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Produktdetails
  • Verlag: Westfälisches Dampfboot
  • Seitenzahl: 298
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 423g
  • ISBN-13: 9783896914743
  • ISBN-10: 389691474X
  • Artikelnr.: 25247945
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.01.2001

In die andere Richtung
Ein Wissenschaftler zieht mit seiner Familie in den 50er Jahren von West- nach Ostdeutschland um
WOLFGANG JACOBEIT: Von West nach Ost – und zurück. Autobiographisches eines Grenzgängers zwischen Tradition und Novation, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2000. 298 Seiten, 48 Mark.
Im Jahr 1956 packte eine Familie die Koffer und zog von Deutschland nach Deutschland, aber entgegen dem Strom der Massen: in den Osten. Der Volkskundler Wolfgang Jacobeit hatte ein Angebot der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin angenommen, wo er als intellektueller DDR-Bürger wissenschaftliche Karriere machte, ehe er nach der Wende zeitweilig wieder nach Westdeutschland kam. Seinen Lebensweg „Von West nach Ost – und zurück” schildert der international anerkannte Forscher jetzt in seiner Autobiographie, die einen Einblick in ein außergewöhnliches deutsch-deutsches Schicksal gibt.
Im Westen wurde Wolfgang Jacobeit vor allem durch seine dreibändige „Illustrierte Alltagsgeschichte des deutschen Volkes” bekannt. Viele Jahre arbeitete er (und schließlich auch seine zweite Frau Sigrid) an dieser Darstellung, um zu zeigen, dass „Alltag” als „volkskundliches Paradigma Bestandteil eines vielschichtigen historisch-gesellschaftlichen Prozesses” ist. Vor allem durch diese Bemühungen gilt Jacobeit in vielem durchaus als ein Vorläufer einer heute als Kulturwissenschaft firmierenden Forschung.
Jacobeits historisches Interesse entstand früh auch aus der Ablehnung jenes nationalistisch-völkischen Geschichts-„bewusstseins”, das sein Elternhaus prägte. Dort war die Verehrung für die kruden Ideen des Hauses Ludendorff ausgeprägt; für seinen Vater waren „überstaatliche Mächte” wie Juden, Jesuiten oder Freimaurer die eigentlichen Bösewichte der Historie. Sohn Wolfgang wollte in Abgrenzung zu solch wirren Vorstellungen Geschichte studieren, schrieb sich noch im letzten Friedenssemester 1939 in Leipzig ein, studierte in Königsberg weiter. 1941 zur Wehrmacht eingezogen, überstand er den Krieg als Funker.
Das Ende des „Dritten Reichs” erlebte Jacobeit als wirkliche Befreiung, die unmittelbare Nachkriegszeit genoss er als „Beginn von etwas Neuem, auf das wir jungen Intellektuellen zustrebten”. In Göttingen, wo er seine Studien fortsetzte, schloss er sich dem „Sozialistischen Studentenbund” an und entdeckte nach der geistigen „Trostlosigkeit des Nazifaschismus” die Werke von Faulkner bis Hemingway; Thomas Mann, Max Frisch oder Wolfgang Borchert wurden zum Erlebnis: „Wir waren in jeder Hinsicht junge suchende Menschen mit dem Willen zur Mitverantwortung für die Zukunft, so theatralisch das heute auch manchem anmuten mag. ”
Der junge Wissenschaftler und Familienvater Jacobeit, der schließlich seine Studien zur Volksgeschichte abschloss und 1948 promovierte, konnte sich in der Folgezeit nur mit verschiedenen Jobs über Wasser halten; unter anderem war er seit 1953 an der Exhumierung alliierter Soldaten beteiligt, barg ihre Körper aus den Massengräbern von KZs-, Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlagern. In dieser schwierigen finanziellen Lage nahm Jacobeit 1956 ein Stellenangebot aus Ost-Berlin an. Hinweise, die vor diesem Schritt, vor Unrecht, Drangsalierung und Enttäuschung in der DDR warnten, blieben folgenlos: „Ich muss gestehen, dass wir die Fülle solcher Argumente bei der Diskussion um Ja oder Nein einer Übersiedlung wenig bedacht haben, auch nicht bedenken konnten und bei gelegentlichen Besuchen in Ost-Berlin und in Jena nichts von alledem bemerkt haben. ” Retrospektiv deklariert Jacobeit diesen Schritt keineswegs als politischen Akt. Es dominierte vielmehr das Motiv, der Familie ein finanzielles Auskommen zu sichern und sich selbst eine wissenschaftliche Laufbahn zu ermöglichen.
Stationen dieser Laufbahn waren 1961 seine Habilitation, 1971 die Leitung des Museums für Volkskunde bei den Staatlichen Museen zu Berlin und Jahre später die Übernahme eines Lehrstuhls für Volkskunde an der Humboldt-Universität. Bis heute steht Jacobeit zu der Aussage, dass „die DDR-Historiographie Gutes und Bleibendes geleistet hat und über Potenzen verfügt, deren Stimmen international gehört werden”.
Neben der Betonung der Leistung, die Jacobeit für die Forschungen im Bereich der Volkskunde in der DDR reklamiert, bleibt doch die Übersiedlung nach Ost-Berlin Dreh- und Angelpunkt dieses Lebens. Die Bemerkung eines westdeutschen Kollegen, Jacobeit wolle sich seit der Wende für den damaligen Entschluss rechtfertigen, beschäftigt den Autor sehr: „Sie tut es noch heute, und ich will dazu grundsätzlich erklären, dass ich nicht wüsste, wofür ich mich, was mein DDR-Verständnis anlangt, zu rechtfertigen hätte. Als Deutsche der 1920er Jahrgänge sind wir, also auch ich, 1945 in das Dilemma der deutschen Zweistaatlichkeit geworfen worden und hatten uns um der Verantwortung für Menschen und des Überlebens willen zu positionieren. ”
Den Autor und den Rezensenten trennen über 40 Jahre Lebenszeit und die denkbar unterschiedlichen Lebenserfahrungen von West- und Ostdeutschen – daran mag es liegen, dass vieles von dem, was der Erste tat, der Zweite nur schwer oder gar nicht nachvollziehen kann. Dennoch ermöglichen Jacobeits Aufzeichnungen sehr wohl den Versuch, diesen Lebensweg in wechselvoller deutscher Geschichte zu verstehen. So gesehen, bietet diese stille und nachdenkliche Autobiographie einen wichtigen Beitrag für das Verständnis der Westdeutschen für die untergegangene gesellschaftliche Realität in Ostdeutschland – auch zehn Jahre nach der staatlichen Vereinigung eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe.
TILLMANN BENDIKOWSKI
Der Rezensent ist Historiker und Journalist in Bochum.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2001

