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In diesem Roman, der wieder in Somalias Hauptstadt Mogadischu in den 70er Jahren spielt, stehen die Frauen im Vordergrund, genauer gesagt, die Mütter und Töchter. Die Hauptakteurin ist Medina, die erfolgreiche Journalistin und Mutter, die wegen ihrer kritischen Äußerungen ihre Stelle als Redakteurin verloren hat. Dies stürzt sie in noch größere Konflikte, da ihr Mann ein Minister des machthabenden Generals ist. Als ihre Schwiegermutter immer häufiger davon spricht, dass ihre achtjährige Enkelin bald beschnitten werden müsste, möchte Medina ihrer Tochter dieses Schicksal, das sie selbst…mehr

Produktbeschreibung
In diesem Roman, der wieder in Somalias Hauptstadt Mogadischu in den 70er Jahren spielt, stehen die Frauen im Vordergrund, genauer gesagt, die Mütter und Töchter. Die Hauptakteurin ist Medina, die erfolgreiche Journalistin und Mutter, die wegen ihrer kritischen Äußerungen ihre Stelle als Redakteurin verloren hat. Dies stürzt sie in noch größere Konflikte, da ihr Mann ein Minister des machthabenden Generals ist. Als ihre Schwiegermutter immer häufiger davon spricht, dass ihre achtjährige Enkelin bald beschnitten werden müsste, möchte Medina ihrer Tochter dieses Schicksal, das sie selbst durchlitten hat, ersparen. Daher verlässt sie zusammen mit der Tochter ihr Zuhause und ihren Mann. Farah beschreibt das Leben dieser Frau, die Erziehung der Tochter, die Gespräche der Freundinnen und zeichnet so ein faszinierendes Porträt der Frauenwelt Somalias. Anders als bei "Bruder Zwilling" geht es hier nicht um den politischen Widerstand gegen das Regime, sondern um die stille Revolte i m Alltag, im Privaten, in den Familien, denn die Macht der Diktatur hält nicht vor der Haustüre inne. Der Roman endet mit der Versöhnung Medinas mit ihrem Mann, der endlich wagt, sich zu seiner Frau zu bekennen, sein Amt durch eine geschickt eingefädelte Intrige niederlegt und einen neuen Anfang macht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2002

Frauen, Paschas, Patriarchen
Gepanzerte Seele: Nuruddin Farahs somalische Familiengeschichten

Was für eine Genealogie: Der Großvater war nomadischer Geschichtenerzähler, der Vater Dolmetscher des britischen Gouverneurs, der Sohn, der seit 1975 ein Nomadenleben im Exil führt, Begründer der somalischen Literatur. Nuruddin Farah wird seit langem als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt, aber sein Werk ist bei uns immer noch fast unbekannt. Er teilt damit das Schicksal seines Heimatlandes, das, seit der mißglückten UN-Befriedungsmission fast vergessen, erst seit den Anschlägen vom letzten September wieder ins Fadenkreuz des Kampfes gegen den Terror rückt. Dabei könnte Farah unser Wissen über Wurzeln und Opfer des fundamentalistischen Terrors bereichern: Niemand hat so leidenschaftlich und einfühlsam über Frauen im Machtdreieck zwischen Diktatur, islamistischem Terror und patriarchaler Clanherrschaft geschrieben.

Die Aktualität von Farahs Werk hat sich auch bei seinen deutschen Verlegern herumgesprochen. Während seine neueren Romane - zuletzt "Duniyas Gaben" - bei Suhrkamp erscheinen, hat sich die Random-House-Tochter Frederking & Thaler der älteren "Variationen über das Thema der afrikanischen Diktatur" angenommen. Nach "Bruder Zwilling", 1980 unter dem Titel "Staatseigentum" erstmals übersetzt, liegt die Trilogie mit "Tochter Frau" und "Vater Mensch" jetzt endlich komplett in Deutsch vor.

Der Diktator Siad Barre, der Farah ins Exil trieb, wurde 1991 gestürzt, aber Somalia hat sich bis heute nicht von seiner Schreckensherrschaft erholt. Von Warlords, Fundamentalisten, Sezessionisten und dem großen Nachbarn Äthiopien umzingelt, hat die provisorische Regierung nicht einmal die Hauptstadt Mogadischu unter ihre Kontrolle bringen können. Hunger, Bürgerkrieg und Anarchie machen das Land am Horn von Afrika zur leichten Beute rivalisierender Clans.

"Tochter Frau" (im Original "Sardines") und "Vater Mensch" ("Close Sesam") lesen sich wie hellsichtige Prophezeiungen dieses Krieges aller gegen alle. Aber in den Trümmern, die Kolonialherren, Freiheitskämpfer und die "Friedensstifter" des Generals hinterlassen haben, lebt die Hoffnung auf Zivilcourage, Freiheit und Frieden fort. Ihre Quelle und ihr Bewährungsfeld ist die Familie: Sie ist Keimzelle des Widerstands, Erholungsraum der Verfolgten, Labor einer neuen politischen Pädagogik und Moral, mit einem Wort: die reale Utopie einer besseren Zukunft.

