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»Sei positiv! Optimisten leben länger! Der Erfolg ist in dir!« Seit Jahrzehnten künden Ratgeber und Motivationstrainer von der grenzenlosen Macht positiven Denkens. Glück, Gesundheit, Reichtum und beruflicher Erfolg - so die Botschaft - sind für jeden jederzeit erreichbar, eine lückenlos positive Grundhaltung vorausgesetzt. Selbst schuld, wer da noch Sorgen hat oder gar die Ursachen seiner Probleme in der Realität vermutet. Arbeitslose erfahren, einzig der Ton ihrer Bewerbung entscheide über deren Erfolg. Selbst Krebskranke werden heute gewarnt, eine »negative Haltung« könne ihre Heilung…mehr

Produktbeschreibung
»Sei positiv! Optimisten leben länger! Der Erfolg ist in dir!« Seit Jahrzehnten künden Ratgeber und Motivationstrainer von der grenzenlosen Macht positiven Denkens. Glück, Gesundheit, Reichtum und beruflicher Erfolg - so die Botschaft - sind für jeden jederzeit erreichbar, eine lückenlos positive Grundhaltung vorausgesetzt. Selbst schuld, wer da noch Sorgen hat oder gar die Ursachen seiner Probleme in der Realität vermutet. Arbeitslose erfahren, einzig der Ton ihrer Bewerbung entscheide über deren Erfolg. Selbst Krebskranke werden heute gewarnt, eine »negative Haltung« könne ihre Heilung gefährden.Wie konnte aus dem harmlosen Lob einer optimistischen Lebenseinstellung eine kulturelle Glaubenswahrheit mit zunehmend zwanghaften Zügen werden? Mit kritischer Intelligenz und beißendem Spott nimmt Ehrenreich eine blühende Bewusstseinsindustrie unter die Lupe, die mit »Positive Thinking« inzwischen Milliarden verdient. Trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz haben »positive Psychologie« und Glücksforschung inzwischen sogar die Universitäten erobert. Doch nirgendwo ist das Ausblenden der Realität stärker verbreitet als in der Wirtschaft: Die Weigerung, negative Entwicklungen überhaupt ins Auge zu fassen, hat - so Ehrenreich - wesentlich zum jüngsten Crash beigetragen.Eine »erfrischend aggressive und glänzend intelligente Attacke auf das Nonsense-Monster mit den tausend Armen« (Daily Mail), zugleich ein überfälliges Plädoyer für eine Rückkehr zu Realismus und gesundem Menschenverstand.
Autorenporträt
Ehrenreich, Barbara§Barbara Ehrenreich, geb.1941, studierte Physik und promovierte in Biologie. Nach einer kurzen wissenschaftlichen Karriere arbeitete sie als Journalistin für u.a. TIME, die New York Times, Mother Jones und The Atlantic Monthly und als Buchautorin. Ihre Bücher waren Bestseller, von ihrer investigativen Reportage Arbeit Poor wurden über eine Million Exemplare verkauft. Die Angst vor dem Absturz. Das Innenleben der Mittelklasse, hat nichts an Aktualität verloren. Zuletzt erschienen: Smile or Die. Wie die Ideologie Positiven Denkens die Welt verdummt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.09.2010

