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Ob Sitte, Sucht oder Skandal: Die laute Lektüre hat ihren ganz eigenen Ruf. Und gerne wird ihr auch noch das Aussterben prophezeit. Doch solche Voraussagen können täuschen. Ob in der Buchhandlung, am Radio oder im Fernsehen und Internet, an der Universität oder in der Kneipe, ob als Live-Act oder Hörbuch: Vorgelesen wird heutzutage fast überall und dies mit steigender Tendenz.Ein Blick auf die Herkunft und Psychologie des lauten Lesens zeigt allerdings, dass schon seit der Antike bei Vortragenden wie Zuhörenden Genuss und Qual nahe beieinander liegen. Bis heute fasziniert, irritiert und…mehr

Produktbeschreibung
Ob Sitte, Sucht oder Skandal: Die laute Lektüre hat ihren ganz eigenen Ruf. Und gerne wird ihr auch noch das Aussterben prophezeit. Doch solche Voraussagen können täuschen. Ob in der Buchhandlung, am Radio oder im Fernsehen und Internet, an der Universität oder in der Kneipe, ob als Live-Act oder Hörbuch: Vorgelesen wird heutzutage fast überall und dies mit steigender Tendenz.Ein Blick auf die Herkunft und Psychologie des lauten Lesens zeigt allerdings, dass schon seit der Antike bei Vortragenden wie Zuhörenden Genuss und Qual nahe beieinander liegen. Bis heute fasziniert, irritiert und verärgert das Phänomen des laut gelesenen Textes gleichermaßen. Die vorliegende Studie führt mit liebevoller Detailkenntnis und unterhaltsamer Leichtigkeit durch die Weltliteraturgeschichte des Vorlesens. Dabei fördert sie einen facettenreichen Anekdotenstoff von professionellen und ungeschulten Vortragsstimmen und ihren Lesungen zutage. Von Homer bis Virginia Woolf, von Platon bis Adorno berichten die unterschiedlichsten Autoren und Autorinnen von populären Leserunden und Tête-à-Têtes, Theater-Sprechproben, akademischen Vorlesungen und den berühmt-berüchtigten Autorenlesungen.
Autorenporträt
Severin Perrig, geboren 1961 in Hamburg, studierte Germanistik, Geschichte und Ethnologie in Marburg und Zürich, wo er 1992 mit einer Arbeit über Hugo v. Hofmannsthal promovierte. Er war u.a. Nationalfond-Assistent an der Universität Zürich und Dozent für deutsche Literatur am Germanistischen Lehrstuhl der tschechischen Universität Ostrava. Er lebt und arbeitet als Dozent und Autor in Luzern und Zürich. Im Winter 2009/2010 Atelier-Stipendiat der Zentralschweizer Kantone in Berlin. Zahlreiche Publikationen u.a. zu einer Archäologie der Märchen, Sagen und Mythen, Clemens Brentano, Hofmannsthal, Kaiserin Maria Theresia, Robert Walser sowie zu Themen der Schweizer Literatur- und Kulturgeschichte (www.a-d-s.ch/d/lexikon).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2009

