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Abgeschriebene, geschönte, gefälschte oder erfundene Studien hat es an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer wieder gegeben. In diesem Buch werden erstmals zahlreiche bekannte und unbekannte Fälle und Spielarten wissenschaftlicher Manipulation in Deutschland geschildert. Weiterhin werden die Mechanismen des Großforschungsbetriebes beleuchtet und die Schutzvorkehrungen, mit denen die deutsche Wissenschaft auf die jüngsten Fälschungsskandale reagiert hat, hinterfragt.

Produktbeschreibung
Abgeschriebene, geschönte, gefälschte oder erfundene Studien hat es an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer wieder gegeben. In diesem Buch werden erstmals zahlreiche bekannte und unbekannte Fälle und Spielarten wissenschaftlicher Manipulation in Deutschland geschildert. Weiterhin werden die Mechanismen des Großforschungsbetriebes beleuchtet und die Schutzvorkehrungen, mit denen die deutsche Wissenschaft auf die jüngsten Fälschungsskandale reagiert hat, hinterfragt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2000

Klonen von Dissertationen endlich gelungen!
Ehrenkodex, wem er gebührt: Die deutsche Wissenschaft zieht manchmal Trugschlüsse

Wissenschaft ist eine hehre Sache. Die Sachwalter genießen hohes soziales Prestige. Jedenfalls im zwanzigsten Jahrhundert, als sich Wahrheit endgültig zur Richtschnur wissenschaftlichen Arbeitens mauserte. Fortschritt hieß im gerade zu Ende gegangenen Zentenarium vor allem wissenschaftlicher und als Accessoire technologischer Fortschritt. Ohne Wissenschaft und Technik wären Industrie und Wirtschaft (und Kultur) kaum weitergekommen. Unser Wohlstand in der Ersten Welt ist ein wissenschaftlich ermöglichter Luxus. In der jüngeren Vergangenheit galten vor allem Amerikaner und Asiaten als Motoren der Wissenschafts- und Wohlstandsproduktion. Nach einigen (angeblich) dürren (Nachkriegs-)Jahren ist das Streben nach Wahrheit auch in Deutschland wieder attraktiv und produktiv geworden. Immerhin sind die Patentanmeldungen stark gestiegen - der Ferne Osten scheint bereits überholt -, und selbst Nobelpreise konnten hier und da erneut eingefahren werden (auch wenn die gebürtigen Deutschen häufig im gelobten Ausland geforscht hatten). Wahrheit zahlt sich eben aus.

Unwahrheit aber auch - jedenfalls solange sie nicht ans Licht gerät. Im Frühling 1997 wurde Scientia der Schleier der Wahrheit vom holden Haupt gerissen, und die ehrwürdige Dame zeigte ihr wahres Gesicht. In ihren Augen spiegelte sich der Mammon, auf ihren Lippen tanzte die Wollust, in die Nase sog sich die Gier, und in den Ohren säuselte der Lobgesang. Es wurde gemeldet, daß die international renommierten Krebsspezialisten Friedhelm Hermann und Marion Brach jahrelang Daten manipuliert hätten. Falsche Publikationen, betrügerisch erlangte Forschungsförderung - der Tempel der Weisheit befand sich unversehens mitten zwischen Sodom und Gomorrha. "Sex, Lügen und Psychotricks" waren in eines der innovationsträchtigsten Forschungsterrains eingedrungen. Mit diesem "Paukenschlag" gelangten plötzlich auch andere Fälle von "Betrug und Fälschung in der deutschen Wissenschaft" ins gleißende Spotlight der Öffentlichkeit. Politik und Medien schrien auf. Eine für die Zunft beispiellose Diskussion in Zeitung, Radio und Fernsehen kam in Gang. Die Wissenschaftsorganisationen gerieten unter Druck. Der Augiasstall mußte ausgemistet werden.

Auf der Suche nach einem Kehrbesen kam man auf - wen wundert's - Ethik. Ein Ehrenkodex, ein "System guter wissenschaftlicher Praxis" wurde formuliert und installiert, schnell und schmerzlos. Dann wurde es ruhig. Die Gerichtsverfahren laufen und laufen - so richtig scheint sich niemand mehr dafür zu interessieren. Gelegentlich schlägt ein Fall noch einmal Wellen, wie kürzlich der des Direktors am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, Peter Seeburg, der nur deswegen medial wahrgenommen wurde, weil es neben dem Vorwurf der freien Erfindung einer gentechnischen Probe um Patentrechte in Milliardenhöhe geht (an ein bißchen Drugs & Sex mangelt es auch hier nicht). Doch hat die gute wissenschaftliche Praxis des Alltags alle Aufregung gedämpft.