Gegen die widerliche Optimismus-Industrie
Die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich zerlegt eine gigantische Schwindelmaschine unserer Zeit: das „positive Denken“
Eine Frau steht vor einem Schaufenster und starrt auf eine Halskette. Im nächsten Moment sieht man die Kette am Hals der Frau, die das Objekt der Begierde mit ihrer Gedankenkraft „angezogen“ hat. Das Gesetz der Anziehung besagt, dass der Geist die gewünschte Materie magnetisch ansaugen kann, wenn er stark genug ist. Oder wahlweise: dass Ähnliches mit Ähnlichem korrespondiert, ein Klassiker des magischen Denkens. Das Ketten-Szenario stammt von der millionenfach verkauften DVD „The Secret“ der Denk-dich-reich-Autorin Rhonda Byrne, die predigt, dass uns alle Dinge zufliegen, die wir hartnäckig genug haben wollen. Manchmal macht sie klar, dass das Ganze auch umgekehrt funktioniert: Wer Krebs oder eine Kündigung bekommt, hat sich das Unglück durch negatives Denken selbst an den Hals gewünscht.
„The Secret“ mag galoppierende Esoterik sein, und doch, schreibt Barbara Ehrenreich, ist dieser Extremfall symptomatisch für einen Realitätsverlust, der die USA – und nicht nur die – wie ein Virus befallen hat. Das Virus heißt„Positives Denken“ und ist längst zu einer allgegenwärtigen Kommerzmaschine geworden, zum Massenwahn, der Konzerne, Motivationstrainer, Fernsehprediger und Psychologen reich macht, während euphorisierte Anhänger früher oder später auf der betonharten Wirklichkeit aufschlagen. Das klingt nach dem ganz großen Illusionszertrümmerungshammer, und tatsächlich ist Ehrenreichs neues Buch – „Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“ – das Gegenteil von Zartrosa.
Wer ein galliges Plädoyer für mehr Pessimismus vermutet, liegt aber falsch. Barbara Ehrenreich ist angriffslustig im besten Sinne des Wortes, es geht ihr nicht um eine Verteidigung der Negativität – aber halt: Sollte man dieses großartig gepfefferte Buch mit einem kleinlichen Hinweis auf die gute Laune der Autorin verteidigen? Viel eher stimmt: Die Anti-Optimistin schert sich nicht darum, ob sie zu grimmig wirkt; die entspannte Zwangsfassade ist vielmehr eins ihrer Angriffsziele. Das ist glänzende Ideologiekritik alter Schule, aber anders als der „Fun ist ein Stahlbad“-Adorno geht es ihr um die konkreten Scharlatane und Schwindler.
Beim positiven Denken ist Glück immer nur Mittel zum Zweck, ein Botenstoff für Erfolg, Leistungsfähigkeit und erhöhte Belastbarkeit, erklärt Ehrenreich. Sie wirbt für einen Realismus, der sich nicht in wolkige Wohlstandsträume flüchtet und das Wort „Opfer“ nicht als Tarnkostüm für Feiglinge und Schlappschwänze versteht.
Hier spricht eine ebenso leidenschaftliche wie exakte Kritikerin der New Economy, eine der bekanntesten Journalistinnen der USA, die den „Jeder ist seines Glückes Schmied“-Mythos von seiner Schattenseite her erforscht. Vor ein paar Jahren tauchte sie mit ihrer Undercover-Recherche „Nickel and Dimed“ (deutsch: „Arbeit poor“) in die Welt der McJobs ein. „Smile or Die“ nimmt nun das Glücks-Business auseinander und ist außerdem eine Hommage an eine verkannte Emotion: Wut – ein positives Gefühl (auch wenn Ehrenreich es so nicht sagen würde).
Ehrenreichs Zorn auf das positive Denken begann damit, dass sie an Brustkrebs erkrankte. Sie suchte Hilfe in Brustkrebs-Foren und war zunehmend irritiert von einer kitschigen Rosa-Schleifchen-Welt, in der man Angst und Verzweiflung nicht wirklich äußern durfte; von den Brustkrebs-Verbänden bekamen die Frauen stattdessen Teddybären und Buntstifte fürs Tagebuch.
Ehrenreich nimmt den Zusammenhang zwischen positiver Einstellung und Heilungschancen auseinander, den viele Wissenschaftler eisern behaupten. Bei ausbleibender Heilung wird die Patientin doppelt bestraft: „Sie ist nicht positiv genug, wahrscheinlich ist ihre negative Einstellung dafür verantwortlich, dass sie den Krebs überhaupt bekommen hat.“ Diesen so brutalen wie falschen „Selber-schuld“-Gedanken hatte Susan Sontag vor dreißig Jahren in ihrem Essay „Krankheit als Metapher“ angeprangert, und „Smile or Die“ belegt, dass er lebendiger ist als je zuvor.
Der Gesundheitssektor ist aber nur der Einstieg ins giftig leuchtende Smiley-Inferno. Da ist zum einen das Motivationsgewerbe, dessen Trainer und Coaches die noch nicht entlassenen Belegschaften großer US-Firmen bei Laune halten. Und auch die Freiberufler besuchen Workshops und kaufen Ratgeber oder Motivations-CDs, um ihre Persönlichkeit zu optimieren. Die Wirtschaftskrise, meint Ehrenreich, gehe zu einem Großteil auf ein antrainiertes Wunschdenken zurück, das keinen Platz lässt für negative Entwicklungen. Ob es tatsächlich der Realitätsverlust war, der die diversen Finanzblasen mit Luft füllte, – und nicht Schlimmeres –, mag man bezweifeln; unabhängig davon liefert Ehrenreich aber eine faszinierende Mentalitätsgeschichte der USA.
