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Neuro-Enhancement ist eines der drängenden ethischen Probleme unserer Zeit: Sollen wir unsere mentalen Eigenschaften durch Pillen verbessern? Die ethische Diskussion stößt immer wieder auf die Frage, ob Neuro-Enhancement letztlich dasselbe ist wie die nicht-technischen Selbstverbesserungsmethoden durch mentale Arbeit (Selbstformung) oder ob es sich grundlegend davon unterscheidet. Obwohl diese Frage ein zentraler Angelpunkt der Debatte ist, wird sie bislang nie genauer untersucht. Mehr noch, es fehlt an einer tragfähigen Theorie dieser Selbstformung, obwohl sie weithin praktiziert wird. Was…mehr

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Produktbeschreibung
Neuro-Enhancement ist eines der drängenden ethischen Probleme unserer Zeit: Sollen wir unsere mentalen Eigenschaften durch Pillen verbessern? Die ethische Diskussion stößt immer wieder auf die Frage, ob Neuro-Enhancement letztlich dasselbe ist wie die nicht-technischen Selbstverbesserungsmethoden durch mentale Arbeit (Selbstformung) oder ob es sich grundlegend davon unterscheidet. Obwohl diese Frage ein zentraler Angelpunkt der Debatte ist, wird sie bislang nie genauer untersucht. Mehr noch, es fehlt an einer tragfähigen Theorie dieser Selbstformung, obwohl sie weithin praktiziert wird. Was ist diese Selbstformung genau? Was macht sie mit dem Menschen? Roland Kipke greift dieses doppelte Desiderat auf. Er entwickelt ein Konzept der Selbstformung und führt einen systematischen ethischen Vergleich zwischen den beiden Wegen der Selbstverbesserung durch. Damit füllt er nicht nur eine zentrale Lücke in der Debatte um Neuro-Enhancement, sondern liefert darüber hinaus wesentliche Elemente einer Ethik der menschlichen Selbstverbesserung. "Besser werden" ist ein Meilenstein in der Debatte um Neuro-Enhancement und den verbessernden Umgang des Menschen mit sich selbst.
Autorenporträt
Roland Kipke ist Wissenschaftlicher Koordinator des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) an der Universität Tübingen. Er hat Philosophie, Geschichte und Politikwissenschaft in Göttingen, Siena und Berlin studiert und u.a. als Medizinethiker an der Charité in Berlin sowie als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages gearbeitet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2011

Die Persönlichkeit hält eine Menge Tabletten aus
Roland Kipke möchte sich mit einem Schuss Askese lieber selbst verbessern, als am Tropf des Neuro-Enhancements auf kostbare Erfahrungen zu verzichten

Vor einigen Monaten wurde über eine Umfrage unter rund 1500 deutschen Studenten und Schülern berichtet. Mehr als achtzig Prozent der Befragten gaben an, sie würden von Medikamenten zur Verbesserung des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit oder der Stimmung - sogenannten Neuro-Enhancern - Gebrauch machen, wenn diese nebenwirkungsfrei wären. Was sollte auch gegen die Einnahme derartiger Mittel sprechen?

Den Selbstverbesserungszweck als solchen zu kritisieren ist nahezu aussichtslos. Der Anthropologe wird zur Antwort auf die Mängelnatur des Menschen verweisen, die nach künstlicher Ergänzung verlange. Der Kulturtheoretiker wird an das reiche Repertoire an Selbstverbesserungstechniken erinnern, das zumal die Religionsgeschichte bereithält. Der mit allen Wassern der Modernität gewaschene praktische Philosoph schließlich wird den Autonomiegewinn preisen, der aus der Emanzipation von natürlichen Beschränkungen entspringe.

Auch beim Blick auf die Mittel scheinen die Trümpfe bei den Befürwortern des Neuro-Enhancement zu liegen. Die herkömmlichen Techniken der Selbstverbesserung sind mühsam und langwierig. Der Reiz des Neuro-Enhancement liegt dagegen in seiner Leichtigkeit. Um Ergebnisse zu erreichen, die sich bislang, wenn überhaupt, nur durch hartnäckigen Fleiß erzielen ließen, soll künftig die regelmäßige Einnahme einer Pille genügen. Deren Nebenwirkungen sind nach heutigem Forschungsstand zwar zu einem guten Teil noch terra incognita, aber dabei wird es aller Voraussicht nach nicht bleiben. Als prinzipieller Einwand gegen das Neuro-Enhancement eignet sich der Hinweis auf die ungewissen Nebenwirkungen deshalb nicht. Sich diesem wohlgepanzerten Heerhaufen von Argumenten entgegenzustellen erfordert den kühl taxierenden Blick des Feldherrn, der den schwächsten Punkt der feindlichen Stellung auszumachen versteht. Roland Kipke erblickt ihn ausgerechnet in dem vermeintlich größten Vorzug des Neuro-Enhancement: der von ihm verheißenen Entkopplung von Erfolg und Anstrengung.

Kipke ist freilich kein Masochist. Seine Höherschätzung der auf dem herkömmlichen Weg, durch Arbeit an sich selbst, bewirkten Selbstformung gegenüber dem Neuro-Enhancement beruht nicht etwa auf der Idee, dass Arbeit, Mühe, Schmerz, Askese als solche wertvoll seien. "Vielmehr schneidet Selbstformung bei dem Vergleich besser ab, weil die Aktivität und Mühe, die mit ihr einhergehen, Bedingungen für bestimmte wünschenswerte Erfahrungen und Fähigkeiten sind; weil sie Wirkungen zeitigen können, die wir schätzen."

