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Als Gerhard Schröder 1998 ankündigte, nach seinem Wahlsieg das Amt eines "Kulturbeauftragten" der Bundesregierung einzuführen, löste diese Nachricht Neugier aus, große Erwartungen, aber auch Misstrauen. Das Interesse des Feuilletons und des Kulturbetriebes wuchs weiter, als der Name des Kandidaten fiel: Es war Michael Naumann - habilitierter Politikwissenschaftler, Journalist, Leiter der Rowohlt Verlage in Reinbek und später von Holt in New York. Ein Seiteneinsteiger in die Politik, ein Publizist und Verlagsleiter, der Intellektualität mit Temperament und Streitlust verband, sollte fortan die…mehr

Produktbeschreibung
Als Gerhard Schröder 1998 ankündigte, nach seinem Wahlsieg das Amt eines "Kulturbeauftragten" der Bundesregierung einzuführen, löste diese Nachricht Neugier aus, große Erwartungen, aber auch Misstrauen. Das Interesse des Feuilletons und des Kulturbetriebes wuchs weiter, als der Name des Kandidaten fiel: Es war Michael Naumann - habilitierter Politikwissenschaftler, Journalist, Leiter der Rowohlt Verlage in Reinbek und später von Holt in New York. Ein Seiteneinsteiger in die Politik, ein Publizist und Verlagsleiter, der Intellektualität mit Temperament und Streitlust verband, sollte fortan die kulturpolitischen Kompetenzen des Bundes in neuer Form zusammenfassen und wirksamer einsetzen als bisher.

Zwei Jahre hat Michael Naumann als erster "Staatsminister für die Kultur und die Medien" im Kabinett Schröder gearbeitet. Zum ersten Mal hatten die in der Kultur Arbeitenden und an Kultur Interessierten in Deutschland einen Gesprächspartner auf Regierungsebene, einen Minister, der eigentlich einer der ihren war, der ihre Sprache verstand und ihre Probleme kannte. Wie kein anderer Minister vor ihm griff er kulturelle Themen auf, trieb den öffentlichen Diskurs voran und löste lange schwelende Probleme wie das des Holocaust-Denkmals in Berlin und kämpfte erfolgreich für die Erhaltung der Preisbindung bei Büchern.

Die hier versammelten Reden und Essays spiegeln Naumanns Eloquenz und Streitbarkeit wider, aber auch sein tiefes Engagement für die Kultur als Medium des Selbstverständnisses einer Gesellschaft. Michael Naumann wird auch in seiner neuen Rolle als Herausgeber der "Zeit" einer der wichtigsten Ideengeber und glänzendsten Publizisten des Landes bleiben.
Autorenporträt
Michael Naumann wurde 1941 in Koethen/Sachsen-Anhalt geboren. Er studierte Politik, Geschichte und Philosophie in Marburg und München. Als Journalist arbeitete er für "Die Zeit" und den "Spiegel". 1985 übernahm er die Verlagsleitung der Rowohlt Verlage. 1995 ging er nach New York, um dort zunächst den Verlag Metropolitan Books und dann Henry Holt zu leiten. Im Oktober 1998 berief ihn Gerhard Schröder als Staatsminister für Kultur und Medien, ein Auftrag, den er bis zum November 2000 mit großem Erfolg erfüllte. Im Januar 2001 wechselt Michael Naumann als Herausgeber zur Wochenzeitung "Die Zeit" nach Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2001

Paradiesvogel in Nutztierhaltung
Ernst ist das Nachleben: Michael Naumann drückt Stempel auf

Was treibt einen Menschen in die Politik? Zumal wenn er gescheit und gebildet, beredt und belesen ist? Der ehemalige Staatsminister Michael Naumann stellt sich diese Frage gleich mehrmals und kommt doch stets zu der nämlichen Antwort: "Es ist, so die These, das Politische selbst." Darunter versteht er "die mehr oder weniger erfüllte Sehnsucht nach freier zivilpolitischer Praxis, nach Teilnahme am diskursiven bürgergesellschaftlichen Prozeß der Politik". Sein Wunschdenken treibt den Sehnsüchtigen noch weiter: "Es ist der Wunsch, die Institutionen, für die er Verantwortung trägt, so zu beeinflussen, daß sie dauerhaft anspruchsvollen Vorstellungen des Demokratischen entsprechen." Und für jeden Schelm, der schlecht über die Antriebskräfte von Politikern denken möchte, stellt er klar: "Das Streben nach Macht und Geld kann es nicht wirklich sein, das wäre in der Wirtschaft leichter zu befriedigen." So weit die kühnste These in Naumanns Buch "Die schönste Form der Freiheit". Ansonsten findet sich viel Vernünftiges in den zwölf Reden und Aufsätzen, die aus den zwei Jahren seiner Amtszeit stammen: "Besser zu sein als eine Bevölkerung im großen und ganzen, darf man von ihren Repräsentanten nicht erwarten." Der Metzger, der beschwört, er führe die Tiere nur zu ihrem eigenen Besten zur Schlachtbank, wäre somit gerechtfertigt.