Das gilt auch für ein anderes ur-amerikanische Phänomen, das genüsslich auseinandergenommen wird: „Gott will, dass du reich bist“, könnte das Motto vieler Megakirchen und TV-Prediger sein, die das positive Denken kreativ weiterentwickelt haben. Ihre Predigten klingen wie Motivationstrainings und sind frei vom gängigen Sünde- und Schmerz-Repertoire; ihre Kirchen sehen aus wie Bürogebäude und verzichten weitgehend auf unangenehme Leidens-Accessoires wie das Kreuz. Beim Besuch der Lakewood Church in Houston erlebt Ehrenreich eine Performance des „Positiv-Predigers“ Joel Osteen, die in der bemerkenswert christlichen Botschaft „Seid die Sieger und nicht die Opfer“ gipfelt.
Aus der religiösen Geschichte der USA leitet Ehrenreich letztlich alle Varianten des positiven Denkens ab. Der Calvinismus der weißen Siedler war das genaue Gegenteil von weltlicher Zuversicht, denn ihr Gott verdammte jede diesseitige Freude und ließ nur harte, selbstquälerische Arbeit gelten. Die Neue Welt begann mit „einem System sozial auferlegter Depression“, gegen das sich im 19. Jahrhundert Widerstand regte: Der Neugeist war eine philosophisch-religiöse Bewegung, die Gott als gütiges, liebendes Wesen verstand – das wirtschaftlichen Wohlstand keineswegs verdammte. Dennoch konnte auch die neue Bewegung nicht mit dem Calvinismus abschließen, schreibt Ehrenreich; der Zwang zur Selbstüberwachung blieb erhalten. Wie die Feinmechanik dieser Selbstoptimierung funktioniert, kann man bei der Soziologin Eva Illouz nachlesen: Sie zeigt, welche Rolle die Geschichte der Psychoanalyse und die frühe Arbeitspsychologie bei der Formierung der modernen Seele spielten.
„Smile or Die“ mag zwar die Geschichte der Selbstoptimierung nur ausschnittsweise wiedergeben. Aber bei ihrer Abrechnung mit dem aktuellen Fundament des positiven Denkens, der „positiven Psychologie“, läuft Ehrenreich zur Höchstform auf.
Dieser junge, auch unter Psychologen umstrittene Zweig verzeichnet nicht nur in Amerika einen ungeheuren Boom; weltweit werden Institute eröffnet und Millionen an Fördergeldern und Drittmitteln zugeschossen. Der Kern der positiven Psychologie besteht darin, sich von der herkömmlichen, „krankheitsorientierten“ Psychologie abzuwenden und stattdessen die Bedingungen des gelingenden Lebens zu untersuchen. Der Gründer der Positiven Psychologie, Martin Seligman, kann allerdings nur mit zweifelhaften Langzeitstudien aufwarten, um den Zusammenhang von Glück, positivem Denken, Langlebigkeit und Gesundheit zu belegen.
In seinem Buch „Der Glücks-Faktor“ stellt er die Gleichung G = V+ L+W auf: Das „Glücksniveau“, das ein Mensch erreichen kann, setze sich aus der „Vererbten Bandbreite des erreichbaren Glücks“, aus den Lebensumständen und aus dem Willen zusammen. Beim Interview mit Seligman fragt Barbara Ehrenreich nach den Maßeinheiten – und bringt damit die Glücksformel zum Implodieren.
Nicht zuletzt leisten die Positiven Psychologen einen Beitrag zur Erhaltung des Status quo, weil sie den Lebensumständen eine so geringe Rolle beimessen. „Warum für bessere Jobs und Schulen (. . .) eintreten, wenn diese Dinge so wenig zum Glück der Menschen beitragen?" Ehrenreich weist nach, dass sich der Erfolg der Positiven Psychologie vor allem in Dozentenstellen und Karrierechancen auf dem Coaching-Markt messen lässt: für die Positiven Psychologen selbst. „Smile or Die“ erledigt das Positive Denken so ansteckend schwungvoll, dass einem nichts anderes übrig bleibt, als das Buch zum Ratgeber zu erklären: Vergessen Sie alle Glücksfaktoren, lesen Sie Barbara Ehrenreich. JUTTA PERSON
BARBARA EHRENREICH: Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan. Verlag Antje Kunstmann, München 2010. 254 Seiten, 19,90 Euro.
Wer leidet, ist selber schuld –
und was wir nur hartnäckig genug
haben wollen, das fliegt uns zu!
Barbara Ehrenreich (links) bekam Krebs, doch zur Bewältigung der Krankheit wurde ihr nur eine Rosa-Schleifchen-Welt angeboten. So steigerte sich ihr Zorn auf das Glücks-Business, das immer größer wird und in den USA Figuren wie den „Positiv-Prediger“ Joel Osteen hervorbringt (Bild oben, auf der Anzeigetafel bei einem Auftritt im Yankee Stadium in New York). Fotos: Bloomberg, Feierman Rachel/Sipa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010

