Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 10,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Transit Berlin
  • Seitenzahl: 159
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 315g
  • ISBN-13: 9783887471804
  • ISBN-10: 3887471806
  • Artikelnr.: 11169705
Autorenporträt
George Grosz, geboren 1893 in Berlin, studierte an der Dresdner Akademie und an der Kunstgewerbeschule in Berlin, wo er sich maßgeblich an der Dadabewegung beteiligt hat. 1933 emigrierte er in die Vereinigten Staaten, 1938 wurde er amerikanischer Staatsbürger.George Grosz kehrte wenige Wochen vor seinem Tod im Mai 1959 nach Berlin zurück.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.06.2003

Ach, Maxe, dieser mostrichfarbene Nebel
In fremder Straßen fremde Nacht verschlagen: George Grosz und Max Hermann- Neisse schreiben sich Briefe im Exil
Wer über George Grosz etwas erfahren möchte, hat es leicht. Zahlreiche Publikationen und Ausstellungskataloge sind in den letzten Jahren über diesen profilierten Zeichner und Maler und bissigsten Kritiker der Weimarer Politik erschienen. Mit dem Schriftsteller Max Hermann- Neisse tut man sich schwerer. Die in den achtziger Jahren bei Zweitausendeins von Klaus Völker herausgebrachte Gesamtausgabe seiner Werke ist längst vergriffen, und nur vereinzelt lassen sich antiquarisch Gedichte und Prosastücke dieses sensiblen und dem Weltschmerz sich hingebenden Dichters finden. Desto verdienstvoller ist es nun, dass der gesamte Briefwechsel zwischen Grosz und Hermann-Neisse vorliegt, dessen Herausgabe ebenfalls von Klaus Völker besorgt wurde.
George Grosz und Max Hermann-Neisse hatten sich 1917 in Berlin kennen und schätzen gelernt. Es entstand eine rege Freundschaft. Als Grosz 1933, wenige Tage vor dem Reichstagsbrand, Deutschland verließ und nach New York auswandert, und Hermann-Neisse einen Tag nach dem von den Nazis inszenierten Brandanschlag auf die Demokratie nach London emigrierte, nahm der Briefwechsel zwischen den Freunden an Intensität zu. Es sind neben persönlichen Berichten und Besorgnissen um den anderen vor allem Aussagen politischen Inhalts, in denen sie ihre Abscheu vor den Geschehnissen in Deutschland Ausdruck geben und geradezu seherisch die kommende Katastrophe, die Europa in den Abgrund reißen wird, voraussagen.
Beide leiden am Elend dieser Welt und teilen sich ihr Leiden gegenseitig mit. So schreibt Grosz, der in New York noch in einem kleinen Hotelzimmer wohnt, am 5. Mai 1933: „Max, ich habe genug! Überall ist mehr oder weniger Brutalität... überall wird erschossen, gehängt, kujoniert... überall sind die Menschen voller Vorurteile und kleiner beschissener Furcht und Machtanbetung... Dieses ganze Europa ist voll gestopft mit Pulver.. . und verängstigten Menschen... wie das alles so schnell versagte... und sich dreiviertel umgehend, und schon vorher, zur absoluten Macht bekannte... Links wird genauso gehauen wie rechts! ... Mann, wenn der Kommunismus gekommen wäre... (was ganz unmöglich war natürlich) nur angenommen, ...dann säßen 100 mal mehr Emigranten überall dort in den Nachbarländern herum. Alles ist brutaler, sinnloser Machtkampf... und mir so ein schönes Übermorgen mit Engeln vorzustellen, dazu fehlt mir einfach der Glauben. Immer haben sie alle links und rechts vom „besseren Übermorgen” gefaselt. Schluss... Mist! Scheiße! ... wer unten ist, ist auch im Vaterlande des Proletariats unten. Wer oben ist, ist eben oben und kann befehlen.”
Mensch oder Schweinehund
„Eins steht aber fest Maxe, nach Deutschland möchte ich nicht zurück... nicht bloß deswegen, weil die da meinen Namen ausgelöscht haben”, empört sich Grosz eine Woche nach dem obigen Brief des weiteren. „...wenn man an drüben denkt wirds einem übel.. richtig böse wird man... ach Maxe mir verschwimmt drüben alles zu einem mostrichfarbenem Nebel... und ein riesiger Scheißberg wälzt sich über alles... überall Kriegsspielerei und blödester Nationalismus, Hitlerman ein Großer der Erde. .. briefmarkenreif. Es ist ja zum Kotzen!”Die Antwort aus London kommt sofort: „Aber wie schmählich und schwächlich entlarven sich viele unsrer Bekannten: Benn, Loerke, Heinrich George, Werner Finck, Fred Hildenbrandt, Sinsheimer etcetera, etcetera... es gilt doch einfach: Mensch oder Schweinehund; glaube mir, ich bin kein Fanatiker, na, Du kennst mich ja, ich war immer viel zu viel Dichter, Menschenkenner und -Gestalter, um nicht zu wissen, dass alles seine vielen Seiten hat, aber das, was jetzt in unserem Deutschland die Macht hat, ist die reine, gemeine Barbarei...!”
