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Konstantin Simonides war ein begnadeter Hochstapler, der geschickteste und schamloseste Fälscher von alten Manuskripten und Papyrusrollen im 19. Jahrhundert. Rüdiger Schaper ist eine hinreißende biographische Erzählung gelungen, die sich zugleich auf anschauliche Weise mit der Frage nach Originalität und Fälschung auseinandersetzt. Das Buch weckt nicht nur Sympathien für seinen skurrilen Helden, sondern beschwört zugleich die Antikensehnsucht vom 19. Jahrhundert bis heute und zeigt, wie sich das moderne Europa seine Antike erfand.

Produktbeschreibung
Konstantin Simonides war ein begnadeter Hochstapler, der geschickteste und schamloseste Fälscher von alten Manuskripten und Papyrusrollen im 19. Jahrhundert. Rüdiger Schaper ist eine hinreißende biographische Erzählung gelungen, die sich zugleich auf anschauliche Weise mit der Frage nach Originalität und Fälschung auseinandersetzt. Das Buch weckt nicht nur Sympathien für seinen skurrilen Helden, sondern beschwört zugleich die Antikensehnsucht vom 19. Jahrhundert bis heute und zeigt, wie sich das moderne Europa seine Antike erfand.
Autorenporträt
Rüdiger Schaper, Jahrgang 1959, leitet das Kulturressort des Berliner Tagesspiegel, für den er seit 1999 tätig ist. Zuvor war er zehn Jahre lang Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.04.2011

