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Eine Revision gängiger Klischees über die Machtbeziehungen im ländlichen Raum Ostelbien.Das vorherrschende Bild vom ländlichen Ostelbien um 1900 ist schlicht: Hier sei es den adligen Großgrundbesitzern - den Junkern - gelungen, eine vormoderne, auf traditioneller Fügsamkeit der Landbevölkerung gegründete Herrschaft aufrechtzuerhalten. Und auf dieser ebenso anachronistischen wie soliden Basis hätten die Junker Deutschlands Weg in die Moderne unheilvoll gehemmt. Patrick Wagner revidiert dieses Bild, indem er die Geschichte lokaler Machteliten in Schlesien, Ost- und Westpreußen zwischen 1830 und…mehr

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Produktbeschreibung
Eine Revision gängiger Klischees über die Machtbeziehungen im ländlichen Raum Ostelbien.Das vorherrschende Bild vom ländlichen Ostelbien um 1900 ist schlicht: Hier sei es den adligen Großgrundbesitzern - den Junkern - gelungen, eine vormoderne, auf traditioneller Fügsamkeit der Landbevölkerung gegründete Herrschaft aufrechtzuerhalten. Und auf dieser ebenso anachronistischen wie soliden Basis hätten die Junker Deutschlands Weg in die Moderne unheilvoll gehemmt. Patrick Wagner revidiert dieses Bild, indem er die Geschichte lokaler Machteliten in Schlesien, Ost- und Westpreußen zwischen 1830 und 1910 rekonstruiert. Es zeigt sich, daß die Strukturen und Praktiken von Herrschaft, die Zusammensetzung der örtlichen Eliten und die Formen ihrer Kommunikation mit der Zentralmacht während des 19. Jahrhunderts einen Transformationsprozeß durchliefen. Zu Beginn des Kaiserreichs war die Bereitschaft der Bauern, sich den Führungsansprüchen der Junker zu fügen, längst geschwunden. Doch weder dieBauernschaft noch das Bürgertum der Landstädte konnten sich als entscheidender Machtfaktor etablieren. Vielmehr eroberte ab 1870 die Bürokratie ein deutliches Übergewicht gegenüber den lokalen Eliten. Eine Schlüsselrolle kam dabei den meist ortsfremden Landräten zu: Sie vermittelten die Kommunikation zwischen lokaler Gesellschaft und Staat und führten das ländliche Ostelbien auf einen spezifischen Weg in die Moderne.
Autorenporträt
Patrick Wagner, 1961 in Trier geboren, arbeitete nach dem Studium in einer Hamburger Geschichtswerkstatt und promovierte 1995 an der Universität Hamburg mit einer Untersuchung zur Geschichte der Kriminalpolizei in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Seit 1998 lehrt und forscht er am Historischen Seminar der Universität Freiburg, wo er 2003 habilitiert wurde. Er hat diverse Veröffentlichungen vor allem zur Polizeigeschichte, zur Geschichte des Verfassungsschutzes, zur Integration polnischer »Displaced Persons« in der Bundesrepublik sowie zur Geschichte des ostelbischen Preußen vorgelegt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2006

Aufruhr im Junkerland
Die oft aus dem Gutsbesitzermilieu stammenden Landräte bestimmten Ostelbiens Weg in die Moderne

Der spanische Romanautor Rafael Chirbes kommentierte den Prozeß des Schreibens einmal mit den Worten: "Ein mitfühlender Erzähler hat immer etwas von einer Hure. Mit jedem, auf den er sich einläßt, muß er intim werden." Patrick Wagner hat sich auf die Junker eingelassen und dabei versucht, seine Unschuld zu bewahren. Dies ist insofern eine beachtenswerte Leistung, da es sich um stark vermintes Terrain handelt. Spätestens seit Max Weber und Hugo Preuß wissen wir, daß die Junker ein deutsches Unglück sind. Im 19. Jahrhundert trugen sie unter anderem dazu bei, daß es - anders als zum Beispiel in Großbritannien - zu keiner composite élite aus Großbürgertum und Adel kam. Zeitgenossen, und zwar bürgerliche Liberale wie Marxisten, waren sich ausnahmsweise einig, wenn sie die Junker als Verhinderer von Fortschritt und Demokratie angriffen. "Simplicissimus" und "Kladderadatsch" karikierten unermüdlich den bulligen Junker und seinen Cousin, den schneidigen Offizier, die sich in ständiger Geldnot befanden. Junker galten als stark bildungsferne Gruppe, wahre Kunstbanausen, die fernab bürgerlicher Hochkultur Tizian für ein Pferd und das Wort Immatrikulation für einen jüdischen Feiertag hielten.

