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Ein Fund in einem Haus am Thumsee wurde zum Anstoß für die erste biographische Studie über die älteste Tochter Sigmund Freuds. Auf der Grundlage der neuentdeckten Jugendbriefe Mathildes an ihren Freund Eugen Pachmayr erzählt Günter Gödde die Lebensgeschichte einer jungen Frau aus berühmtem Hause. Als Tochter, Ehefrau und Geschäftsinhaberin geht sie ihren eigenen Weg, der sie von Wien in die Emigration nach London führt, wo sie 1978 im Alter von 90 Jahren stirbt.

Produktbeschreibung
Ein Fund in einem Haus am Thumsee wurde zum Anstoß für die erste biographische Studie über die älteste Tochter Sigmund Freuds. Auf der Grundlage der neuentdeckten Jugendbriefe Mathildes an ihren Freund Eugen Pachmayr erzählt Günter Gödde die Lebensgeschichte einer jungen Frau aus berühmtem Hause. Als Tochter, Ehefrau und Geschäftsinhaberin geht sie ihren eigenen Weg, der sie von Wien in die Emigration nach London führt, wo sie 1978 im Alter von 90 Jahren stirbt.
Autorenporträt
Günter Gödde (Dr. phil.) ist Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis und Dozent, Supervisor sowie Lehrtherapeut an der Berliner Akademie für Psychotherapie. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Geschichte der Psychoanalyse, Verhältnis von Psychoanalyse und Philosophie sowie von Therapeutik und Lebenskunst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2003

Familienpläne für das Geistes- und Seelenheil
Liebeswunsch gegen Vaterwort: Die Briefe von Freuds ältester Tochter Mathilde an Eugen Pachmayr

"Beneiden wollte ich Sie, fällt mir eben ein, wegen Ihrer Freiheit. Wenn Sie Lust haben, da oder dorthin zu gehen, setzen Sie sich auf die Elektrische und fahren hin, etwas für uns Mädchen ganz Unausführbares, Unschickliches, Unmögliches." Auch junge Töchter in höheren Familien haben es nicht leicht - zumal mit berühmtem Vater und erst recht, wenn die Pubertät sie immer öfter "sehr verdreht", bisweilen gar "erregt" sein läßt. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen: 1901, als die dreizehnjährige Mathilde Freud mit ihren Eltern und Geschwistern am Thumsee bei Bad Reichenhall den Sommerurlaub verbringt, lernt sie den nur wenig älteren Eugen Pachmayr kennen, Sohn einer angesehenen Münchener Arztfamilie, in deren Besitz sich das Freudsche Ferienquartier befindet. Von "reizendem Umgang" weiß der Vater zu diesem Zeitpunkt noch zu berichten, denn "alle freuen sich" und wollen "länger bleiben". 1908 dagegen, nach der überraschenden Verlobung Pachmayrs mit Regine Steinhaus, schreibt Freud nicht nur einen Trostbrief an seine Tochter, sondern scheint als pater familias auch Erfolg mit seiner "Ehepolitik" gehabt zu haben. Obwohl säkularisiert, wäre es für den Begründer der Psychoanalyse nicht leicht gewesen, bei seinen Kindern den Heiratswunsch mit Nichtjuden zu unterstützen.

Was aber war genau geschehen? Eine Antwort darauf gibt die vor kurzem entdeckte und nun veröffentlichte Korrespondenz der ältesten Freud-Tochter an besagten Eugen Pachmayr: Sechzig Briefe und Karten, die sie überwiegend aus der Familienwohnung in der Wiener Bergstraße abgeschickt hat. Transkribiert von Michael Schröter und herausgegeben von Günter Gödde, liefern sie einen bedeutsamen Einblick in die Adoleszenz einer jungen Frau aus bildungsbürgerlich-akademischem Milieu, deren Entwicklung ebenso typisch ist für ihre Zeit, wie sie außerdem weiteren Aufschluß gibt über (Macht-)Verhältnisse in ihrer Familie: welches Frauenbild dort vorherrschte, welche Rollenerwartungen bestanden und wie man sich zum Problem der Partnerwahl verhalten hat. Ergänzt wird dieser Einblick durch ein zweites Selbstzeugnis Mathildes: dem "Concert- und Theatermerkbüchlein", das aus dem Nachlaß ihrer langjährigen Haushälterin Ernestine Maresch stammt und das Günter Gödde vom Freud-Museum in London zur Veröffentlichung überlassen wurde. In diesem Büchlein hat Mathilde zur Zeit ihres Briefwechsels mit Eugen sämtliche Konzert-, Opern-, Schauspiel- und Ausstellungsbesuche verzeichnet: über zweihundert an der Zahl, die einerseits ihr Bildungsbedürfnis dokumentieren, andererseits aber auch ein Beleg sind für den noch weitgehenden Ausschluß der Frauen aus höheren Bildungsanstalten. Ganz freiwillig jedenfalls ist Mathildes "aufblühendes Kunstinteresse" nicht gewesen, und es gehört zu den Stärken des Herausgeberkommentars, ihre Briefe als Schnittstelle zwischen individueller Biographie, historisch-sozialem Kontext und Institutionengeschichte zu lesen.

