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Salomon Hermann Mosenthal (1821-1877), ein geschätzter Librettist und Dramatiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist heute in Vergessenheit geraten. Neben seinen Bühnenwerken hinterließ er fünf »Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben«.In diesen einfühlsamen Skizzen entwickelt er ein differenziertes Bild vom jüdischen Leben zwischen Tradition und Emanzipation, von der Armut der hessischen Gemeinden, aus denen auch er stammte, von der Spannung zwischen Orthodoxen und Reformierten, vom Beitrag der Frauen zum Gemeinwesen und den Hoffnungen der jüngeren Generation, ein erfüllteres…mehr

Produktbeschreibung
Salomon Hermann Mosenthal (1821-1877), ein geschätzter Librettist und Dramatiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist heute in Vergessenheit geraten. Neben seinen Bühnenwerken hinterließ er fünf »Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben«.In diesen einfühlsamen Skizzen entwickelt er ein differenziertes Bild vom jüdischen Leben zwischen Tradition und Emanzipation, von der Armut der hessischen Gemeinden, aus denen auch er stammte, von der Spannung zwischen Orthodoxen und Reformierten, vom Beitrag der Frauen zum Gemeinwesen und den Hoffnungen der jüngeren Generation, ein erfüllteres Leben als die Alten führen zu dürfen. Die Dialoge vermitteln eine Sprache, die zwischen Jiddisch und Deutsch schwankt, ohne Überheblichkeit, doch mit der Nostalgie eines alten Mannes, der auf eine schwierige Jugend nicht ohne Dankbarkeit zurückschaut. Mosenthal schrieb für ein nichtjüdisches Publikum, dem er die jüdische Minderheit sympathischer machen wollte, indem er es in liebevollen Anekdoten über Sitten und Gebräuche seiner Kindheit informierte. Ruth Klüger weist in ihrem ausführlichen Nachwort auf Mosenthals literarischen Rang hin und zeigt, daß man aus seinen Erzählungen etwas über jüdisches Leben in Deutschland im 19. Jahrhundert erfahren kann, was in Geschichtsbüchern und Tatsachenberichten nicht zu lesen ist.
Autorenporträt
Salomon Hermann Mosenthal (1821-1877) war Librettist und Dramatiker. Während seiner letzten Lebensjahre zog sich Mosenthal von der Bühne zurück und verfasste die »Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben«.

Ruth Klüger (1931-2020) war von 1966 bis 1992 Professorin für Deutsche Philologie an verschiedenen amerikanischen Universitäten, zuletzt an der University of California / Irvine. Von 1978 bis 1986 war sie Herausgeberin der Zeitschrift »The German Quarterly«, von 1980 bis 1985 Vizepräsidentin der Internationalen Vereinigung der Germanisten (IVG). Sie war Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.Mit ihrer in mehrere Sprachen übersetzten Autobiographie »weiter leben« (1992) wurde sie einem breiten Publikum im In- und Ausland bekannt.Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter: Roswitha-Preis (2006), Lessing-Preis des Freistaates Sachsen (2007),Bundesverdienstkreuz erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland (2008), Ehrendoktorwürde der Universität Wien (2015), Bayerischer Buchpreis - Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten (2016).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Stefana Sabin bespricht diese von Ruth Klüger herausgegebenen Erzählungen Salomon Hermann Mosenthals, die als ein Stück "deutsch-jüdischer Geistesgeschichte" zu begreifen sind. In den Erzählungen gehe es um das jüdische Leben in den deutschen Kleinstädten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei beständig Mosenthals Vorstellung von der Bildung eines jüdischen Selbstbewusstseins durch Bildung durchscheine. Das Bild, das vom Zusammenleben der Christen und Juden gezeichnet werde, sei dankenswerterweise weder positiv noch negativ verklärt. Zudem seien die Erzählungen auch von ihrer Erzählstrategie her überaus interessant, so die Rezensentin. Mosenthal sei stets bemüht, der deutschen Bevölkerung das Leben der Juden in Deutschland zu zeigen und verständlich zu machen und so Sympathien für diese ansonsten "bloß tolerierte" Bevölkerungsgruppe zu schaffen. Daher sei dieses Buch sowohl unter historischen als auch unter literarischen Gesichtspunkten überaus interessant und wichtig, lobt die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2002

Seelenschönheit, Charakterstärke
Salomon Mosenthal erzählt vom deutsch-jüdischen Familienleben

Mit derben Armen hält der Knecht die Elfjährige um den Leib gepackt. Er schiebt der Widerstrebenden das Brot, dick mit Schweineschmalz bestrichen, in den Mund. "Dem schwarzen Racker graust's vor unserer Kost!" Eigentlich war das Mädchen an diesem Sommertag nur ins Nachbardorf spaziert, um beim Bauern ein paar Gänse abzuholen. Jetzt nimmt sie die Fingernägel zu Hilfe und zerkratzt ihrem Peiniger das Gesicht. "Judenbestie!" Ringsum sitzen die Landleute beim Vesperbrot und lachen.

