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Als Friedrich Gottlieb Klopstock vor 200 Jahren starb, sollen nahezu 50 000 Menschen seinen Sarg begleitet haben. Heute gilt mehr denn je, was schon Schiller feststellte: dass der Dichter zwar viel gelobt, aber wenig gelesen wird. Eine echte Entdeckungsreise ist also dieses Stimmenkonzert zeitgenössischer Dichter, die eindringlich vom Einfluss Klopstocks auf ihr Werk berichten. Hörend kann man so nicht nur Klopstock entdecken, sondern unter vielem anderen auch eine überraschende Seite der DDR-Lyrik. Denn vor allem für sie war, wie Volker Braun es formuliert, Klopstock der "Wurzelgrund".

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Produktbeschreibung
Als Friedrich Gottlieb Klopstock vor 200 Jahren starb, sollen nahezu 50 000 Menschen seinen Sarg begleitet haben. Heute gilt mehr denn je, was schon Schiller feststellte: dass der Dichter zwar viel gelobt, aber wenig gelesen wird. Eine echte Entdeckungsreise ist also dieses Stimmenkonzert zeitgenössischer Dichter, die eindringlich vom Einfluss Klopstocks auf ihr Werk berichten. Hörend kann man so nicht nur Klopstock entdecken, sondern unter vielem anderen auch eine überraschende Seite der DDR-Lyrik. Denn vor allem für sie war, wie Volker Braun es formuliert, Klopstock der "Wurzelgrund".
Autorenporträt
Mit Michael Augustin, Johannes Bobrowski, Volker Braun, Inge Buck, Heinz Czechowski, Robert Gernhardt, Rolf Haufs, Kerstin Hensel, Eberhard Hilscher, Günter Kunert, Karl Mickel, Dirk von Petersdorff und Peter Rühmkorf
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003

