Vater unternahm, noch einmal die Rede. Erklärt wird auch dann nichts. Offenbar hatten solche Mordaktionen gegen die kurdische Minderheit eine gewisse Üblichkeit, damals, in den achtziger Jahren, unter Saddam Hussein. Seit Kerims Geburt folgt ein Krieg auf den anderen. Man hat damit und mit der Diktatur zu leben gelernt, laviert sich durch den beschädigten Alltag. Kerims Vater wagt es, einmal aufzumucken. Er betreibt ein kleines Restaurant an einer Straße nach Süden. Als zwei Gäste, Geheimdienstmänner, sich im Gespräch brüsten, wie sie mit den Köpfen ihrer Gegner Fußball spielen, lässt er die Teller mit dem Essen auf den Tisch knallen. Eine Viertelstunde später ist er tot.

So wird Kerim selbst Koch und Gastwirt, betreibt das Restaurant weiter, um die Familie durchzubringen. Bis Jahre später (der Diktator ist schon beseitigt) der Tag kommt, an dem er von den "Gotteskriegern" in die Berge verschleppt wird - eigentlich hatten sie es nur auf sein Auto abgesehen. Kerim übt sich in Mimikry, lernt das Turbanbinden, um schließlich beinahe Gefallen zu finden an dem kargen Leben. Da gibt es einen "Lehrer", der fast unmerklich zur geistigen Autorität für ihn wird. Dieser Mann mit dem "amüsierten Ausdruck im Gesicht" ist ein Charismatiker, eine merkwürdige Mischung von Sanftmut und brutaler Entschlossenheit. Die Gotteskrieger werden durchaus nicht als gewaltverliebte Dumpfköpfe dargestellt. Mag ihre martialische Frömmigkeit auch absurd anmuten; ihre Kritik an den westlichen Lebensformen - bündig formuliert, während amerikanische Bomben einschlagen - wird bisweilen ungemütlich plausibel.

Es ist jedenfalls eine bittere Pointe des Romans, dass ihre Lehren in Kerims Kopf erst während des Exils wirklich aufgehen. Es gelingt ihm, aus der Gruppe zu fliehen, bevor er für einen Selbstmordanschlag bestimmt wird. Auf seiner Reise nach Europa verbringt er Tage der Todesangst als blinder Passagier im dunklen Bauch eines Frachtschiffes, wird entdeckt und auf einer winzigen Insel ausgesetzt. Endlich gelangt er nach Berlin zu seinem Onkel, wo auf die Robinsonade die Behörden-Satire des Asylantrags folgt.

Im Kontrast zur Belanglosigkeit des Berliner Alltagslebens gewinnen die Anschauungen des "Lehrers" nun von Tag zu Tag mehr Überzeugungskraft. Die knapp zweihundert Seiten, die in der deutschen Hauptstadt spielen, beeindrucken durch ihren verfremdeten Blick auf das Vertraute. "Sie leben seit sechzig Jahren in Frieden", meint der Albaner Ervin über die Deutschen, "alles was sie kennen, ist Tourismus". Einmal, als Kerim auf dem Eis eines Berliner Sees einbricht, wird er knapp gerettet von einer Studentin, mit der sich bald ein Liebesverhältnis entwickelt. Doch muss diese bald feststellen, dass der stille, bescheidene, ganz auf sie angewiesene Mann langsam zum unheimlichen Fremdling wird, der eine Innenwelt von düsterem Ernst vor ihr verschließt.

"Das dunkle Schiff" ist ein Abenteuerroman mit ironischem Fundament. Denn Kerim hat gar nicht die Statur eines abenteuerlichen Helden. Normalität wäre wohl eher nach seinem Sinn. Weil er aber unter den Bedingungen der politischen Dauermisere keine Chance hat, zum Herrn seines Lebens zu werden, das vom Zufall gesteuert wird, wirkt er fremd in der eigenen Haut, wie ein Mann ohne Eigenschaften. Eine innere Leere plagt ihn, eine vage Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die ihn für die Lehren der Gotteskrieger empfänglich macht.

