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Mehr als 50 Jahre lang, von 1882 bis 1938, haben Freud und seine Schwägerin Briefe gewechselt. In den ersten Jahren stehen die Beziehungen der beiden Paare Martha Bernays und Sigmund Freud, Minna Bernays und Ignaz Schönberg, und das Verhältnis zur Mutter im Vordergrund. Später werden Freuds Arbeit und seine Patienten wichtigeren Raum einnehmen. Nach 1896, als Minna in den Freudschen Haushalt übersiedelt war, schrieb man sich Briefe nur noch aus den Ferienzeiten. Ein letztes Konvolut aus dem Jahre 1938 wirft ein Licht auf die letzten Wochen vor der Emigration der Familie in Wien.
Das Zentrum
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Produktbeschreibung
Mehr als 50 Jahre lang, von 1882 bis 1938, haben Freud und seine Schwägerin Briefe gewechselt. In den ersten Jahren stehen die Beziehungen der beiden Paare Martha Bernays und Sigmund Freud, Minna Bernays und Ignaz Schönberg, und das Verhältnis zur Mutter im Vordergrund. Später werden Freuds Arbeit und seine Patienten wichtigeren Raum einnehmen. Nach 1896, als Minna in den Freudschen Haushalt übersiedelt war, schrieb man sich Briefe nur noch aus den Ferienzeiten. Ein letztes Konvolut aus dem Jahre 1938 wirft ein Licht auf die letzten Wochen vor der Emigration der Familie in Wien.
Das Zentrum des Briefwechsels bilden die persönlichen Beziehungen. Es wird deutlich, daß Minna Bernays in Freuds frühen Jahren neben Wilhelm Fließ seine wichtigste Gesprächspartnerin gewesen ist. Sie tritt als kluge, humorvolle und energische Frau hervor, die für Schwester und Schwager und später deren Kinder ein Leben lang von großer Bedeutung war.
Die Briefe sind ein zutiefst menschliches Dokument, Texte mit rezentem Anlaß, spontan entstanden, nicht lange konzipiert. Sie zeigen das Innere, das Wesen der Beteiligten in einer ganz besonderen Weise. Ihr größter Reiz ist nicht, daß sie die Neugier des Lesers befriedigen, sondern daß sie punktuelle, aber oft tiefe und unverstellte Einblicke in Persönlichkeit, Denk- und Handlungsweisen der beteiligten Personen bieten.
Die Ausgabe gibt alle Briefe wieder, die auf das Verhältnis der beiden Briefschreiber zueinander und zu Martha und den Kindern Licht werfen. Die Einleitung stellt die Situation der Briefschreiber und den Kontext dar und gibt einen Abriß des Lebens von Minna Bernays. Im Anhang wird, gestützt auf umfangreiche Archivstudien, die Geschichte der Familie Bernays entwickelt. Ein Stammbaum ergänzt die Darstellung.
Autorenporträt
Sigmund Freud wurde 1856 in Freiberg (Mähren) geboren. Nach dem Studium der Medizin wandte er sich während eines Studienaufenthalts in Paris, unter dem Einfluss J.-M. Charcots, der Psychopathologie zu. Anschließend beschäftigte er sich in der Privatpraxis mit Hysterie und anderen Neurosenformen. Er begründete die Psychoanalyse und entwickelte sie fort als eigene Behandlungs- und Forschungsmethode sowie als allgemeine, auch die Phänomene des normalen Seelenlebens umfassende Psychologie. 1938 emigrierte Freud nach London, wo er 1939 starb.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.07.2006

Wie ist’s mit Frauen ohne Geld bestellt
Die Dreierehe: Der Briefwechsel Sigmund Freuds mit seiner Schwägerin
Glücklich die Zeitalter, die Briefe schreiben - wie lebendig bleiben ihre Spuren! Die Korrespondenz Sigmund Freuds mit Minna Bernays, der Schwester seiner Frau, geführt über 56 Jahre hinweg, bis unmittelbar vor Freuds Tod, ist jetzt sehr sorgfältig von Albrecht Hirschmüller herausgegeben worden. Schwägerinnen pflegen sonst ja eher eine familiäre Zugabe zu sein, nicht eben Gegenstand feindseligen Witzes wie die Schwiegermütter, aber doch etwas, um das man sich nicht eigens beworben hat. Nicht so im Fall Sigmunds und Minnas. So unverkennbar groß ist ihre Freude, auf dem Weg der Verlobung und Heirat der Schwester auch einander geschenkt worden zu sein, dass man fast meinen könnte, Freud habe, indem er um Eine anhielt, gleich Zwei gewonnen.