Fuffzig Prozent Remmidemmi
Der poetische Zuchtmeister mit revolutionärem Elan: Unser Klopstock
Volker Braun nannte Klopstock einmal den „Urahn des Agitprop”. Vielleicht ist darin ein Funken Wahrheit enthalten. Der Messias-Dichter jedenfalls hat von allen Dichtern des achtzehnten Jahrhunderts am meisten gewagt, sprachlich wie gedanklich, und dies gilt eben nicht zuletzt auch für seine politische Haltung. Klopstocks Umgang mit den Herrschenden, den Königen und Fürsten, war geprägt von einem enormen Selbstbewusstsein. Das positive Verhältnis zur Französischen Revolution gehört ebenfalls zu seinem Eigensinn. Diese Haltung Klopstocks folgt aus dem Stolz auf seine literarische Leistung und auf seine Sprachmächtigkeit.
Die Doppelung aus politischer und poetischer Souveränität jedenfalls machte Klopstock im zwanzigsten Jahrhundert wieder attraktiv. Es ließe sich eine ganze Geschichte der Nachkriegsliteratur in Ost und West am Leitfaden der Klopstock-Rezeption schreiben. Lesen kann man diese Literaturgeschichte noch nicht, aber auf der von Harro Zimmermann zusammengestellten CD „Unser Klopstock” ist sie nun in Ausschnitten zu hören: Namhafte Autoren erläutern ihre Beziehung zu Klopstock und rezitieren ihre Klopstockschen Lieblingsgedichte oder eigene Gedichte, zu denen sie Klopstock angeregt hat. Das Booklet gibt leider keine Auskunft über die Quellen, verzeichnet nicht einmal das Datum der jeweiligen Äußerungen.
„Unser Klopstock” macht zwei getrennte Linien auf, einmal im Osten Deutschlands und einmal im Westen. Man könnte zwar sagen, dass sich über Klopstock die Literaturgeschichten Deutschlands in wechselseitiger Anregung verschränken. Und es wäre sicherlich eine Herausforderung, eine deutsch-deutsche Lyrikgeschichte des Klopstock-Enthusiasmus zu entwerfen. Dennoch scheint es zwei Klopstocke zu geben. Die Linien gehen aus von Johannes Bobrowski und von Peter Rühmkorf, von den üblichen Verdächtigen also.
Bobrowskis Nachfolger im Osten sehen in Klopstock vor allem den politischen Dichter, den „Citoyen”, wie es öfter heißt, den Kosmopoliten oder den Pazifisten. Im Zentrum steht dabei das Dreigestirn Volker Braun, Reiner Mickel und Heinz Czechowski, die Leipzig zum „Leipziger Hain” machten und einen „Klopstock-Club” gründeten. Klopstock galt aber auch und vor allem als ein sprachliches Widerstandsnest. Für Bobrowski gibt Klopstock den „poetischen Zuchtmeister”, für Braun den „unersetzlichen, gleichwohl zwiespältigen Ziehvater”. Während Mickel an Klopstock den revolutionären Elan preist, was durch seine stockende Diktion bei der Lesung fast schon widerlegt wird, lässt Czechowski sich vom Dichter der freien Rhythmen anregen, der das nötige Antidot gegen die kulturpolitisch verordneten liedhaften Gedichte lieferte. Wie anders hören sich dagegen die westdeutschen Klopstock-Verehrer an! Rühmkorf feiert in Klopstock zwar auch den Vertreter der Dichterfreiheit, aber was ihn literarisch hauptsächlich interessiert, ist der „Sprachsurfer”, der eine „strömende, tönende Sprache” erfunden habe, und seine „Zürchersee”-Parodie ist dann, wie Robert Gernhardts darauf folgende „Variation” zum selben Gedicht, vor allem eine virtuose „Frechheit”: „zur Hälfte Subtilität, / fuffzig Prozent Remmidemmi”. Wenn man dagegen Volkers Brauns Lesung seiner „Müggelsee”-Ode hört, in der er den Verlust der Freunde Wolf Biermann, Reiner Kunze, Bernd Jentzsch und Sarah Kirsch beklagt, dann wird einem klar, warum Czechowski in der DDR keinen Platz für Rühmkorfs Ironie findet.
Während Rühmkorf und Gernhardt sich also einen Scherz auf hohem poetischen Niveau erlauben, findet Dirk von Petersdorff bei Klopstock einige Gedichte, die er „mag und gern hört”; Michael Augustin sucht sich den Liebesdichter Klopstock; Rolf Haufs hat es das „ganz zerrissene Leben” des Messias-Dichters angetan. Am Ende, bei Inge Buck, teilt sich Klopstock dann mit Lessing ein Zimmer auf St. Pauli.
Freilich gibt es diese Vorliebe für Klopstocks „Innigkeit” auch im Osten. Aber Günter Kunert erinnert sich nicht an durchgemachte Nächte mit den Jugendfreunden oder an Liebeskummer, sondern liest an dem Befremden, mit dem seine Gegenwart Klopstocks Gefühlssprache begegnet, die „emotionalen Verluste” seiner Zeit ab. Der Unterschied zwischen Ost und West im Umgang mit Klopstock liegt wohl schlicht darin, dass Klopstock in der DDR ein Leben verändern konnte. Eberhard Hilscher berichtet, wie er von Ulbricht eingeladen wurde, vor „500 künftigen Partei-Arbeitern” eine Rede zu halten, wie ihm das Lob des „Messias”-Dichters etwas zu ausführlich geriet, wie ihm die Beteiligung an der „Abenduniversität für Marxismus-Leninismus” nahe gelegt wurde und wie er sich daraufhin für die Laufbahn des freien Schriftstellers entschied.
Das „lyrische Stimmenkonzert” führt die erstaunliche Vitalität Klopstocks vor Augen. Der in den Statements viel zitierte Satz Walter Benjamins aus dem Jahr 1921, dass Klopstocks Gedichte so klingen, als seien sie die heute „gesuchten” – fast möchte man ihm glauben. Der Begegnung mit Klopstocks Sprachextremismus ist die Begeisterung und Unbefangenheit zu wünschen, mit der Kerstin Hensel auf Klopstock reagiert hat, als Karl Mickel sie zunächst auf den „Messias”-, dann auf den Oden-Dichter aufmerksam machte. Nach erster Irritation – „Mann, was ist das denn!” – verbringt sie einen Abend mit der „Messias”-Lesung, der „so viel Spaß gemacht hat”, wo sie und Mickel so „viel dabei gelacht” haben, dass sich für sie ein „Fenster zu einer ganz fernen, verrückten, großartigen Sprache aufgetan” habe. Das ist Klopstock: fern, verrückt und großartig.
STEFFEN MARTUS
UNSER KLOPSTOCK. Ein lyrisches Stimmenkonzert. Hrsg. von Harro Zimmermann. Wallstein Verlag, 2003. 1 CD, 77 Minuten, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eins steht für den Rezensenten Steffen Martus fest, Klopstock hat "von allen Dichtern des achtzehnten Jahrhunderts am meisten gewagt, sprachlich wie gedanklich", und nicht zuletzt "politisch". Gerade diese "Doppelung aus poetischer und politischer Souveränität" habe im 20. Jahrhundert wieder breiteres Interesse an Klopstock geweckt. Im von Harro Zimmermann zusammengestellten Hörbuch "Unser Klopstock" erläutern "namhafte Autoren" ihre Beziehung zu Klopstock und lesen Klopstocks eigene oder von Klopstock inspirierte Gedichte. Beim Hören hat der Rezensent zwei grundlegend unterschiedliche Rezeptionslinien erkannt, die eine im Osten, die andere im Westen. Während der Osten, ausgehend von Johannes Bobrowski, vornehmlich den politischen Klopstock, den Dichter als "Citoyen" schätzte, erfreute sich der Westen, Peter Rühmkorf nachfolgend, an der "virtuosen Frechheit" seiner Sprache. Ganz so eindeutig seien die Grenzen zwar nicht verlaufen, doch Martus hält als Fazit fest: "Der Unterschied zwischen Ost und West im Umgang mit Klopstock liegt wohl schlicht darin, dass Klopstock in der DDR ein Leben verändern konnte." Zwar findet der Rezensent die Herausgeberarbeit ein wenig schlampig - es fehlen die Quellenangaben und sogar die Daten der Gespräche -, doch letztlich überwiegt die Freude: "Das ist Klopstock: fern, verrückt und großartig."

© Perlentaucher Medien GmbH
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