Doch darum geht es Naumann natürlich nicht. Sein "Buch spiegelt den Versuch des Autors wider, richtige kulturpolitische Handlungsziele und die komplexen Bedingungen ihrer Realisierung während der ersten zwei Jahre der Regierung Schröder zu definieren", schreibt er im Vorwort, um sogleich einzuschränken: "So gut das unter dem Druck der tagespolitischen Abfolgen möglich war." Von diesen tagespolitischen Abfolgen erfahren wir nichts. "Wer Kulturpolitik betreibt", meint der Autor, der werde ohnehin "an seinen Reden gemessen."

Lassen wir also seine Taten beiseite, und schauen uns die Sprache dieses Redners genauer an. "Die Abstraktionsebene ist hoch, womöglich allzu hoch." Naumanns Feststellung bezieht sich auf "politische Erinnerungsrhetorik" im allgemeinen, in seinem speziellen Fall gipfelt die Abstraktionsbereitschaft schon mal in einem "Hochseilakt ohne legitimatorisches Fangnetz der immanentisierten Transzendenz". Zu Vereinfachungen, wie sie geborene Machtwortpolitiker bevorzugen, neigt er bei seinen Gesellschaftsentwürfen nicht: "Die Erscheinungsweisen ihrer Selbstregulierung in Riten und Mythen, in Gesetzen und Sanktionen können indes als Verallgemeinerungen artikulierter, anamnestischer, subjektiver Erfahrungen verstanden werden." Selbst wenn bei solchen Spitzfindigkeiten die "bürgerparzipatorische Komponente" zu kurz kommt, fühlt sich Naumann auf dieser Abstraktionsebene offenbar sicherer, als bei seinen seltenen Versuchen, sich bildhaft auszudrücken, etwa wenn er sich an seine Kindheit im Nachkriegsdeutschland erinnern möchte: "An den Mauern hingen, großen Schwalbennestern gleich, freischwebende Badewannen." Heutzutage sieht er "neue Stichwörter" sprießen, "gleich Buchsbäumen in synthetischen Stadtlandschaften".

Auch in der Mahnmaldebatte mißglückt ihm der Vergleich: "Denn letzten Endes funktioniert fast jedes Denkmal als Schleusentor vor der Vergangenheit - es schließt den Erinnerungsprozeß symbolisch mit einer gesellschaftlich akzeptierten, künstlerischen Geste ab." Abschließend funktioniert allenfalls ein Sieltor, Schleusentore werden geöffnet um Durchlaß zu gewähren, und Denkmäler funktionieren entweder so oder gar nicht. Ausgesprochene Plattheiten sind erfreulich selten und unterlaufen Naumann nur, wenn er bemüht ist, sich kurz zu fassen: "Der Staat lebt vom Engagement seiner Bürger." Oder: "Berlin war stets eine Stadt der Begegnung."

Auch die typische Politiker-Unart, Didaktik für Dialektik auszugeben, indem man sich eine möglichst falsche These ausdenkt, um sie mit der eigenen richtigstellen zu können, nimmt Naumann lediglich in seinem Vorwort an, etwa wenn er den rechten Umgang mit kulturellen Traditionen anmahnt: "Nicht als abendländisches Untergangsgerede, sondern als kritische Reflexion". Oder die "Aufgaben von Kulturpolitik" definiert: "Nicht mittels kulturkritischen Zeigefingers indirekter oder gar direkter Zensur, sondern durch Unterstützung gerade jener Podien des kulturellen Diskurses, auf denen Neues, Unbotmäßiges, Satirisches, Kritisches und Differentes aufscheint."

Sein Einsatz für "geistige Innovation, für satirisches Gelächter, für intellektuelle Herausforderungen", ist so auffällig, daß man beinahe ein schlechtes Gewissen unterstellen möchte - so häufig betont Naumann, daß er es für seine vornehmste Aufgabe halte, "dem respektlosen, frechen . . . phantasievollen und komödiantischen Kulturleben Deutschlands den Schutz zu gewähren, den es benötigt". Den Grundwiderspruch, der darin liegt, daß kein Staat je diejenigen schützen und unterstützen wird, die ihm jeglichen Respekt verweigern, löst er natürlich nicht auf. Und ganz abgesehen davon, daß er diesen Worten gewiß keine Taten folgen ließ, meint er mit dem Unbotmäßigen vermutlich die wohlfeile Art von Provokation, die unsere Staatstheater und Museen ihrer Stammkundschaft gewohnheitsmäßig gerne bieten.

