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Produktdetails
  • Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
  • Seitenzahl: 157
  • Deutsch
  • Abmessung: 300mm
  • Gewicht: 1130g
  • ISBN-13: 9783896024374
  • ISBN-10: 389602437X
  • Artikelnr.: 11248741
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2003

It’s Showtime: Von Drogen, Sex und Selbstverschwendung
Normalerweise verfärbt sich bei Menschen, die wütend sind, das Gesicht leicht ins Rötliche. Dieser Mann muss also eine Stinkwut haben, wenn er am ganzen Körper rot anläuft. Oder ist es Neurodermitis, das Leiden der Sensiblen? Im Grunde ist er ja ein ganz Lieber, der Henry Rollins. Tut immer nur böse, markiert den Punk-Krieger – und sorgt sich eigentlich doch sehr um die Menschen und die Tiere. Verdammt den Körperkult und die ganze Eitelkeit – und pumpt sich selber begeistert die Oberarme auf in seinem Home- Fitnessstudio. Ruft zum Umsturz der bürgerlichen Ordnung auf – und steht jeden Morgen exakt um sechs Uhr dreißig auf.
Rollins ist einer dieser widersprüchlichen Helden, die der Fotograf Steve Gullick in seinem Band „Showtime” porträtiert, einer Chronik der „internationalen Rock- und Independent-Musikszene von 1990-2000” ( Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2003. 160 Seiten, 24,90 Euro). Es war ein zerrissenes Jahrzehnt, mindestens genau so verschwendungssüchtig wie bescheiden nach Innen schauend. Gullick hält ein paar Momente der Selbstverschwendung fest, wenn etwa Bobby Gillespie, randvoll mit Drogen, auf der Bühne komplett ausrastet. Aber noch mehr scheinen ihn die Ruhepausen danach zu interessieren: Courtney Love, die sich an ihrer Gitarre festhält wie ein Schiffbrüchiger an einem Stück Treibholz, Jonathan Donahue im Erschöpfungsschlaf, mit noch brennender Zigarette. Viele Musiker hat Gullick, was er natürlich nicht wissen konnte, an Wendepunkten ihrer Karriere erwischt. Das vor Ekstase glühende Gesicht von Jarvis Cocker aus dem Jahr 1995 erweckt den Anschein, als wisse Cocker selbst schon, dass er bald darauf vom Spinner zum Star werden würde. Andere dagegen scheinen zu ahnen, dass ihre Showtime abgelaufen ist. Wenn man das Buch zuklappt, stellt sich Wehmut ein, Sehnsucht nach ein bisschen Wut und Zerrissenheit. Die Neunziger sehen jetzt schon verdammt historisch aus.
OLIVER FUCHS
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2003

Sehen Sie diese aufgegeckten jungen Leute: Steve Gullicks Rockpanorama der neunziger Jahre

Rockstars am Boden? Das gehört dazu. Schon Jim Morrison und Iggy Pop wußten, daß es nützlich sein kann, den Leuten außer Musik noch etwas anderes zu bieten: das Rockkonzert als Gesamtkunstwerk, und zwar nicht nach Art der intellektualisierten Spektakel von Bands wie "Pink Floyd" oder "Genesis", sondern als Plattform einer Selbstverausgabung, die nicht selten gewalttätig oder obszön wurde.

Der Musikfotograf Steve Gullick berichtet im Vorwort seines nun erschienenen Bildbands "Showtime" davon, wie er die aus Seattle stammende Grunge-Band "Soundgarden" im Londoner Hyde Park zum ersten Mal auf der Bühne gesehen hat: "Sie wälzten sich wie kleine Kinder auf dem Boden. Was sollte ich tun?" Abdrücken natürlich. Die Fotos der inzwischen aufgelösten Band und vor allem ihres Sängers und Gitarristen Chris Cornell vom März 1990 sind Dokumente einer solchen Selbstverausgabung, die im vergangenen Jahrzehnt gewissermaßen zum guten Konzertton gehörte und die um einiges massiver war als in den Dekaden zuvor. Die neunziger Jahre brachten, neben einer fast aberwitzigen Aufsplitterung der Genres mit immer neuen Stilbezeichnungen für jedes Nischenprodukt, auch eine gewisse Uniformierung des Bühnengebarens mit sich, die vor allem bei den auf harte Musik spezialisierten Bands und Interpreten zu beobachten war. Häufig trat man kurzhosig auf, das Mikrofon fest in der Hand und nah am Mund, ging in die Knie und auch mal zu Boden. Die Intensität, mit der "Pearl Jam", Henry Rollins und eben "Soundgarden" zu Werke gingen, war frei von dem Stumpfsinn des früheren Heavy Metal. Sie nahm bei ästhetisch gefälligeren, modebewußten Formationen grüblerische Form an, die selbstzerstörerisch enden konnte: Der rätselhaft und bis heute spurlos verschwundene Richey James Edwards von den Waliser "Manic Street Preachers" und der Selbstmörder Kurt Cobain von "Nirvana" begegnen uns wieder. Nihilismus und Modebewußtsein schließen sich nicht aus in diesem musikalisch so ergiebigen Jahrzehnt, wie man außerdem am schönen "Lemonheads"-Leader Evan Dando sehen kann. Das Spektrum reicht über die grell-verrückte Lifestyle-Pose einer Björk bis zur Beschaulichkeit der folklastigen Kunstrock-Band "Tindersticks" (unsere Abbildung).

Mag sein, daß Gullicks Fotos auch deshalb so ansprechend sind, weil uns das Jahrzehnt, aus dem sie stammen, modisch noch sehr nahe ist. Ein Einwand ist das nicht. Die Nostalgie, die Selbstbezüglichkeit und die Aggressivität dieser Zeit sind wunderbar eingefangen.

EDO REENTS.

Steve Gullick: "Showtime". Die internationale Rock- und Independent-Musikszene von 1990-2000. Fotografien von Steve Gullick. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2003. 160 S., 100 Abb., br., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In der Rockmusik der Neunziger, erklärt Edo Reents, wurden zwar immer neue Nischen besetzt und Splitter-Stile erfunden, das "Bühnengebaren" der Bands dagegen sei von einer zunehmenden Uniformität gekennzeichnet gewesen: Es ging bei Soundgarden, Nirvana und den anderen um den Ausdruck von "Selbstverausgabung". Diesen vielfach variierten und wiederholten expressiven Gestus habe der Musikfotograf Steve Gullick sehr präzise festgehalten. Reents hat in den Fotos auch das dahinter stehende Stilbewusstsein erblickt, in dem Mode und Nihilismus zu einer Einheit werden konnten. Fazit: "Die Nostalgie, die Selbstbezüglichkeit und die Aggressivität dieser Zeit sind wunderbar eingefangen."

© Perlentaucher Medien GmbH