Umgekehrt ist sie freilich auch das Einfallstor staatlichen und religiösen Terrors. Farahs mafioser "inzestuöser Zirkel" karikiert die somalische Großfamilie: Die schwarzen oder vielmehr roten "Lackaffen" ahmen die Kolonialherren nach; Stammeshäuptlinge, Paschas, tyrannische Patriarchen und bigotte Schwiegermütter sind nicht nur Stellvertreter Allahs, sondern auch Statthalter eines Diktators, der seine Untertanen wie Kinder behandelt. Nur selbstbewußte, furchtlose Männer und starke Frauen können aus diesem Teufelskreis ausbrechen - und laufen dabei Gefahr, selbst paranoid und unbarmherzig, väterlich herablassend oder verbittert zu werden.

In "Tochter Frau" beschreibt Farah einmal mehr Frauen zwischen Unterdrückung und Aufbegehren, archaischer Unmündigkeit und natürlichem Stolz. Frauen sind im polygamen Somalia Waren, die gekauft und wieder abgestoßen werden, Kinder rechtlose Unpersonen: "Die Schmerzen gehören uns, Fett, Reichtum und Macht gehören den Männern." In der Beschneidung oder in der "politischen Vergewaltigung" stehen nicht allein ihre körperliche Unversehrtheit und Würde auf dem Spiel: In den grausamen Ritualen verdichtet sich tribale, religiöse und staatliche Gewalt gegen Frauen zum Exzeß. Farah konfrontiert emanzipierte Frauen wie Medina mit den Opfern und Tätern autochthoner wie importierter Männlichkeitsmythen. Die westlich gebildete Journalistin weigert sich, ihre Tochter beschneiden zu lassen; weder Schreibverbote noch Bespitzelung, weder der Haß ihrer Schwiegermutter Idil noch die feige Resignation ihres Mannes Samater, eines opportunistischen Intellektuellen, der als Minister immer mit einem Fuß im Gefängnis steht, können sie davon abbringen. Medina hat die "größeren Hoden": Sie gibt für ihre Überzeugungen Beruf, Haus und Familie auf. Aber die harten Zeiten haben auch ihre Weiblichkeit verhärtet und ihre Liebesfähigkeit beschädigt. Aggressiv, ungeduldig und besserwisserisch stößt sie Vertraute vor den Kopf und läßt ihr "aufgeklärtes Kind" allein mit ihren ideologischen Prinzipien. Erst als durch ihre Mitschuld ihr Bruder zum Tode verurteilt wird, lenkt sie ein und beginnt ihren Seelenpanzer zu lockern.

Farah unterschlägt nie die Widersprüche und Schwächen seiner starken Frauen. Wiewohl nicht frei von Schwarzweißmalerei und aufdringlich didaktischer Symbolik und Rhetorik, springt er immer wieder über den Schatten seines Pansomalismus. Ausländerinnen kommen bei ihm allerdings selten gut weg: Naivität, Narzißmus, Arroganz und sexuelle Promiskuität machen sie zu nützlichen Idiotinnen im Harem des Generals. Sandra etwa, eine italienische Marxistin, läßt sich als Mätresse des "Ideologen" ihre politische Unschuld und ihr journalistisches Ethos abschwatzen. Farah mag ein kosmopolitischer Demokrat und geschworener Feind religiöser Intoleranz sein, aber auf die "Arroganz der judäo-christlichen Welt" ist er nicht gut zu sprechen. In einem Interview beschrieb er die Terroranschläge von New York als Resultat eines verwirrten, aber politisch durchaus legitimen "Bedürfnisses nach Gerechtigkeit". Daß er dennoch eine amerikanische Jüdin mit großer Sensibilität und Sympathie porträtiert, zeigt freilich, daß er sich seine dichterische Wahrheit nicht von Ressentiments verdunkeln läßt.

"Vater Mensch" entstand 1983 - übrigens in Bayreuth -, aber die Fragen, die der Roman stellt, sind heute brisanter denn je: Darf ein guter Muslim sich und andere töten, um dem Bösen in den Arm zu fallen? Wo hört der gerechte Dschihad gegen eine barbarische Diktatur auf, wo fangen Prinzipienreiterei und Terrorismus an? Der fromme Deeriye, ein kranker, müder Veteran des Befreiungskriegs gegen die Italiener (und einer der raren gütigen Väter Farahs), gerät in schwere Loyalitäts- und Gewissenskonflikte, als sein Sohn Mursal als Verschwörer verhaftet wird: Darf, muß er noch einmal zu den Waffen greifen, um jene zornigen Kinder, die ihre Väter nicht einmal mehr ins Vertrauen ziehen, zu verteidigen und zu rächen? Aber war er, der die Welt nur aus dem Gefängnis kennt, nicht immer abwesend, wenn sein Sohn ihn brauchte? So streiten Erfahrung und Weisheit der Väter mit dem ungestümen Haß der Söhne, das Natur- und Blutrecht nomadischer Clans mit der urbanen Gesetzlichkeit, die Transzendenz des Koran mit säkularisierten Menschenrechten und Bürgerpflichten. Farah dekliniert einmal mehr öffentlich-politische Fragen im Binnenraum der Familie durch und setzt die Sprache des heiligen Wahnsinns gegen die Lügen der Diktatur. Am Ende findet der Held von 1934 bei einem verzweifelten Selbstmordattentat einen bizarren Märtyrertod: Der verwirrte Greis zieht aus Versehen die Gebetskette anstelle des Revolvers.