Jetzt haben Marco Finetti und Armin Himmelrath, zwei Wissenschaftsjournalisten, ein Buch zur Geschichte geschrieben. Es ist natürlich nicht das "erste Buch zu einem hochbrisanten Thema" (so der Verlag), aber das aktuellste. Informationsreich, international ausgreifend, klar gegliedert, im Urteil abwägend - viel mehr kann man sich nicht wünschen. Es fällt auf, daß bei den Fällen die Biowissenschaften im Vordergrund stehen, selbst bei den Plagiatsfällen können die Geisteswissenschaften nicht die Oberhand gewinnen. Nur der Fall der Kölner Philosophieprofessorin Elisabeth Ströker, deren Dissertation die Erhabenheit über jeden Verdacht einfach nicht erklimmen will, ragt heraus. Bei den Hintergründen verzeichnen die Autoren eine Progression der Wissenschaftsfälschung, einen "Niedergang der Sitten in der deutschen Wissenschaft". Heute werde mehr gefälscht. Die Gründe liegen im Milieu des modernen Wissenschaftsbetriebs, im "irrwitzigen Wettlauf um Forschungsgelder", im "Publish or Perish", in den Karriereritualen und -gefahren für den Nachwuchs, in "Wissenschaft als Showbetrieb" und in der "verhängnisvollen Unübersichtlichkeit der Wissenschaft".

Wiederholt und mit Nachdruck weisen die Autoren die von manchem Großmanager des Wissenschaftsbetriebs betriebene Individualisierung der Schuld der Wissenschaftsbetrüger zurück, wie sie etwa der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Hubert Markl formulierte: "Es gibt Pfarrer, die Kinder schänden; es gibt Journalisten, die lügen; es gibt Richter, die das Recht beugen. Warum soll es nicht auch Wissenschaftler geben, die betrügen?" Finetti und Himmelrath halten diesen auf die Natur des Menschen zielenden Analogieschluß für verfehlt und "skurril". Warum eigentlich? Zumindest ist dieser Vergleich nicht so naiv wie derjenige des ehemaligen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft Wolfgang Frühwald, der sich in dem Glauben wog, Betrug und Fälschung seien "in der Wissenschaft überaus selten vertreten, erheblich seltener jedenfalls als in anderen Berufsfeldern". Sind Bäcker krimineller als Gastwirte und Gastwirte krimineller als Forscher? Oder umgekehrt?

Finetti und Himmelrath ist zuzugeben: Mit der (üblen) Natur des Menschen läßt sich leicht alles und damit nichts erklären. Doch die Erklärungsangebote der Autoren, ja die Diagnose des Niedergangs überhaupt vermögen auch nicht zu überzeugen. Gefälscht wurde schließlich schon immer. Mit Ptolemäus hat es wohl angefangen, das Mittelalter war eine grandiose Fälscherwerkstatt, Galilei, Newton, Mendel, Darwin, Häckel nahmen es mit der Wahrheit auch nicht jederzeit so genau. Daß heute vielleicht mehr gefälscht wird, mag am System, am Geld, am Karrieredesign liegen, es liegt sicher daran, daß es mehr Wissenschaftler gibt als jemals zuvor. Heute arbeiten in Deutschland - dies heben die Autoren selbst hervor - eine halbe Million Wissenschaftler/Forscher, zu Beginn der fünfziger Jahre waren es gerade 50 000.

Natürlich hatte diese Zunahme von Wissenschaft System. Ein System, das in der von den Autoren beschriebenen Weise Lug und Trug begünstigt. Doch früher nährten andere "Systeme" die Äste am Stammbaum der Schwindeleien. Nur war es damals mit der Wahrheit noch nicht so weit her. Die beiden Autoren vergessen in ihrem Lob der Wahrhaftigkeit, daß Wahrheit ein historisch kontingentes Konzept für Wissenschaft bedeutet. Erst in den modernen Zeiten wird "das Streben nach Wahrheit und Objektivität" zum "fundamentalsten Gebot" der wissenschaftlichen Zunft.

Gerade wenn man - mit den Autoren - das Problem der Fälschung in der Wissenschaft auf eine abstrakte systematische Ebene hebt, holt den Beobachter das Marklsche Diktum wieder ein. Zwischen dem fehlbaren Menschen der Wissenschaft und dem historisch facettierten System der Wissenschaft wird Ethik, der Rekurs auf das "Gute", vor den Augen der Kommission, des Gerichts und des Publikums zerrieben. Wissenschaft ist keine hehre Sache.

RAINER MARIA KIESOW.

Marco Finetti, Armin Himmelrath: "Der Sündenfall". Betrug und Fälschung in der deutschen Wissenschaft. J. Raabe Verlag, Stuttgart 1999. 261 S., br., 34,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wissenschaft ist eine hehre Sache", ist der erste Satz von Rainer Maria Kiesows Kritik, und der letzte Satz lautet: "Wissenschaft ist keine hehre Sache". Dazwischen liegt die Leseerfahrung des vorliegenden Bandes, der Fälschungs- und Betrugsgeschichten aus der deutschen wissenschaftlichen Praxis nachzeichnet - und die Autoren wissen hier nach Kiesow Beispiele selbst aus den höchsten Etagen der Max-Planck-Institute zu nennen. Kiesow lobt den Band als den aktuellsten zu dem Thema und stellt mit Erstaunen fest, dass die Biowissenschaften die Geisteswissenschaften an Plagiatseifer offensichtlich noch übertreffen. Der These der Autoren von einem "Niedergang der Sitten in der deutschen Wissenschaft" mag er allerdings nicht so einfach zustimmen. Hier zitiert Kiesow den Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl, der behauptet, dass es in der Wissenschaft nicht mehr schwarze Schafe gebe als überall sonst auch. Die Häufung von Betrugsfällen führt Kiesow ganz einfach darauf zurück, dass es in Deutschland heute mehr Wissenschaftler gibt als früher. In den fünfziger Jahren waren es noch 50.000, heute sind es zehn Mal soviel.

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