Auch im 20. Jahrhundert änderte sich kaum etwas an diesem Verdikt. Bis vor wenigen Jahren fand der Adel geringe Beachtung in der deutschen Geschichtswissenschaft und galt als absteigende Sozialformation, die anders als das Bürgertum kaum einen entscheidenden sozialgeschichtlichen Schlüssel zu den Wendepunkten der neueren deutschen Geschichte darstellte. Nur bei der Rolle der Junker wurde regelmäßig eine Ausnahme gemacht: Keine andere Machtelite - so Heinrich August Winkler - habe "so früh, so aktiv und so erfolgreich an der Zerstörung der Weimarer Demokratie gearbeitet wie das ostelbische Junkertum".

Der deutsche Sonderweg galt demnach immer auch als Junkerweg. Es war folglich konsequent, daß Hagen Schulze und Heinz Reif eines der beliebtesten deutsche Haßobjekte im ersten Band der "Deutschen Erinnerungsorte" behandelten. Hier wurden auch die revisionistischen Arbeiten über die Junker in den Blickwinkel genommen, sowohl die neoborussische Geschichtsschreibung wie auch die adeligen Entsagungsmemoiren nach 1945. Eine junkerliche Autobiographiewelle hatte es schon in den zwanziger Jahren gegeben, und Werke dieser Art bildeten die Vorlage von Romanen wie Günther de Bruyns glorifizierender "Finckensteinsaga". Sie mag gute Literatur auf den Spuren Fontanes sein, gute Geschichtsschreibung war sie nicht.

Ein Schwelgen in langen Sommerabenden in Pommerland brachte Historiker kaum weiter. Für ein korrektes Junkerbild verlangte es in erster Linie nach einer größeren empirischen Basis. Und Patrick Wagner, der fern von den alten ideologischen Kämpfen steht, bietet jetzt einen wichtigen Beitrag. Seine Herangehensweise ist erfrischend nüchtern, sein Ziel klar definiert. Er möchte nicht die Rolle der Junker in den Parlamenten, im Militär und am Hof untersuchen, wo ihre Macht fest institutionalisiert blieb. Diese Aspekte haben in jüngster Zeit Stephan Malinowski und Eckart Conze beleuchtet. Wagner will vielmehr wissen, inwieweit die Gruppe der Junker im 19. Jahrhundert tatsächlich noch lokale Macht besaß.

Er entschlüsselt die komplexe Herrschaftspartizipation und Interaktion des Dreiecks Bauern - Junker - Beamte in Schlesien, Ost- und Westpreußen von 1830 bis 1910. Hierbei geht er in mehreren Stufen vor: Von der Zeit vor der Kreisordnungsreform von 1872 über ihre Umsetzung 1873/74 bis schließlich zur Neujustierung ländlicher Machtbeziehungen um 1900. Wagner nimmt von Anfang an das Faktum ernst, daß 1910 die Bauern in Ostelbien zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche besaßen und der Rest den Gutsherren gehörte. Im Junkerland befand sich also schon rein faktisch sehr viel mehr Besitz in "Bauernhand" als landläufig angenommen. Gehörten um 1800 noch 90 Prozent der Rittergütter Adeligen, so waren 1885 nur noch 48 Prozent in ihrem Besitz. Nur ein Sechstel der Landbevölkerung arbeitete auf diesen Gütern, die Mehrzahl lebte in Landgemeinden und erfuhr den Schulzen als ihre Obrigkeit. Wie Wagner eindrucksvoll zeigt, bröckelte auf dem Land die Fassade der Ständeordnung aufgrund der verschobenen Machtverhältnisse im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker, lokale Besitz- und Machteliten, Bürokratie und ländliche Unterschichten opponierten und arrangierten sich in einem langen Transformationsprozeß. Schon Monika Wienfort konnte anhand der gutsherrlichen Patrimonialgerichtsbarkeit nachweisen, daß diese Institution lange vor 1848 erodierte. Der Gewinner dieser vielfältigen Prozesse war die Bürokratie. Die durchaus konfliktreiche Durchstaatlichung Ostelbiens wurde mittels einer Reform des Landratsamtes beschleunigt.

