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Eine faszinierende Geschichte über Gewalt und deren Opfer, im Irak und mitten unter uns
Am Beginn steht die Ermordung eines Schwans an einem Heiligen Abend in einer deutschen Stadt. Aber auch was dann erzählt wird, ist gezeichnet von den Spuren der Gewalt: die Geschichte einer Reise in den Norden des Irak um die Mitte der neunziger Jahre. Der, der sich zusammen mit einem Freund dorthin aufmacht, hat zuvor die Bekanntschaft eines älteren Mannes gemacht, den alle "Onkelchen" nennen und der von dort stammt und nun bei illegalen Flüchtlingen in Deutschland Unterschlupf gefunden hat. Seine neue…mehr

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Produktbeschreibung
Eine faszinierende Geschichte über Gewalt und deren Opfer, im Irak und mitten unter uns

Am Beginn steht die Ermordung eines Schwans an einem Heiligen Abend in einer deutschen Stadt. Aber auch was dann erzählt wird, ist gezeichnet von den Spuren der Gewalt: die Geschichte einer Reise in den Norden des Irak um die Mitte der neunziger Jahre. Der, der sich zusammen mit einem Freund dorthin aufmacht, hat zuvor die Bekanntschaft eines älteren Mannes gemacht, den alle "Onkelchen" nennen und der von dort stammt und nun bei illegalen Flüchtlingen in Deutschland Unterschlupf gefunden hat. Seine neue Außenwelt bleibt ihm völlig fremd: er verstummt und behält so seine Geschichte für sich. Der versucht der Erzähler auf seiner Reise in das Land, das wiederum ihm völlig fremd bleibt, auf die Spur zu kommen: er erfährt davon wenig genug, dafür aber etwas über eine bizarr brutalisierte Gesellschaft und seine eigenen Grenzen des Verstehens.
Was Menschen zustößt, die das Leid wirklich erfahren haben, scheint nicht zu vermitteln; ihr Los ist eine Stummheit in dieser schwatzenden Welt, durch die sie, meist absichtslos, noch einmal zu Opfern gemacht werden.
Die atmosphärische Dichte dieses Romans ist zeitweise beklemmend, seine Imaginationskraft außerordentlich. Sherko Fatah hat ein Buch geschrieben, das seine erzählerische Distanz nutzt, um dem Erklären und Verstehen von Verletzung und Leid ein wenig näher zu kommen.

Autorenporträt
Sherko Fatah, geboren 1964 in Berlin, aufgewachsen in der DDR, 1975 Übersiedlung nach West-Deutschland. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin. Auszeichnungen: 2001 mit dem aspekte-Literaturpreis und dem Deutschen Kritikerpreis sowie 2015 mit dem Großen Kunstpreis und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2004

Augen ohne Blick
Grenzgänger im Niemandsland: Sherko Fatahs zweiter Roman

Ein Mord im Stadtpark am Weihnachtsabend, so fängt alles an: Es ist nur ein Schwan, der dran glauben muß, aber die Gewalt ist weiß und rot, mit Federn und Blut bildkräftig eingebrochen in das winterliche Berlin. Michael, Bummelstudent der Geisteswissenschaften, hat sich von Rahman, seines Zeichens irakischer Bauarbeiter, in etwas hineinreiten lassen. Der gebratene Vogel schmeckt nicht besonders, und Ärger mit der Polizei gibt es auch. Dennoch wird Michael rückfällig werden, das zeichnet sich ab, und sich bis in Rahmans Heimat verirren.

Sherko Fatahs zweiter Roman "Onkelchen" schlägt die Brücke zwischen den zwei Herkunftsufern des Autors. "Im Grenzland", der hochgelobte, mit Preisen ausgezeichnete Romanerstling über einen Schmuggler im bergigen Niemandsland, war ausschließlich dem kurdischen Irak gewidmet. Nun nimmt Fatah den Übergang zwischen den Kulturen in den Roman hinein, kondensiert in der Begegnung Michaels mit der rätselhaften und symbolträchtigen Figur des "Onkelchens". Der "kleine Onkel", mit bürgerlichem Namen Omar und ehemaliger Lehrer, ist Flüchtling. Seinen Namen verdankt er Nîna; als Weggefährtin und fürsorgliche Vertraute ist sie die einzige, die Worte aus seinem von der Folter verstümmelten Mund hört. Gegen den Rest der Welt wahrt er obstinates Schweigen und einen entleerten Blick: "Das Schreckliche an diesem Onkelchen waren seine Augen, die nichts von dem widerspiegelten, was er empfand." Während Michael Gewalt erst kennenlernt, hat Omar ihr längst den höchsten Preis gezahlt.

