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Produktdetails
  • Verlag: Bertelsmann Stiftung
  • Seitenzahl: 304
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 405g
  • ISBN-13: 9783892047278
  • ISBN-10: 3892047278
  • Artikelnr.: 13694386
Autorenporträt
Dr. Dr. h. c. Werner Weidenfeld ist Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung (C.A.P.) am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2005

Fehlende Klarheit
Was die Verfassung der EU hätte leisten können

Werner Weidenfeld (Herausgeber): Die Europäische Verfassung in der Analyse. Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2005. 304 Seiten, 40,- [Euro].

Das Integrationstempo im Einigungsprozeß hat sich seit dem Maastrichter Vertrag derart verschärft, daß es nicht nur die Bürger überfordert, sondern es den Experten auch schwermacht, mit der Kommentierung der Entwicklung Schritt zu halten und bei Veröffentlichung ihrer Analysen nicht schon wieder durch die Realität überholt worden zu sein. Jetzt blieb der von Werner Weidenfeld in bewährter Manier vorgelegte Band zum Verfassungsvertrag von diesem Phänomen nicht verschont. Im Vorwort markiert er die Verabschiedung des Dokuments noch optimistisch als einen "historischen Schritt", wenn auch nicht als "Ende der Reformgeschichte".

In der Tradition der Analysen zu Maastricht, Amsterdam und Nizza haben die Bertelsmann Stiftung und das "Centrum für angewandte Politikforschung" (CAP) den europäischen Verfassungsprozeß kritisch begleitet und ihre Ergebnisse zusammengefaßt. Nunmehr aber haben das "Nein" in Frankreich und in den Niederlanden das Projekt Europa in die Krise geführt, und der Verfassungsvertrag hat vielleicht keine Aussicht mehr, jemals in Kraft zu treten. Die Bürger haben - bei aller Vielfältigkeit der Motive - ein gemeinsames Anliegen gehabt: den Protest gegen eine zunehmend an den Bürgerinteressen vorbei betriebene Politik der Staats- und Regierungschefs, die im Namen Europas betrieben und von Europa-Skeptikern wie Europabefürwortern als unkontrollierbar, ziellos und entfremdet wahrgenommen wird. Wenn denn jetzt für Europa, wie Kommissionspräsident Barroso verlauten ließ, "Plan D" (Demokratie, Dialog und Denkpause) für Europa gelten soll, dann lohnt die Lektüre des Bandes dennoch, weil sie ebendas leistet, was die Politik nicht vermag: nüchterne und verständliche Analyse des komplizierten Räderwerks der EU, die deutlich macht, daß die mit dem Verfassungsvertrag verbundene Sorge vor dem Ausverkauf des letzten Restes nationaler Eigenständigkeit nicht nur völlig überzogen, sondern auch unbegründet war. Dieser Verfassungsvertrag hätte die Kompetenzen der EU nur unerheblich erweitert und die grundlegenden politischen und verfassungsrechtlichen Strukturen der Mitgliedstaaten darüber hinaus unangetastet gelassen. Er hätte lediglich das politisch-institutionelle System der EU so verändert, daß die mühseligen Entscheidungsprozesse in der EU 25+ gestrafft und erleichtert würden. Die Autoren analysieren und bewerten nicht nur die konkreten institutionellen, prozeduralen und politikspezifischen Reformen und Inhalte des Verfassungsvertrags, sondern beleuchten auch seine Akteure und die Genese aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie machen darüber hinaus klar, daß der Verfassungsvertrag hätte das leisten können, was die Öffentlichkeit seit langem zu Recht fordert: 1. die Aufhebung der zahlreichen Verfahren und die hohe Zahl von Einstimmigkeitserfordernissen zugunsten des Ausbaus von Mehrheitsentscheidungen und effektiverer, zum Regelfall werdender Mitentscheidungsverfahren; 2. die Möglichkeit zu mehr Flexibilität und Differenzierung in allen politischen Bereichen der nicht ausschließlichen Zuständigkeiten der Union, so beispielsweise in der Außen- und Sicherheitspolitik; 3. die Personalisierung Europas durch die Einführung eines Präsidenten des Europäischen Rates, die Stärkung des Kommissionspräsidenten sowie die Schaffung des Amtes eines EU-Außenministers.

Auf der anderen Seite spart der Band auch nicht mit Kritik an den entscheidenden Mankos des zu sperrig, zu umfangreich und zu detailliert geratenen Verfassungsvertrags. Zentral ist wohl die fehlende Klarheit bei der Kompetenzordnung. Jede Verfassung hat im Kern über eine solche Ordnung der Zuständigkeiten zu verfügen. Zu Recht merkt der Herausgeber an, daß Verantwortung, Zurechenbarkeit und Rechenschaft an einer transparenten Kontrolle hängen. Nach dem Verfassungsvertrag aber wäre es beim leidigen Prinzip der Einzelermächtigung geblieben, welches nun mal die Ursache der Intransparenz des bestehenden Systems ist. Entsprechend lautet die Forderung nach mehr Klarheit in dieser Frage bei der Fortentwicklung des Dokuments, das die Autoren längst noch nicht als der europäischen Weisheit letzter Schluß betrachten. Statt Reform der Reform ist nunmehr allerdings erstmal Schadensbegrenzung angesagt. Für Europa wird es in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren zunächst einmal darum gehen, den Eindruck zu entschärfen, daß es heute in erster Linie als Domäne einer verselbständigten Exekutivgewalt empfunden wird. Das hat allerdings nicht nur etwas mit dem Auftreten der Kommission in Brüssel zu tun, sondern ist Sache der Mitgliedstaaten selbst, deren wichtigste Entscheidungen zumeist nicht nur ohne parlamentarisches Mandat, sondern auch ohne jede öffentliche Debatte getroffen werden.

STEFAN FRÖHLICH

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als dieser Band zum europäischen Verfassungsvertrag entstand, gingen die Autoren noch davon aus, dass der Vertrag zustande kommen würde. Die Lektüre lohnt sich dennoch, meint Rezensent Stefan Fröhlich. Denn zum einen zeige die "nüchterne und verständliche" Analyse, dass der Vertrag die nationale Eigenständigkeiten der einzelnen Staaten keineswegs ausgehöhlt hätte: Die umständlichen Entscheidungsprozesse wären lediglich "gestrafft und erleichtert" worden. Zum anderen werde vorgeführt, dass der Vertrag genau die Forderungen erfüllt hätte, die die Bürger schon lange an die EU stellen: Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit, mehr Flexibilität in der Außen- und Sicherheitspolitik und eine Personalisierung Europas durch die Einführung eines Präsidenten des Europäischen Rates, die Stärkung des Kommissionspräsidenten sowie die Schaffung des Amtes eines EU-Außenministers, schreibt Fröhlich. Allerdings gebe es in diesem Sammelband auch Kritik am "zu sperrig, zu umfangreich und zu detailliert geratenen" Verfassungsvertrag: Sie betrifft vor allem das Fehlen einer transparenten Kontrolle. Um das Vertrauen der Bürger in die EU zu stärken, sollten die einzelnen Mitgliedsstaaten vor allem dafür sorgen, dass künftig wichtige Entscheidungen der EU nicht mehr "ohne jede öffentliche Debatte" getroffen werden, meint Fröhlich.

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