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Das eigenartigste und amüsanteste Dokument des deutschen Exils: Zuckmayers »Geheimreport« mit Charakterporträts bedeutender Künstler, die während der NS-Zeit in Deutschland geblieben waren.Der 1939 in die USA emigrierte Dramatiker Carl Zuckmayer verfasste 1943 /44 für den amerikanischen Geheimdienst »Office of Strategic Services« einen Report mit etwa 150 Charakterporträts von Schriftstellern, Publizisten, Verlegern, Schauspielern, Regisseuren und Musikern, die im »Dritten Reich« zum Teil herausragende Positionen bekleidet haben.Hans Albers, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann und Theo Lingen…mehr

Produktbeschreibung
Das eigenartigste und amüsanteste Dokument des deutschen Exils: Zuckmayers »Geheimreport« mit Charakterporträts bedeutender Künstler, die während der NS-Zeit in Deutschland geblieben waren.Der 1939 in die USA emigrierte Dramatiker Carl Zuckmayer verfasste 1943 /44 für den amerikanischen Geheimdienst »Office of Strategic Services« einen Report mit etwa 150 Charakterporträts von Schriftstellern, Publizisten, Verlegern, Schauspielern, Regisseuren und Musikern, die im »Dritten Reich« zum Teil herausragende Positionen bekleidet haben.Hans Albers, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann und Theo Lingen gehören ebenso zu den Beschriebenen und Beurteilten wie Gottfried Benn, Ernst Jünger, Wilhelm Furtwängler und Peter Suhrkamp.Neben den Reportagen enthält der Band einen ausführlichen Kommentar, in dem die Herausgeber die biographischen Einzelheiten zu den Personen ergänzen, an einigen Stellen auch Fakten richtigstellen und die Bekanntschaft der porträtierten Personen mit Zuckmayer nachzeichnen. Ein ausführliches Nachwort, das über die Entstehungszusammenhänge informiert und ein Personenregister machen diese Edition zu einer Art »Who`s Who« der im Deutschen Reich gebliebenen Künstler.
Autorenporträt
Carl Zuckmayer (1896-1977) war einer der erfolgreichsten Autoren der Literatur-, Theater- und Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung zog er sich ins Exil in Henndorf am Wallersee zurück, wo sein Haus zu einem wichtigen Ort der Künstlerbegegnung wurde. 1939 emigrierte er in die USA. 1928 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2002