"Meine zweite Haupt- und Nebenbeschäftigung", als erste werden Hausarbeit, Verwandtenbesuche oder Mädchenjausen genannt, "ist, mir über mein Geistesheil den Kopf zu zerbrechen. Pläne haben Papa, Mama und ich genug, aber Entschluß ist noch keiner vorhanden." So Mathilde im Dezember 1903 an ihren "lieben Freund" Eugen - nur um einen knappen Monat später zu berichten, sie habe inzwischen "schrecklich viel zu tun" mit ihren "Kursen, die Montag begonnen haben. Es gibt hier eine Vereinigung der Universitätsdozenten, namens ,Athenäum', die den Zweck hat, Frauen und Mädchen auf dem Wege der Vorträge in sämtliche Wissenschaften einzuführen." Vor allem die Deutschkurse wollte sie besuchen, in denen gelesen wurde, was zum Kanon zählte: das Nibelungenlied, Grillparzer, Schiller und natürlich Goethe. Einzige Einschränkung: "Papa hat neulich gesagt, daß ich im Tag höchstens 2 Stunden lernen soll, auf Befehl unseres Hausarztes, damit ich nicht so schlecht aussehe wie vorigen Winter."

Da ist es also wieder: das Vaterwort; der Erfinder des Über-Ichs als dessen erste Verkörperung. Kein Zweifel, für ihn stellte die "Frauenhochschule" zugleich das "Instrument einer sozialen Strategie" dar, mit dem Ziel, die Heiratschancen ihrer Absolventinnen zu erhöhen. Bildung ja, aber nicht auf Kosten weiblicher Reize und Verpflichtungen - worüber er seine Tochter nicht lange belehren mußte, finden sich doch schon in ihrem Athenäums-Brief an Eugen die keineswegs beiläufigen Fragen "Was ist heuer bei Ihnen am Gymnasium eigentlich alles los? Werden Sie nicht im Frühjahr maturieren, lieber Freund?" Also beginnt die Phase der wechselseitigen Erkundigung. Vom "Geheimnis" ist da die Rede, von "Empörungen" über sechswöchige Schreibpausen und der Aufforderung, sich ganz "offen" mitzuteilen. "Wie denken Sie sich jetzt eigentlich unseren Briefwechsel für die nächste Zukunft? Weiter so planlos oder wie sonst?" Fast scheint es, als hätte Mathilde ihre Wahl bereits getroffen.

Doch dann kommt alles ganz anders. Die Treffen der Freud-Familie mit den Pachmayrs in München und Wien werden abgesagt. Zunächst ist es "Papa, der von solchen Plänen nichts mehr wissen will", kurz darauf gar Mathilde selbst, die ihrem Briefpartner "ernstlich rät", sie jetzt nicht zu besuchen. Im März 1908 offenbart ihr Eugen, daß er eine Freundin namens Regine habe. Und Mathilde: Im Oktober desselben Jahres, zwei Tage nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, ist sie verlobt. "Er heißt Robert Hollitscher . . . und wir passen so gut zusammen wie möglich." Der Briefwechsel stockt - und bricht schließlich ab.

Am 7. Februar 1909 beginnt Mathilde eine Ehe, die sowohl finanzielle Engpässe und die Emigration nach London übersteht als auch die Voraussetzung schafft, eine Modeboutique zu leiten, in der ihr Mann die Buchhaltung übernimmt. "A daughter of Freud is a dress-designer now in London" titelt "The Jewish Chronicle". Aus der gehorsamen Tochter ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau geworden; noch nicht im Zuge des Feminismus, gleichwohl als Emanzipationsgeschichte, die auf den "ödipalen Hafen" ihres Vaters verzichten kann.

CHRISTOF WINDGÄTTER

Günter Gödde: "Mathilde Freud". Die älteste Tochter Sigmund Freuds in Briefen und Selbstzeugnissen. Psychosozial-Verlag, Gießen 2003. 394 S., geb., 29,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Michael B. Buchholz zeigt sich überaus angetan von diesem Buch Günter Göddes. Nicht nur erfährt man Interessantes über ein Mädchen um die Jahrhundertwende, das sich mit der Zeit von den damaligen, für Frauen geltenden Einschränkungen zu befreien wusste. Vielmehr erschließt dieser Band dem Leser auch eine neue Perspektive, was Freud angeht, der hier anhand zahlreicher verschiedener Quellen als einfühlsamer Familienvater in ein neues Licht gerückt wird, berichtet Buchholz. Dabei zeige sich, wie gut Gödde recherchiert habe und wie gewissenhaft und zurückhaltend er die Quellen behandele und sie in einen wesentlich weiteren Kontext einfüge. Eine "angenehme Lektüre" sei auf diese Weise entstanden, so der beglückte Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die kenntnisreiche Einbettung der Quellen in biographische und umfassendere Kontexte machen das Buch zu einer angenehmen Lektüre." (Frankfurter Rundschau)