Narretei aus Griechenland
Ein Buch über den genialen Fälscher Konstantin Simonides
Ein Teenager begeht ein Giftattentat auf seine Eltern. Sie überleben das Arsen im Essen und verbannen ihren Sohn auf den Klosterberg Athos, einen abgeschiedenen Ort der Bildung, der Askese und der Sodomie. Bald entdeckt Konstantin seine Bestimmung: uralte Manuskripte. In einem Geheimversteck lagern Hunderte und Tausende Pergamentrollen. Athos, der heilige Berg, das soll Konstantins Schule werden und ein sicheres Nachschublager für seine Geschäfte mit vor Begeisterung erblindeten Sammlern und Philologen in ganz Europa. Er wird der Dealer für ihr Bestreben und ihre Sucht, die Antike mit Originaltexten wissenschaftlich zu erschließen. Nur mit der Originalität nimmt es Konstantin Simonides nicht so genau. Am Ende seiner Karriere wird man ihn den größten Schriftenfälscher des 19. Jahrhunderts nennen. Die Hitlertagebücher von Konrad Kujau nehmen sich gegen sein Werk aus wie Fingerübungen.
Simonides wird 1820 oder 1824 auf der kleinen Insel Symi geboren, in der östlichen Ägäis, gleich vor der türkischen Küste. Seine Biographie zu erzählen, ist nicht leicht. Die Quellen sind dürftig – oder stehen unter dem Verdacht, von ihm selbst verfasst zu sein, wie das Büchlein „A Biographical Memoir of Constantine Simonides, Dr. Ph., of Stageira, with a Brief Defence of the Authenticity of his Manuscripts“ von Charles Stewart – einem Mann, der nie nachweisbar in Erscheinung getreten ist und dieselben Initialen besitzt wie der Grieche. Rüdiger Schaper, Kulturchef beim Berliner Tagesspiegel, hat das wenige Material gesammelt, ist den Weg Simonides durch Europa nachgegangen und arbeitet an seinem Helden exemplarisch die Antiken-Begeisterung des 19. Jahrhunderts auf.
„Die Odyssee des Fälschers“ – bereits der Titel verbindet Simonides mit Griechenlands Großen – ist Biographie, Erzählung und (kunst-)historischer Essay in einem. Eine Erzählung deswegen, weil ohne Quellen und Zeitzeugen niemand eine spannende Biographie schreiben kann. Im Buch heißt es: „Was nicht zu beweisen ist, ist auch nicht zu widerlegen.“ Rüdiger Schaper macht vieles richtig, erzählt spannend wie gelehrt eine fast vergessene, filmreife Geschichte, und macht eine entscheidende Sache falsch: Seine Begeisterung für Konstantin Simonides kippt um in Glorifizierung. „Simonides war ein Künstler, der sich ein eigenes Universum schuf aus dunkler Materie.“ Doch der Grieche war in erster Linie ein Fälscher.
Kunstfälscher sind Kriminelle, aber solche mit Smooth-Criminal-Attitüde. Han van Meegeren, begnadeter Vermeer-Fälscher, wurde in den Niederlanden zum Held, weil er Hermann Göring für viel Geld „Christus und die Ehebrecherin“ andrehte. Urkundenfälschungen haben dagegen oft weitreichende politische Auswirkungen. Die „Konstantinische Schenkung“, ein Dokument aus dem 8. Jahrhundert, frisiert auf anno 317, begründete bekanntlich ein Jahrtausend lang den Gebietsanspruch der Päpste auf das Weströmische Reich.
Welche Art Fälscher aber war Simonides? Denn zum einen waren Reproduktionen im 19. Jahrhundert völlig normal und legitim – solange sie nicht als Original verkauft wurden. Und zum anderen war Simonides ein Interpret und Ergänzender. Seine Vorgehensweise: Den Haufen von Dokumenten vom Athos unterzog er einer Bearbeitung. Er textete hinzu, in bester Schrift und schlechtester Sprache. Er nahm Palimpseste, also antike Manuskripte, die bereits abgeschabt und wiederbeschrieben wurden, und palimpsestierte munter weiter. Ganze Epen entsprangen seinem munteren Geiste, etwa die komplett erfundene Geschichte „Symais. Die Geschichte der Schule des Apolloniados“, die angeblich von einem Mönch stammt und 1848 von Simonides herausgegeben wurde. Mit Dampf und Quecksilber betriebene Boote tauchen dort auf sowie ausgiebige Sexorgien am Strand. Das Werk wurde alsbald als Fälschung enttarnt.
Wie wurde aus Konstantin Simonides ein Fälscher und Hochstapler? Geld spielte eine untergeordnete Rolle, auch scheint er kein Vergnügen daraus gezogen zu haben, die Fachwelt zu foppen, er ist keine Spielernatur wie Felix Krull. Als denkbar nennt Schaper die Idee, der jungen griechischen Nation – am Befreiungskrieg gegen das Osmanische Reich war noch Simonides’ Vater beteiligt – durch Kulturgüter zu Ansehen und Würde zu verhelfen. Fälschung aus nationaler Gesinnung also? Am Ende ist die Antwort auch eine subjektive, psychologisierende: Der vom Vater Verstoßene (ein fast klassischer Hintergrund bei Fälschern) gibt den Westeuropäern das, wonach sie verlangen. Weil er begabt ist und hoch hinaus will.
Schleierhaft bleibt jedoch, warum Simonides mit seinen Aktivitäten „nebenbei die Antike erfand“ – so heißt es im Untertitel des Buches. Die Antike wurde in Renaissance und Klassik, wenn auch häufig idealisiert, intensiv studiert; und allerspätestens seit der Entdeckung der Ägineten, die von 1830 an in der Münchner Glyptothek ausgestellt waren, oder der Reise der Elgin Marbles von der Athener Akropolis ins Londoner British Museum war die ursprüngliche Antike nach Westeuropa gelangt und sorgte für Aufsehen. Zu Zeiten, da Simonides noch ein Kind war. Das mit der „Erfindung“ ist eine publikationswirksame Übertreibung.
Nichtsdestoweniger gelingt Rüdiger Schaper in diesem fesselnden Buch die Entzauberung einer Epoche, die vielen seit Schulzeiten noch als unverrückbar, unhinterfragbar, klassisch gilt. Aber Geschichte ist gemacht von den Späteren. „Was ist Kultur? Das Bild der Vergangenheit, der Geschichte, gefiltert durch gegenwärtige Techniken und Bedürfnisse, Erwartungen und Erkenntnisse.“ Konstantin Simonides hat sich ohne Scheu zum Macher aufgeschwungen. Wer weiß, wie viele Manuskripte noch als seine Fälschungen enttarnt werden? Zuletzt trat der umstrittene Artemidor-Papyrus in den Fokus, der auf ihn zurückgehen soll. Die Narretei nimmt kein Ende. MATTHIAS WAHA
RÜDIGER SCHAPER: Die Odyssee des Fälschers. Die abenteuerliche Geschichte des Konstantin Simonides, der Europa zum Narren hielt und nebenbei die Antike erfand. Siedler Verlag, München 2011. 208 Seiten, 16,99 Euro.
Gegen das Werk dieses Mannes
sind Kujaus Hitler-Tagebücher
nicht mehr als Fingerübungen
Hier, in den abgelegenen orthodoxen Klöstern auf dem Berg Athos, lagerten unzählige alte Pergamentrollen. Dies war die Schule und das Nachschublager für den großen Hochstapler Simonides, der begeisterte Philologen und Sammler in ganz Europa belieferte.
Foto: Fernando Moleres/laif
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2011