Ich liebe die alte Sau
Mit Röntgenblick: Carl Zuckmayers „Geheimreport” über Künstler und Schriftsteller des Nazi-Reiches
Selten hat Geheimdienstarbeit mehr Vergnügen gemacht. „Ihre dramatischen Skizzen haben die größte Begeisterung erregt”, schrieb Emmy Rado, Leiterin des New Yorker Regierungsbüros für Biographische Nachrichten beim amerikanischen OSS (Office of Strategic Services) am 24. Februar 1944 an Carl Zuckmayer. „Wenn ich schreiben könnte, würde ich versuchen, Ihnen zu erklären, wie gut das Material ist.” Seit einem Vierteljahr saß der deutsche Emigrant an einem Dossier über annähernd 150 im Dritten Reich verbliebene Kulturträger – Schriftsteller, Verleger, Theaterleute, Filmschauspieler, Musiker – , das der amerikanischen Regierung nach der Besetzung Deutschlands dazu dienen sollte, zwischen Belasteten und Unbelasteten, Verlässlichen und Opportunisten, Fanatikern und Indifferenten zu unterscheiden.
Dieses Dossier erwies sich nach der deutschen Kapitulation schon wegen der umfassenden, mit enormem bürokratischen Aufwand vorangetriebenen Entnazifizierungkampagne als überflüssig; doch die Freude über Zuckmayers Gutachten überwog ohnehin von Anfang an jeden denkbaren praktischen Nutzen. „Lieber Herr Zuckmayer”, hatte Rado bereits am 2. Februar in wackligem Deutsch verlauten lassen, „vielen, vielen Dank für die ,Guten‘. Ich habe mich sehr damit gefreut. Wenn Sie zu den ,Schlechten‘ kommen, tun Sie bitte Gerüchte, Geschichten, ,dirt‘ etc. herein. Vielleicht kann so etwas noch gebraucht werden im Psychological Warfare. Halten Sie nicht zurück.”
Umfaller und Anschmeißer
Erst jetzt ist Zuckmayers so genannter „Geheimreport” einer auch in ihren Zwerchfellen respektlos erschütterten Nachwelt zugänglich geworden, durch eine philologisch so reichhaltige und umsichtig benachwortete Ausgabe, dass aller Voyeurismus sich alsbald zum historischen Interesse läutern und einer bewundernden Nachdenklichkeit Platz machen kann. Dieser alte Text spielt alle Debütanten der Saison mühelos an die Wand; es gibt in ihm Seiten von einer psychologischen Meisterschaft, dass man sich fragt, ob der Verfasser mit einem speziellen Röntgenblick begabt war; wobei sich die Bewunderung noch steigert, wenn man feststellt, dass dieser Röntgenblick in einigen Fällen sogar in die Zukunft vorzudringen vermochte und die Nachkriegskarrieren der behandelten Patienten mit bemerkenswerter Sicherheit voraussah.
Nur 180 Druckseiten umfasst der eigentliche Text, die meisten der anderthalb hundert Porträts sind also denkbar knapp gehalten, zumal die ausführlich behandelten, großen und verwickelten Fälle – Emil Jannings, Friedrich Sieburg, Gustaf Gründgens und Wilhelm Furtwängler – durchweg mehrere Seiten in Anspruch nehmen, sodass für viele der Übrigen nur ein paar Zeilen übrig bleiben. Zuckmayer schrieb weitgehend aus eigener Kenntnis, und er weist darauf hin, dass diese verlässlich nur bis 1939 reiche. Das erklärt die Schwerpunkte, die in Berlin und Wien sowie im Theater- und Filmmilieu liegen, während Erzähler, Lyriker und Presseleute einen eher untergeordneten Rang einnehmen.
Die Stellungnahmen zu ferner stehenden Größen – Gottfried Benn und die Jüngers beispielsweise – fallen kälter, gutachterlicher aus als die farbigen, anekdotengesättigten Charakterstudien jener Theaterleute und Dramatiker, die Zuckmayer aus jahrelanger Nahsicht kannte. Wenn man die selbst gezogenen Grenzen der Auswahl berücksichtigt – keine Professoren, keine Maler, Bildhauer (außer dem einen Barlach) und Architekten –, dann fällt nur eine prominente Lücke auf: der Komponist Richard Strauss.
