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Rationale Akteure bilden das Fundament mikroökonomischer Wirtschaftstheorien sowie soziologischer Rational-Choice-Theorien. Doch wie tragfähig und widerspruchsfrei ist das Konstrukt des Akteurs? Die Autorin untersucht die Akteure der Theoriewelten von Neoklassik, Savage, Kahneman/Tversky, Gary S. Becker, Coleman, D. North und Lindenberg unter der Fragestellung, wie sie jeweils ausgestattet sind und welche Faktoren Ablauf und Resultate ihrer Entscheidungen bedingen.

Produktbeschreibung
Rationale Akteure bilden das Fundament mikroökonomischer Wirtschaftstheorien sowie soziologischer Rational-Choice-Theorien. Doch wie tragfähig und widerspruchsfrei ist das Konstrukt des Akteurs? Die Autorin untersucht die Akteure der Theoriewelten von Neoklassik, Savage, Kahneman/Tversky, Gary S. Becker, Coleman, D. North und Lindenberg unter der Fragestellung, wie sie jeweils ausgestattet sind und welche Faktoren Ablauf und Resultate ihrer Entscheidungen bedingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2006

Der Homo oeconomicus
Eine Untersuchung wirtschaftswissenschaftlicher Akteursmodelle

Homo oeconomicus kommt nicht zur Ruhe. Warum auch - schließlich bietet sein kantiges Profil nicht nur für Wissenschaftler reichlich Angriffsflächen. Nicht alle gehen allerdings so sanft mit ihm um wie der Soziologe Ralf Dahrendorf und der Ökonom Milton Friedman, die einmal übereinstimmend meinten, das Modell des ständig Nutzen und Nachteil abwägenden Homo oeconomicus müsse gar nicht realistisch sein, "solange die mit diesem Modell arbeitenden Theorien kräftige Erklärungen und brauchbare Prognosen" lieferten. Wesentlich schärfer ist der Ton jener, die ihn als "ideologisches Zerrbild des wirklichen Menschen" sehen, der noch dazu einer absurden Handlungslogik folgte, wie ein Rechenautomat sich immer rational für oder gegen Unpünktlichkeit, Betrug, Diebstahl, Scheidung, Steuerhinterziehung, Beleidigung, Mord und ähnliches entscheidend. Für Dorothee Wolf dient der neoklassische Homo oeconomicus als Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Studie, die jene Theoretiker der Rational-choice-Theorien unter die Lupe nimmt, deren Arbeiten Antworten auf die folgende Frage erwarten lassen. Wie muß ein Akteursmodell beschaffen sein, um eine gute Erklärung sozialwissenschaftlicher Phänomene leisten zu können? Damit scheiden nach Wolf Theoretiker verwandter Ansätze - beispielsweise der Spieltheorie oder der evolutorischen Ökonomik - aus, weil bei ihnen keine Ausarbeitung eines Handlungsmodells und des Entscheidungsprozesses zu finden ist.

Die Autorin fackelt erfreulicherweise nicht lange mit einer Charakterisierung von Rational choice, sondern stellt vielmehr eine schlichte Definition an den Anfang ihrer Arbeit: ". . . daß Individuen rational handeln und daß man aus diesem individuellen Handeln auf das Verhalten von Kollektiven schließen könne". Damit rückt einerseits das methodische Grundprinzip von Rational choice in den Mittelpunkt, nämlich kollektive Phänomene unter Rückgriff auf individuelles Handeln zu erklären. Andererseits wird deutlich, warum die Zahl der Anwendungsfelder der Rational-choice-Theorien immer mehr zunimmt: Die enorme Einfachheit ihres Grundprinzips verführt dazu, nahezu alle Phänomene und Prozesse, die mit menschlichem Handeln verbunden sind, mit seiner Hilfe erklären zu wollen. So scheint sich Rational choice von einem mikroökonomischen Modell zur Erklärung von Preisen und Mengen zu einem neuen Paradigma der Sozialwissenschaften emporgeschwungen zu haben.

Nach einer Tour d'horizon durch das neoklassische Theoriegebäude stellt Wolf sechs Akteursmodelle mit ihren exponierten Vertretern vor. Als erster wird Leonard Savage, Vertreter der Bayesschen Entscheidungstheorie, auf die Couch gebeten. Dabei zerbröckelt sein Anspruch, alle Entscheidungen durch die Maximierung des subjektiv erwarteten Nutzens erklären zu können. Was bleibt, ist wohl ein Fortschritt gegenüber der Neoklassik - wenn auch reduziert auf Prognosen über das Verhalten idealer Personen, und nur sofern die numerischen Größen feststehen. Handlungssituationen des Alltags dürften den Savage-Akteur restlos überfordern, schließlich muß er jede Entscheidung zuerst in die Form einer Lotterie bringen.

Auch Daniel Kahneman und Amos Tversky - überaus emsige Empiriker und Autoren der "Prospect Theory", deren Element der menschlichen Verlustaversion mittlerweile auch für die Marketingfunktion relevant geworden ist - müssen sich von Wolf Schwachstellen vorhalten lassen. Die Autorin konzediert jedoch, daß die Unterteilung des Entscheidungsprozesses in eine Rahmungs- und eine Bewertungsphase sowie die Erkenntnis der beiden Forscher, daß Akteure Wahrscheinlichkeiten systematisch falsch einschätzen, endlich mit der ökonomischen Tradition brechen, empirische Entscheidungsanomalien einfach zu ignorieren.