Blass muss die Tinte beim Verfertigen sensationeller Palimpseste sein
Von der freien Arbeit an der Überlieferung: Rüdiger Schaper tut dem Fälscher Konstantin Simonides mit der Promotion zum Erfinder der Antike etwas zu viel der Ehre an

Der kurze Artikel "Literarische Fälschung" in der "Encyclopedia Britannica" widmet Konstantin Simonides einen einzigen Satz: ein Abenteurer, der echte Handschriften und merkwürdige Produkte von eigener Hand verkaufte und dabei auftrat, wie Fälscher das auch sonst gelegentlich täten, "with a certain specious glamour". Der fast vergessene Name wurde unlängst noch einmal genannt, als der streitbare Luciano Canfora den Artemidor-Papyrus zur Schöpfung des geheimnisumwitterten Griechen erklärte. Wie zur Bestätigung dieser These sehen sich selbst die Befürworter der Echtheit des vor fünf Jahren für eine siebenstellige Summe erworbenen Stücks gezwungen, eine sehr komplizierte Geschichte von Verwendungen, Beschriftungen und Zweitverwendungen zu erzählen, beinahe würdig der Lebensgeschichte des Simonides, die von diesem immer wieder neu und anders gemodelt wurde.

Ein Stenogramm des halbwegs Gesicherten wäre kurz. Der Sohn eines Arztes, geboren 1820 auf Symi, einer Insel vor der Küste Südkleinasiens, oder 1824 auf dem trockenen Eiland Hydra, südlich von Athen, erhält eine ordentliche Bildung. Später lebt er im Kloster Athos, versenkt sich in die Welt der Handschriften antiker wie byzantinischer Autoren und gewinnt Zugang zu geheimen Verstecken und großen Mengen von alten Pergamentcodices, Dokumenten und Zeichnungen.

Sie werden sein Metier. Simonides reist durch das antikebegeisterte Europa, nach Paris, Leipzig und Oxford, und bietet Manuskripte an, mit wechselndem Erfolg. Er kann sich die notorisch komplizierten Überlieferungsverhältnisse zunutze machen und arbeitet raffinierter als Konrad Kujau, indem er etwa verkehrte Palimpseste schafft: Einer unzweifelhaft echten Handschrift wird mit blasser Tinte nachträglich ein "älterer", sensationeller Text unterlegt. Simonides erlangt eine gewisse Bekanntheit, gewinnt Gönner und macht sich Feinde. Seine apologetische Lebensgeschichte lässt er als Biographie aus der Feder eines befreundeten Engländers erscheinen, der ebenfalls erfunden ist. Am Ende verlässt ihn das Glück; er stirbt verarmt in Alexandria, wahrscheinlich 1867.

Rüdiger Schaper hat gründlich recherchiert, ist zu Stationen seines Odysseus gereist und schreibt mit literarischem Ehrgeiz. Er verschränkt Motive miteinander, die aktuell sind und damit geeignet, Abstände und Unterscheidungen aufzuheben, etwa ein liebloses Elternhaus und sexuellen Missbrauch durch den Onkel, einen Mönch, der den jungen Konstantin auf den Heiligen Berg mitnimmt. Dann die Geburt des neuen griechischen Staates, dessen Patrioten sich gegen Fremdbestimmung und Beraubung nur wehren können, indem sie selbst zu listenreichen Betrügern werden.

Kluges weiß der Autor über das neunzehnte Jahrhundert zu sagen. Die Beschleunigung des technisch-industriellen Wandels aller Lebensverhältnisse treibt die Gebildeten Europas, sich in die ferne Antike zu versenken. Positivismus und Perfektionsdrang peitschen sie voran, immer noch mehr neue Zeugnisse aus der alten Zeit haben zu wollen; gleichzeitig wird das Echte, Originale, Authentische zum Fetisch in einer Welt, die leidenschaftlich damit befasst ist, ihr Alter und ihre Beschaffenheit mit den neuen Instrumenten von Physik, Chemie und Biologie zu erfassen.

Philologen und Paläographen ziehen auf ihren Aneignungsreisen durch alte Klöster alle Register und entwickeln zugleich immer feinere Kriterien, echt und gefälscht zu unterscheiden. Der tief gläubige Simonides, dem alle Zeiten eins sind, alles in Wort und Schrift Gefasste Ergebnis eines gleich verehrungswürdigen Schöpfungsaktes, wird von ihnen zum Scharlatan gebrandmarkt.