Zuckmayer ordnet sein Material nach Guten, Schlechten, Indifferenten und den komplizierten Sonderfällen. Die Guten sind die, welche sachgemäß weiterarbeiten, bestenfalls äußerliche Kompromisse eingehen und vor allem mit Bedrohten und Emigranten in Verbindung bleiben, also persönlichen Mut beweisen. Die Schlechten sind in den wenigsten Fällen Überzeugungstäter, sondern Umfaller und „Anschmeißer”, Verräter, Denunzianten, Gewinnler. Die Indifferenten – auch Undurchsichtige, Verschwommene genannt – setzen sich fast durchweg aus Gestalten des konservativ-nationalen Milieus, vornehmen Drückebergern, feigen Taktierern zusammen.
Dieses Schema ist so äußerlich und dehnbar, dass es Zuckmayer an keiner Stelle bei seiner Kunst der infinitesimalen Schattierung behindert. Natürlich sind die ganz Guten, der Verleger Henry Goverts („Seine Diskretion ist bis zur Abenteuerlichkeit gesteigert”) oder der bedachte Peter Suhrkamp vergleichsweise wenig interessant; wobei im Falle Suhrkamp sich Zuckmayers Prognostik bewährt: „Ich halte Suhrkamp für einen der berufenen Helfer und Mitarbeiter in allen kulturellen Übergangs-Stadien und für die Neugestaltung Deutschlands nach dem Krieg.” Doch wird einem schon bei den etwas blassen Guten ganz warm ums Herz, wenn man, wie bei der Schauspielerin Käthe Dorsch, eine mit Verehrung gemischte Galanterie beobachtet. Wenn sie Verfolgten helfen wollte, wandte sie sich direkt an Göring: „Ich laufe zu Hermann und kriege einen Weinkrampf.” „Käthe’s Bedeutung und Laufbahn als Schauspielerin ist bekannt, über ihr mutmaßliches Alter möchte ich mich der Äußerung enthalten.”
Zuckmayer beweist in seinen Einschätzungen Eigenschaften, die bei diesem der Denunziation benachbarten Genre eigentlich ausgeschlossen erscheinen: Gerechtigkeit und Gutartigkeit. Selbst bei Schuften wie dem einst linksradikalen, 1933 ganz schnell „national” gewordenen Komiker Hans Reimann erscheinen am Untergrund der Fratze die Züge des dreckigen armen Schweins, so verächtlich wie bemitleidenswert. Bevor Zuckmayer verurteilt, wundert er sich lieber, etwa über Agnes Miegel oder Ina Seidel: „Inwieweit solche mysteriösen Verblödungszustände bei an sich begabten und nicht ungescheiten Frauen von mangelnder Drüsentätigkeit stammen – soll hier nicht untersucht werden.” Nur in wenigen Fällen geht das Urteil daneben, übrigens meist zu Gunsten der Delinquenten: Opportunisten wie Veit Harlan oder Hans Carossa hält Zuckmayer für anständiger als ihr Verhalten wirklich war.
Die Umsicht und Gerechtigkeit Zuckmayers ist gewürzt mit einem Humor, der auch Heikles ohne Ranküne auszusprechen erlaubt; erotische Vorlieben sind ein wichtiges Thema, weil sie Anfälligkeiten und Erpressbarkeiten verstehen lassen. Voller Bewunderung schildert Zuckmayer wie Gründgens, der den Frauen nicht zugetan war, und dem deshalb immer wieder der Kopf „lose auf den Schultern saß”, den Hamlet spielte. „Kam die Hamletpremiere mit der berühmten Stelle: Ich habe keine Lust am Weibe – die ein anderer in seiner Situation vermutlich gestrichen oder vorsichtig rasch überspielt hätte. Gründgens machte es genau umgekehrt. Fast an der Rampe in der Bühnenmitte, Gesicht zum Publikum, von doppeltem Scheinwerfer beleuchtet, nach einer jener vergrübelten Pausen, die er in die Rolle legte, – sagte er den Satz plötzlich ganz scharf mit einer Art von pointierter Verachtung ins Auditorium hinein: ,Ich habe keine Lust am Weibe‘ – machte dann wieder eine Pause, in der jeden Abend ganz Berlin den Atem anhielt, – und fügte dann ganz rasch und beiläufig, ohne Einschnitt das folgende sprechend, hinzu: – und auch nicht am Mann.” „Er geht mit unsichtbaren Schlittschuhen an den Füßen am liebsten auf blankem Eis”, hatte Zuckmayer zuvor festgestellt, „– auf einem weniger glatten und ungefährlichen Boden würde er vermutlich straucheln und stolpern.”
