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Die Briefe Rilkes an Sidonie Nádherny - erstmals ergänzt durch die »Schreibstimme« Sidonie Nádhernys.»... meinem Herzen bleiben Sie unbeirrt der treue Freund, Berater u. Wegweiser«, schreibt die böhmische Baronesse Sidonie Nádherny 1924 an Rainer Maria Rilke. Der Satz fasst den besonderen Charakter dieser Freundschaft zusammen, den der zwei Jahrzehnte überdauernde Briefwechsel dokumentiert.Rilkes Briefe aus den ersten Jahren bezeugen eine einfühlsame »éducation sentimentale«; die Freundschaft vertiefte sich im Laufe der Jahre, auch durch drei Besuche Rilkes auf Schloss Janowitz. Die…mehr

Produktbeschreibung
Die Briefe Rilkes an Sidonie Nádherny - erstmals ergänzt durch die »Schreibstimme« Sidonie Nádhernys.»... meinem Herzen bleiben Sie unbeirrt der treue Freund, Berater u. Wegweiser«, schreibt die böhmische Baronesse Sidonie Nádherny 1924 an Rainer Maria Rilke. Der Satz fasst den besonderen Charakter dieser Freundschaft zusammen, den der zwei Jahrzehnte überdauernde Briefwechsel dokumentiert.Rilkes Briefe aus den ersten Jahren bezeugen eine einfühlsame »éducation sentimentale«; die Freundschaft vertiefte sich im Laufe der Jahre, auch durch drei Besuche Rilkes auf Schloss Janowitz. Die Gegenbriefe der Freundin bis zum Jahr 1914 sind verschollen; umso wertvoller, dass im Briefbestand danach ihre »Schreibstimme« voll zur Geltung kommt: Sie lässt den Leser die »Zwiefältigkeit« ihres von Schicksalsschlägen geprägten Charakters nachempfinden. Sidonie Nádherny unterhielt die Korrespondenz mit Rilke bis zu dessen Tod 1926 parallel zu der mehrfach unterbrochenen Liebesbeziehung zu Karl Kraus. Ein Vergleich beider Korrespondenzen, wie er nun möglich wird, bietet nicht nur Einblicke in die Strukturen von Persönlichkeiten europäischen Ranges, sondern auch in ein bei unterschiedlichen Temperamenten gemeinsames Leiden an einer »großen Zeit«, deren Fatalität Kraus auf den Begriff gebracht hat.Ausführliche Erläuterungen der Briefe sowie zahlreiche Abbildungen und dokumentarische Texte im Anhang erhellen die historischen wie privaten Kontexte. Der Band enthält 348 Briefe, Karten und Telegramme, davon 116 von Sidonie Nádherny, die hier erstmals gedruckt werden.
Autorenporträt
Rainer Maria Rilke (1875-1926) ist der weltweit berühmteste Dichter deutscher Sprache. Seine Werke sind ebenso populär wie schwer zu verstehen - der "Cornet", das "Stunden-Buch", die "Neuen Gedichte", die "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", die "Duineser Elegien" und "Die Sonette an Orpheus", ebenso seine Prosaschriften und seine Übersetzungen aus dem Französischen, Italienischen und anderen Sprachen.

Leider ist derzeit keine AutorInnenbiographie vorhanden.

Friedrich Pfäfflin, geb. 1935, hat nach zwanzigjähriger Tätigkeit als Verlagsbuchhändler ein Vierteljahrhundert die Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach geleitet. In den Jahren 1968 bis 1973 erschien der von ihm initiierte, von Heinrich Fischer herausgegebene Reprint der »Fackel« von Karl Kraus in über 35.000 Exemplaren. Veröffentlichungen u. a.: Karl Kraus: Briefe an Sidonie Nádhern? von Borutin 1913-1936 (Hg., 2005); Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern (Hg., 2008); Das Werk der Photographin Charlotte Joel (Hg., 2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007

Mögen deutsche Zunge und Geschmack nicht regieren
Rilke und die höhere Tochter: Der Briefwechsel mit Sidonie Nádherný von Borutin / Von Lorenz Jäger

Sie war zwanzig, er dreißig Jahre alt, als sich beide in Paris kennenlernten. Rilke wirkte als Sekretär von Auguste Rodin. Als Sidonie von Nádherný mit ihrer Mutter das Atelier des Künstlers besuchte, war es Rilke, der sie führte und das bildhauerische Werk erläuterte. Die moderne Kunst auf der einen, die europäischen Städte und Landschaften auf der anderen Seite sind die beiden Brennpunkte, um die sich der Briefwechsel wie eine Ellipse zieht.

Und Rilke ist in seinen Briefen wie in seinen Gedichten immer dann auf der Höhe seiner Kraft, wenn er die seelischen Schwingungen eines städtischen oder landschaftlichen Raums schildern kann: Paris, so schreibt er im ersten Brief, "giebt mit so viel Eigenart, wie ich kaum je eine andere Stadt habe geben sehen; es gibt mit Selbstbewußtsein und Takt, und in jedem Gegebenen liegt das Versprechen eines noch besseren Geschenkes irgendwie angedeutet, so daß man, als Empfangender, in fortwährender Beziehung zu noch Größerem und in unendlich reizvoller, weitgespannter Erwartung erhalten wird." Es gibt ein landläufiges Vorurteil gegen Rilke, vor allem gegen seine Briefe, und besonders dann ist es spürbar, wenn sie an Frauen der obersten gesellschaftlichen Kreise gerichtet sind.

