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Gott kommt nach Theresienstadt, wo er Enge, Entlausungsprozeduren und Verrat erfahren muß, aber auch Solidarität und Menschlichkeit begegnet.Die Prager Familie Weiss wurde 1941 nach Theresienstadt und 1944 nach Auschwitz deportiert. Während Mutter und Tochter überlebten, wurde der Vater, Otto Weiss, in Auschwitz ermordet. In Theresienstadt hatte er einen Text verfaßt, den er von seiner zwölfjährigen Tochter illustrieren ließ und seiner Frau 1943 zum Geburtstag schenkte.Otto Weiss beschreibt mit bitterer Ironie die Vorgänge in Theresienstadt aus der Perspektive Gottes. Er stellt fest, daß einer…mehr

Produktbeschreibung
Gott kommt nach Theresienstadt, wo er Enge, Entlausungsprozeduren und Verrat erfahren muß, aber auch Solidarität und Menschlichkeit begegnet.Die Prager Familie Weiss wurde 1941 nach Theresienstadt und 1944 nach Auschwitz deportiert. Während Mutter und Tochter überlebten, wurde der Vater, Otto Weiss, in Auschwitz ermordet. In Theresienstadt hatte er einen Text verfaßt, den er von seiner zwölfjährigen Tochter illustrieren ließ und seiner Frau 1943 zum Geburtstag schenkte.Otto Weiss beschreibt mit bitterer Ironie die Vorgänge in Theresienstadt aus der Perspektive Gottes. Er stellt fest, daß einer seiner treuesten Diener nur noch mit schwacher und brüchiger Stimme betet. Als Aaron Gottesmann geht er nach Theresienstadt. Dort erfährt er, unter welchen Bedingungen sein auserwähltes Volk sein Dasein fristet. Er sieht die Notdürftigkeit und Enge der Unterkünfte, er leidet unter Läusen und der Prozedur des Entlausens, er erfährt die Ungewißheit und Angst, einem Transport nach Osten, in die Vernichtungslager, zugeordnet zu werden, er sieht Menschen hungern und sterben. Otto Weiss' eindrucksvolle Satire ist mit den Illustrationen der Tochter Helga ein Dokument dafür, wie sich Ghettobewohner durch Kunst auch ein Stück Menschsein zurückerobern.
Autorenporträt
Otto Weiss, geb. 1898 in Pardubice, Bankbeamter, wurde im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.

Leider ist derzeit keine AutorInnenbiographie vorhanden.

Stefana Sabin hat in Frankfurt, Haifa und Los Angeles studiert und 1982 mit einer literaturwissenschaftlichen Studie promoviert. Seitdem ist sie Mitarbeiterin im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung. Seit 2010 ist sie Redakteurin des Onlinemagazins FAUST-Kultur.Veröffentlichungen u. a.:Dante auf 100 Seiten (2015); Politik ohne Gott. Wieviel Religion verträgt Demokratie? (2014, mit Helmut Ortner); Shakespeare auf 100 Seiten (2014).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "Amateurvoltaire" bezeichnet mit liebevollem Respekt Rezensent Peter Demetz den Prager Bankbeamten Otto Weiss, der diese Geschichte im KZ Theresienstadt für seine dreizehnjährigen Tochter schrieb, die sie dann, wie wir lesen, selbst illustrierte: die erste Arbeit der Prager Grafikerin Helga Hoskova-Weissowa. Die Geschichte handelt von Gott, der "als irdischer Zivilist namens Aaron Gottesmann" nach Teresienstadt kommt, wo er samt "Pappkoffer" in die Massenquartiere eingeschleust wird, wie Demetz uns wissen lässt. Der Koffer wird, wie wir weiter lesen, bald gestohlen und mit ihm Kekse und Seife, die Gottesmann einem besonders Frommen mitbringen wollte. Auch sonst wird Gott, dem Rezensenten zufolge nichts erspart: er wird entlaust, angeschnauzt und sieht schauernd die Leichenwagen. Schließlich simuliere er eine Lungenentzündung, um sich himmelwärts aus dem Staub zu machen. In ihrem "bedenkenswerten Nachwort" hat Stefana Sabin für den Geschmack des Rezensenten gelegentlich auch etwas zu schweres theologisches Geschütz aufgefahren. Ohne Theologie findet Demetz diese "grimmig irdische" Geschichte sichtlich überzeugender, deren Nachklang ihm Übersetzer Jiri Burstein recht genau nah bringen konnte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2003

Mit Pappkoffer, doch ohne Licht
Otto Weiss schickt Gott als irdischen Zivilisten nach Theresienstadt

Opern, Kammermusik oder Kinderzeichnungen, die in der jüdischen Gefängnisstadt Theresienstadt/Terezin  entstanden, haben noch nach sechzig Jahren oder mehr nichts an Anziehungskraft verloren, anders als Gedichte oder Prosastücke, welche die Häftlinge dort verfaßten. Das Literarische bleibt an besondere Sprachen und ihre historischen  Konflikte gebunden, und dem Besonderen ihrer Medien fehlt das nahezu Universale der  Musik und des Optischen. Otto Weiss hat seine "Theresienstädter Erzählung",  herausgegeben von einem niedersächsischen Förderungsverein, nicht als literarischen Text oder gar als Getto-Samisdat  verstanden. Er schrieb seine Erzählung zur Unterhaltung seiner damals dreizehnjährigen Tochter, die sie illustrierte - die erste  Arbeit der Prager Graphikerin Helga Hoskova-Weissova. Man schenkte dann das illuminierte Manuskript im Juni 1943 der Gattin und Mutter zum Geburtstag,  ehe Otto Weiss ein Jahr später  in die Gaskammern von Auschwitz ging.