Die wichtigste dieser Wirkungen besteht Kipke zufolge darin, dass die traditionelle Selbstformung "aufgrund ihrer spezifischen Zeitstruktur und der von ihr geforderten Aktivität größere Chancen bietet, gewissermaßen organisch aus dem biographischen Kontext einer Person hervorzuwachsen". Die der Selbstformung eigentümliche Langsamkeit und Anstrengung stellten eine Bastion gegen die Verfolgung von Wünschen dar, mit denen man sich nicht wirklich dauerhaft identifiziere. "Selbstformung bietet sozusagen eine Gewähr für Selbstübereinstimmung." Neuro-Enhancement dagegen vermöge eine solche Gewähr nicht zu bieten. "Denn in diesem Fall liegt kein dauerhaftes, zukunftsgerichtetes Arbeiten vor, das dem Leben sinnvolle Einheit verleiht, sondern eine abrupte Änderung, die keinerlei Vorbereitung benötigt."

Um eine Selbstveränderung durch Neuro-Enhancement-Mittel herbeizuführen, müsse man sich nicht anstrengen und mit der anvisierten Selbstveränderung beschäftigen. "Man kann es ,einfach so' machen, ohne dass die Maßnahme aus dem biographischen Kontext hervorgeht, ohne dass die veränderten Eigenschaften zu der Persönlichkeit passen." Das Neuro-Enhancement weise deshalb eine "ausgeprägte Tendenz zur fehlenden diachronen und synchronen Kohärenz, zur biographischen Dekontextualität, zur fehlenden Reflexion, zur destabilisierenden Schnellebigkeit und zur Verhinderung kostbarer Erfahrungen" auf.

Das sind harte, aber überzogene Worte. Die meisten der per Neuro-Enhancement angestrebten Veränderungen - etwa Verbesserungen der Gedächtnisleistung oder der Aufmerksamkeit - sind instrumenteller Art und für nahezu alle Lebenspläne von Nutzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Kohärenz einer Biographie aufsprengen, ist aus diesem Grund sehr gering. Es obliegt weiterhin der Entscheidung des Einzelnen, wofür er sein Erinnerungs- oder Konzentrationsvermögen einzusetzen gedenkt. Aber auch wo die durch Neuro-Enhancement bewirkten Veränderungen in tiefere Persönlichkeitsschichten hinabreichen - etwa im Fall von Medikamenten zur Stimmungsaufhellung -, erscheint die dramatisierende Rhetorik Kipkes übertrieben.

Richtig an den Thesen Kipkes ist jedoch, dass Neuro-Enhancement die Leistungen der Selbstformungsmethoden herkömmlicher Art nicht vollständig zu ersetzen vermag. Überdurchschnittliches Gedächtnis und Durchhaltevermögen allein machen noch längst keinen guten Vorgesetzten, Wissenschaftler oder Künstler aus. Erst recht können moralische Tugenden durch Neuro-Enhancement nicht hervorgebracht, sondern allenfalls in einigen ihrer äußeren Ausprägungen simuliert werden. Wer es zu persönlicher oder fachlicher Reife bringen will, dem bleibt wie eh und je nichts anderes übrig, als zu üben, sich von Kritik belehren zu lassen, es abermals zu versuchen und wiederum zu scheitern - aber diesmal, so die Hoffnung, auf einem etwas höheren Niveau als beim vorigen Mal. Solange Eigenschaften wie Reife, Urteilskraft und Tugendhaftigkeit als erstrebenswert gelten, ist deshalb die immer wieder geäußerte, auch bei Kipke anklingende Befürchtung unbegründet, das Neuro-Enhancement könne die überkommenen Methoden der Selbstformung kannibalisieren.

Dies ändert freilich nichts daran, dass das Neuro-Enhancement aller Wahrscheinlichkeit nach eine große Karriere vor sich hat und dass sich in seinem Gefolge das ohnehin schon brennende Problem ungleicher Lebenschancen nochmals erheblich verschärfen wird. Verglichen mit der Sprengkraft dieser Herausforderung, hat die von Kipke vorgenommene Beschränkung des Untersuchungshorizonts auf die Zuträglichkeit von Neuro-Enhancement für das gute Leben des Einzelnen etwas geradezu Idyllisches. Wer sich in einer Berufswelt behaupten muss, in der die regelmäßige Einnahme leistungssteigernder Medikamente zur Normalität geworden ist, wird über Kipkes Rat "Lass besser die Finger davon!" nur müde lächeln.

MICHAEL PAWLIK.

Roland Kipke: "Besser werden". Eine ethische Untersuchung zu Selbstformung und Neuro-Enhancement.

mentis Verlag, Paderborn 2011. 317 S., br., 44,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Pawlik hat Roland Kipkes Thesen zum Neuro-Enhancement mit Interesse, aber nicht ganz überzeugt gelesen. Kipke hält nichts von den Versprechungen der Pharmaindustrie, die persönliche Leistungsfähigkeit mit Medikamenten zu verbessern, wie Pawlik klarmacht, und bringt dafür den Begriff der "Lebensformung" in Stellung: Denn gegen die schnelle Leistungssteigerung erfordere das gelungene Leben, über einen längeren Zeitraum Wünsche oder Ziele verfolgt zu haben und für ihr Erreichen gearbeitet zu haben. Auch betone Kipke, wie wichtig es sei, dass die Selbstveränderung in einem biografischen und nicht allein in einem chemischen Kontext steht. Pawlik macht hier zwei Einwände geltend: Erstens seien die Pillen nur ein Instrument, können also durchaus in Übereinstimmung mit dem Lebensentwurf geschluckt werden. Zweitens unterschätze der Autor die große Karriere, die die Psychopillen vor sich haben und damit auch den sozialen Sprengstoff, den Pawlik für das eigentliche Problem zu halten scheint.

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