Das Buch ist in einer einfachen, präzisen Sprache erzählt. Auch in der Durchdringung der Zeitenebenen beweist Fatah viel Kunstverstand. Wenn Kerim aus den Bergen zurückkehrt, ist das Eigentliche jener prägenden Zeit unter den Gotteskriegern noch gar nicht erzählt. Diese Szenen werden ihn als Erinnerungen ebenfalls erst in Berlin heimsuchen. Er hat mitgemacht bei bestialischen Morden an Zivilisten. Er hat das Kommando für die Auslösung der Explosion gegeben, als sie den kindlichen Hamid, eine Kriegswaise, als ferngesteuerte Bombe losschickten. Er hat Mukhtar gefilmt, einen alten Kämpfer mit Blutdurst in den Augen, seit er mit angesehen hat, wie afghanische Jungen unter russischen Panzerketten zerquetscht wurden. Hat ihn gefilmt, als er allen Bewohnern eines Dorfes die Kehle durchschnitt, und die zur Abschreckung gedachten Bilder fürs Internet bearbeitet.

Die Schleppnetze des internationalen Terrors reichen bis nach Berlin. Beeindruckend schildert Fatah die Radikalenkreise der Exilanten, sei es im Umkreis der Uni-Mensa oder draußen in den Gewerbegebieten, wo es zwischen leeren Fabriken volle Gotteshäuser gibt. Hier trifft man auf unheilbrütende Gestalten wie Amir, einen kraftsportgestählten Araber jener Art, wie er in U-Bahnen auf Kollisionskurs unterwegs ist. Es ist Kerim, der ihn mit seiner Geschichte fasziniert und schließlich vom Internetcafé in die Moschee zieht. Schnell wird der Sohn eines Einwanderers zum Fundamentalisten - zu einem Mann, der "nach Verwandlung lechzt" und zu allem bereit ist.

Fatah bietet beklemmende Einblicke in eine Parallelgesellschaft. Und es geht nicht gut aus für Kerim, diesen schweigsamen Migrationsmelancholiker. Die Vergangenheit sucht ihn heim. Eines Tages trifft er jemanden in Berlin, den er nicht hätte treffen dürfen. Jemand, der ihn daran erinnert, dass er einst selbst zum "Verräter" wurde.

Sherko Fatah: "Das dunkle Schiff". Roman. Verlag Jung und Jung, Salzburg/Wien 2008. 440 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.02.2008