Gründgens, Furtwängler, Jannings und Sieburg – das sind die Meisterstücke der Sammlung, Charakterbilder von einer fast shakespeareschen Fülle. Bei Jannings gesteht Zuckmayer gleich eingangs: „Ich liebe die alte Sau. ” Die zehnseitige Schilderung dieses gierigen, an Goldbarren riechenden, sentimental sadistischen („das Häslein beweinend, während er es verspeist”), mutig sich zu seiner Feigheit bekennenden Schauspielers gehört in jedes Lesebuch. Friedrich Sieburg, der sich selbst und die Nazis gleichermaßen verachtende Mitmacher, der noch hochalkoholisiert nach einem Pariser Staatsempfang ölige Leitartikelprosa zu Stande bringt – die der nicht genug zu rühmende Kommentar vollständig abdruckt –; der verhuschte, selbstsüchtige Furtwängler, der den Absprung nicht findet und bis zum Untergang weiter Götterdämmerung dirigiert: Das sind, so muss man wohl akzeptieren, ewige Typen.
Progressiv reaktionär
Der „Geheimreport” ist ein Triumph der Psychologie über die Gesellschaftstheorie. Zuckmayers Expertise konkurrierte mit den gleichzeitigen Analysen von Neumann und Marcuse; es finden sich sogar Spuren der allgemeinen Diagnosen der soziologischen Mitstreiter, so wenn Zuckmayer die ästhetizistische Unverantwortlichkeit der Künstlerrolle in Deutschland eingangs benennt oder den Nazistaat als „seelisch verworrenen und organisatorisch intakten Bienenstock oder Ameisenbau” beschreibt. Doch das eigentliche Wahrnehmungsinstrument ist die Seelenkunde, eine Moralistik von alteuropäischem Zuschnitt. Im Abstand von fünfzig Jahren beweist sie ihre Stichhaltigkeit in Voraussagen, die sich wörtlich erfüllten. Am Ende eines respektvollen Doppelporträts von Ernst Jünger und seinem Bruder Friedrich Georg schreibt Zuckmayer: „Solche Erscheinungen mögen in einem gegen die Nazis gewandten Nachkriegsdeutschland noch isolierter sein als jetzt, und werden vermutlich von der Mehrheit der Linkskreise als ‚reaktionär‘ abgetan und abgelehnt werden. In Wirklichkeit sind sie weniger reaktionär als viele der ‚Progessiven‘, die nichts dazu gelernt haben.”
Seiner psychologischen Methode getreu lehnt Zuckmayer es auch ab, die Deutschen insgesamt zu verurteilen oder überhaupt an „böse” Völker zu glauben. „Der Nazi ist international. Er ist überall. Man kennt ihn am Gesicht” – wenn man Zuckmayers Blick hat, möchte man hinzusetzen: Gesinnungen gelten ihm wenig. Kalt notiert er, dass die meisten Umfaller, Nachläufer und Renegaten „aus dem linksradikalen Lager, häufig direkt aus dem kommunistischen, seltener aus gemäßigten Linkskreisen und fast nie aus den bürgerlich-liberalen Gesinnungsschichten kommen”.
Der „Geheimreport” war trotz seiner unverkennbaren menschlichen Anständigkeit zu heikel, um unmittelbar nach dem Krieg publiziert zu werden. Auch wehrte sich Zuckmayers Frau noch nach seinem Tod gegen die Veröffentlichung. Ihr waren die Einsichten ihres Mannes nicht geheuer. „Woher weißt du das?”, fragte sie ihn. Die Frage muss offen bleiben.
GUSTAV SEIBT
CARL ZUCKMAYER: Geheimreport. Herausgegeben von Gunther Nickel und Johanna Schrön. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 527 Seiten, 32 Euro.
Heinz Hilpert und Carl Zuckmayer in Frankfurt, 1947. Foto: Hans Fallada / DLA
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2002