Kollaps der Psyche
Warum uns das gute Leben als Lesestoff erfreut

Es fällt auf, wie viele markante Sachbücher diesmal ihren Stoff persönlich nehmen. Fragen der persönlichen Lebensführung haben aus der Ratgeberecke herausgefunden und sind im Premiumsegment des Buchhandels gelandet. Hier ist man erkennbar bemüht, sich von der Scharlatanerie der Psychotips abzugrenzen. Philosophen, Kliniker und seriöse Journalisten nehmen sich der Materie an. Das erzählerische, wissenschaftlich informierte Genre überwiegt. Was ein gutes Leben ausmachen könnte, erfährt man am direktesten in den Büchern, die erzählen, was dem guten Leben entgegensteht. Erstaunlich viele von diesen Büchern widmen sich dem Kollaps der Psyche, wie er sich in der Depression ausdrückt.

Die Depression ist in doppelter Hinsicht eine Zeitkrankheit: als Pest unserer Tage gehört sie zu den häufigsten Leiden; zugleich ist sie eine verzerrte Zeitwahrnehmung: Der depressive Mensch sucht vergeblich, seine Vergangenheit zu erledigen, ohne dass es ihm gelänge, für die Zukunft einen Horizont zu spannen. Eine Art "Werdenshemmung" (Victor Emil Gebsattel) lässt die Biographie auf der Stelle treten, auf unerträgliche Art präsentisch sein. Etwas stimmt nicht mit der Zeitgenossenschaft, wenn sie sich in Gleichzeitigkeit erschöpft. Darauf macht der Philosoph Giorgio Agamben in seinem höchst disparaten Buch "Nacktheiten" (S. Fischer Verlag) aufmerksam: "Der Gegenwart zeitgenössisch, ihr wahrhaft zugehörig ist derjenige, der weder vollkommen in ihr aufgeht noch sich ihren Erfordernissen anzupassen versucht. Insofern ist er unzeitgemäß; aber ebendiese Abweichung, dieser Anachronismus erlauben es ihm, seine Zeit wahrzunehmen und zu erfassen."

Der Auftrieb einer passionierten Seelenliteratur ist offenkundig mehr als das saisonale Echo des vor einem Jahr verstorbenen, schwer depressiven Torwarts Robert Enke. Die eindringlichste biographische Skizze Enkes legt die frühere DDR-Leistungssportlerin und Schriftstellerin Ines Geipel in ihrem Buch "Seelenriss. Depression und Leistungsdruck" vor (Klett-Cotta). Sie entziffert in diesem vielschichtigen Depressionsreport das Muster einer vollständigen Selbstregulierung, während der sich der um Haltung bemühte Mensch auf unheimliche Weise abhandenkommt.