Wenn Naumann wirklich als der "Paradiesvogel" im Kabinett Schröders anzusehen war, möchte man lieber nicht wissen, wie die gewöhnlichen Graugänse dort schnattern. In seiner Danksagung an besonders hilfreiche Gesprächspartner erwähnt Naumann ausdrücklich Herta Däubler-Gmelin. Wo ein Gedankenaustausch mit einer Frau, die zumindest bei öffentlichen Auftritten so engstirnig wirkt, schon Dankbarkeit erweckt - mal ehrlich, wer möchte da mitreden?

In die Ecke des braven Kulturoptimismus hat Naumann sich selbst gestellt, indem er gleich zu Beginn seiner Amtszeit sein Feindbild definierte: Es seien "renommierte kulturhistorische Apokalyptiker", die ihm vor allem durch ihren "Geschichtspessimismus aus dem Vuitton-Koffer" und ihre "eschatologische Heilslehre" das politische Leben so schwer machten. "Die klamm und heimlich mitgeschleppte eschatologische Grundstimmung des kritischen Geistes" möchte er bekämpfen, denn von "derlei feuilletonistischen Schwermutskriterien" werde der Fortschritt nachhaltig behindert. Und wenn er schon in seinem Antrittsfeuilleton "Raus aus der Schwermutshöhle! Wider die Hoffnungslosigkeit des Feuilletons", erschienen am 17. September 1998 im Feuilleton der Zeit, voraussagt: "An derlei hyperkritischer Dialektik des Feuilletons droht jeder kleine, praktische Versuch, die kulturpolitischen Dinge im Lande zu verändern, wie an einem tückischen Riff zu zerschellen", klingt das wie eine eher kleinlaute vorsorgliche Schuldzuweisung. Dabei spielte sicher auch persönliches Gekränktsein eine Rolle, da Naumann sich, wie er selbst pikiert zitiert, noch vor Amtsantritt "vom ,weltgewandten Verleger' (Zeit) zum ,Spießer' (SZ)" degradiert sah.

Daß man ihm mit der zweiten Einschätzung unrecht tut, beweist das vorliegende Buch. So redlich Naumann auch bemüht ist, sich einen gewissen Schwung zu erhalten und seine "Lust, zu retten, was zu retten ist", glaubhaft zu machen, die eigenen Worte überführen ihn endlich doch: Naumann ist der dynamische Tatmensch nicht, den er vorstellen möchte, seine Lieblingsvokabel heißt Melancholie. Immer wieder taucht dies Wort als Attribut auf und am Ende "versinkt alles Reden von Kultur in Melancholie". Das ist sympathisch.

Recht hat Naumann auch, wenn er sagt, "daß unser Land sich hüten möge vor Kulturpolitikern mit ,Visionen', da jene dazu neigten, sie persönlich verwirklichen zu wollen". Für einen nach eigenem Bekunden angelsächsisch Zivilisierten läßt er sich zu überraschenden Schlüssen wie diesem leider allzu selten hinreißen. "Falsche Entscheidungen fallen ebenso langsam wie richtige. Oder nie." Michael Naumanns Entscheidung, sich aus der Politik zurückzuziehen, ist rechtzeitig gefallen.

Sein weitgehender Verzicht auf das übliche Pathos - pompöse Formulierungen unterlaufen ihm nicht häufiger als ironische - ist ein schätzenswerter Zug, zumindest an einem antiautoritär orientierten Politiker. Ob ein politischer Autor ohne Pathos und Ironie auskommen kann, bleibt fraglich. Denn dazwischen liegt oft genug nur das weite Feld gepflegter Langeweile.

BERND EILERT

Michael Naumann: "Die schönste Form der Freiheit". Reden und Essays zur Kultur der Nation. Siedler Verlag, Berlin 2001. 224 S., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Viel Vernünftiges hat Bernd Eilert in den zwölf Reden und Aufsätzen von Michael Naumann gefunden, die er in seiner zweijährigen Amtszeit als Kulturstaatsminister im Kabinett Schröder verfasst hatte. Allerdings, meint der Rezensent, scheint sich der Autor auf der Abstraktionsebene wohler zu fühlen als in der bildhaften Beschreibung. Etwas zitatenlastig führt Eilert zahlreiche Sätze und Passagen aus Naumanns Buch auf. Eine Passage hat es ihm besonders angetan. Naumanns proklamierter Einsatz für die Satiriker im Lande. Nur dass der Staatsminister dem keine Taten folgen ließ und auch den Widerspruch nicht löst, dass ein Staat diejenigen, die ihn mit bewusster Respektlosigkeit kritisieren, auch gar nicht unterstützen will, moniert der Rezensent. In Naumanns Selbstdarstellung sieht Eilert einen Hang zur Überhöhung der eigenen Ansprüche und Einstellungen und resümiert: "Wenn Naumann wirklich als der `Paradiesvogel` im Kabinett Schröders anzusehen war, möchte man lieber nicht wissen, wie die gewöhnlichen Gänse dort schnattern".

© Perlentaucher Medien GmbH