Landräte sind die Scharnierstelle in Wagners Studie. Man könnte ihm vorwerfen, daß seine Quellen vorwiegend amtlicher Provenienz sind und dadurch die Gefahr eines Tunnelblicks aus der Amtsstube entstanden ist. Doch seine Argumentation, daß die Landräte zu den wichtigsten "Brokern" vor Ort wurden, ist durchaus überzeugend. Obwohl sie vorzugsweise aus dem Gutsbesitzermilieu stammten, waren diese Landräte bereits professionell ausgebildet und sahen ihre Loyalitäten eindeutig auf der Seite der Bürokratie. Als kreisfremde Beamte unterstützten sie zwar die konservativen Teile der ländlichen Gesellschaft, brachten jedoch auf diesem Wege die Junker in eine sukzessive Abhängigkeitsposition. Es waren die Karriere-Landräte, die Ostelbiens mühsamen Weg in die Moderne bestimmten. Der Einfluß der Junker scheint sehr viel schwächer gewesen zu sein als bisher angenommen - ein Befund, der nicht in die große Meisterzählung des Sonderwegs paßt.

Daß die chronischen Niedergangsängste der Junker alles andere als unbegründet waren, hatte schon Ludwig Uhland erkannt: "Der Greis, in der zerstörten Hall' / Er sucht des Herrn verbrannt Gebein / Er sucht im grausen Trümmerfall / Die Scherben des Glücks von Edenhall."

KARINA URBACH

Patrick Wagner: Bauern, Junker und Beamte. Lokale Herrschaft und Partizipation im Ostelbien des 19. Jahrhunderts. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 623 S., 54,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.01.2006