Wenn die Tiere die Menschen fressen
Ein Gespräch mit dem Autor Sherko Fatah über und seinen Roman „Das dunkle Schiff”, die Kurden in der DDR und die Gotteskrieger im Nordirak
Der Schriftsteller Sherko Fatah ist mit seinem neuen Roman „Das dunkle Schiff” für den Preis der Leipziger Buchmesse 2008 nominiert. Der Roman schildert die Welt der Kurden im Nordirak. Im Gespräch mit der SZ gibt Sherko Fatah Auskunft über sein Selbstverständnis als deutscher Autor und sein Interesse an den im Nordirak agierenden Gotteskriegern.
SZ: Sie sind 1964 in Ost-Berlin geboren, haben über Ihren Vater eine kurdische Herkunft, den vielzitierten „Migrationshintergrund”, Deutsch ist ihre Muttersprache. Sie sind ein kurdischer Berliner mit DDR-Hintergrund. Wie sehen Sie sich selbst?
Sherko Fatah: Für mich ist das keine Frage. Ich bin deutscher Schriftsteller. Ich thematisiere zwar mein Erbe, aber ich versuche, Distanz zu schaffen zwischen mir und dieser Herkunft und das literarisch fruchtbar zu machen.
SZ: Es gab nicht viele Kurden in der DDR. Was hat Ihr Vater da gemacht?
Fatah: In den 60er Jahren hat die DDR den Beschluss gefasst, kurdischen Studenten aus dem Irak ein Stipendium zu geben. Ein paar hundert Iraker sind dann in die DDR gegangen. Ich kenne viele noch aus der Kindheit und Jugend. Manche von denen sind in den Westen gegangen. Jedenfalls hat keiner die DDR-Staatsangehörigkeit angenommen. Deshalb war ihre Situation privilegiert. Auch die meiner Familie. Wir konnten jederzeit ausreisen und wieder einreisen. Irgendwann sind wir dann ganz in den Westen gegangen. Das hatte bei meinem Vater eher berufliche als politische Gründe.
SZ: Ihr Vater lebt wieder im Nord-Irak?
Fatah: Das ist für mich immer ein guter Grund hinzufahren. So konnte ich über Jahre hinweg beobachten, welche Auswirkungen große Entwicklungen auf diese kleine Region haben.
SZ: Ihre Bücher leben stark von Reiseerlebnissen. Recherchieren Sie gezielt?
Fatah: Ich unterhalte mich mit Leuten, sammle Geschichten ein. Mein Vater erzählt mir viel, andere Verwandte, Bekannte. Nach und nach mischen sich meine Reiseerlebnisse mit den Erzählungen. Dadurch wird alles literarisch. So hat sich mir dieses Land immer dargestellt: Als eine Mischung von Erzähltem, Gesehenem und von Dingen, die mehr bedeuteten, als sie zu bedeuten scheinen.
SZ: In Ihrem neuen Roman „Das dunkle Schiff” erzählen Sie den Lebensweg eines jungen Kurden, von der Kindheit in einer nordirakischen Kleinstadt bis zum Asyl in Berlin.
Fatah: Um die Distanz zu wahren, habe ich diese Figur als Außenseiter angelegt, und zwar durch die Herkunft seines alevitischen Vaters – so etwas ist im Nord-Irak sehr selten. Kerim sehnt sich nach Zugehörigkeit. Nachdem er von Gotteskriegern in den Bergen entführt wird, gelingt es ihm sogar, sich unter ihnen heimisch zu fühlen. Nicht nur aus Angst, sondern auch aus Einverständnis wird er zu einem ihrer Mitkämpfer.
SZ: Sie beschreiben das Leben der Gotteskrieger so genau, als hätten Sie so ein Lager in den Bergen selbst besucht. Wie haben Sie sich diesem Stoff angenähert?
Fatah: Das begann viel früher, wahrscheinlich durch den 11. September. Ich habe mich gefragt, wie man darauf reagieren könnte. Was ist das? Was bedeutet das alles? 2004 war ich im Nordirak und habe mit den Recherchen für dieses Buch begonnen. Ich habe Leute getroffen, die gegen die Gotteskrieger gekämpft haben. Heute ist ein politischer Terrorismus wieder stärker im Vormarsch. Aber damals waren es diese Glaubenskrieger, die dann zurückgedrängt wurden durch den Angriff der Amerikaner.
SZ: Es ist Ihnen nicht gelungen, mit Gotteskriegern zu sprechen?
Fatah: Doch. Es gibt einige dort, mit denen man reden kann, die in den Gefängnissen sitzen. Doch das erwies sich rasch als Sackgasse. Die wirken wie gehirngewaschen. Diejenigen haben mir am meisten erzählt, die von außen darauf schauten und doch in der Nähe waren, die die Lager gesehen haben oder Opfer geworden sind von Anschlägen. Und dann gibt es natürlich Familienverbindungen. Einzelne gehen in die Berge, um sich den Extremisten anzuschließen, und mit deren Cousins kann man dann sprechen.
SZ: Sie beschreiben eine brutale Hinrichtung und ein Selbstmordattentat auf und gehen dabei weiter als Nachrichtenbilder für gewöhnlich gehen. Darf Literatur „die Kamera draufhalten”, wo das Fernsehen schon ausblenden würde?