Die Stimme im Kästchen
In Zweisamkeit, in Gesellschaft und mit sich allein: Severin Perrig erzählt die Geschichte des Vorlesens
Fußnoten gelten als Textbeschwerer: lauter kleine Bleikugeln der Gelehrsamkeit, denen der Leser, zumal der akademische, nur schwer ausweichen kann, die ihn aber zunehmend erschöpfen, schon weil sie seine Augen zum ständigen Hin und Her zwischen Text und Anmerkungsapparat zwingen. Zu den Büchern, die dem schlechten Ruf der Fußnoten entgegenarbeiten, gehört die hier anzuzeigende Geschichte des Vorlesens von den Rhapsoden der Antike bis zur Gegenwart. Verfasst hat sie der Literaturwissenschaftler und Ethnologe Severin Perrig, Autor und Universitätsdozent in Luzern und Zürich. Sie ist weniger eine systematische Geschichte ihres Gegenstandes als eine markante, überaus kenntnisreich kommentierte Anthologie, in der die Literatur selbst, von Juvenal bis Reinhard Jirgl, vom Vorlesen erzählt.
Weil aber der Verfasser bei seinen Streifzügen durch die Universalbibliothek sehr viel mehr anthologietaugliche Stücke gefunden hat, als er im Haupttext unterbringen konnte, hängen an diesem die Fußnoten nicht wie Bleikugeln, sondern wie kleine Ballone, mit denen die Neugier des Lesers sich in die Regionen aufmachen kann, die sie beschildern.
Man nehme nur den Abschnitt „Vorleserunden wie im Märchen”, zu finden im Kapitel „Vorlesen in Gesellschaft” (ihm gehen „Sich selber vorlesen” und „Vorlesen in Zweisamkeit” voraus). Darin kommentiert der Haupttext das Kunstmärchen „Der Krüppel” von Hans Christian Andersen, in dem der bettlägerige Gärtnersohn Hans, genannt „Krüppel-Hans”, als Weihnachtsspende ein Märchenbuch erhält.
Knapp und präzise erläutert Perrig die Vorleserituale in Familie, Nachbarschaft und Freundeskreis, die sich seit der Reformation und der katholischen Gegenreformation als Hohlform ausgebildet hatten, in die das – häufig in moralischer Absicht begonnene – Vorlesen der als „Hausbuch” gesammelten Märchen eingehen konnte.
Es taucht in Andersens Märchen neben dem Schulmeister die zweite ländliche Vorlese-Autorität auf, der Priester. Ihm heftet Perrig die Fußnote 23 ans Gewand: „Bauern entblößen bei Paul Scarron im 17. Jahrhundert ihr Haupt, weil sie einen rezitierenden Schauspieler für einen Wanderprediger halten (,Die Komödianten’); die geistliche Vorlesestimme war von der Taufe, über das Heiraten, verlesene Anordnungen der Obrigkeit oder magische Exorzismen bis hin zum Begräbnis auf dem Land überaus präsent.”
Immer wieder haben die Philologen dem Motiv des Buchs im Buch, den lesenden Helden und den Ekstasen der Einbildungskraft nachgespürt, die von der einsamen Lektüre entbunden werden. In diesem Buch tritt den Augen die Stimme an die Seite, sei es die der Rhapsoden, die der frühen Christen, die sich Briefe des Paulos vorlesen, die des Helden in Robert Walsers Erzählung „Hans”, der sich selbst eine Erzählung von Jeremias Gotthelf vorliest, oder die des Schauspielers Alexander Granach, der in Hollywood im Exil in die Träume Theodor W. Adornos eingeht.
Die Poetry Slams und das Hörbuch sind einer der Fluchtpunkte in Perrigs Erzählung, zu deren Vorzügen es gehört, dass sie das Vorlesen im industriellen Zeitalter stets im Echoraum der älteren Literaturepochen bis hinab auf Homer kommentiert. So ist es kein Zufall, dass hier Cyrano de Bergerac mit einer Passage aus seiner „Reise zum Mond” (1657) in die Ära der Grammophone, Schallplatten und Hörbücher einführt: „Beim Öffnen des Kästchens fand ich darinnen irgendetwas aus Metall, das ungefähr aussah wie unsere Uhren, voll von irgendwelchen kleinen Federn. Es ist tatsächlich ein Buch, aber es ist ein erstaunliches Buch, für das die Augen nutzlos sind, wenn man etwas daraus erfahren will; man braucht nur Ohren.” LOTHAR MÜLLER
SEVERIN PERRIG: Stimmen, Slams und Schachtel-Bücher. Eine Geschichte des Vorlesens. Von den Rhapsoden bis zum Hörbuch. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2009. 158 Seiten, 17,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lothar Müller preist Severin Perrigs Geschichte des Vorlesens von der Antike bis zur Gegenwart, und er sieht darin sogar die verschriene Fußnote rehabilitiert. Das Buch des in der Schweiz Literaturwissenschaft und Ethnologie lehrenden Universitätsdozenten präsentiert sich als anregende Anthologie von Texten der Weltliteratur rund ums Vorlesen mit "kenntnisreichen" Kommentaren, teilt der Rezensent mit. Da Perrig nicht alle schönen Texte zum Thema im Haupttext unterbringen konnte, bietet er in den Fußnoten weiterführende Literatur und Hinweise, die neugierig machen, freut sich Müller. Besonders interessant erscheinen ihm die Querverweise, die der Autor vom modernen Poetry Slam und vom Hörbuch zu vergangenen Literaturepochen zieht, wie sein schönes Zitat Cyrano de Bergeracs in der Einführung ins Zeitalter des Grammophons.

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