Mit dem nach zwanzig Jahren jetzt wieder aufgelegten Bericht "Sturz in die Nacht. Geschichte einer Depression" (Ullstein) hat der Schriftsteller William Styron dem Grauen dieser Krankheit ein Denkmal gesetzt und seine persönlichen Abwehrstrategien vorgestellt. Jenseits der klinischen Routine, mit der man von der Depression als einer chemischen Funktionsstörung spricht, hält Styron am Unfassbaren, am metaphysischen Aufruhr dieser Geisteskrankheit fest, die sich hinter einem Begriffsschwindel versteckt: "Melancholie wäre noch immer das bei weitem passendere und bezeichnendere Wort für die besonders schwarzen Spielarten der Störung, doch wurde es von einem Substantiv entthront, das sich viel nüchterner anhört und dem jeglicher gelehrte Anklang abgeht, ein Wort, das gleichermaßen die Bezeichnung für wirtschaftlichen Niedergang wie für eine Bodensenke ist, kurz: eine recht billige Worthülse für eine so schlimme Krankheit."

Wird hier das Unvermögen, ein gutes Leben zu führen, als individuelles Schicksal ausgelotet, nehmen die Journalisten Giovanni di Lorenzo und Axel Hacke die Gesellschaft als soziale Überdruckkammer in den Blick, in der die Menschen Angst haben, ihren Aufgaben nicht gewachsen zu sein: "Wenn es wahr ist, dass in Deutschland vier Millionen Menschen an Depressionen leiden, wenn es (bei hoher Dunkelziffer) zehntausend Suizide pro Jahr gibt, die zum größten Teil auf Depressionen zurückgehen, und wenn ich allein in meinem Bekannten- und Freundeskreis etliche Fälle von Menschen kenne, die teils offen von ihrer Erkrankung reden, teils versteckt hinter den Mauern anderer, physischer Erkrankungen mit ihren Depressionen kämpfen, dann muss in unserer Gesellschaft ein schwarzer Vulkan brodeln, ein träges, zähes Magma der Verzweiflung", schreibt di Lorenzo unter dem Titel "Wofür stehst Du? Was in unserem Leben wichtig ist - eine Suche" (Kiepenheuer & Witsch). Nicht vorschreibend, sondern suchend entwickeln die Autoren anhand ihrer eigenen biographischen Erfahrungen Kriterien guten Lebens.

Hilft positives Denken weiter? Die Publizistin Barbara Ehrenreich vermutet im Gegenteil, dass die Rezepte der Selbsttäuschung - Autosuggestion, Bewusstseinskontrolle, Gedankensteuerung - einer ganzen Generation das Denken ausgetrieben haben. In ihrem Buch "Smile or die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt" (Kunstmann) lässt sie an den kommerziellen Gesundbetern kein gutes Haar. In dieselbe Kerbe haut auch die Psychologin Ursula Nuber. "Die Annahme, dass ein gutes Leben nur dann möglich ist, wenn wir nur wenige negative Gedanken hegen, ist nicht haltbar", schreibt sie unter dem Titel "Das 11. Gebot" (Knaur) und mahnt, im Gegenteil das "katastrophische Gehirn" zu trainieren. Bei Überforderung ist nicht positives Denken, sondern Zaudern das Mittel der Wahl, erklärt der Philosoph Joseph Vogl in dem Band "Ökonomien der Zurückhaltung. Kulturelles Handeln zwischen Askese und Restriktion" (transcript). Das Zaudern ist gleichsam die produktive Seite der Desorientiertheit. Im Zaudernden, so Vogl, "taucht ein elementares ethisches Moment auf, das darin besteht, die Welt nicht von der Seite ihrer Lösungen, sondern von der Seite ihrer Probleme zu begreifen und dabei zu unterstellen, dass das, was vorliegt, Antworten sind auf Fragen, die noch gar nicht gestellt wurden. Das Zaudern ist ein Suchlauf für das, was an Welt antwortförmig - aber noch ohne Frage - vorliegt."