Schaper bemüht gar das Internet als eine neue alexandrinische Universalbibliothek, welche die "gefestigte, wissenschaftlich unterfütterte, modern-romantische Vorstellung vom Original" in seine Bestandteile zerfallen lasse. Der rastlos umgetriebene Pirat Simonides, seine "kaum kontrollierbare Produktivität, frei im Umgang mit Quellen, Daten und geistigem Eigentum" haben des Autors ganze Sympathie. Wer schreibe, fälsche a priori, Tradition sei ein Verrat an dem, was nicht überliefert wird. Forschen und Finden, das Doppelgestirn der Moderne, ergänzt Schaper um das Fälschen zum Dreisatz der Zivilisation. Ob er als Kulturchef des "Tagesspiegel" auch so über den Schwindeldoktor zu Guttenberg geschrieben hat?

Sinn generiert der Autor durch Assoziationen. Die Antinoos-Statue in Delphi, der antike Dichter Simonides und die ihm zugeschriebene Mnemotechnik, die Erfindung der Fotografie, die frauenfeindlichen Marienverehrer auf dem Athos, Lord Byron und sein falscher Sohn, ein fabrizierter Shakespeare, der bei der Präsentation auffliegt, dies und vieles mehr durchdringt und adelt die dürftigen Fakten. Indem er die Antike des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder zum Konstrukt, zur fixen Idee eines kolonialistischen Europa erklärt, denunziert er zugleich die Professionalisierung und Autonomisierung der Altertumswissenschaft - und der Theologie gleich mit. Konstantin Tischendorf, der Entdecker des Codex Sinaiticus, steigt dementsprechend zum bösen Antipoden und Alter Ego des Simonides auf. Diese Deutschen, die sich im Griechischen besser als alle anderen auskennen wollten: Ein solches Ressentiment wird Simonides unterstellt (und verschwiegen, dass es in der Substanz zutrifft).

Über die Praxis der Sammler und Philologen jener Zeit erfährt man Erhellendes. Aber der Untertitel des Buches wird durch den Bericht selbst widerlegt. Simonides blieb in Frankreich ganz ohne Erfolg, in Deutschland saß er kurzzeitig im Gefängnis, und nur in England sicherte ihm ein offenkundig pathologischer Sammler für längere Zeit die Subsistenz. Zwar druckte ein renommierter englischer Universitätsverlag die angeblich von einem Uranios verfasste ägyptische Königsgeschichte, herausgegeben von einem Leipziger Philologen. Aber der Schwindel flog rasch auf, da man genauer hinsah, als der allzu produktive Editor dies getan hatte.

Simonides hat auch nicht die Antike erfunden; dafür war seine Wirkung viel zu gering. Schaper heroisiert den Vereinsamten zum unzeitgemäßen Heros, der gut in die Spätantike gepasst hätte oder in das heutige, vom Bankrott bedrohte Griechenland. Man liest sein Buch mit Spannung und Vergnügen. Doch der Preis der Ehrenrettung ist hoch: Historismus und die Wissenschaft als Denk- und Lebensformen erscheinen hier im Modus einer Schwarzen Legende.

UWE WALTER

Rüdiger Schaper: "Die Odyssee des Fälschers." Die abenteuerliche Geschichte des Konstantin Simonides, der Europa zum Narren hielt und nebenbei die Antike erfand.

Siedler Verlag, München 2011. 206 S., Abb., geb., 16,99 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Von wegen klassisch griechisch. Nach dieser Lektüre ist sich Matthias Waha nicht mehr so sicher, was wirklich wahr ist an unserem Bild von der Antike. Hatte der Schriftenfälscher Konstantin Simonides nicht vielleicht seine Finger im Spiel, wie schon bei der "Konstaninischen Schenkung"? Das Buch aber ist echt, nachweislich verfasst von Rüdiger Schaper, als auf spärlichem Material fußende spannende Biografie, Erzählung und gelehrter kunsthistorischer Essay in einem, wie Waha begeistert erläutert. Allerdings geht ihm die Sympathie des Autors für den Fälscherkönig Simonides ein bisschen zu weit. Schließlich handelt es sich um einen Kriminellen, wenn auch einen "sanften". Der mutmaßliche Beweggrund des Fälschers, der Heimat zu Ruhm zu verhelfen, stimmt Waha in diesem einen Punkt auch nicht nachsichtiger.

© Perlentaucher Medien GmbH