Fatah: Ich glaube, sie darf es, weil sie eben keine Kamera benutzt, sondern in Sprache arbeitet. Mir ist es wichtig, auf gleicher Höhe mit den Ereignissen zu schreiben. Dazu gehört eben auch, dass diese Bombenanschläge, die wir fast im Tagesrhythmus gemeldet bekommen, auch ein Nachleben haben. Es gibt das, was übrigbleibt von dem, was in die Luft geflogen ist. Wenn man das ausblendet, wird sprachlich genau das hergestellt, was die Nachrichten herstellen: eine Abfolge von Explosions- oder Rauchbildern, die nichts von dem vermitteln, was wirklich passiert.
SZ: Sie vermeiden es, die Gotteskrieger bloß als bärtige, zurückgebliebene Deppen vorzuführen, sondern zeigen Menschen mit einem Anliegen.
Fatah: Natürlich wäre es leicht gewesen, die als Idioten darzustellen, Extremisten, Fanatiker, die keine Ahnung von nichts haben und die für die falsche Sache kämpfen. Aber so leicht ist es nicht.
SZ: Was sind die Ursachen dieser Form von Extremismus im Irak?
Fatah: Die Leute schließen sich den Gotteskriegern oft deshalb an, weil sie von ihnen Perspektiven geboten bekommen. Und zwar nicht nur ideologische Versprechungen, sondern Geldzuwendungen. Es gibt viele Kriegswaisen im Irak, für die Geistliche aufkommen, die im Umfeld des religiös-fundamentalistischen Islam zu suchen sind. Die unterhalten Koranschulen. Wenn die Kinder sehr früh dort hinkommen, kann man viel erreichen und Loyalitäten schaffen. Schon in den 90er Jahren rekrutierten sich die ersten islamistischen Strömungen, aber das war noch nicht im Fokus der Weltöffentlichkeit. Später ist es radikaler geworden. Dadurch, dass sie angegriffen und verfolgt wurden von Spezialeinheiten der Amerikaner und auch von den kurdischen Milizen, haben sie sich allmählich brutalisiert. Und natürlich gibt es eine Unterstützung aus dem Ausland, aus dem Iran vor allem, und auch einen regen Austausch von Kämpfern, die aus Afghanistan zurückkommen.
SZ: Ihr Roman zeigt auch, wie heterogen die kurdische Gesellschaft ist. In den Nachrichten bekommt man dagegen eher den Eindruck, die Kurden seien eine relativ geschlossene Gruppe. Ist Literatur das geeignetere Instrument, um die Vielfalt der Welt wahrzunehmen?
Fatah: Dieses kleine Gebiet ist eine Vielvölkerkultur, auch multireligiös. Es gibt die Jesiden, von denen ab und an in den Nachrichten berichtet wird, weil sie so eine Geheimreligion sind. Es gibt Turkmenen, Schiiten, Chaldäer. Es gibt lauter religiöse Gruppen, die erst einmal nicht in das Schema „Kurden” passen. Dennoch sind sie ihrer Herkunft nach oftmals Kurden. Aber es gibt natürlich auch Araber dort oben. Und dann gibt es die ganzen politischen Unterschiede. Es gab eine kommunistische Partei, es gab unter den Guerilla-Bewegungen in den 80er Jahren auch Maoisten. Der ganze politische Ideenzirkus, der aus dem Westen kam, hat sich auch dort ausgebreitet. Das war eine Zeit eher säkularer Interessen, eine aufs Politische gerichtete Epoche. Inzwischen drängt sich der Islamismus in den Vordergrund, was gar nicht typisch war für die Gegend, sondern ein neues Phänomen ist.
SZ: Auffallend ist, dass Sie immer wieder Tiere in eindrücklichen Szenen schildern. Wofür stehen die Tiere? Für das Kreatürliche? Den Tod?
Fatah: Die Tiere spielen im Lebensvollzug und im Alltag der Menschen eine große Rolle. Man sieht sie überall: Esel, Schafherden. Und es gibt das Fest, an dem sie geschlachtet werden. Das vollzieht sich alles in ziemlicher Nähe zum Alltagsleben. Es ist eine Welt, in der die Bereiche Ernährung und Schlachtung nicht so getrennt sind wie hier. Darüber hinaus sind Tiere für mich auch mythisch besetzt. Eine andere Dimension ist, dass vieles, was mit Menschen getan wird, zuvor an Tieren ausprobiert oder vorbereitet wird. Das habe ich verstärkt, als Linie, als Motiv.
SZ: Zum Beispiel?
Fatah: Zum Beispiel, dass diese toten Hunde präpariert werden, die man erschießt, um sie mit Sprengstoff zu füllen. Am gleichen Ort, wo Tiere zum Verzehr präpariert werden, werden auch diese Hunde präpariert. Wenn man Tiere sowieso zerschneidet und fürs Kochen vorbereitet, warum sollte man dann die anderen, die man als Waffe im Krieg benutzt, nicht auch dort zerschneiden und vorbereiten? Das erscheint von außen unglaublich grausam, aber es ist vor Ort nur ein gradueller Unterschied. Von den Kriegshandlungen und Anschlägen bleiben nun mal Leichen übrig, und die Hunde sind die Ersten, die sich daran bedienen. Die amerikanischen Soldaten sind schockiert, wenn an ihnen ein Hund vorbeiläuft, der einen menschlichen Arm im Maul trägt. Aber das passiert nun mal, in der Folge der Sprengstoffanschläge. Es ist für mich ein Sinnbild von Chaos und Verkehrung der Ordnung. Wenn die Tiere die Menschen fressen, ist diese Ordnung untergegangen.
