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Die Kindheit des kleinen Chen, berührend, aufwühlend und spannend - eine Reise in die jüngste chinesische Vergangenheit
Der vielfach ausgezeichnete Illustrator Chen Jianghong beugt sich über die eigene Vergangenheit. Auf 80 großformatigen Seiten blättert er uns seine friedvolle Kindheit im Norden Chinas auf: Großmutter kocht, näht und zieht Küken auf. Seine große Schwester ist taubstumm und bringt ihm Zeichnen bei, doch besonders prägend ist für ihn der Großvater. Aber dann ruft eines Tages Mao, der große Führer, die Kulturrevolution aus. Propaganda und Gewalttaten sind die Folge,…mehr

Produktbeschreibung
Die Kindheit des kleinen Chen,
berührend, aufwühlend und spannend
- eine Reise in die jüngste chinesische Vergangenheit

Der vielfach ausgezeichnete Illustrator Chen Jianghong beugt sich über die eigene Vergangenheit. Auf 80 großformatigen Seiten blättert er uns seine friedvolle Kindheit im Norden Chinas auf: Großmutter kocht, näht und zieht Küken auf. Seine große Schwester ist taubstumm und bringt ihm Zeichnen bei, doch besonders prägend ist für ihn der Großvater. Aber dann ruft eines Tages Mao, der große Führer, die Kulturrevolution aus. Propaganda und Gewalttaten sind die Folge, Erinnerungsstücke und Bücher müssen verbrannt werden. Die Roten Garden demütigen auf offener Straße Intellektuelle und Landbesitzer. Und dann, mit acht Jahren, wird auch Chen ein kleiner Rotgardist
In einer beeindruckenden Mischung aus Bilderbuch und Graphic Novel zieht Chen alle Register seines Könnens und führt ganz persönlich durch eine erschütternde Epoche der jüngsten Weltgeschichte.
Autorenporträt
Tobias Scheffel, geb. 1964 in Frankfurt am Main, studierte Romanistik, Geschichte und Geographie an den Universitäten Tübingen, Tours (Frankreich) und Freiburg. Seit 1992 arbeitet er als literarischer Übersetzer aus dem Französischen und lebt in Freiburg im Breisgau. 2011 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009

Ins Zeichnen gerettet

Ein Geniestreich als Bilderbuch: Chen Jianghong erzählt von der ganz großen chinesischen Politik aus der Sicht eines ganz kleinen Kindes.

Von Andreas Platthaus

Was ist das, die Kulturrevolution? Chen Jianghong weiß es nur zu genau, denn er war dabei, mittendrin, ein Kind von drei Jahren, als es losging, und ein Knabe von dreizehn, als der Spuk endlich vorbei war. Da war China ein anderes Land geworden, und der Einzige, der aus der Sache unbeschädigt herauszukommen schien, hieß Mao - jener Mann also, der den permanenten Ausnahmezustand, der mehrere hunderttausend Menschen das Leben und Millionen ihre Existenz gekostet hat, ausgelöst hatte. Aber auch Mao, ein mittlerweile Zweiundachtzigjähriger, war im September 1976 schließlich tot. Wäre er nicht gestorben, hätte die Kulturrevolution damals wohl noch nicht ihr Ende gefunden.

So viel zur Geschichte, wenn man darunter bloßes Zeitgeschehen versteht. Wie erzählt man das aber als Geschichte in einem Bilderbuch? Chen tut es auf die einzige Weise, die für Kinder fassbar ist: aus der Sicht des Kindes, das er selbst war, als Knirps, der mit breitem Lächeln auf dem Titelbild zum Opa aufschaut, dessen große Hand die kleine des Enkels fest umschlossen hält. Über den beiden steht der Buchtitel: "An Großvaters Hand". Das ist der Inbegriff familiärer Sicherheit.

Genau sie ging in der Kulturrevolution verloren. Chens Vater wurde 1967 zur Umerziehung aufs Land geschickt, und der Großvater starb 1971. Da war Chen Jianghong der einzige Mann in der Familie - ein Zweitklässler, der gerade Rotgardist geworden war.

Als der sitzt er auf einem anderen Titelbild: dem der französischen Originalausgabe des Bilderbuchs. Man muss die beiden Umschläge vergleichen, denn stünde nicht derselbe Verfassername darauf, glaubte man nicht, dass es sich um dasselbe Buch handelt. Die französische Ausgabe heißt "Mao et moi" (also "Mao und ich", aber das klingt auf Französisch weitaus besser), und ihr Titelbild zeigt den kleinen Chen in Gardistenuniform bei der Lektüre einer Mao-Bibel vor einem riesigen Mao-Porträt.

