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Anders leben, jetzt, nicht irgendwann! Der große Aufbruch in den 70er Jahren lässt sich nirgends besser nachlesen als in den Kleinanzeigen von damals: ungespritzte Äpfel, Therapiegruppen, Grüße, Kritik, Gibson Les Paul, Kontakte - hier stellt sich dieSzene selbst dar, und zwar auf kleinstem Raum. Diese Kleinanzeigen erzählen großartige Geschichten aus dem ganz normalen Leben und haben eine umwerfende Komik. Damals war natürlich alles ernst gemeint: "Mich würde interessieren, was aus der Hodenwärmer-Clique geworden ist. Wahrscheinlich ist bei der Aktion ja gar nichts rausgekommen. Und warum?…mehr

Produktbeschreibung
Anders leben, jetzt, nicht irgendwann! Der große Aufbruch in den 70er Jahren lässt sich nirgends besser nachlesen als in den Kleinanzeigen von damals: ungespritzte Äpfel, Therapiegruppen, Grüße, Kritik, Gibson Les Paul, Kontakte - hier stellt sich dieSzene selbst dar, und zwar auf kleinstem Raum. Diese Kleinanzeigen erzählen großartige Geschichten aus dem ganz normalen Leben und haben eine umwerfende Komik. Damals war natürlich alles ernst gemeint: "Mich würde interessieren, was aus der Hodenwärmer-Clique geworden ist. Wahrscheinlich ist bei der Aktion ja gar nichts rausgekommen. Und warum? Weil Männer immer so theoretisch, abstrakt und wissenschaftlich usw. denken (wollen)." Ja, was ist bloß aus der Hodenwärmer-Clique geworden? Was aus der Männergruppe, die "Frauen zum nachts Nacktbaden" gesucht hat? Fragen, die leider offen bleiben müssen. Aber wunderbar kommentiert werden durch Gerhard Seyfrieds Zeichnungen.
Autorenporträt
Franz-Maria Sonner, geb. 1953, lebt in München. Er schreibt Hörspiele und Erzählungen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Gut amüsiert hat sich Rezensent Burkhard Strassmann bei der Lektüre von Franz-Maria Sonners Buch "Werktätiger sucht üppige Partnerin", das die siebziger Jahre auf eine etwas andere Weise spiegelt - in Hunderten von Kleinanzeigen aus der zwischen 1973 und 1984 erschienenen Szenepostille "Blatt", dem Vorbild vieler "Stadtzeitungen". Den Anzeigenteil des Zweiwochenblatts beschreibt Strassmann als "eine Art Börse" für die undogmatische Linke Münchens, als "Marktplatz der Ratlosigkeit", "Selbstverständigungsmedium in wirren Zeiten" und Kontakthof:  Bleikristallkugeln werden da gesucht, Schwarzfahrer-Versicherungen, Kefir-Pilze oder Hodenwärmer angeboten, Orgien und Orgasmusschulungen erfragt. Sonners Einschätzung, die komische Wirkung dieser Kleinanzeigen habe mit der historische Verfremdung zu tun, die Entfernung vom damaligen Lebensstil führe zum "Schillern der Haltungen und Gesten", findet dabei durchaus Strassmanns Zustimmung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2005

Gemischte Besetzung
Ein humorfreies Urteil zu Texten aus den schrecklichen Siebzigern
Vermutlich sind alle unsere Lebensäußerungen, aus einigem zeitlichen Abstand betrachtet, von entwaffnender Peinlichkeit. Und was im Moment des Erlebens uns individuell und unaustauschbar erschien, ist aus der Retrospektive nur mehr typologisch und von niederschmetternder Uniformität. Aber selbst eingeräumt, dass die eigene Gegenwart in wenigen Jahren auch ziemlich alt aussehen wird, möchte man trotzdem behaupten, dass die siebziger Jahre ein besonders widerliches, verächtliches und abstoßendes Jahrzehnt gewesen sind.