Woher wußte er das nur alles?
Besser hat er nie geschrieben: Carl Zuckmayers "Geheimreport"

"Tatsache ist, dass eine ganze Reihe der hier zu behandelnden Personen auf dem Standpunkt standen und vielleicht noch stehen, die ganze Schweinerei ginge sie im Grund nichts an." Das ist einer der ersten Sätze der "Charakterologie", die Carl Zuckmayer seinen jetzt (soweit erhalten) vollständig veröffentlichten Studien über die im Deutschland des Dritten Reichs gebliebenen Künstler und Intellektuellen vorangestellt hat. Mit diesem Satz ist der Leser gleich an einem sozusagen zeitlos aktuellen Punkt angelangt - und hat im folgenden die faszinierende Gelegenheit, das Ambiente der Schweinerei von einem Kenner ausgeleuchtet zu sehen.

Ein vor der Emigration und nach seiner Rückkehr berühmter Autor hat 1943 ein Dossier für den amerikanischen Geheimdienst ausgearbeitet: eine Serie von etwa hundertfünfzig Fallstudien wechselnder Dichte und Länge, oft brillant. Die Beispiele, die in dieser Zeitung vorabgedruckt wurden, haben nicht umsonst Aufsehen erregt. Wie kam es zu dieser Tätigkeit? Zuckmayer verließ Österreich nach dem Anschluß und ging über die Schweiz in die Vereinigten Staaten; er lebte von 1939 bis 1946 in Barnard, Vermont. Über sein Engagement bei verschiedenen Organisationsversuchen der deutschen Exilanten wurden die amerikanischen Behörden auf ihn aufmerksam. Es wurde ihm angetragen, wie er 1947 schrieb, "die künftige Besatzungsmacht in Form von möglichst objektiven Charakterstudien über führende Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens zu informieren".

Das Office of Strategic Services (OSS), 1942 gegründet und ganz im Banne des legendären "Wild Bill" William Joseph Donovan, arbeitete unter anderem Strategieszenarien aus, bei denen solche Informationen wichtig waren. In seiner "Central Information Division" (CID) wurde unter Leitung der Emigranten Hajo Holborn, Felix Gilbert und Emmy C. Rado Material über Persönlichkeiten des Dritten Reiches gesammelt. Dieser Agentur arbeitete Zuckmayer zu. Welche Haltung den Kollegen im Dritten Reich gegenüber drückt sich in seinen Berichten aus?

Nach der Uraufführung von Zuckmayers "Des Teufels General" schrieb E. G. Buttler in der "Europäischen Rundschau" eine Rezension mit dem Titel: "Ein Emigrant plädiert für die Daheimgebliebenen". Das könnte man auch als Motto über dieses Buch setzen, denn so schonungslos manche Abrechnungen bei gegebenem Anlaß ausfallen, so groß ist ein unverbrüchliches Wohlwollen "den Deutschen" gegenüber, die gewiß nicht grundsätzlich bedenklicher sind als andere Völker.

Die Einteilung erfolgt in vier Gruppen: "Positiv (Vom Nazi-Einfluß unberührt, widerstrebend, zuverlässig)", "Negativ (Nazis, Anschmeisser, Nutzniesser, Kreaturen)", drittens - hier deutet sich die Aporie jeder Klassifizierung dieser Art an - "Sonderfälle, teils positiv, teils negativ, nicht ohne weiteres einzuordnen" und viertens "Indifferente, Undurchsichtige, Verschwommene, Fragliche". Die vierte Gruppe ist wiederum aufgeteilt in "(Negativ)" und "(Positiv oder vermutlich positiv)". Die Liste endet mit dem Vermerk "Dez. 1943 abgeschlossen. Viele Änderungen in der Klassifizierung vorgenommen."

Zuckmayer schrieb diese Porträts mit erstaunlicher Verve; von einer Pflichtübung ist wenig zu erkennen. Manche Details sind der Spur nach wiedergegeben - Falladas "Wer einmal aus dem Blechnapf fraß" mutiert zu "Wer niemals aus dem Blechnapf frißt". So etwas ist gleichgültig. Die Stärke dieser Skizzen liegt in ihrem sicheren Umriß; man liest sie mit Vergnügen und Bewunderung: präzis kalkulierte wegwerfende Bemerkungen wie die über die "mysteriösen Verblödungszustände" bei Ina Seidel und Agnes Miegel, die Charakteristik des Pädagogen Martin Luserke mit seiner Erscheinung "zwischen einem dämonischen Professor Unrat und einem zweiten Steuermann der Handelsmarine", knappe und doch erschöpfende Vignetten wie "Waggerl - der ,falsche Hamsun' des salzburger Landes - eine Zeitlang Entdeckung und Leuchte des Inselverlags als bodenständiger Dichter - hatte immer einen falschen Erdgeruch an sich und warf sich der Blu-Bo willfährig in die Arme." Zuckmayer hatte ein gutes Ohr. Auch da, wo das Porträt zeitbedingt ein wenig schief hängt wie bei Benn, muß man sagen, daß Zuckmayers Gedichtzitat von 1933 trifft: "Der kategorische" (recte: soziologische) "Nenner / Der hinter Jahrtausenden schlief / Heisst: Ein paar große Männer - / Und die litten tief." Das ist unsäglich, und selten ist treffender und knapper ausgedrückt worden als mit diesem Zitat, wie es einem großen Dichter ergeht, der einer Diktatur zujubeln will.