Warum hat der Moritz Verlag, bei dem mit einer einzigen Ausnahme alle deutschen Übersetzungen der Bilderbücher des seit 1987 in Paris lebenden Chen Jianghong erschienen sind, diese Änderung von Titel und Umschlagzeichnung vorgenommen? Weil "Mao et moi" schon in Frankreich auf Bedenken stieß, wie sich Chen Jianghong erinnert: Das Buch könne als zu politisch verstanden werden, obwohl es doch eine ganz private Geschichte erzählt, und dadurch die Eltern vom Kauf abschrecken. Erfreulicherweise geschah nichts dergleichen, aber auf dem weniger experimentierfreudigen deutschen Kinderbuchmarkt wollte der Moritz Verlag kein Risiko eingehen.

Und er hat recht, denn der Titel "An Großvaters Hand" trifft die Stimmung des Buchs besser, auch wenn "Mao et moi" den Einfluss, den ein Machthaber auf das Leben eines Kindes haben kann, von dessen Existenz er nichts weiß, wunderbar in Worte fasst. Denn natürlich hat der kleine Chen den Großen Vorsitzenden nie getroffen. Aber er musste nach dessen Vorstellungen leben, und die hatten nichts mit denen des Jungen zu tun.

Am Beginn des Buchs zeichnet Chen seiner nordchinesischen Heimatstadt Tianjin ein Idyll ins Herz - ganz buchstäblich, denn die braunen oder blaugrauen Wände der großen Wohnblocks werden aufgehellt durch bunte Teppiche, getuschte Rollbilder oder einen einzelnen roten Lampignon. Das alte China setzt sich hier noch gegen die politisch verordnete Moderne durch, und in ihrer kleinen Wohnung lebt Chens Familie nach altem Brauch im Generationenverband: die Eltern, die Großeltern, zwei ältere Schwestern und Chen Jianghong selbst. Eine der Schwestern ist taub, doch sie lehrt den jüngeren Bruder Gebärdensprache, um mit ihm reden zu können - und das Zeichnen. Es ist das schiere Kinderglück.

Doch alles, was der Familie lieb ist, wird ihr in den Jahren der Kulturrevolution genommen. Nicht nur der Vater, auch die Bücher, die Bilder, die Haustiere, die Jiaozi (gefüllte Teigtaschen), die freundliche Nachbarin. Chen erzählt von einem politischen Terror, dem er als Junge ratlos gegenüberstand: zu Hause konfrontiert mit dem Leid der Erwachsenen, in der Schule indoktriniert durch die Roten Garden und dank seines Zeichentalents schließlich als Achtjähriger zum Chefredakteur einer Wandzeitung erhoben. Auch das war Kinderglück.

Chen bezieht dabei keine Stellung, er sieht mit den Augen und aus der tiefen Perspektive des Kindes auf eine Welt, die von oben umgekrempelt wird. Es gibt kaum konkrete Zeitangaben im Buch, man sieht den Jungen wachsen, immer wieder heißt es lediglich "eines Tages", dann ist es nach 75 Seiten plötzlich Herbst 1976, und der Vater kehrt zurück: "Als Geschenk brachte er mir vier Bände der Schriften Maos mit. Er wirkte erschöpft und war stark gealtert."

So lapidar erzählt Chen Jinaghong, doch über diese knappen Sätze setzt er höchst beredte Bildsequenzen, die weit darüber hinaus erzählen. Dabei macht er sich das ästhetische Prinzip des Comics noch mehr zunutze, als das in den letzten Jahren bei diesem Illustrator schon der Fall war. "An Großvaters Hand" ist sein Meisterwerk - das persönlichste, das spannendste und das weiseste Buch in einer ganzen Kette von Werken, die alle auch mit Recht schon so genannt werden konnten. Aber hier erzählt Chen nicht nur von seiner Kindheit, sondern nachträglich auch noch einmal um sein Leben. 1976 wurde es gerettet. Mit dem Ende der Kulturrevolution begann der Weg eines Künstlers, der sich all das zurückgezeichnet hat, was Mao ihm verbieten wollte.

