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Produktdetails
  • Verlag: Die Werkstatt
  • 3. Aufl.
  • Seitenzahl: 303
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 375g
  • ISBN-13: 9783895332418
  • ISBN-10: 3895332410
  • Artikelnr.: 07691896
Autorenporträt
Werner Skrentny, geb. 1949, arbeitet als Redakteur und seit 1977 als freier Autor. Er veröffentlichte zur Stadt- und Sozialgeschichte, arbeitete an Ausstellungen mit und ist Autor mehrerer Reiseführer und Bildbände. Er lebt in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.1999

Keine Stürmer für Adolf Hitler

Es sollte der Beginn einer innigen Beziehung werden, und es wurde eine sportliche Katastrophe. Als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am 7. August 1936 in Berlin gegen Außenseiter Norwegen antrat, spielte sie nicht nur um das Fortkommen bei den Olympischen Spielen, sondern auch, um aller Welt die Überlegenheit der Nation zu zeigen. Erstmals besuchte Adolf Hitler ein Fußballspiel, mit Goebbels, Goering und Heß an seiner Seite. "Der Führer ist ganz erregt", notierte Propagandaminister Goebbels in sein Tagebuch. Am Ende des Spiels war Hitler erbost. Der erwartete Triumph blieb aus, die Deutschen hatten die Partie 0:2 verloren, schieden sang- und klanglos aus dem Turnier aus, und das sich anbahnende enge Zusammenspiel zwischen Fußball und Nazis erfuhr einen gehörigen Dämpfer. Mit Ausnahme des "Anschlußspiels" am 3. April 1938 gegen Österreich wurden fortan die Länderspiele seltener dazu benutzt, um NS-Ideologie zu transportieren. "Man hat versucht, den Fußball zu instrumentalisieren, aber mit dieser Sportart hat das Dritte Reich ja immer Pech gehabt", wird der Sportsoziologe Professor Teichler in dem Buch "Stürmer für Hitler" zitiert.

Das Autorenpaar Gerhard Fischer und Ulrich Lindner verfährt in seinem Buch nach der Methode, mit der ZDF-Historiker Guido Knopp in seinen Filmen über den Nationalsozialismus stets ein großes Publikum erreicht. Eine faktenreiche Darstellung, der zahlreiche Dokumente zugrunde liegen, untergliedert in einzelne Themenblöcke, ergänzt durch Bilder und durch Interviews mit Zeitzeugen und Wissenschaftlern. Die Recherche zeigt vor allem, was Autoren und Leser bereits ahnten: wie wenig Spieler und Fans damals von der Einflußnahme der Nazis bemerkt haben - oder bemerken wollten. Im Fußball, auch das keine Überraschung, war es nicht anders als in der Gesellschaft: Es gab eine kleine Gruppe von Widerständlern, eine größere Gruppe von "cleveren und passiven Mitläufern" und eine Reihe von Nationalsozialisten.

Nicht immer gelingt den beiden Journalisten überzeugend die Differenzierung, die weitgehend den Einstufungen der Entnazifizierungs-Spruchkammern entspricht. Wie viele vor ihnen stehen sie der These nahe, daß der FC Schalke 04 gezielter Invervention durch die Nazis ausgesetzt war. Der Verdacht ist berechtigt, waren die Schalker doch mit sechs Meistertiteln zwischen 1934 und 1942 die bei weitem erfolgreichste Mannschaft im Dritten Reich. Doch die Autoren kommen zu dem Schluß, daß der Klub offenbar kein "nationalsozialistisches Retortenprodukt" war, doch seine Instrumentalisierung duldete. Die meisten Schalker gehörten zur Gruppe der Mitläufer - im Gegensatz zu anderen Vereinen, deren Vorstände mit Nazis bestückt waren; oder auch zu Spielern wie Tull Harder, der Nationalstürmer beim Hamburger SV war und später das Konzentrationslager Ahlem leitete.

Die umfassende Darstellung von Fischer/Lindner dokumentiert manch Bekanntes. Geliebt haben die Nazi-Größen, deren Zuneigung dem Motorsport, dem Boxen oder der Segelfliegerei gehörte, den Fußball nie. Doch die enorme gesellschaftliche Bedeutung, die diese Sportart seit Beginn des Jahrhunderts für die Deutschen gewonnen hatte, wollten sie sich dennoch zunutze machen. Zudem hatte vor allem der kampfbetonte Fußball für die Nationalsozialisten zwei Funktionen erfüllt: Zum einen sollte er zur körperlichen Ertüchtigung und damit der "Wehrhaftmachung des ganzen Volkes" dienen, zum anderen sollte er die Deutschen von der politischen Wirklichkeit ablenken. "Den Leuten liegt der Gewinn dieses Fußballspiels mehr am Herzen als die Einnahme irgendeiner Stadt im Osten", soll Propagandaminister Goebbels angesichts von 100000 enttäuschten Zuschauern gesagt haben, nachdem die Nationalelf im September 1942 gegen Schweden verloren hatte.

Aus der Stärke des Buches resultiert auch seine große Schwäche. So erhellend die einzelnen Kapitel über das Verhältnis zwischen Nationalsozialisten und dem Fußball sind, so ermüdend ist mitunter die Lektüre des Gesamten. Die Mischung von Eigen- und Gastbeiträgen, Interviews und Darstellungen zwingt die Autoren ständig, bereits Beschriebenes zu wiederholen, Fakten mehrmals in Erinnerung zu rufen. Etwas weniger hätte etwas mehr sein können. THOMAS KLEMM

Besprochenes Buch: Gerhard Fischer/Ulrich Lindner: "Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus". Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 303 Seiten, 34 Mark.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Gerade im Hinblick auf den 100. Geburtstag des Deutschen Fußballbundes begrüßt Christoph Dieckmann das Erscheinen dieses Bandes ausdrücklich, habe sich der DFB doch bisher oftmals schwer damit getan, auch die dunklen Seiten in seiner Geschichte etwas genauer zu beleuchten. Wer genaueres über die Instrumentalisierung der Sportler und Fußballclubs während der Zeit des Nationalsozialismus erfahren wolle, wird seiner Ansicht nach mit diesem Buch bestens informiert. Dank der hervorragenden Recherche erfahre man viel über die Sonderrechte der Spieler (sie galten im Krieg lange als "unabkömmlich"), über den Werdegang einiger Spieler (als späterer KZ-Aufseher oder auch KZ-Häftling) und auch über die Grenzen einer politischen Durchdringung der Fußballclubs. Gerade die vielseitige und undogmatische Beleuchtung dieses Themas scheint dem Rezensenten besonders gut zu gefallen. Und nicht zuletzt findet er es durchaus spannend zu lesen.

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