Das ist eine Episode aus dem deutsch-jüdischen Zusammenleben in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Salomon Hermann Mosenthal (1821-1877) erzählt sie in der Geschichte "Jephtas Tochter". Die Beinahe-Vergewaltigung mit der unkoscheren Stulle gehört zu den Zwischenfällen, die das versöhnliche Gesamtbild empfindlich stören. Aber Mosenthal ist Optimist. Noch wehte, von Lessings Epoche her, ein freundlicher Rückenwind in Richtung aufgeklärter Menschheitszukunft.

Zu Lebzeiten war Mosenthal ein geschätzter Dramatiker. In Kassel als Sohn eines glücklosen Kaufmanns geboren, ging er mit seinen literarischen Ambitionen 1842 nach Wien, wo er sechs Jahre später mit dem Stück "Deborah", das verschiedene Wege der jüdischen Assimilation thematisierte und in dreizehn Sprachen übersetzt wurde, seinen Durchbruch feierte. Spätere Dramen wie "Der Sonnwendhof" preisen bäuerliche Tugenden, Herzensbildung und Armenfürsorge. Wie viele Erfolgsschriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts geriet Mosenthal rasch in Vergessenheit. Heute kennt man ihn höchstens noch als Verfasser des Librettos zu Otto Nicolais Oper "Die lustigen Weiber von Windsor".

So sind seine fünf "Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben", die Ruth Klüger jetzt mit einem Nachwort herausgegeben hat, durchaus eine Wiederentdeckung. Mit großer Einfühlsamkeit dokumentieren sie ein weithin unbekanntes Kapitel deutscher Minderheitengeschichte. Die Erzählungen haben ihre Wurzeln in der hessischen Kindheit des Autors; zum Teil spielen sie in Lebensverhältnissen von bedrückender Armut und Enge, die im Rückblick dennoch einigen sentimentalischen Schmelz entfalten. 1876 bis 1877 erschienen sie als Fortsetzungsreihe in der Zeitschrift "Über Land und Meer". Hier waren nicht literarische Experimente gefragt, sondern einfache, moralisch zugkräftige Geschichten für die ganze Familie, aus denen sich unterderhand ein bißchen Belehrung ziehen ließ.

Mosenthal will dem deutschen Lesepublikum die Lebensweise der Minderheit vermitteln, ohne ein harmonisiertes Bild zu geben. Er schildert die Spannungen in den jüdischen Gemeinden zwischen Tradition und Emanzipation, Orthodoxie und Reformwillen und läßt keinen Zweifel daran, daß er selbst auf seiten der "Fortschrittlichen" steht, die das Judentum von seinen "verwitterten Formen" befreien wollen. In der Geschichte "Raaf's Mine" wird nicht nur der orthodoxe Gottesdienst mit deutlicher Aversion beschrieben, es gibt auch die Nebenfigur eines fundamentalistisch frommen Juden, der mit karikaturhafter Selbstgerechtigkeit überall Gesetzesübertretungen aufspürt. Er stirbt vor Gram, als sein eigener Sohn sich taufen läßt, um eine Pastorentochter aus Stadthagen zu heiraten. Ruth Klüger gibt im Nachwort ihr Unbehagen an solchen Darstellungen zu erkennen; Mosenthal komme hier antisemitischen Vorurteilen bedenklich nahe. Der Spott auf "Pfaffen" und Frömmler findet sich allerdings ebenso bei Autoren "christlicher" Provenienz. Er ist ein übergreifendes Merkmal aufklärerischer Literatur.