Chen Jianghong: "An Großvaters Hand". Meine Kindheit in China. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Moritz Verlag, Frankfurt am Main 2009. 77 S., geb., 24,80 [Euro]. Ab 6 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2009

Mit dreißig Jahren habe ich meine Kindheit entdeckt
„An Großvaters Hand”, das Bilderbuch des chinesischen Künstlers Chen Jianghong
Vielgefragter Gast auf der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr war der Illustrator Chen Jianghong. 1963 im Norden Chinas geboren, lebt er seit 1987 in Paris. In Interviews und auch in seinem Bilderbuch An Großvaters Hand erzählt er von seiner Kindheit. Er berichtet von seiner Großmutter, die köstliche Mahlzeiten bereitete, auch wenn das Geld knapp war. Von seinen berufstätigen Eltern, die, wenn möglich, mit ihren Kindern Zeit verbrachten, vom Spiel mit den Schwestern und anderen Kindern unter den Bäumen des Innenhofs und von seiner eigenwilligen, getigerten Katze. Im Mittelpunkt aber steht der Großvater. Er hält den kleinen Chen an der Hand, wenn sie spazieren gehen. Er ist neben ihm, wenn das Kind die Welt ergründet.
„Mit 30 Jahren habe ich meine Kindheit entdeckt”, sagte Chen; jetzt erst sind seine Erinnerungen in einem Bilderbuch erschienen. Sie beginnen 1966. Natürlich berichtet das Buch von den politischen Veränderungen in China, die Chens Leben entscheidend prägten. Eine einzige Doppelseite, die Darstellung des Umbruchs durch die Kulturrevolution im China Maos, ist randlos. Den Platz seiner Familie bestimmt Chen mit ihrer Stellung auf dem Bild, er zeichnet sie an den Rand. Das grelle Rot der Fahnen übertönt den Bildeindruck, der sonst von gedämpft aufgetragenen Farben bestimmt wird. Alle anderen Begebenheiten in Chens Leben werden in Bildfolgen erzählt, die klar umrahmt sind. Diese Bildsprache fängt die sporadischen Erinnerungen an Szenen, Worte und Bilder der Kindheit großartig ein.
In wechselnden Momentaufnahmen berichtet Chen, wie er als Junge, mit roter Armbinde, zum Kind dieser Zeit wird. Aber er erzählt auch vom Murmelspiel, von der Schule, vom Sommer, von den Sonntagsausflügen und von seinen Zeichnungen im Sand, an der Tafel oder auf dem Boden zu Füßen des Großvaters. Er spricht davon, was er nicht begreift: den plötzlichen Weggang des Vaters, die brutale Verschleppung der Nachbarin, die ihn in die Welt der schönen Dinge und Töne einführte, aber auch von den Worten des Großvaters: „Wenn man eine Sache, eine einzige Sache, wirklich begriffen hat, dann kann man alles begreifen.” 1971 stirbt der geliebte Großvater. Als Künstler visualisiert Chen seine Trauer in der spezifischen Zeichensprache der Comics, zeigt in langen, feinen Linien das tränenüberströmte Gesicht des Kindes. Immer wieder ist es die Gestaltung der Augen, die von den Innenwelten der Menschen sprechen. In der Auseinandersetzung des erwachsenen Mannes mit der vergangenen Zeit zeigt Chen in seinen Bildern und mit seiner, sensibel von Tobias Scheffel übersetzten, Sprache, wie Kinder heranwachsen, Menschen Identität gewinnen können und ihren Weg finden. „Meine Aufgabe ist es, die Kinder reisen zu lassen”, sagte Chen 2006. Unbedingt, immer wieder an seiner Hand! ELISABETH HOHMEISTER
CHEN JIANGHONG: An Großvaters Hand. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Moritz Verlag 2009. 77 Seiten, 24,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Als "Glanzstück künstlerischen Zusammenspiels" feiert Rezensent Tilman Spengler diese bebilderte Autobiografie des seit 1987 in Paris lebenden chinesischen Autors und Malers. Das Buch erzähle knapp und lakonisch von einer Kindheit während der Kulturrevolution. Umso reicher falle die Bebilderung aus, die aus Sicht des Rezensenten den Comic mit den Holzstichen der Ming-Zeit, Pop-Art mit der Lithografie der Zwanziger Jahre höchst fruchtbar miteinander verbindet. Der Rezensent preist auch die Detailliebe dieser Zeichnungen, ihre höchst emotionale Konzentration auf den kleinen Rotgardisten im Zentrum und den befremdlichen Wandel um ihn herum. Ein Buch, über das sich fasziniert die ganze Familie beugen könne, schreibt der Rezensent über dieses Kinderbuch auch.

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