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Nirgendwo läßt sich das sprachspielerische Genie H. C. Artmanns besser nachvollziehen als in seinen Gedichte, die in ihrer formalen Vielfalt und in ihrem Reichtum an Tönen auch für vermeintliche Kenner noch zahlreiche Überraschungen bereit halten.

Produktbeschreibung
Nirgendwo läßt sich das sprachspielerische Genie H. C. Artmanns besser nachvollziehen als in seinen Gedichte, die in ihrer formalen Vielfalt und in ihrem Reichtum an Tönen auch für vermeintliche Kenner noch zahlreiche Überraschungen bereit halten.
Autorenporträt
H. C. Artmann wurde 1921 in Wien geboren, wo er 2000 starb.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.06.2003

Aus dem Ärmel geschüttelt
Sehr willkommen: „Sämtliche Gedichte” von H.C. Artmann
Was ist das für einer, der uns da vom Frontispiz entgegen blickt, ein bisschen faltig und mit müd gewordenen Augen, doch andernteils im dunklen Anzug mit Krawatte und mit sorgsam getrimmten Schnauzbart? Wen haben wir da vor uns: einen noblen Herrn, den das Leben und mancher Exzess gezeichnet haben, oder einen alt gewordenen Schlawiner im Sonntagsornat?
Hans Carl Artmann, 1921 in Wien-Breitensee geboren und 2000 verstorben, war beides: kultiviert und breit gelehrt wie kaum ein anderer und zugleich ein Ortloser, ein Nichtsesshafter, der vom Leben, wie es schien, mehr gesehen hatte als nur Bücher. Er war ein Avantgardist, der nicht aus dem Labor zu kommen schien, eher schon aus dem Bordell und anderen Universitäten des Lebens. Wo aber hatte er sich dann seine verschwenderischen Sprach- und Literaturkenntnisse angeeignet oder angedichtet? Um den Dichter, der als Geburtsort gern „St. Achatz am Walde” angab, rankte sich ein Rätsel, sein Leben selbst war wie seine Bücher eine, um einen Werktitel zu zitieren, „grünverschlossene Botschaft”.
Um diese Botschaft machte Artmann, dem das Theoretisieren fremd war, selten außerpoetische Worte. Als hätte er alles, was ihm dazu sagenswert schien, in den wenigen Zeilen seiner „Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes”von 1953 formuliert. Punkt 5 heißt: „Der poetische act ist die pose in ihrer edelsten form, frei von jeder Eitelkeit und voll heiterer Demut.” Mit dieser edlen Pose lebte Artmann hin.
Ein Kranz aus Butterblumen
Jetzt gibt es dankenswerterweise Artmanns sämtliche Gedichte in einer noch von ihm selbst auf den Weg gebrachten Ausgabe; rot eingebunden und voluminös, solide ediert und für die Ewigkeit bestimmt. Hier und da hat Artmann die Anordnung verändert, wie sie seine veröffentlichten Gedichtbände vorgaben, hat das eine oder andere Gedicht einer anderen Werkguppe oder Abteilung zugeordnet. Sehr übersichtlich lässt sich nun Artmanns lyrische Entwicklung nachverfolgen, angefangen mit den deutlich vom Expressionismus und Surrealismus beeinflussten Gedichten seiner frühen Jahre. Ein Anfänger, denkt man, ist Artmann nie gewesen; mag manches hier auch epigonal sein oder konventionell, so regiert auch hier schon ein poetischer Überschuß, eine wie angeborene Leichtigkeit und Gewandtheit des Sagens, in der alles, kaum daß es aus dem Ärmel geschüttelt, auch schon am rechten Platz steht.
„Reime, Verse, Formeln”, die nächste Abteilung, versammelt Spielmaterial, an dem sich Artmanns somnambuler Formensinn schärfte, ehe dann mit den gesammelten Dialektgedichten ein Höhepunkt des lyrischen Œuvres folgt: „reiss s ausse dei heazz dei bluadex”, und überhaupt ist viel vom „heazz” die Rede. Es sind artistisch verwandelte Sprachproben vom Grund der Wiener Vorstadt, gesprenkelt von den tausend Sprachen der Monarchie, wie sie fahrende Handwerksgesellen früher einmal nach Breitensee brachten (ein Glossar am Ende des Bandes leistet gute Dienste).
Nie wäre es Artmann in den Sinn gekommen, ein Dialektdichter zu werden. Er war ein Kosmopolit, der sich etwa anlässlich seines Aufenthalts in Malmö schwedische Anregungen für seine „flaschenposten” holte und auch sonst aus dem Fundus allerlei realer wie imaginärer Sprachen und Zeiten schöpfte. Das deutsche Barock, in Artmanns „Epigrammata und Quatrainen”, kann so eine Kostümkammer sein oder das spätviktorianische England, in dessen sprachlichen Manierismen sich Artmann nach Herzenslust verliert – vom Keltischen und Persischen und Aramäischen einmal zu schweigen.
Bei aller Hingabe an die Tradition ist Artmann ein Modernist, ein Erneuerer, einer, der sich als Mitglied der „Wiener Gruppe” in schärfsten Gegensatz zur österreichischen Gemütlichkeit der fünfziger Jahre begab. Manchen Mitstreitern schien es, Artmann sei nicht „streng” genug; vielleicht vertrug sich einfach sein verschwenderisches, verausgabendes Naturell mit Strenge nicht. „Einen Kranz aus Butterblumen” möchte man dem H. C. Artmann um sein Haupt winden, so wie in einem Gedichte aus seiner „Botanisiertrommel” – denn er war ein Dichter, wie so bald keiner mehr kommen wird.
CHRISTOPH
BARTMANN
H. C. ARTMANN: Sämtliche Gedichte. Unter Mitwirkung und in der Anordnung des Autors herausgegeben von Klaus Reichert. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2003. 799 Seiten, 29 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Aus zehn mach eins: Die Werkausgabe von 1994, von Artmann gemeinsam mit Klaus Reichert eingerichtet, umfasste zehn Bände - daraus ist jetzt einer geworden, ein dicker, in zehn Abteilungen. Und er ist so "handlich" wie "unentbehrlich" für alle Freunde der Lyrik, versichert der Rezensent Alexander von Bormann. Zu sehen ist, wo Artmann herkam: vom Dadaismus nämlich und der gewagtesten Abart des Expressionismus, August Stramm. Wo er, von Barock bis Kinderlied, sich aus den Traditionen bediente, und wo er hinging: zur makabren Satire, zum derben Dialektgedicht. Wichtig war ihm der "poetische Akt" und fern war ihm alle Gefühlsduselei (wo's um Liebe geht in Artmanns Lyrik, gefällt's dem Rezensenten dann auch nicht so gut). Artmann war entschieden modern, so von Bormann, ein Sprach-Virtuose, dessen Werk im Vortrag erst ganz zu sich kommt. Und keiner konnte Artmann vortragen wie dieser sich selbst als "großartigster Rezitator" des eigenen Werks. Das aber ist jetzt, in einem Band, zu haben und ein jeder, legt diese Rezension dem Leser nahe, sollte es sich kaufen.

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