Michaels Bekanntschaft mit den drei Exilanten wird möglich durch sein eigenes Driften: Der Endzwanziger ist "unbefestigt" im Leben und daher für das Unerwartete zu haben. Seine bequeme transzendentale Obdachlosigkeit allerdings, subventioniert durch monatliche Überweisungen der Eltern, ist Welten entfernt von der viel handfesteren Nînas und Omars. Als Michael sich in die attraktive Frau verliebt und Omars Rätsel ergründen will, scheint eine Annäherung möglich, aber Mißverständnisse sind vorprogrammiert - der charismatische Grenzgänger Rahman stellt das unerbittlich klar. Autoritär, selbstverliebt und merkwürdig haltlos zugleich, ist er Widerstand und Katalysator der Fremdheitserfahrung. Michael akzeptiert seinen Vorschlag, zu zweit ein Auto in den Irak zu überführen: eine Initiationsreise, auf der er Stationen von Omars Flucht besucht, in der Hoffnung, ihn zu verstehen. Es gelingt ihm, in Grenzen nur und unerwartet, als er schließlich selbst Opfer von Gewalt wird. Die harte Lehre: Verstehen ohne Erleben ist unmöglich, Erleben aber ist schmerzbeladen.

Fatah nähert sich seinen Figuren auf seltsam kreisende Art. Manchmal scheint er vor sich hin zu erzählen, ins Anekdotische abzurutschen: Die Kritik hatte "Im Grenzland" einen Mangel an Komposition attestiert. Auch in "Onkelchen" gibt es diese Tendenz, besonders im ersten Teil, der in Berlin spielt. Packender ist die Reiseerzählung, die den Leser erneut ins kurdische Bergland um Sulaimania entführt, Schauplatz auch von "Im Grenzland". Motive kehren wieder, das "Rote Haus", nun als Ruine, und, in der Ferne, das inzwischen weltbekannte Gefängnis von Abu Ghreib. Omnipräsent sind verlassene Häuser, konkrete Sinnbilder dieser "unbefestigten" Gegend. Am nachhaltigsten beeindruckt jedoch die öde Landschaft: "Wie hingeworfen vor die gewaltigen Bergsockel in der Ferne breitete sich diese mal struppig überwachsene, mal von schneebedeckten Feldern gezeichnete Erddecke hin, gewölbt und an vielen Stellen schon durchstoßen vom dunklen Fels, der überall beharrlich aufwärts zu drängen schien." Fatahs Entwurzelte sind in die nackte Elementarität einer unwirtlichen Natur geworfen, gemalt in Grün-, Grau- und Brauntönen. Diese erdige Farbsymphonie, die an Theo Angelopoulos' Filme über balkanische Grenzgänger erinnert, spiegelt durch Nähe und Vermischung ihrer Nuancen die territoriale Auflösung, die Haltlosigkeit, das Unstete.

Fatah fragt nach der Möglichkeit von Verstehen und verdoppelt so die Reflexion über das Thema Exil, wie sie zur Zeit im Kino ihr Echo findet. Schon das bloße Erinnern an Flüchtlingsschicksale gibt seinem Schreiben eine eminent politische Dimension. Diese dominiert das Geschehen jedoch nicht: Fatah ist zuerst Romancier, dann engagiert, und genau das läßt seine Texte schmerzhaft nahe kommen. Sie sind rauh, nicht streng geformt, manchmal repetitiv, aber ein Problem treibt sie um, keine Wohlstandsneurose. Es ist echte Sorge, die Sherko Fatah zum Schreiben zwingt - und ihn zum Schriftsteller macht. Von diesen Autoren wurden in letzter Zeit ja immer weniger gesichtet.

NIKLAS BENDER

Sherko Fatah: "Onkelchen". Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2004. 300 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieser Roman, so der Rezensent Niklas Bender, handelt von Entwurzelten. Doch während die Heimatlosigkeit der drei kurdischen Exilanten aus dem Irak - Rahman, Nina und das "Onkelchen", ein ehemaliger Lehrer, dessen Mund von der Folterern verstümmelt wurde - existenziell ist, handelt es sich bei dem Studenten Michael um einen Wohlstandsdrifter: offen für alles, weil ihn nichts hält, neugierig, weil ihm die Erfahrung fehlt. Michael will verstehen, doch das gelingt erst, als er während einer Fahrt in den Irak am eigenen Leib Gewalt erfäht. "Die harte Lehre: Verstehen ohne Erleben ist unmöglich, Erleben aber ist schmerzbeladen." Diese Echtheit des Erlebens und des Schmerzes ist es, was Bender an Fatahs Roman lobt. Dort, wo es anekdotisch zugeht, etwa im ersten Teil, als der Schauplatz Berlin ist, hat ihm das Buch nicht hundertprozentig zugesagt. Doch als es durch die karge Landschaft der kurdischen Berge geht, fühlt er die "echte Sorge, die Sherko Fatah zum Schreiben zwingt". Doch zum Glück: "Fatah ist zuerst Romancier, dann engagiert, und genau das lässt seine Texte schmerzhaft nahe kommen."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Fatahs Schilderungen sind derart gelungen, daß sich die Buchstaben in Bilder verwandeln, die man eigentlich nicht sehen möchte, denen man sich gleichwohl nicht entziehen kann." (Christina Zink, FAZ)