Mit der Freundschaft beginnen sie; bald schon aber nennen sie ihre Zuneigung beim Namen des Geschwisterlichen. „Du lieber Sigi!” beginnt sie ihre Briefe; er aber schließt: „Dein getreuer Bruder Sigmund”. Die Verhältnisse sind in den 1880er-Jahren, aus denen die ausführlichsten dieser intelligenten, scherzenden, rührenden Briefe stammen, recht schwierig. Minna, wie auch ihre Schwester Martha, die Braut, leben in Hamburg bei ihrer alten Mutter, die sie nicht loslassen will; Minna hat einen heiklen Verlobten, einen großen Indologen, doch ohne Aussichten, und todkrank; er wird sterben, und Minna wird nie heiraten; und Freud versucht derweil unter großen Mühen in Wien als Arzt Fuß zu fassen. Nicht selten schreiben ihm die beiden Schwestern zusammen.
„Frauen und Geld / Regieren die Welt” steht als Briefkopf auf dem Papier, das sie benützen. Sie streichen es durch und schreiben stattdessen: „Frauen ohne Geld, wie ist’s mit denen bestellt?” Ja, das ist ein Problem; ihr Bruder Eli, ein Leichtfuß, droht das bisschen Erbteil und Mitgift, das sie haben, durch halbkriminelle Spekulationen zu verschleudern. Frauen sind in solchen Dingen damals fast machtlos. Freud, der auf dieses Geld fest gerechnet hat, legt sich, so gut er kann, ins Zeug. Man muss ihn bewundern für den Mut, mit dem er das Schicksal aller drei in die Hand nimmt. „Es scheint doch, Mädchen”, schreibt er auf Papier mit dem violetten Aufdruck „Gruß aus Wien”, „dass die guten Dinge dieser Welt auch für uns blühen, und wir wären doch die Leute, diese guten Dinge recht mit Genuss zu genießen.” Und Minna will dahinter nicht zurückstehen: „Also komme nur, wir wollen so froh sein, als es bei unserem lustigen Dalles möglich ist, ich finde das Leben doch wunderschön, wenn ich ein paar Glückliche sehe; weil ich bei der großen Tafel etwas kurzgekommen bin, soll ich darum sagen, dass das ganze Essen schlecht war?”
„Dalles” ist jüdisch; wie der informative Kommentar vermerkt, kommt es „von hebr. Daluth, Armut; in jüd. Sprichwörtern öfter mit gelassener Heiterkeit verbunden”. Die Heiterkeit wird den Korrespondenten zuweilen schwer gemacht. Freud empfindet es bitter, wie Erfolg und Ruhm, die sich schließlich doch einstellen, von einem ungreifbaren Ressentiment vergiftet werden. Ein Rezensent hatte eine Arbeit Freuds zur Aphasie „interessant und geistreich” genannt. Freud bemerkt darüber zu Minna: „Den Ruf für geistreich werde ich überhaupt nach dieser Arbeit kriegen. Es heißt soviel wie bei einem Mädchen: sie hat schöne Augen; in der heutigen wissenschaftlichen Welt bedeutet es ins Vulgäre übersetzt ungefähr ,Saujud’.” So sieht es von innen aus, das großbürgerlich-jüdische juste milieu im Wien der Jahrhundertwende.
Geliebter Alter!