Spannend wird es bei Gary Becker. Der Ökonom versucht, alle erdenklichen Handlungen als Produktions- und Investitionsvorgänge analog zu Unternehmen abzubilden. So werden aus Haushalten "small factories", kleine Fabriken, in denen neben Marktgütern auch nichtverkäufliche Zielgüter mit sogenannten Schattenpreisen - zum Beispiel Prestige, Kinder, Liebe, Gesundheit und ähnliches - eine Rolle spielen. Wolf deckt akribisch zahlreiche Ungenauigkeiten und Defizite in Beckers Annahmen auf, vom "Rotten-Kid-Theorem" (Altruismus als Mittel der Konfliktentschärfung in der Familie) über den Heiratsmarkt (die Partnerwahl folgt einem objektiven Effizienzkriterium) bis zur Religion (ein konsumierbares Suchtgut). Bei aller Kritik: Becker konzipiert als erster ein Modell des Entscheiders, das über einen Rechenautomaten hinausgeht.

Dies trifft natürlich auch auf den nächsten Theoretiker, James Coleman, zu. Für ihn haben alle Entscheidungsobjekte die Gestalt von Verfügungsrechten, so daß Entscheidungen dann aus impliziten Verträgen über solche Rechte bestehen. Bei der Fülle an Begriffen, die Coleman für sein sonst recht überzeugendes Handlungskonzept einführt - beispielsweise Ressource, Wert, Interessen, Macht, Vertrauen, Sozialkapital und ähnliches - sowie angesichts eines eigenwilligen Akteurmodells - gespalten in einen "Rezeptor", der Bedürfnisse hat, und einen "Aktivator", der diese zu befriedigen sucht - überrascht es nicht, daß auch hier so manches der Wolfschen Kritik nicht standzuhalten vermag.

Als "sehr lebensnah, aber unvollendet" bewertet die Autorin den Akteursentwurf des Institutionenökonomen Douglass North. Sein Entscheider entschlüsselt die Umwelt mit einfachen "mentalen Modellen", plagt sich mit Transaktionskosten (Kosten der Anbahnung, Durchsetzung und Überwachung von Verträgen) und ist deshalb auf Institutionen ("Spielregeln", formale und formlose Regelwerke) angewiesen. Als letzter Theoretiker wird noch Siegwart Lindenberg vorgestellt. Dieser greift wieder auf die Beckersche Produktionsheuristik zurück, erweitert aber sein Konzept um Prozesse subjektiver Wahrnehmung und Kategorisierung. Damit kommt auch der Begriff des "Framing" zu Ehren. Wolf geht bei Lindenberg über die Analyse hinaus und arbeitet Vorschläge zur Zusammenführung loser Enden aus.

Allfällige Zweifel, ob die doch schon stark abgegraste Rational-choice-Wiese überhaupt noch neue Einsichten erlaube, werden im zweiten Teil des Buches restlos ausgeräumt. Wolf setzt hier die Modelle in Bezug. Das Ganze wird mit einem Entscheidungsvorgang aus dem Alltag - dem Kauf eines Personenwagens - unterlegt und erhält durch die Skizze eines fiktiven Geplänkels zwischen verschiedenen Entscheidern eine unterhaltsame Note. Bereichernd ist auch die Idee, im Rahmen eines Ausblicks drei Laureaten der Wirtschaftswissenschaften, Brian Arthur (Schumpeter Prize 1990) Daniel McFadden (Nobelpreis 2000), und Vernon Smith (Nobelpreis 2002), zu Wort kommen zu lassen. Wolfs Empfehlung für die Forschung lautet: Quantitative Erklärungsansprüche drosseln, dafür aber bisher versäumte qualitative Arbeit nachholen.

HEINZ K. STAHL.

Dorothee Wolf: Ökonomische Sicht(en) auf das Handeln. Ein Vergleich der Akteursmodelle in ausgewählten Rational-choice-Konzeptionen. Metropolis-Verlag, Marburg 2005, 321 Seiten, 36,80 Euro.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Überzeugend findet Heinz K. Stahl diese Studie über wirtschaftswissenschaftliche Akteursmodelle, die Dorothee Wolf vorgelegt hat. Ausgangspunkt der Untersuchung ist Stahl zufolge das neoklassische Modell des Homo oeconomicus, der Nutzen und Nachteil von Handlungen ständig rational abwägt. Wolf nehme jene Vertreter von Rational-choice-Theorien unter die Lupe, deren Arbeiten Antwort auf die Frage versprechen, wie ein Akteursmodell beschaffen sein muss, um eine gute Erklärung sozialwissenschaftlicher Phänomene leisten zu können. Stahl berichtet über sechs Akteursmodelle, die Wolf mit ihren exponierten Vertretern vorstellt. Neben Leonard Savage, Daniel Kahneman, Amos Tversky führt Stahl hier Gary Becker, James Coleman und Douglass North an, die Wolf allesamt recht kritisch betrachtet. Im zweiten Teil des Buches räume die Autorin dann allerdings Zweifel, ob die stark abgegraste Rational-choice-Wiese überhaupt noch neue Einsichten erlaube, restlos aus.

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