SZ: Kerim gelingt schließlich die Flucht, zurück in sein Elternhaus und von dort aus weiter nach Berlin. Was lockt ihn gerade dorthin?
Fatah: Eine Pointe der Geschichte liegt darin, dass er die Religion und den Glauben eigentlich erst in Berlin entdeckt – nicht im Elternhaus, nicht einmal bei den Gotteskriegern. Das hat mich interessiert: Das Gefühl des Rückrufes der Religion. Man vermisst seine Religion oder seine Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis nicht, wenn man vor Ort ist. Man vermisst sie erst in der Fremde. Die Fremdheit macht religiöse Erfahrung intensiver, verbindet sie mit einem Heimwehgefühl. Dadurch wird auch die Attraktivität radikaler Thesen größer – bei einigen wenigen.
SZ: Sind Sie Moslem?
Fatah: Ja. Da das väterlich vererbt wird, bin ich Moslem. Aber ich bin nicht gläubig. Ich bin in der DDR mit einem ziemlich atheistischen Weltbild aufgewachsen. Das hat sich gehalten.
SZ: Für viele jüngere Autoren ist ihre DDR-Kindheit ein ergiebiges literarisches Thema. Spielt das für Sie überhaupt keine Rolle?
Fatah: Bislang noch nicht. Es war natürlich sehr interessant, wie schnell ganze Ideenwelten aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden, die wichtig für uns waren. Wie schnell Dinge, die uns beigebracht wurden, bedeutungslos wurden. Ob ich daraus je einen Roman mache, vermag ich aber nicht zu sagen.
SZ: In Ihrem ersten Roman „Grenzland” gibt es das „rote Haus” des Geheimdienstes. Da konnte man durchaus an die Stasi-Zentrale in der DDR denken.
Fatah: Es war viel Equipment aus der DDR im Irak. Man traf die Lastwagen wieder, die Rüstungsgüter, sogar die Häuser ähnelten DDR-Bauten. Später wurde klar, dass die Stasi in den 70er Jahren die Bürokratie im Irak mit aufgebaut hat. Ich habe verrückterweise in Bagdad wiedergefunden, was ich aus der Kindheit in Ost-Berlin kannte. Heute nennt man das Globalisierung.
Das Gespräch führte Jörg Magenau
Sherko Fatah
Geboren 1964 in Ost-Berlin als Sohn eines Kurden aus dem Irak und einer deutschen Mutter, verließ Sherko Fatah die DDR 1975 und kam über Wien nach West-Berlin, wo er Philosophie und Kunstgeschichte studierte. Für seinen Erstlingsroman „Im Grenzland”, der von einer Schmugglerexistenz im Kurdengebiet zwischen Iran, Irak und der Türkei erzählt, erhielt er im Jahr 2001 den Aspekte-Literaturpreis. Sein gerade im Salzburger Jung und Jung Verlag erschienener Roman „Das dunkle Schiff” steht auf der Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse 2008, der am 13. März in Leipzig verliehen wird. Foto: Getty
Kurdische Schulmädchen in der Stadt Suleimaniya im Nordosten des Irak vor einem Wandgemälde, auf dem ein persischer Soldat zwischen 550 und 330 v. Chr. einen griechischen Soldaten tötet. Foto: Behrouz Mehri/AFP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Trotz seiner spannenden Geschichte hat Sherko Fatahs Roman "Das dunkle Schiff" den Rezensenten Andreas Fanizadeh nicht recht überzeugt. Das liegt zum Teil daran, dass ihm all das, was Fatah seinem Protagonisten, dem kurdisch-irakischen Kerim zustoßen lässt, schlicht zu viel wird: Kerim wächst unter der Gewaltherrschaft Saddams auf, macht später, als die Amerikaner im Irak einmarschieren, eine Karriere als Glaubenskrieger und landet schließlich als illegaler Migrant in Berlin. Dabei lässt sich die psychologische Entwicklung des Protagonisten jedoch nicht recht nachvollziehen, wendet der Rezensent ein. Fatah stelle seinen Helden durchgehend als Opfer äußerer Einflüsse dar, ohne über sein Innenleben Aufschluss zu bieten. Dadurch erscheinen Fanizadeh die Wandlungen Kerims unglaubwürdig und erfunden. Den Helden stets nur als Opfer äußerer Umstände darzustellen erscheint Fanizadeh literarisch wie politisch zu schlicht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein für die deutsche Gegenwartsliteratur ungewöhnlicher, herausragender Roman." Die Welt