Zuckmayer ist nach dem Krieg, als das Porträt von Werner Krauß in einer Zeitung abgedruckt wurde, dieser Berichte wegen als Denunziant getadelt worden, und neuerdings ist ihm das wieder geschehen. Das scheint vollkommen töricht. Erstaunlich ist vielmehr, wie klug, maßvoll, differenziert (wenn auch gelegentlich von der Lust an einer starken Anekdote hingerissen) er schreibt. Das ergibt nicht nur ein faszinierend detailliertes Panorama großer Teile des Künstlertums und der Intelligenz im Dritten Reich, sondern auch, literarisch, eine Serie von scharfumrissenen Porträts, nach deren Lektüre man sagen möchte: Besser hat der Mann nie geschrieben. Denunziation? Zuckmayer nimmt zum Teil die Dargestellten gegen eine in Emigrantenkreisen herrschende Meinung in Schutz - Peter Suhrkamp gegen Brigitte und Gottfried Bermann Fischer, Tilly Wedekind gegen den "Bannfluch der Familie Mann".

Besonders großzügig ist Zuckmayer den Schauspielern gegenüber ("Schauspieler sind ja überhaupt psychologische Zwischenstufen"); ihre déformation professionelle ist es, daß der Schauspielerberuf allgemein das Verantwortungsgefühl und die charakterliche Zuverlässigkeit untergräbt. Einem genialen Mann wie Gründgens wird entsprechend ein Ausnahmestatus zugebilligt, und dann heißt es: "Natürlich kamen hier wie überall die echten, die fanatischen, die bösartigen und unverbesserlichen Nazis aus den Reihen der Zweitrangigen, der Verbitterten, der Charlatane . . . Man hat ja mit Recht im Theaterjargon die ganze Nazibewegung als die ,Revolution der Statisten' bezeichnet." Hier, bei Bühne und Film, ist Zuckmayer besonders in seinem Element: Hilpert und Albers, Gründgens und Rühmann, Karl Valentin und Hubert von Meyerinck, Käthe Dorsch und Paula Wessely. Es gibt natürlich Abrechnungen (die "Reichsgletscherspalte" Leni Riefenstahl), aber viele Urteile sind geradezu hymnisch. Vielleicht hatte der tückisch-völkische Erwin Guido Kolbenheyer, der in seiner Autobiographie über Zuckmayer herfiel, doch in diesem einen Punkt mit haßerfüllter Hellsichtigkeit recht: Zuckmayer machte keinen Theatermann wirklich schlecht, mit dem er nach dem Krieg wieder zusammenarbeiten wollte, und so hielt er für höchst kompromittierte Figuren wie Emil Jannings ("Ich liebe die alte Sau") oder Werner Krauß (der dann in "Jud Süß" eine zentrale Rolle hatte) am Ende versöhnliche Urteile parat. Das Ausmaß, in dem diese Schauspieler kollaboriert haben, wird nicht geschönt, aber es wird über eine "So sind sie eben"-Psychologie des Schauspielers die Absolution erteilt. Die anekdotischen Porträts gerade von Jannings und Krauß, die so gegeben werden, sind großartig.

Zur Lust an der anekdotischen Pointierung gehört die Zuspitzung zum Paradoxon. Über Willy Forst und den einst mit dem Kommunismus und der Psychoanalyse liierten Regisseur G. W. Pabst: "Bei beiden ist genau das Gegenteil von dem eingetreten, was man hätte erwarten können: der etwas gigolohafte Forst hat sich in der Nazizeit als ein außergewöhnlich anständiger Charakter erwiesen - während die Rückkehr des ,Gesinnungs-Künstlers' Pabst nach dem größeren Deutschland in einen recht trüben Nebel gehüllt ist."