Die Gegenwart schätzt den schnoddrigen, knappen Ton von Gottfried Benn höher als den weitschwingenden von Rilke, er ist ihr wahlverwandt, und man muss eine Schranke überwinden, wenn man diese Sammlung lesen will. Wir sitzen hier nicht im Geiste beim Bier in der Eckkneipe wie als Leser der Korrespondenzen von Benn, sondern folgen - ihr jedenfalls, ihm nicht immer, denn das Geld wurde nach dem Krieg knapper - in die mondänen schweizerischen Erholungsorte, später auf ihren rastlosen Reisen, die sie quer durch Europa und bis nach Nordafrika führen: "Im Winter kann man wirklich nur nach Ägypten, wenn man Wärme will", schreibt sie ihm Ende 1924.

Es ist der Briefwechsel zweier Außenseiter. Bei dem Dichter versteht es sich von selbst, aber auch Sidonie war es nicht gegeben, ein ihrer Stellung entsprechendes "normales" Leben zu führen. Der erste, schon sehr späte Eheplan scheitert daran, dass der Geliebte Italiener ist und nun, im Krieg, auf der anderen Seite der Front steht. Als sie 1920 dann tatsächlich und zur größten Überraschung Rilkes ihren Cousin Maximilian Graf Thun und Hohenstein heiratet, ohne die Anwesenheit der Eltern und ohne den Namen des Gatten anzunehmen, wozu Rilke ihr dann doch sehr taktvoll und eindringlich rät - da zerbricht die Ehe nach wenigen Monaten, denn, so schreibt sie, "Max Thun ist doch wahnsinnig (er ist jetzt in einer Nervenheilanstalt), u. ich glaubte nie daran, u. wo er es nicht ist, ist er ein Schuft." Man mag von einer Instinktschwäche der hochkultivierten Frau sprechen; sie selbst erklärte, die Ehe geschlossen zu haben, "um dem Gotha Genüge zu tun", wie Joachim W. Storck, ein großer Kenner Rilkes und seines Kreises, im Nachwort anmerkt.

Pikanterweise war es Graf Thun gewesen, der im November 1913 Sidonie dem Kritiker Karl Kraus vorgestellt hatte, dessen Geliebte sie wurde. Dennoch sucht sie die Einsamkeit, und eine Außenseiterin war sie auch der Sprache nach. Ihr Tagebuch schreibt sie auf englisch. Schon Ende August 1914, nachdem sie von deutschen Untaten in Belgien gehört hat, wünscht sie den Waffen der Entente den Sieg: "And I pray that the english fleet at least may win, that German tongue & taste & culture may not reign!" Der mondäne Humanitarismus Sidonies steht nicht über den Parteien, er ist Partei.

Dennoch verfehlen die Briefe aus den Kriegsjahren nicht ihren Eindruck auf den Leser. Sie sind Dokumente eines dichterischen Verstummens. Man erkennt, wie schwer jede Äußerung wird, wenn sie keine Antwort mehr findet, weil nicht nur die Zensur, die äußere wie die innere, sie verhindert, sondern das Klima zwischen den Menschen ihr schlechthin feindlich geworden ist. "Ich schließe immer fester die Augen", schreibt Rilke einmal. Als er im Wiener Kriegsarchiv eingesetzt wird, will er "dort recht abseits bleiben". Immer wieder ist von der "Hemmung meines Gemüths" die Rede, die innere Starrheit mache ihm "die eigene Vergangenheit zur unerreichbaren Fiktion".

Kurz vor dem Waffenstillstand, im September 1918, meldet er aus München: "Im Mündlichen bin ich noch lebhaft zuweilen und wach und die alten Mächte aus meinem Innern haben noch Einfluß, wie in den besten Stunden." Ansonsten herrschen "trübes Anstehen und Warten". Von Verhältnissen, die ihn "heillos erstarren machen", ist die Rede, ja davon, dass der Dichter sich über die vergangenen Jahre "totgestellt" habe, selbst die "Vertraulichkeit zur Natur" habe der Krieg aufgehoben. Erst später, in Muzot, fand er eine Atmosphäre, die geradezu eine Welle neuer Produktion begünstigte. Aber die Briefe aus dieser Zeit gelten nun vor allem der über die Distanz schwierigen Erinnerung an die jugendliche Verbundenheit.

Rainer Maria Rilke / Sidonie Nádherný von Borutin: Briefwechsel 1906 - 1926. Hrsg. von Joachim W. Storck unter Mitarbeit von Waltraud und Friedrich Pfäfflin. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 654 S., Abb., geb., 39,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lorenz Jäger sagt es ohne Umschweife: Rilke ist nicht Benn. Die der Lektüre des Briefwechsels vorgelagerte Schwelle hat er erkannt und überwunden, um die Korrespondenz "zweier Außenseiter" um die Brennpunkte 'moderne Kunst' und 'europäische Städte und Landschaften' zu verfolgen. Und zwar durchaus mit Gewinn: Wenn Rilke die "seelischen Schwingungen" eines Raumes erspürt oder, während der Kriegsjahre, mit dem Verstummen ringt. Als geistige Topografie empfiehlt Jäger allerdings einen mondänen Kurort. Nicht die Kneipe, wie bei Benn.

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