In dieser Überzeugung bestärkt uns jetzt eine Anthologie, in der Franz-Maria Sonner Kleinanzeigen zusammengestellt hat, die in den siebziger Jahren in dem Münchner Stadtmagazin Blatt erschienen sind. „Werktätiger sucht üppige Partnerin” heißt es. Und auf dem Buchrücken steht: „Der große Aufbruch in kleinen Anzeigen”. Tatsächlich ist die Kleinanzeige das ideale Genre für eine alltagsnahe Sozialgeschichte. Nah an der Mündlichkeit ist sie ein Stück oral history. Wegen ihrer Anonymität muss sie kein Blatt vor den Mund nehmen. Zugleich muss sie als tendenziell knappe Kommunikationsform schnell zum Punkt kommen. In ihr sprechen sich elementare Bedürfnisse aus: Was in einer Gesellschaft ein Mensch von einem anderen möchte und was er ihm umgekehrt dafür geben kann.
Die Kleinanzeige unterliegt dabei einer interessanten Dialektik: Während ihr Verfasser sein je eigenes Bedürfnis mitteilen möchte, produziert er am laufenden Band Formeln, die sich fast wörtlich in jeder benachbarten Annonce wiederfinden. Die massiv betriebene Formlosigkeit, wie sie das Blatt zelebriert, bringt eine durchschlagende Konventionalität hervor.
Schlüsselbegriff dafür ist der „Frust”. Fast jeder spricht in scheinbar authentischer Selbstentblößung davon, wie „gefrustet” er sei. Aus diesem Eingeständnis scheint sich zwanglos das Recht abzuleiten, nach einem „guten Weib” zu rufen, um „mit ihm zu fressen, saufen, bumsen”. Das Eingeständnis, dass man „psychisch angeknackst” ist, ist das Entrebillet, alle weiteren Bedürfnisse in größter Krudheit vorzubringen. Überhaupt ist die ganze Psychofixierung nur ein Mittel zur Intimitätserzwingung: „Nonkonformist mit Angstneurose und entsprechender Isolation sucht dringend Kontakt mit unkonventionellen Mädchen”.
Die Siebziger waren das große Laberjahrzehnt. Dazu gehören ganze Registerarien von Schlagwörtern. Das Feindbild sind die „Erfolgsritter, Ehrgeizlinge, Steigbügelhalter, Kadavergehorsampraktizierenden, blinden Linientreuen”. Sehr wichtig ist das Problembewusstsein. Drei Männer suchen Mitbewohner für ihre WG: „Wir würden zwei Frauen bevorzugen, nicht um etwas zum Bumsen daheim zu haben oder sich an Mädchenbrüsten auszuweinen, sondern weil wir meinen, dass in einer gemischten Besetzung ein anderer Zugang zu Problemen möglich ist als in einer reinen Männer-WG.” Überhaupt werden „Erfahrungen” ständig „gesammelt”, um die scheinbare Vereinzelung im Austausch der Gemeinschaft aufzuheben: „Dringend! Wer hat selbstverfasste Arbeit über abweichendes Verhalten?”
Ein anderer roter Faden ist das Haben-Wollen in seiner unverblümtesten Unverschämtheit, die sich mit moralischem Druck äußert: „Das Geige spielen habe ich in den letzten Jahren verlernt. Wenn mir jemand eine schenkt, würde ichs noch mal versuchen.” Oder: „Arbeiter-Schriftsteller sucht fürs Wochenende Studenten, die auf seine Kinder aufpassen. Nur so hätte ich Zeit, mein neues Buch über die Münchner Arbeiterbewegung zu schreiben.” Botho Strauß muss all das gelesen haben, bevor er „Kalldeway, Farce” schrieb.
Leider ist das Buch, besonders durch die schrecklichen Zeichnungen von Gerhard Seyfried aus jener Zeit, rein affirmativ. Die Rede vom Aufbruch ist der reine Hohn. Dass die andere Seite dieser infantilen Bedürfnisbefriedigungsregression der RAF-Terrorismus war, kann man aus jeder dieser Kleinanzeigen herauslesen. „High sein, frei sein, Terror muss dabei sein.”
IJOMA MANGOLD
FRANZ-MARIA SONNER: Werktätiger sucht üppige Partnerin. Die Szene der 70er Jahre in ihren Kleinanzeigen. Mit Zeichnungen von Gerhard Seyfried. Antje Kunstmann Verlag, München 2005. 142 Seiten, 9,90 Euro.
Die 70er Jahre, wie sie Gerhard Seyfried sah
Foto: Kunstmann Verlag
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