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Eine Meisterleistung: Christina von Braun erzählt ihre Familiengeschichte aus Tochtersicht. Mit einer Collage aus Tagebucheintragungen und Erinnerungen der Generation ihrer Eltern will Christina von Braun Geschichte auf eine dem Medium Hörbuch angemessene Weise erzählen - ein "inszenierter Essay" und Einstieg zur speziellen Form, die sie für ihre inzwischen zum Bestseller gewordene Familiengeschichte Stille Post fand.

Produktbeschreibung
Eine Meisterleistung: Christina von Braun erzählt ihre Familiengeschichte aus Tochtersicht.
Mit einer Collage aus Tagebucheintragungen und Erinnerungen der Generation ihrer Eltern will Christina von Braun Geschichte auf eine dem Medium Hörbuch angemessene Weise erzählen - ein "inszenierter Essay" und Einstieg zur speziellen Form, die sie für ihre inzwischen zum Bestseller gewordene Familiengeschichte Stille Post fand.
Autorenporträt
Christina von Braun, geb. 1944 in Rom, lebte bis 1981 als freie Autorin in Paris. Sie drehte etwa 50 Filmdokumentationen und Fernsehspiele und verfasste zahlreiche Bücher und Aufsätze zu kulturgeschichtlichen Themen. Seit 1994 Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Nur mäßig zufrieden ist Rezensentin Irene Grüter mit dem Hörbuch nach Christina von Brauns Familienerforschung. Denn dieses Feature ist für ihren Geschmack ein wenig konventionell ausgefallen: Die Stimmen sprächen "meist brav nacheinander", dann "allerdings pausenlos". Dabei sehe das Konzept der Buchvorlage auch "das Hineinhorchen in die Leerstellen zwischen den Fragmenten" dieser Familiengeschichte vor, was bei der Hörbuchumsetzung entfalle. Nur gelegentlich "raune" ein Windspiel im Hintergrund. Interessiert hört die Rezensentin nur auf, wenn die Hörbuchfassung Christina von Brauns These von der Wandlung des Heimatbegriffs in den vierziger Jahren fokussiert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007

Die Pistole im Nachttisch meiner Mutter
Eine Meisterleistung: Christina von Braun erzählt ihre Familiengeschichte aus Tochtersicht / Von Julia Encke

Es gibt eine Art Urszene in Christina von Brauns Buch "Stille Post", das alles auf einmal ist, Autobiographie, Roman, Familienchronik und Geschichte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, und das, indem es einen eigenen, bisher unbekannten Weg einschlägt, zu den wunderbarsten Büchern dieses Frühjahrs gehört. In dieser Szene kundschaftet Christina von Braun als Kind (das kennt jede Tochter!) den Toilettentisch ihrer Mutter aus. Sie liebt ihre Parfums, besonders "Quadrille" von Balenciaga. Klappt sie den Tisch auf, öffnet sich auf der Unterseite der Tischplatte ein Spiegel, an dem sich die Mutter täglich für die Welt herrichtet. In den kleinen Fächern daneben findet sie Haarbürsten, Bänder, Puderdosen. Und es gibt ein Geheimfach in diesem Toilettentisch, auf das sie bei ihren Schnüffeleien stößt. In ihm liegt eine Pistole.

Christina von Braun, heute Filmemacherin und Professorin für Kulturwissenschaften an der Humboldt Universität, macht sich, als Kind, nicht viel Gedanken darüber. Wahrscheinlich, denkt sie sich, haben alle Mütter zwischen ihren Parfums und Lockenwicklern Schusswaffen herumliegen. Viele Jahre später aber wird diese Pistole zur Protagonistin einer Spurensuche, die, über den Lebensweg der Großmutter, die Geschichte der eigenen Mutter ergründet. Denn der Großmutter, obwohl sie sie nie gekannt hat, fühlt sich die Autorin näher als der Mutter, deren verhaltene Körpersprache sie lange nicht verstehen kann. Also adressiert Christina von Braun ihr Buch, dessen Erzählung sie, gleich einem Innehalten, immer wieder mit fiktiven Briefen unterbricht, an sie:

"Liebe Großmutter", heißt es da, "es ist schwer, etwas über die Zeit zu erzählen, die Du erlebt hast und in der es mich überhaupt noch nicht gab. Sieh es mir also nach, wenn ich einiges falsch berichte. So ist das mit den Geschichten, die man nicht selbst erlebt hat. Ich bewundere sehr die Arbeit von Historikern: Sie können ganze Biographien, Gefühle und Lebenswelten aus den Bildern, Akten und Schriftstücken rekonstruieren, die sie finden. Aber diese Dokumente erzählen uns nur einen Teil der Geschichte. Daneben gibt es noch so viele andere Erzählungen, die aus all dem bestehen, was verschwiegen wurde: Geheimnisse, Liebesgeschichten. Wer erzählt sie uns? Vielleicht Romanschriftsteller."

"Stille Post" beansprucht deshalb nicht, ein Roman zu sein. Doch hat diese "andere Familiengeschichte", wie das Buch im Untertitel heißt, gerade durch diese Briefeinschübe durchaus romanhafte Züge, die nicht zuletzt auch im Projekt selbst angelegt sind. Die Männer ihrer Familie, stellt Christina von Braun fest - das mag nach Klischee klingen, ist hier deswegen aber nicht weniger wahr -, haben alle Memoiren geschrieben: veröffentlichte im Fall ihres Großvaters väterlicherseits, Magnus von Braun, der zusammen mit seiner Frau von seinem Gut in Niederschlesien vertrieben wurde; unveröffentlichte im Fall ihres Vaters, des Diplomaten Sigismund von Braun, und ihres Onkels Hans. Memoiren verführen dazu, die eigene Geschichte mit "der Geschichte" in Einklang zu bringen. Sie treten die Herrschaft über die Vergangenheit an.

Dagegen verfassten die Frauen Tagebücher. Sie schrieben aus dem "Jetzt", ohne historische Distanz, also ohne die Möglichkeit, die Ereignisse in den weiteren Verlauf der Geschichte einordnen zu können. Und ebendiese Perspektive ist für das, was die Autorin vorhat, von Interesse: Sie will etwas von dem aufspüren, was nicht in die offizielle Geschichtsschreibung eingeflossen ist - die "Stille Post"; hinterlegte, vertrauliche, manchmal verschlüsselte Nebengeschichten, wie es sie in jeder Familie gibt und wie sie auch in jeder Familie weitergegeben werden - manchmal auf verschlungenen Wegen. Dass es sich dabei um eine spezifisch "weibliche" Art der Nachrichtenkette handelt, mag allein daran liegen, dass den Frauen die offiziellen Kanäle der Geschichte lange versperrt blieben. So wurde die parallele Nachrichtenvermittlung zu einer weiblichen Spezialität, ein Gebiet, auf dem Frauen es zu Meisterleitungen gebracht haben.

Christina von Brauns Buch "Stille Post" ist seinerseits eine Meisterleistung, und das vor allem, weil inoffizielle und offizielle Familiengeschichtsschreibung der Nazizeit sowie der Jahre danach darin so eng verwoben sind, und die Autorin - als Erbin von Geschichten - die Briefe an die Großmutter nutzt, um ihre Fragen zu stellen. Das betrifft, wenn auch nur am Rande, den Onkel Wernher von Braun, unter Hitler Raketenforscher in Peenemünde, Erfinder der "Vergeltungswaffe" V2, bei deren Produktion KZ-Häftlinge eingesetzt wurden, von denen viele starben. Nach dem Krieg ging er nach Amerika. In einem 1960 von "This Week" veröffentlichten Artikel schrieb er: "Neulich hielt ich eine dieser After-Dinner Ansprachen, die für Raketenmänner im Moment unvermeidlich zu sein scheinen. Während der darauffolgenden Fragen und Antworten stand jemand auf und sagte: ,Warum sagen Sie uns das? Waren Sie nicht beteiligt an der Entwicklung der V2-Raketen, die im letzten Krieg auf London fielen?' Das Einzige, was ich antworten konnte, war, dass ich eine Diktatur überlebt habe und dass ich weder meine in Amerika geborenen Kinder noch die von anderen in einer anderen leben lassen will. Vielleicht hätte ich sagen sollen, dass man anscheinend durch das Fegefeuer gegangen sein muss, um den Himmel zu schätzen." Wernher, so Christina von Braun an die Großmutter, ist nicht durchs Fegefeuer gegangen. Andere wohl. "Kann man sich einfach das Leid, das anderen widerfahren ist, aneignen?"