Da sitzen sie nun in der Emigration, des Vaterlands beraubt und auf sich selbst geworfen. Mit scharfem Verstand analysiert Grosz die Zeitverhältnisse und prophezeit, ebenso wie Max Hermann-Neisse, den bevorstehenden „großen Krieg”. Wütend vor allem ist Grosz auf die Intellektuellen und Literaten und darüber, dass „sich das ganze geistige Gesindel gleichschalten lässt, dass es nur so knallt”. Gleichzeitig bekennt er dem Freund: „So Maxe, wir sind erledigt, wir sind ja noch von vorgestern... die richtige ,verlorene Generation-... dazu gehören wir”. Und aus London hallt es zurück: „Und nun sitze ich also wieder hier, schreibe hin und wieder deutsche Gedichte, die niemand will, und werde immer älter und unnützer.” Das Klagen mag erleichtern, helfen tut es nicht.
Gerade mal 44 Kilo bringt Hermann-Neisse 1937 in London noch auf die Waage. Aber eben in der Emigration, in der Zeit der größten Entbehrung, des größten Schmerzes und der ungestillten Trauer, entstehen die schönsten Gedichte, Gedichte, die mit Zeilen wie „Dein Haar hat Lieder, die ich liebe” und „Süßapfelspiel in meiner Hände Hallen” beginnen oder „Der Flieder duftet, und die Tauben gurren” („Pfingstwunder”), aber auch Anfänge haben, die die Trauer unumwunden zugeben, wie „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen” und „In fremder Straßen fremde Nacht verschlagen”. In einem Brief vom 19. Oktober 1936 widmet er Grosz ein Gedicht, das mit den Zeilen „Ich komme nicht mehr zurecht mit dem Leben” beginnt und mit „Es findet in all dem Drohen und Morden / mein friedliebendes Leben sich nicht mehr zurecht” endet.
Grosz weiß, wie sehr der Freund in seiner Existenz gefährdet ist und beschwört ihn geradezu, London zu verlassen und nach Amerika zu kommen. Als der Dichter einmal krank im Bett liegt und die Ärzte ihm wegen seiner Appetitlosigkeit und Schwäche zu einem Milchtag raten, soll er zu seiner Frau gesagt haben: Drei Dinge habe er in seinem Leben immer vermeiden wollen. In England zu leben, in einem kriegführenden Land zu leben und Milch zu trinken. Nun trinke er Milch im kriegführendenEngland. Das sei zu viel.
Die Bemühungen von Grosz, Hermann-Neisse nach Amerika zu holen, fruchten jdeoch nicht. Zudem ist sein deutscher Pass abgelaufen. Er wird von der Vertretung des Deutschen Reichs nicht verlängert. Ein Antrag auf englische Staatsbürgerschaft bleibt unbearbeitet. Am 8. April 1941 stirbt Max Hermann- Neisse nach einem Herzanfall im Alter von 56 Jahren in London.
In seinem Nachruf auf den Dichter schreibt Stefan Zweig: „Niemals hat er schönere Gedichte geschrieben als jene im Exil, die schönsten vielleicht, die seit Heinrich Heine im Exil geschrieben wurden..., selten habe ich bei einem Menschen so viel seelische Tapferkeit der Gesinnung gesehen wie bei diesem kleinen schwachen Mann, der zerbrechlich schien vor einem Hauch des Winds und doch moralisch diesem furchtbaren Orkan der Geschichte unerschütterlich durch seinen Glauben an die dichterische Mission standgehalten hat.”
Der Briefwechsel bricht im Oktober 1938 ab. Klaus Völker hat kenntnisreich etliche der Briefe mit Kommentaren versehen und dem Anhang ein kleines biographisches Lexikon hinzugefügt. Manche der Angaben hätte man sich noch genauer und informativer gewünscht. Trotzdem sind die Angaben hilfreich und vermitteln dem interessierten Leser eine Fülle von Informationen den Umkreis von George Grosz und Max Hermann-Neisse betreffend, die man anderswo schwerlich in so konzentrierter Form findet.
RALPH JENTSCH
GEORGE GROSZ/MAX HERMANN NEISSE: Ist schon doll das Leben. Der Briefwechsel. Herausgegegen von Klaus Völker. Transit Buchverlag, Berlin 2003. 128 S., 16,80 Euro.
Max Hermann-Neisse von George Grosz, 1927.
Foto aus
dem bespr. Band
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ralph Jentsch begrüßt es sehr, dass durch den Briefwechsel neben dem bekannten Zeichner und Maler Grosz auch der Lyriker Max Hermann-Neisse in Texten greifbar wird, da dessen Werke heute längst vergriffen sind, wie der Rezensent mitteilt. Er zitiert eingehend aus den Briefen, die sich Grosz und Hermann-Neisse aus dem Exil von New York und London geschickt haben und hat neben persönlichen Berichten vor allem politische Äußerungen gefunden. Jentsch lobt den Herausgeber Klaus Völker nicht nur für seine Bemühungen um den Briefwechsel, sondern auch für seine "kenntnisreichen" Kommentare zu den einzelnen Briefen. Manches, gibt der Rezensent zu, hätte er sich "genauer und informativer gewünscht", aber alles in allem ist er sehr zufrieden mit diesem Buch.

© Perlentaucher Medien GmbH