Als eine sentenzenhafte Anleitung zum Zaudern lassen sich auch die "Notizhefte" lesen, die Henning Ritter, langjähriger Leiter des Ressorts "Geisteswissenschaften" dieser Zeitung, auf den Spuren der französischen Moralistik veröffentlicht (Berlin Verlag). Er sucht und findet das Neue da, wo es sich nicht als solches ausgibt, und weiß sich damit in Einklang mit Agambens Konzept der Zeitgenossenschaft. Das Neue, so Ritter, "ist längst nicht mehr, was es zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war - ein Schock, der ein Zuwachs an Erkenntnis versprach. Der Gedanke, dass das Neue per se authentisch sei, hat an Glanz verloren. Die einstmals produktive Provokation der Sehgewohnheiten hat das Wegsehen zur Gewohnheit werden lassen, wo immer Neues verheißen wird." Wer seine Zeit wahrnehmen will, muss solches Wegsehen lernen.

Man könnte auch sagen: Er muss "Die Kunst stillzusitzen" (Kunstmann) erlernen. Das kommt als Psychohygiene in reizüberfluteter Zeit auf dasselbe hinaus. Meint jedenfalls der Schriftsteller Tim Parks, der mit diesem Buch seine persönliche Leidens- und Heilungsgeschichte erzählt. Es ist eine spezielle Atemtechnik, die ihn aus dem burn out, dem depressiven Erschöpfungszustand, herausreißt, in welchen ihn die Strapaze des permanenten Produktionsdrucks geführt hatte. Es war, wie Parks nach seiner Heilung erkannte, die Struktur der geistigen Tätigkeit selbst, die ihn in ein Weltverhältnis des Immer-so-Weiter getrieben hatte. Mit anderen Worten: Er war auf hochreflexivem Niveau eingerostet, weil er seine Art der Welterschließung für die einzig mögliche hielt. Parks verkörperte gleichsam die Kehrseite des heilsamen Wegsehens: Er konnte, da er allen Dingen ihre Herkunft ansah, überhaupt nichts Neues mehr entdecken und hatte sich darob in stiller Verzweiflung eingerichtet. Bis sein Leben wieder in Fluss geriet. Statt einer neuen Atemtechnik hätte er zu therapeutischen Zwecken vielleicht auch eine neue Sprache lernen können. In seinem Buch "Im Spiegel der Sprache" (C.H. Beck) führt der Linguist Guy Deutscher vor, warum die vertraute Welt in einer fremden Sprache etwas anders aussieht. Da könnte man meinen: Ein Mensch, der auf andere Gedanken kommen will, sollte es mal mit einer anderen Sprache versuchen.

Geschichten von Glück im Unglück erzählt auch die Publizistin Ursula von Arx in ihrem von einer persönlichen Erschütterung angeleiteten Buch "Ein gutes Leben" (Kein & Aber). Darin lässt sie zwanzig Menschen berichten, wie sie Unglück ausgehalten oder daraus herausgefunden haben. Das Buch ist ein Glücksfall der narrativen Glücksforschung, ein hochwirksames, nicht apothekenpflichtiges Antidepressivum. Es ist nicht die schlechteste Sachbuch-Saison, die das gute Leben so voller Demut auf ihre Druckfahnen schreibt.

CHRISTIAN GEYER

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Barbara Ehrenreich schreibt ein Buch gegen das Glück, und Jutta Person findet das sehr gut so. Denn es sei an der Zeit gewesen, die "gigantische Schwindelmaschine" des positiven Denkens, welcher wir uns unterworfen hätten, auseinanderzunehmen. Ehrenreich berichte in "Die or Smile", wieviel Geld der Gesundheitssektor und das Motivationsgewerbe in den USA jedes Jahr mit Ratgebern oder Coachings für ein glückliches Leben verdienten und damit letztendlich nur das Bedürfnis der Menschen nach persönlicher Optimierung ausnutzten. Person erläutert Ehrenreichs Argumentation sehr ausführlich, nach der der Ursprung der - insbesondere in Amerika - verklärten Vorstellung eines glücklichen Lebens allein durch positive Einstellung hauptsächlich im jahrzehntelangen Widerstand gegen den asketischen Calvinismus liege. Die Rezensentin lässt sich gern überzeugen, nimmt die rosarote Brille ab und rät ihren Lesern dringend, "Die or Smile" zur Hand zu nehmen, um genau dasselbe tun zu können.

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