In der Brandung der Modernisierung
Erosion, Reform und Transformation: Wie Ostelbien in die Hände der Bürokraten gelangte
Ostelbien war niemals nur ein Landschaftsbegriff, sondern auch eine Chiffre für wirtschaftliche Rückständigkeit und politische Reformunfähigkeit eines agrarischen Entwicklungslandes, die bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein die Entwicklung Preußens und Deutschlands schwer belasteten. Kritische Zeitgenossen ebenso wie spätere Sozialhistoriker schrieben die Verantwortung für die ostelbische Modernisierungs- und Demokratisierungsresistenz den „feudalen Überhängen” zu, Restbeständen der alten ständischen Herrschaftsordnung, die vom gutsbesitzenden Adel Ostelbiens, den Junkern, zäh verteidigt und erst 1945 vollständig gebrochen wurden.
An dieser Sicht auf die lokalen Herrschaftsstrukturen in Ostelbien sind schon seit einiger Zeit Korrekturen vorgenommen worden. Patrick Wagner hat mit seiner Freiburger Habilitationsschrift nun eine umfangreiche Studie vorgelegt, mit der die Analyse der Herrschaftsbeziehungen auf dem Lande östlich der Elbe vom Kopf auf die Füße gestellt wird: Auf breiter empirischer Grundlage untersucht er die soziale Praxis der Herrschaftsbeziehungen zwischen den staatlichen Zentralinstanzen, den ländlichen Eliten und der bäuerlichen Landbevölkerung als kommunikativen, wenngleich von Ungleichheiten geprägten Aushandelungsprozess. Durch die regionale Differenzierung, untersucht werden die Provinzen Ost- und Westpreußen sowie der Regierungsbezirk Breslau, gewinnt er eine Vergleichsperspektive, die dem uneinheitlichen politischen und sozialen Charakter des ostelbischen Raumes Rechnung trägt. Der weit gefasste Untersuchungszeitraum, mit der liberalen Kreisordnung von 1872 als Angelpunkt, ermöglicht es, die ostelbische Gesellschaft nicht nur als wandlungsunfähigen Monolithen in der Brandung des Modernisierungsprozesses wahrzunehmen, sondern als eine soziale und politische Landschaft, die einen spezifischen Weg in die Moderne fand.
Es geht in dieser Studie um Formen historischen Wandels, um „Erosion”, „Reform” und „Transformation”. Wagner schildert zunächst den langfristigen Erosionsprozess der ständisch legitimierten Herrschaft auf dem Lande und die gleichzeitige Zunahme staatlich-bürokratischer Präsenz. Dabei wurde der traditionelle „Gutsbesitzerlandrat”, der seine Geschäfte nicht auf der Grundlage von Aktenstudium, sondern seiner persönlichen Kenntnis der Verhältnisse auf dem Lande führte, durch den „Karrierelandrat” ersetzt. Er sollte aus dem Gutsbesitzermilieu stammen, zugleich aber den Zielen der staatlichen Bürokratie verpflichtet sein.
Der umkämpfte Weg zur Reform der Kreisordnung von 1872 und die daraus resultierende Neuordnung der ländlichen Herrschafts- und Partizipationsordnung, die von nun an der ständischen Rechtsgrundlage entbehrte, sind Gegenstand des zweiten Teiles.
Im dritten Teil schließlich behandelt Wagner Prozesse der Aushandelung und Verfestigung der Herrschaftsstrukturen nach 1872 im Spannungsverhältnis von lokalen Machteliten und Bürokratie einerseits und von Gutsbezirken und Landgemeinden andererseits. Zentrale Bedeutung kam dabei den Landräten zu, die als „Broker” zwischen den lokalen Machteliten und den staatlichen Zentralinstanzen vermittelten. Das Auswahlverfahren der Landräte richtete sich nunmehr nach den Kriterien Qualifikation, Leistung, Durchsetzungsfähigkeit und nicht zuletzt politische Zuverlässigkeit.
Unter Kameraden
Ob dabei die Gewinn- und Verlustbilanz des modernen Anstaltstaates einerseits und der adligen Großgrundbesitzer andererseits so eindeutig ausfällt, ist zu diskutieren. Ständisch legitimiert waren die Herrschaftsansprüche des Gutsbesitzeradels östlich der Elbe am Ende des 19. Jahrhunderts sicherlich nicht mehr, und die Zeiten, in denen Güter und Ämter als kleine Königreiche mit dem Knotenstock regiert wurden, waren weitgehend vorbei. Doch sollte man vorsichtig sein, von einer umfassenden „Durchstaatlichung” Ostelbiens, von einer vollständigen Durchsetzung bürokratischer Herrschaft zu sprechen. Der Aufstieg der konservativen Bürokratie gelang nur, weil staatliche Interessen sich mit den zumeist ökonomischen Interessen der Großgrundbesitzer überschnitten.
Darüber hinaus lohnt es, die Vielzahl der Einfluß- und Manipulationsmöglichkeiten jenseits der politischen Institutionen genauer in den Blick zu nehmen. Großgrundbesitz und Repräsentanten des Staates auf dem Lande blieben über gemeinsame Heirats- und Geselligkeitskreise, Studien- und Regimentskameraderien eng miteinander verwoben, es einte sie gemeinsamer Habitus, gemeinsame Werthaltungen und eine zunehmend staatsnahe konservative Grundeinstellung, sodass man um 1900 durchaus von der Herausbildung einer adlig-bürgerlichen Machtelite auf dem Lande mit staatlicher Förderung sprechen könnte.
Die Junker hatten dabei zweifelsfrei ihr Monopol auf lokale Herrschaft abgeben müssen, doch fanden sie Wege und Methoden weiterhin, auch über 1918 hinaus, ihren Einfluss auf lokaler wie auf zentralstaatlicher Ebene geltend zu machen, in bare Münze umzusetzen und nicht zuletzt in politische Entscheidungsprozesse einzuspeisen. MARCUS FUNCK
PATRICK WAGNER: Bauern, Junker und Beamte. Lokale Herrschaft und Partizipation im Ostelbien des 19. Jahrhunderts. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 623 Seiten, 54 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Marcus Funck ist ganz angetan davon, wie Patrick Wagner in seiner Habilitationsschrift über Ostelbien darstellt, wie "Bauern, Junker und Beamte" im Laufe einer verordneten Bürokratisierung, mit der der Staat den Einfluss der alten landaristokratischen Herrschaftsordnung beschneiden wollte, zu einer "adlig-bürgerlichen Machtelite" verschmolzen. Es gelinge dem Autor aufzuzeigen, dass Ostelbien weniger ein "wandlungsunfähiger Monolith in der Brandung des Modernisierungsprozesses" war, sondern vielmehr seinen eigenen, "spezifischen Weg" in die Moderne fand. Die Bürokratisierung, die Verstaatlichung gelangen nur dort, wo die Interessen der alten Großgrundbesitzer ähnlich gelagert waren. Am Ende kristallisierte sich - gestützt von ostelbischen "Geselligkeitskreisen" und "Studien- und Regimentskameraderien" - in den tonangebenden Schichten ein "gemeinsamer Habitus" heraus, eine fest "konservative Grundeinstellung". So gelang es den Junkern schließlich auch über die Strukturreformen hinaus, ihre Interessen zu sichern und ihren Einfluss zu bewahren.

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