Und ihre Fragen betreffen das Schicksal der aus Schlesien vertriebenen Großeltern väterlicherseits; ein Schicksal, für das sie sich bis zum Zeitpunkt ihrer Buchrecherchen wenig interessiert hatte - aufgrund des revanchistischen Tons der Vertriebenenverbände vor allem. Die überlieferten Familiendokumente jedoch verändern ihren Blick: "Beim Lesen ist mir klar geworden, was für ein Leid hier tatsächlich erfahren wurde - so unbestreitbar es bleibt, dass die, denen das Leid widerfuhr, auch an seiner Entstehung Anteil hatten."

Doch das alles ist noch nicht die "Stille Post". Denn diese kommt erst ins Spiel, wo es um die Mutter geht, die das Erbe ihrer eigenen Mutter verweigert, nicht antreten will, zu verdrängen sucht. Der Mutter-Tochter-Konflikt bestimmt auf diese Weise die Dynamik des ganzen Buches. Hildegard Margis, Christina von Brauns Großmutter, war in den zwanziger Jahren Frauenrechtlerin, leitete den Hausfrauenverband, hielt gut bezahlte Vorträge, sprach im Radio zu Themen wie "Was die Käuferin von heute wissen muss". Ihr Ehemann war im Ersten Weltkrieg gefallen, sie war alleinerziehende Mutter. Wegen Kontakten zum kommunistischen Widerstand wurde sie 1944 von der Gestapo verhaftet und starb im Gefängnis. Sie war "Halbjüdin", brachte ihren Sohn ins Ausland, kehrte - unfassbarerweise - aber nach Deutschland zurück.

Christina von Braun gegenüber erwähnte ihre Mutter diese jüdische Herkunft nie. Selbst als die Autorin sie, sehr spät, durch ihren Onkel in Erfahrung bringt, weigert sie sich, diese Frage zu thematisieren. Sie wollte dieses Wissen aus ihrer Erinnerung tilgen, ihre eigene jüdische Identität "vergessen", vielleicht auch, weil der Antisemitismus in der jungen Bundesrepublik noch zu tief verwurzelt war. Die Verweigerung, das Schweigen aber hat eine eigene Körpersprache. Es ist die Sprache der "Stillen Post", die sich auch in Krankheitssymptomen artikulierte, in Depressionen und Suizidversuchen, die zu der im Toilettentisch aufbewahrten Pistole zurückführen. Indem Christina von Braun diese Sprache zu entschlüsseln versucht, tritt sie das Erbe der Großmutter an.

Und vielleicht liegt darin auch ein großer Trost: Wenn die Überlebenden des Nationalsozialismus eines Tages gestorben sind, wird es, neben Akten und Dokumenten, immer noch auch diesen Schatz eines psychischen familiären Wissens geben, das sich über untergründige Kanäle mitteilt. Es ist ein vollkommen "unwissenschaftliches" Wissen - und doch gibt es keine Wissenschaft, die nicht von diesen geheimen, indirekten Botschaften leben würde. Christina von Braun führt uns vor, wie man mit dem ganz eigenen Alphabet dieser Sprache umgeht. Man wüsste am liebsten jetzt schon, was ihre Tochter dazu sagt.