Nuruddin Farah macht es uns nicht einfach. Seine Begriffe von Freiheit, Emanzipation und Gerechtigkeit sind nicht deckungsgleich mit unseren angeblich so universellen Idealen. Aber sie sind gerade darum über alle Zweifel erhaben, weil sie auch die Kategorie des Zweifels kennen und in einer Art herrschaftsfreiem Diskurs entfaltet werden: Im Palaver unter Freunden und im Familienrat haben Alt und Jung, Mann und Frau, Einheimischer und Gast das gleiche Stimmrecht, und abweichende Meinungen lassen die Menschen nur um so "besser und lebhafter denken".

Auch als Erzähler zitiert Farah westliche Vorbilder von Joyce bis Brecht nur, um sich, noch ganz in der mündlichen Erzähltradition verhaftet, um so weiter von ihnen zu entfernen. Reich an Gerüchen und Farben, blumigen Metaphern und Pathos, geschmückt mit Spruchweisheiten, Gebeten, Visionen und Träumen, zehren seine Romane gleichermaßen von animistischer Magie, somalischen Volksmärchen und arabischer Lyrik wie von der Literatur der Kolonialherren. Die offene, synkretistische Form bildet nicht nur die Geschichte des Landes, sondern auch die Zerrissenheit des Exilanten ab. Leider gibt die Übersetzung diese Vielfalt nur unzureichend und hölzern wieder; schmerzlich vermißt man auch ein Glossar. Aber wer Geduld und Interesse mitbringt, wird aus dieser zwanzig Jahre alten Trilogie mehr über Gewalt, Geschlechter- und Generationenkonflikte in islamischen Gesellschaften lernen als von unseren Scholl-Latours.

MARTIN HALTER

Nuruddin Farah: "Tochter Frau". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Pemsel. Marino bei Frederking & Thaler, München 2001. 318 S., geb., 20,- [Euro].

Nuruddin Farah: "Vater Mensch". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Pemsel. Marino bei Frederking & Thaler, München 2001. 286 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Auseinandersetzung mit der islamischen Kultur und Religion hat Konjunktur. Martin Halter ist nach Lektüre der Romane "Tochter Frau" und "Vater Mensch" von Nuruddin Farah der Meinung, dass man sich bei ihm über die Wurzeln und Opfer des fundamentalistischen Terrors in islamischen Gesellschaften weit besser informieren kann als bei "unseren Scholl-Latours", selbst wenn die beiden Romane fast zwanzig Jahre alt sind und erst jetzt - aus aktuellem Anlass - einen Verlag gefunden haben. Mit "Bruder Zwilling", im Vorjahr erschienen, liegt nun Farahs Trilogie aus den achtziger Jahren komplett vor.
Niemand kann engagierter und einfühlsamer vor allem über Frauen "im Machtdreieck zwischen Diktatur, islamistischem Terror und patriarchalischer Clanherrschaft" schreiben als Nuruddin Farah, schwärmt Martin Halter. Farah stammt aus Somalia, er lebt seit 1975 im Exil. Die Situation seines Heimatlandes ist nach wie vor so katastrophal, berichtet Halter, dass es ihm nicht möglich sei, dorthin zurückzukehren. Literarisch aber ist Farah seiner Heimat treu geblieben. "Tochter Frau" stellt eine westlich geprägte Journalistin in den Mittelpunkt, die sich weigert, ihre Tochter beschneiden zu lassen. Diese Entscheidung kostet sie Haus, Familie und Beruf, darüber hinaus trägt sie auch psychische Beschädigungen davon, die sie verhärten lassen, erzählt Halter. Auch wenn Farahs Bücher nie ganz von Schwarzmalerei und aufdringlicher Symbolik frei seien, stelle er andererseits seine Figuren - meist starke Persönlichkeiten - nie eindimensional und widerspruchsfrei dar. Farah macht es seinen westlichen Lesern nicht einfach, weil seine Begriffe von Emanzipation und Freiheit nicht die gleichen seien wie unsere, aber zugleich seien sie "über alle Zweifel erhaben", da sie "die Kategorie des Zweifels kennen", rühmt Halter den Autor.

© Perlentaucher Medien GmbH
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