Von dessen Lage erfährt man viel; und der Herausgeber hätte sich nicht zu entschuldigen brauchen, dass der Briefwechsel wenig neues Licht auf die Geschichte der Psychoanalyse werfe. Er tut es doch: nicht zuletzt in den Fehlleistungen, die Freud beim Briefeschreiben unterlaufen und die man, mit einer gewissen Genugtuung, im Licht seiner eigenen Theorie ins Auge fasst. Als er die Wohnung schildert, die er für die Zeit nach der Eheschließung angemietet und möbliert hat, „vergisst” er das Schlafzimmer; und Braut und Schwägerin necken ihn darob.
Der Briefwechsel entwirft das Panorama einer kultivierten und konventionellen Lebenswelt, die noch weit ins 20. Jahrhundert hinein die umständlichen Wonnen des 19. zelebriert. Dass an ihrem Horizont das wagemutig Neue hervorbricht, dass der aufstrebende junge Seelenarzt sich seinen Platz in der Gesellschaft durch Einsatz von Hypnose und Kokain erkämpfen will, empfindet keiner der Briefeschreiber als ein Paradox.
In späteren Jahren verändert die Korrespondenz ihren Charakter. Minna wohnt nun im Haus der Freuds, man spricht sich jeden Tag. Nur im Urlaub noch gibt es Gelegenheit zu korrespondieren. Schwager und Schwägerin unternehmen ausgedehnte Urlaubsreisen zu zweit, während Martha mit den Kindern zuhause bleibt. Aus dieser immerhin verfänglichen Situation ergibt sich, wie es scheint, niemals auch nur der Hauch einer Trübung im Verhältnis der drei.
Minna und Sigmund verfassen gemeinsam nahezu jeden Tag einen Brief oder eine Karte, die sie an Martha schicken. Fast sieht es aus, als hätten die beiden es eilig, alt zu werden. Das Alter, in dem ja auch die Beziehung der Eheleute viel von ihrer erotischen Spannung einbüßt und stattdessen gelungenenfalls die Färbung der vertrauten Freundschaft annimmt, vermag auch den grundsätzlichen Abstand zwischen Gattin und Schwägerin in Ehren auszugleichen. Die Geschwisterehe zu dritt tritt ins Stadium des reifen Glücks. Freud ist kaum über fünfzig, da heißt er für Minna schon: „Geliebter Alter!” Er aber unterzeichnet sich, in den wenigen aus dieser Zeit erhaltenen Gegenbriefen, vielleicht ein bisschen ironisch, aber mit unverhohlener Zufriedenheit, als: „Papa”.
BURKHARD MÜLLER
SIGMUND FREUD / MINNA BERNAYS: Briefwechsel 1882-1938. Herausgegeben von Albrecht Hirschmüller. Edition diskord, Tübingen 2006. 400 Seiten, 32 Euro.
Sigmund Freud mit Ehefrau Martha (li.) und seiner Schwägerin Minna Bernays (re.) in der Sommerfrische
Foto: HR / © HR
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Als "verdienstvolle Edition" würdigt Franz Maciejewski diesen Band mit dem Briefwechsel zwischen Sigmund Freud und Minna Bernays, den der Medizinhistoriker Albrecht Hirschmüller herausgegeben hat. Neben nahezu 200 Briefen von 1882 bis 1938 bietet der Band einen umfangreichen Apparat, der unter anderem mit der Familiengeschichte, dem Stammbaum der Bernays sowie dem kompletten Verzeichnis aller bekannten Briefe von und an Minna Bernays glänzt. Maciejewski findet in den Briefen selbst wissenschaftshistorisch gesehen durchaus Bemerkenswertes, etwa über eine der wichtigsten frühen Patientinnen Freuds, Anna von Lieben. Im Blick auf die "Gretchen-Frage der Freud-Biografik", die Frage, ob Freud mit seiner Schwägerin ein intimes Verhältnis hatte, bleibt der Band allerdings eine Antwort schuldig. Anders als der Freud-Experte Peter Gay, der die Briefe bereits 1989 studieren konnte und fehlende Briefe nur für "zurückgehalten" und ihr Auftauchen für prinzipiell möglich hielt, enthalte für Hirschmüller der vorliegende fragmentarische Bestand alles Verfügbare.

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