Christina von Braun: "Stille Post". Eine andere Familiengeschichte. Propyläen Verlag, Berlin 2007. 416 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2007

Verdrängung ist die sicherste Form der Erinnerung
„Stille Post”: Christina von Braun erzählt weibliche Familiengeschichte nicht als Panorama, sondern als vorsichtige Ausleuchtung von Lebensfragmenten
Tagebuchautoren schreiben sich durch ihre Aufzeichnungen wie durch einen winzigen Stollen im riesigen Bergwerk Zeit. Ihre literarische Kraft beziehen Tagebücher gerade aus dieser Ameisenperspektive, daraus, dass der, der da schreibt, nie weiß, was kommt. Im Rückblick geschriebene Memoiren hingegen sind gerade deshalb oft so viel schwächer als Tagebücher, weil ihre Autoren ihr Material von Anfang an überblicken und fast zwangsweise versuchen, die jeweils erzählte, kontingente Geschichte mit der offiziellen Geschichte zu versöhnen, rückblickend aus einer Art sinnstiftenden Zentralperspektive das ganze Leben sinnfällig zusammenzurücken.
So befällt einen erstmal Unbehagen, wenn das Buch „Stille Post” im Klappentext damit beworben wird, Christina von Braun füge all die darin aus Tagebüchern und mündlichen Erinnerungen skizzierten Biographien „wie ein Puzzle zu einem faszinierenden Gesamtbild” zusammen. Genau das tut sie nicht, man hält am Ende ihrer Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt sie ihre Großmutter und deren Tochter, also ihre eigene Mutter, stellt, kein Panorama in Händen, sondern Lebensfragmente, deren Figuren einem gerade deshalb näherkommen, weil man sie oft nicht versteht, vieles verschattet bleibt, als würden ihre Silhouetten von dunklen Fragezeichen umgrenzt.
„Stille Post”, der Titel und die zentrale Metapher des Werkes, umreißt dessen freudsche Vorannahme: Es gibt die offizielle, meist von Männern geschriebene Geschichte. Und es gibt, zumal in Familien und unter Frauen, das Nichtgesagte, aktiv Vergessene, Ausgeblendete, das sich viel wirkmächtiger in den Familienmitgliedern einnistet als alles Gesagte. So schreibt von Braun in einem ihrer Briefe an die längst verstorbene Großmutter, einem der Briefe, die sie regelmäßig als introspektive Haltepunkte in die Erzählung einschiebt: „Die Verdrängung ist die sicherste Form, eine Erinnerung zu bewahren. Das galt, glaube ich, auch für Deine Tochter. Durch ihr Schweigen hat sie seltsamerweise dafür gesorgt, dass du nicht vergessen wirst.”
Von Brauns Buch ist eine Spurensuche, ein Lauschen ins Schweigen, ins Schweigen der Toten und in den Weißraum zwischen den Zeilen der Briefe, Memoiren und Tagebücher, die den Krieg, die vielen Umzüge einer Diplomatenfamilie und die Schlampigkeit des Lebens überstanden haben. Im Mittelpunkt steht Hildegard von Margis, die Großmutter der Autorin, die im Ersten Weltkrieg ihren Mann verliert und 1923 die Idee hat, eine Zeitschrift für Hausfrauen zu gründen, eine Art Stiftung Warentest, die die Vor- und Nachteile der neuesten Haushaltsgeräte erklärt. Da sie damit eine Marktlücke entdeckt – die Haushalte sind mit all den Neuerfindungen vom Toaster bis zur Backröhre schlicht überfordert –, wird sie zu einer erfolgreichen Unternehmerin, lässt ihre Angestellten Kochbücher für ihren „Frauendienst-Verlag” schreiben und wird von den politischen Parteien, die gerade erst das riesige Wählerinnenpotential der Hausfrauen entdecken, umworben.