Volkseigener Alltagsbetrieb
Lassen wir mal die deutsch-deutsche Wissenschaftsgeschichte Paroli passieren: Wolfgang Jacobeits Autobiographie

Wolfgang Jacobeit ist kein leichtfertiger Chronist des eigenen Lebens. Zweifel an ihrem Sinn begleiten die Autobiographie "Von Ost nach West - und zurück" schon auf den ersten Seiten: "Wer fühlt sich heute nicht berufen, seine Erinnerungen zu schreiben?" So viel Bescheidenheit ist sympathisch, aber schon fast wieder kokett. Denn Jacobeit läßt ein ganz und gar ungewöhnliches deutsch-deutsches Forscherleben Revue passieren.

Als er 1956 den Interzonenzug Richtung Ost-Berlin bestieg, hing der Aufstand in Ungarn wie ein Schatten über Europa. Der junge Historiker war nicht der einzige, der seinen Platz an den Hochschulen jenseits der Elbe suchte. Jürgen Kuczynski, Alfred Kantorowicz und Ernst Bloch hatten einst das bessere Deutschland im Osten entdeckt. Als aber der Wagen des VEB Deutrans mit den Möbeln der Jacobeits in Niederschönhausen vorfuhr, packte mancher von ihnen den Koffer schon wieder für die Reise in die umgekehrte Richtung. So ist es kein Wunder, daß der inzwischen achtzigjährige Jacobeit einigen argumentativen Aufwand betreibt, um die Gründe für seine Entscheidung darzulegen. Und er macht keinen Hehl daraus, daß es mehr eine Not- als eine Traumlösung war.

Der junge Wissenschaftler, der sein Geschichtsstudium 1939 in Königsberg aufgenommen, den Krieg als Funker glimpflich überstanden und sich im ersten Nachkriegssemester in Göttingen bei Will-Erich Peukert eingeschrieben hatte, sah sich als "akademisches Proletariat" der Adenauer-Ära: "Meine Situation war so gut wie hoffnungslos." Hatte seine Mitgliedschaft im Sozialistischen Studentenbund fast seine Immatrikulation verhindert, so ist Jacobeit sicher, daß seine "linke Einstellung" auch ein Grund dafür war, "keine Anstellung im westlichen Wissenschaftsbetrieb" zu finden. Unter großen Entbehrungen brachte er seine junge Familie durch, ja, er promovierte sogar über "Das Joch". In der "Mission Française de Recherche" half er bei der Exhumierung von Naziopfern, eine Arbeit, die ihn in seinen politischen Überzeugungen tief prägte.

Mehr noch als politische Neigung war es wohl die persönliche Freundschaft zu Wolfgang Steinitz, die ihn zum Umzug bewog. Der Volkskundler Steinitz, Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften und vorübergehend Mitglied des SED-Zentralkomitees, warb monatelang um ihn und zerstreute auch die Bedenken der SED-Führung. Die neue Heimat bot sich als Wissenschaftlerparadies dar, dessen Schattenseiten Jacobeit übersah. Obwohl er als "DDR-Bürger keine Möglichkeit des beliebigen Hin- und Herreisens" mehr hatte, spürte er "eine offene und positive Stimmung". Da rechnete Chruschtschow gerade mit dem Stalinismus ab. Jacobeits Buch ist keine mitreißende Lektüre, aber sie bietet doch tiefe Einblicke in ein Stück DDR-Wissenschaftsgeschichte.