Hier wird ein Motiv angeschlagen, das ein geheimer basso ostinato dieser Aufzeichnungen ist: Es wird am offensten in einer Bemerkung formuliert, welche die Charakteristik von Ernst Jünger und seinem Bruder Friedrich Georg abschließt: "In Wirklichkeit sind sie weniger reaktionär als viele der ,Progressiven', die nichts dazu gelernt haben." In einer Weise, die der entschiedenen, ja, fanatischen Antikommunistin Emmy Rado willkommen war, wird tendenziell die Linke desavouiert: Das Konservative hält sich in der moralisch-politischen Krisis besser. Dies entspricht natürlich auch Zuckmayers eigener Nähe zum Nationalen, "Volkhaften" - er war, so konsequent seine Gegnerschaft dann sein sollte, 1933 von der "nationalen Erhebung" zunächst nicht abgestoßen. "Ich gehöre nicht zu den Leuten, die über die jüngste Entwicklung in Deutschland unglücklich sind."

Hier zeigt er sich - man lese die zwei sich spiegelnden großen Konfrontations-Anekdoten über Friedrich Sieburg und Hans Reimann - als glänzender Raconteur mit einem stupenden Wissen über die Literatur- und Theaterszene. Wo er einer guten Geschichte nicht widerstehen kann, rückt der Anmerkungsapparat das zurecht. Seine Frau wird im Anhang mit dem fassungslosen Aufschrei: "Woher weisst du das" zitiert: Trotzdem scheint alles in allem nur wenig in die Kategorie "ben trovato" zu gehören. Er wußte einfach, gleich woher, viel.

Der umfangreiche Erläuterungsapparat, der wenig Wünsche unerfüllt läßt, ist präzis und reichhaltig. Das Nachwort zeichnet die Entstehungsgeschichte detailliert nach, stellt sie vor den Hintergrund der end- und erfolglosen Versuche, die deutsche Emigration in den Vereinigten Staaten in einem einzigen Forum zu vereinigen, und macht klar, wie sehr ab einem bestimmten Zeitpunkt all jene Organisationsdebatten eine Reaktion der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Exils auf die Bildung des "Nationalkomitees Freies Deutschland" in der Sowjetunion waren. Emmy Rado scheint dafür gesorgt zu haben, daß Thomas Mann seine anfängliche Bereitschaft, den Vorsitz einer deutschen Exilvertretung anzunehmen, zurückzog - sie befürchtete seine Verwicklung in linke Strategien.

Es ist dies ein sehr wichtiges Buch; dessentwegen, was es erzählt und zu diagnostizieren versucht, und wegen dem, was es ungesagt läßt. Es scheint kaum aufzeigbare Folgen in der Kulturpolitik nach dem Krieg gehabt zu haben; um so eindringlicher schaut es uns heute an. Zuckmayers fundamental naive Auffassung vom "Charakter" eines Menschen (der fast invariant erscheint) scheint oft rätselhaft plausibel: Man ist anständig. Man ist es nicht. Die Hilflosigkeit solcher Diagnosen kann der Leser, der die Hilflosigkeit spürt, die einen noch aus großer Ferne angesichts der Barbarei ergreift, nicht verurteilen.

Dieser deutsche Mann, der seine Tochter "in etwas infantiler Laune" Winnetou genannt hat, erweist sich - auch für den Leser, der ihn für einen unbedeutenden Dichter hält - als hervorragender Beobachter. Wäre das Wort "Zeitzeuge" nicht inflationär verkommen und würde jedem von der Lokalpresse interviewten älteren Mitbürger nachgeworfen: Zuckmayer könnte man so nennen. Eingedenk dessen, daß Zeugenaussagen forensisch eingeschätzt werden wollen.