Hildegard von Margis hat zwei Kinder, Hans, den sie kurz nach der Machtergreifung nach London schickt, von wo aus es ihn nach Australien verschlägt, und Hilde, die Mutter der Autorin, die sich in zerstörerische Liebschaften stürzt, über Jahrzehnte hin Antidepressiva nimmt und ihr Leben mit einem Roman verwechselt. Von außen betrachtet, in der Aufzählung seiner Stationen, gleicht es tatsächlich einem Abenteuerroman: kometenhafter Aufstieg der Mutter zu einer der reichsten Frauen der Weimarer Republik; ihre eigene Heirat mit dem Diplomaten Sigismund von Braun, dem Bruder von Wernher von Braun; mit ihm zusammen geht sie nach Abessinien. Nach einem Haftjahr in Kenia zu Beginn des Krieges, einem Jahr, das allerdings einem ausgedehnten britischen Cluburlaub gleicht, verbringt die Familie die letzten Kriegsjahre im Vatikan, als Teil der deutschen diplomatischen Delegation. Während Europa in Flammen versinkt, sitzt die junge Mutter dreier Kinder hinter den schweren Vorhängen ihrer vatikanischen Wohnung direkt neben dem Petersdom und hält in ihrem Tagebuch die Nickligkeiten zwischen den Familien der „Feinddiplomaten” und „Achsendiplomaten” fest.
Die Großmutter hat sich inzwischen in Berlin der kommunistischen Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe angeschlossen. Nach der „Reichskristallnacht” hatte sie, die Halbjüdin war, aber anscheinend nie daran dachte, Berlin zu verlassen, jüdischen Familien ihr Haus als Warenlager angeboten, von wo aus diese heimlich ihre Produkte weiterverkaufen konnten. Von den anderen Widerständlern wird sie wegen ihrer geradlinigen Art und ihrer Menschenkenntnis „Mutti Margis” genannt. Im Sommer ’44 fliegt die Gruppe auf, am 30. September 1944 stirbt Hildegard Margis im Frauengefängnis in Berlin. Ihre Tochter vermerkt am 4. Oktober schmallippig in ihrem Tagebuch: „Muttis Tod erfahren in Berlin”.
Es wäre wahrscheinlich ein Leichtes, diese Frau als anmaßend outriertes Frauenzimmer zu zeichnen. Hilde streitet in späteren Jahren die jüdische Herkunft der eigenen Mutter ab, hat stets einen Revolver im Schminktisch und sieht ihren Lebenszweck im Repräsentieren. Die Stärke dieses Buches ist aber, dass Christina von Braun nicht richtend, sondern fragend vor ihrer Mutter steht, vor ihrem Unglück, ihrer Dunkelheit. Noch heute bewahrt sie einige der hochherrschaftlichen Abendroben der Mutter auf, „wie eine Art Photoalbum, das man geerbt hat und in dem Gesichter zu sehen sind, von denen man nicht mehr weiß, wer es war.”
Christina von Braun ist selbst keine große Erzählerin. „Hans’ erstes Jahr in Australien ging zu Ende. Die Bilanz der neuen Lebensumstände war befriedigend.” Dichte, reiche Prosa sieht anders aus als solche kursorisch kahlen Sätze. Es wird so vor sich hin erzählt. Die Kunst der Berliner Kulturwissenschaftlerin und Filmemacherin liegt in der vorsichtigen Ausleuchtung, dem genauen Lesen der Erinnerungsreste und Fragmente und in ihrer Fähigkeit, die auf winzigem Raum, innerhalb einer Familie wirkenden gegenläufigen Kräfte durch die verschachtelte Erzählkomposition deutlich zu machen: die moderne, alleinstehende Großmutter und ihre konservative Tochter; die christlich-deutsch-nationale Gesinnung der Familie Braun, Sigismund von Brauns indirekte Kontakte zur Gruppe 20. Juli und das kommunistische Engagement der jüdischen Großmutter.
Befremdlich ist freilich, dass sie die Wirkmacht der Stillen Post so ausschließlich bei den Frauen verortet, finden sich doch in dem Buch selbst reihenweise Belege dafür, wie sich auch in den Taten der Söhne die Ansichten ihrer Väter und Mütter durchpausen. Dass mit der von Wernher von Braun entwickelten V2 ausgerechnet England bombardiert wurde, wirkt wie die endlich in die Tat umgesetzte Aggression, die in den Schriften seines Vaters, des deutschnationalen ostpreußischen Gutsbesitzers Magnus von Braun, schon um die Jahrhundertwende gegen den Erzfeind England zum Ausdruck kommt. ALEX RÜHLE
CHRISTINA VON BRAUN: Stille Post. Eine andere Familiengeschichte. Propyläen Verlag, Berlin 2007. 416 S., 22 Euro.
Hildegard Margis, Mitte der dreißiger Jahre an ihrem Schreibtisch Propyläen
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