Sieben Jahre leitete er das arg heruntergekommene Museum für Volkskunde, habilitierte sich über "Schafhaltung und Schäfer", lehrte ab 1970 an der Abteilung für Ethnographie der Humboldt-Universität und bekam 1980, sechs Jahre vor der Emeritierung, endlich die eigene Professur. Schon im Westen hatte sich Jacobeit zur Volkskunde hingezogen gefühlt, vermißte aber nach dem Selbstverrat des Faches im Nationalsozialismus den Willen zur Erneuerung: So erlebt er einmal als "Höhepunkt" einer Volkskundetagung, wie "Richard Wolfram und seine Frau - in Tracht, versteht sich - ,Schwerttänze' aufführten und dazu sangen".

In der DDR konnte er seine Vorstellungen von der Volkskunde als einer modernen interdisziplinären und materialorientierten Wissenschaft verwirklichen. Predigten in den Geschichtswerkstätten des Westens inzwischen die Barfußhistoriker ihr "Grabe, wo du stehst!", so betrieb Jacobeit im Osten einen nicht minder "grundstürzenden Paradigmenwechsel". Er etablierte die Werktätigen als Träger der Volkskultur und ihre zeitgenössische "Kultur und Lebensweise" als geschichtsbildenden Faktor. Daß der Alltag in der DDR Einzug in die Historie hielt, verdankt die Kulturwissenschaft auch Wolfgang Jacobeit. Selbst die umstrittene dritte Hochschulreform, die das Institut für Volkskunde dem Zentralinstitut für Geschichte unterordnete, betrachtete er als nur logische Konsequenz dieses Wandels.

Überhaupt scheint Jacobeits Wohlbefinden in der DDR von einem Mangel an Reibungspunkten zu rühren. Jacobeit wurde weder zum Eintritt in die SED noch zum Austritt aus den internationalen Gesellschaften gezwungen. Er reiste zu Tagungen nach Paris, las die internationale Literatur, führte West-Studenten auf Exkursionen durch die DDR. Für das zusehends eisigere Verhältnis der Volkskundler in West und Ost war er ein Glücksfall. Und es war nur folgerichtig, daß Jürgen Kocka ihn als einen der ersten DDR-Historiker nach Bielefeld einlud. Daß diese "Narrenfreiheit" ihren Preis hatte, erfährt der Leser nur im Nebensatz. Wenn er auf West-Tagungen Ausreden erfand, weil seine Frau keine Ausreisegenehmigung bekommen hatte, wenn er einen Text über die "Mission Française" im Westen unter falschem Namen publizierte, um sich "zu Hause keine Schwierigkeiten einzuhandeln", dann waren dies Winzigkeiten verglichen mit den Ergebenheitsadressen anderer Kulturschaffender. Aber daß sich der Bau der Mauer in seinem Werk vor allem in der gereizten Stimmung bei seinem Habilitationsvortrag und in einem Mangel an West-Literatur manifestiert, mutet seltsam unangemessen an.

Als die Mauer wieder abgerissen wurde, war sein Forscherleben bereits vollendet, und Jacobeit muß das als Glück empfunden haben. "Als Emeriti konnte man uns nicht mehr abwickeln, aber doch als ,staatsnah' durch eine verminderte Rente abstrafen", schreibt er. Der neuen Zeit fühlt er sich mit "ossihafter Gutgläubigkeit" ausgeliefert. "Sind DDR-Historiker vor dem Fall der Mauer gerngesehene ,Exoten' gewesen, so wurden sie nun zu unliebsamen Konkurrenten." Vor allem diese ungehaltene Verbitterung im letzten Teil enttäuscht. Vom "Grenzgänger" Jacobeit, der von seinen Westkollegen eine differenzierte Sicht auf die Ost-Wissenschaft einfordert, hätte man seinerseits ein ausgewogeneres Urteil erwartet.

SONJA ZEKRI

Wolfgang Jacobeit: "Von West nach Ost - und zurück". Autobiographisches eines Grenzgängers zwischen Tradition und Novation. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2000. 298 S., Abb., br., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Volker Ullrich hat dieses Buch offensichtlich mit einigem Gewinn gelesen und nutzt seine Rezension zunächst, um kurz auf die Lebensgeschichte Jacobeits, der 1956 in die DDR übersiedelte, wiederzugeben. Was an dieser Autobiografie vor allem deutlich wird, so Ullricht, ist, dass man im Wissenschaftsbetrieb der DDR auch ohne SED-Mitgliedschaft Karriere machen konnte. So hat es Jacobeit bis zum Direktor des Museums für Volkskunde gebracht, wie der Leser erfährt, und dabei auch zahlreiche Westkontakte pflegen können. Enttäuschung hört Ullrich bei Jacobeits Bewertung der Nachwendezeit heraus, wenn der Historiker die Neubesetzung zahlreicher Stellen durch westdeutsche Wissenschaftler beklagt, die "nicht immer zu den Leuchten ihres Fachs gehörten".

© Perlentaucher Medien GmbH