Die Sympathie für die dargestellte jüdische Welt wird durch solche Passagen jedenfalls nicht beeinträchtigt. Das Leben, Lieben und Leiden der Juden unterscheidet sich hier im Kern nicht vom Leben, Lieben und Leiden der Christen - das ist die allgemeinmenschliche Pädagogik, die Mosenthal seinen Lesern mit allen Mitteln der Einfühlung nahebringen wollte. Ohne Skrupel bedient er sich dazu der populären Gartenlaubendramaturgie. Er implantiert seinen Erzählungen zum Beispiel den Spannungsbogen einer durch allerlei Widrigkeiten auf die spätestmögliche Erfüllung zusteuernden Liebesgeschichte. Es mangelt nicht an seelenschönen jungen Damen, charakterfesten Burschen, gütigen Greisen und Tanten von unerhörtem Entsagungsedelmut. Auch die Gegenspieler lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Bei Mosenthal dürfen die Figuren noch als Charaktere bezeichnet werden. Aber trotz ihrer scharfen Kontur wirken sie nicht im reduzierten Sinn typenhaft. Die Konventionen gehen mit viel Erzählkunst im Detail einher. In "Schlemilchen" gelingt dem Autor etwas Seltenes: eine komische weibliche Hauptfigur, der alle üblichen Vorzüge weiblicher Hauptfiguren mangeln. "Sie verstand es, bei dem trockensten Wetter ihre Röcke bis hoch hinauf mit Koth zu verbrämen, indem sie mit kühnem Tritt in eine Straßengosse patschte; nicht minder geübt war sie, eine frisch mit Ölfarbe angestrichene Haustür mit ihrem Shawl oder Mantel abzuwischen oder mit ihrem Hut unbegreiflicherweise an einer Gewölblaterne hängenzubleiben." Mag Schlemilchen auch von Blatternarben entstellt und lächerlich ungeschickt sein, der Autor verleiht ihr ersatzweise eine dreifache Portion Liebenswürdigkeit und erfindet dazu einen Mann, der es auf genau diese Liebenswürdigkeit abgesehen hat.

Im Zentrum aller Erzählungen steht eine titelgebende Frauengestalt. Das läßt an Fontane denken; vom dämpfenden Plauderton des märkischen Proust ist Mosenthal jedoch weit entfernt. Sein gefühlvolles Erzählen kippt mitunter ins Rührselige; dann quillt auch aus männlichen Augenwinkeln "eine Thräne der innigsten Rührung". Erst recht die Frauen weinen hier wechselweise "Thränen der Resignation" und "Perlen der Hoffnung". Der Leser schneuzt sich gerührt oder stellt mit unverschleiertem literaturhistorischen Blick fest, daß es die hochherzige Sentimentalität Jean Pauls ist, die in diesen Erzählungen, wie in so vielen des neunzehnten Jahrhunderts, nachperlt. Aber es macht Spaß, dergleichen zu lesen, schon deshalb, weil inzwischen selbst Trivialautoren nicht mehr so zu schreiben wagen. Man kann die euphorischen Gefühlslagen als Kontrast zu heutigen Erzählmanieren genießen, zur gängigen Abgebrühtheit mit ihren Dörrobst-Seelen. Auch Mosenthal redet die Welt nicht schön. In seinen Erzählungen wird viel gestorben; die Cholera zieht übers Land und greift sich ihre Opfer. Und es liegt Gewalt in der Luft.

In "Tante Guttraud" wird ein Jude wegen Hehlerei nicht nur zu Zuchthaus, sondern vorweg auch noch "zu drei Stunden öffentlicher Ausstellung am Pranger" verurteilt. Da diese Strafe längst nicht mehr üblich ist, sieht die jüdische Gemeinde darin mit Recht einen antisemitischen Akt und befürchtet, daß sich aus dieser Provokation noch Schlimmeres ergeben könnte: "Die Stunde war gekommen; eine unzählige Volksmenge füllte den Markt; die brutale Masse freute sich auf das brutale Schauspiel und johlte Schimpflieder auf die Juden . . . Die Läden der Juden blieben alle geschlossen; auf der Straße war keiner zu sehen." Die Geschichte endet indes so biedermeierlich, wie sie begann. Tante Guttraud kann durch ihr aufopferungsvolles Einschreiten - bei dem verurteilten Schmuggler handelt es sich um ihren Mann - die gereizte Masse bändigen. Aber das war die literarische Beschwörung einer guten, alten Zeit, nach der eine edelmütige Tante ein Pogrom aufhalten konnte.

WOLFGANG SCHNEIDER

Salomon Hermann Mosenthal: "Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben". Mit einem Nachwort herausgegeben von Ruth Klüger. Wallstein Verlag, Göttingen 2001. 218 S., geb., 22,- [Euro].

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