Otto Weiss beginnt in einem theologischen Märchenton zu erzählen, Gott im Kreise seiner Himmelsältesten, aber geplagt vom schlechten Gewissen, denn auf Erden herrschen Not und Krieg, die er nicht zu verhindern vermochte. Der Unnennbare tröstet sich mit dem dubiosen Gedanken, er habe zumindest sein auserwähltes Volk "schön dicht" versammelt (ja, 87 000 wurden hingebracht), so daß sie sich "nicht so allein fühlten" und "in fleißiger Arbeit abwarteten,  bis die Welt da draußen sich wieder  beruhigte". Es ehrt ihn allerdings, daß er alles genau wissen möchte und als irdischer Zivilist  namens Aaron Gottesmann  gen Theresienstadt  niederfährt, wo er als wunderlicher Einzelreisender, samt Pappkoffer, in eines der Massenquartiere "eingeschleust" wird. Dabei lernt er die Bedeutung eines wichtigen Theresienstädter Wortes kennen, denn "schleusen" heißt dort, im Deutschen wie  im Tschechischen, "stehlen" oder "bestohlen werden", und so fehlen denn auch die wertvollsten  Dinge  plötzlich in seinem Koffer.

Aaron Gottesmann wollte  Kekse und Seife für einen Herrn Josef Taussig mitbringen, der ihm durch seine frommen Gebete aufgefallen war. Auf der Suche nach ihm findet er sich in die Theresienstädter  Alltäglichkeit verwickelt,  die stickige Enge, Hunger, Krankheiten, die abendliche Lichtsperre (sein "Es werde Licht" bleibt leider ohne Wirkung), die tödliche Angst vor den Transporten  nach Osten, die Korruption der jüdischen Lagerbürokratie, mehr Zwang als Gemeinschaft - "es fehlte nicht viel und er hätte sein göttliches Wesen angezweifelt". Dem Erzähler geht es aber gar nicht darum, einen radikalen Atheismus zu predigen, er behandelt den konfusen alten Herrn mit den Glacéhandschuhen einer  liebenswürdigen  Ironie und überläßt es den irdischen Häftlingen, die Undinge beim Namen zu nennen. Otto Weiss (ein Prager Bankbeamter, aber aus einer tschechischen Kleinstadt) kann sich, wie Herr Taussig, nur schwer  daran gewöhnen, wie angstvoll die Menschen auf die Transportlisten  warten und wie rasch sie es hinnehmen, wenn die Züge abgefahren sind. Selbst die Neugier seiner Mithäftlinge, die sich zu einer Kabarettvorstellung im Keller drängen, ist ihm  eigentlich  zuwider  -  obgleich ja das Kabarett dem gleichen Willen zum Leben und zur Freiheit entspringt wie seine eigene Erzählung und seine schmale Gedichtsammlung "Als die Sterne schmerzten" (erschienen 1998 im Prager Verlag Sefer).

Kein Wunder, daß Herr Taussig wenig Sympathie für die "Prominenten" hegt, die zur jüdischen Elite in Preußen und Wien gehörten und immer noch auf formell feudalen Umgangsformen bestehen. Selbst Gott vergißt seine Toleranz, als sich ein Herr Cohen Max Israel auf dem Feldbett neben ihm frech breitmacht. Gott wird nichts erspart, er wird entlaust, von jüdischen Lagerrichtern  angeschnauzt, er sieht, schaudernd, die Leichenwagen: "Von weitem sahen die toten Leiber aus wie ein Berg von Löffelbiskuits, wie sie früher beim Konditor ausgelegt waren, insgesamt siebenundzwanzig Stück, sauber in drei Lagen aufgeschichtet." Man fühlt es Gottesmann nach, daß er zuletzt eine Lungenentzündung simuliert, die allerdings als Typhusfieber klassifiziert wird, und sich himmelwärts  aus dem Staube macht.

In ihrem bedenkenswerten  Nachwort führt Stefana Sabin zuzeiten schweres Geschütz auf, spricht von der lurianischen Kabbala, in welcher die Schöpfung erst nach der Katastrophe entsteht, und zitiert Philosophen wie Emmanuel Levinas und Dorothee Sölle. Immerhin: Gott in Theresienstadt  ist hier, das gibt sie selbst zu, kein theologischer Deutungsversuch, sondern "ein narrativer Trick", der  es Otto Weiss gestattet,  dem realistischen Detail zu frönen. Eine andere Frage, und die bleibt leider ohne Antwort,  ist die nach der narrativen Tradition, in welcher der tschechische Autor Weiss schreibt - in der ironischen Prosa der ersten Republik nämlich, von Karel Capek bis auf Karel Polatschek, denen wieder Jaroslav Hasek und sein Guter Soldat Schwejk  patriarchalisch vorausgehen, die eigentliche  Kabbala  einer ganzen Generation.  Beklagenswert,  daß sich der berühmte Karel Polatschek, Freund Capeks, Mitarbeiter der intelligentesten tschechischen Tageszeitung  und Autor vielgelesener humoristischer Romane, in Theresienstadt schon zu alt, zu deprimiert und zu gebrochen fühlte, um  noch weiterzuschreiben. Das hat also Otto Weiss, der Amateur-Voltaire  aus Pardubitz, in seiner grimmig irdischen Erzählung für ihn getan, und sein Ubersetzer Jiri Burgerstein sorgt dafür, daß uns ein genauer Nachklang seiner Geschichte nicht entgeht.

PETER DEMETZ

Otto Weiss: "Und Gott sah, daß es schlecht war". Erzählung aus Theresienstadt. Aus dem Tschechischen übersetzt von Jiri Burgerstein. Illustriert von Helga Weissova. Herausgegeben vom Niedersächsischen Verein zur Förderung von Theresienstadt/Terezin. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 61 S., geb., 18,- [Euro]. 

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