JOACHIM KALKA

Carl Zuckmayer: "Geheimreport". Herausgegeben von Gunther Nickel und Johanna Schrön. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 528 S., geb., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Ein einzigartiges historisches Dokument
Auf die Veröffentlichung dieses Buches war lange gewartet worden. Um den 1943/44 im Exil verfassten Geheimreport Carl Zuckmayers rankten sich bereits Legenden. Bekannt war: Zuckmayer hatte im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes ein Dossier erstellt, indem er 150 deutsche Kulturschaffende, die in Nazideutschland geblieben waren, beurteilte. Er hatte so genannte Charakterporträts von Kollegen vor allem aus dem Theater- und Filmmilieu angefertigt, mit deren Hilfe die Amerikaner nach Ende des Zweiten Weltkrieges die deutschen Künstler hinsichtlich ihrer moralischen Integrität einordnen wollten. Um es simpel zu sagen: Es ging darum, Gute von weniger Guten, und diese wiederum von den Bösen zu unterscheiden. Mutige, Umfaller und Drückeberger
Zuckmayer kannte fast alle Personen, über die er mit bewundernswertem psychologischem Gespür schrieb. Wo er über keine persönlichen Erfahrungen verfügte, hielt er sich zurück. Auf diese Weise entstanden beispielsweise Charakterbilder von Gründgens, Jannings, Furtwängler, von Benn, Jünger, Barlach, von Suhrkamp, Harlan und vielen anderen. Dabei fällt auf, dass Zuckmayer immer menschlich, bisweilen allzumenschlich, bleibt. Selbst Mitläufer verurteilt er nicht pauschal. Oftmals hilft ihm dabei sein Humor oder aber seine Süffisanz. Über die beiden Schriftstellerinnen Agnes Miegel und Ina Seidel heißt es etwa: "Inwieweit solche Verblödungszustände bei an sich begabten und nicht ungescheiten Frauen von mangelnder Drüsentätigkeit stammen soll hier nicht untersucht werden." Sicher, Zuckmayer teilt die Menschen ein und verwendet dabei durchaus dehnbare Kategorien von Mutigen, Umfallern und Drückebergern. Aber in seinen Porträts wird deutlich, dass es ihm mehr um eine psychologische Beschreibung als um Verdammung ging. Der Leser wird also weniger zum Voyeur, sondern kommt vielmehr in den Genuss kenntnisreicher Beschreibungen von Charakteren. Besonders hilfreich und lobenswert ist der über 300 Seiten lange Anhang mit detailliertem Kommentar und Nachwort. Endlich, kann man nur sagen, ist der Geheimreport erschienen. Ein einzigartiges historisches Dokument.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Zu "Geheimdienst und Literatur" assoziiert der Rezensent Matthias Wegener: James Bond und dann auch die Stasi-Mitarbeit einzelner Autoren, beides macht aufgeregt. Die Erstveröffentlichung von Carl Zuckmayers "Geheimreport" über die individuelle Verstrickung von 150 Kulturschaffenden im nationalsozialistischen Deutschland - im Auftrag von Emmy Rado geschrieben, der Leiterin einer Abteilung des amerikanischen Geheimdienstes - ist gänzlich anderer Natur, beruhigt Wegener. Hier werde kein Autor entlarvt oder eine geheime Tätigkeit aufgedeckt, denn es habe bereits 1947 eine Teilveröffentlichung in der Münchner "Neuen Zeitung" gegeben. Die Bekämpfung des NS-Regimes, mittels hilfreicher Vorarbeit zur Einschätzung persönlich zu verantwortender Schuld und gegen ein geringfügiges Entgelt, sei darüber hinaus für einen emigrierten Schriftsteller naheliegend. Herausgekommen ist laut Wegener ein sehr empfehlenswertes, weil "philologisch solide aufbereitetes" Lexikon, dessen 337 Seiten langer, sehr detaillierter Kommentar mit einem klugen Nachwort versehen wurde und sich auf lediglich 188 Seiten Quellentext von Zuckmayer stützt, rechnet der Rezensent genau vor. Und die moralische Integrität des Autors steht für Wegener ganz außer Frage: hier findet er geradezu elegische Worte.

© Perlentaucher Medien GmbH