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Dominique Vivant Denon (1747-1825): Erfinder des Louvre, burgundischer Landedelmann, Freidenker, Frauenfreund und Künstler, geistreicher Plauderer und Diplomat, Spion und Schriftsteller, Sammler von Kunstwerken der Antike wie des Mittelalters. Philippe Sollers zeichnet ein spannendes und geistreiches Portrait vom abenteuerlichen Leben dieses vollendeten Kavaliers und Frauenlieblings.

Produktbeschreibung
Dominique Vivant Denon (1747-1825): Erfinder des Louvre, burgundischer Landedelmann, Freidenker, Frauenfreund und Künstler, geistreicher Plauderer und Diplomat, Spion und Schriftsteller, Sammler von Kunstwerken der Antike wie des Mittelalters.
Philippe Sollers zeichnet ein spannendes und geistreiches Portrait vom abenteuerlichen Leben dieses vollendeten Kavaliers und Frauenlieblings.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2000

Spiegelspiel mit Denon
Sollers’ Essaybuch über den „Kavalier im Louvre” und Sollers
Am 28. Oktober 1806 zieht Napoleon als Sieger in Berlin ein. Zu seinem Gefolge gehört Dominique Vivant Denon, Generaldirektor der Museen und beauftragt mit „Erwerb und Transport von Kunstgegenständen für den Staat”. Denon lässt sich sogleich die Schlüssel zur Königlichen Kunstkammer im Berliner Stadtschloss aushändigen, drei Wochen später sind die Sammlungsräume leer. „Von den Kunstschränken, welche nicht mitgenommen werden sollten, unterließ es Herr Denon wenigstens nicht, eine große Anzahl von Edelsteinen und Gemmen eigenhändig auszubrechen”, berichtet Leopold Freiherr von Ledebur. Und noch im selben Jahr wird die Quadriga vom Brandenburger Tor abmontiert und nach Paris gebracht.
Denon, damals 59 Jahre alt, entstammte einer Familie des burgundischen Provinzadels aus Chalon-sur-Saône. In Paris hatte er sich zum Zeichner und zum Kupferstecher ausbilden lassen und war unter Ludwig XV. Botschaftssekretär in Sankt Petersburg geworden. Diplomatischen Missionen in Stockholm und in Genf folgte die Ernennung zum Geschäftsträger am Hof von Neapel, wo er bis 1784 blieb. Im Jahre darauf nahm er seinen Abschied. Entschädigt wurde er mit einer außergewöhnlichen Gratifikation von zehntausend Pfund, auf die er allerdings nicht angewiesen war. Einkünfte aus dem väterlichen Anwesen, vor allem aus einem Weinberg in Gevrey-Chambertin, sicherten Vivant Denon zeitlebens finanzielle Unabhängigkeit.
Vier Jahre lang privatisierte er in Venedig, wird ausgewiesen, weicht in die Schweiz aus. Als er dort erfährt, dass er in Frankreich auf der Liste der Emigranten steht und ihm die Enteignung droht, macht er sich nach Paris auf. Dank der Protektion des Malers Jacques-Louis David und der Zusammenarbeit mit ihm bleibt Denon unbehelligt. 1796 lernt er den General Bonaparte kennen, und damit beginnen seine aktivsten Jahre öffentlichen Wirkens.
Zusammen mit anderen Künstlern und Wissenschaftlern begleitet er Bonaparte auf dessen Ägypten-Feldzug; er zeichnet und beschreibt die ägyptischen Altertümer und veröffentlicht 1802 seine „Reise nach Ober- sowie Unter-Ägypten”. Das Buch, Bonaparte gewidmet, bringt es innerhalb weniger Monate auf 20 Auflagen, wohl nicht zuletzt wegen der Bildtafeln des zweiten Bandes. Mit ihnen, so urteilt C. W. Ceram, „eroberte uns Denon das Land der Pharaonen mit dem Zeichenstift, bewahrte es für eine neue Ewigkeit und riss es mit einem Ruck vor unser Bewusstsein”.
1777 war von ihm zwar schon die Erzählung „Nur eine Nacht” („Point de lendemain”) erschienen, aber nur wenige Leser dürften die Signatur M. D. G. O. D. R. (im Mélange littéraire . . .) als Mon Denon Gentilhomme Ordinaire Du Roi entziffert haben. 1788 hatte er die „Reise nach Sizilien” veröffentlicht, doch erst durch seine „Reise nach Ober- sowie Unter-Ägypten” kommt der Schriftsteller Vivant Denon zu voller Präsenz.
Diesem Schriftsteller, diesem älteren Kollegen, der eben nicht nur ein „unvergleichliches Meisterwerk” geschaffen hat, nähert sich Philippe Sollers als frei kreisender Essayist, nicht als streng forschender Biograf, und von den Freiheiten des Essayisten macht er ausgiebigen, mitunter ausschweifenden Gebrauch. Einerseits folgt er in den neun Kapiteln seines Buches den Hauptetappen von Denons Leben, andererseits ist dieses Leben von Anfang an in seinem ganzen Ablauf gegenwärtig.
Zurück zu den Wurzeln
Spuren zu sichern, reizt Sollers weitaus weniger, als Zeichen zu deuten. Er stellt in Vivant Denons Leben weit reichende Zusammenhänge her, entdeckt darin Vorzeichen für Künftiges: 1778 findet Denon bei Syrakus eine Papyruspflanze. „Zwanzig Jahre später”, schreibt Sollers, „wird Vivant in Ägypten sein. Zurück zu den Wurzeln, zum Papyrus”. Ähnlich zielgerichtet ist die Perspektive, aus der Sollers Denons Berufung zum Museumsmann darstellt, zu demjenigen, der den Louvre zum „schönsten Etablissement des Universums” machen soll. Musée Napoléon wird es heißen, und Denon wird viel Mühe haben, zur Weltkunststätte auszubauen, was noch 1810 „ein Schaugepränge angehäufter Kriegsbeute” war – zumindest für den (freilich nicht unparteiischen) Besucher Karl August Varnhagen von Ense. Sollers verknüpft Denons Museumsarbeit gar mit seinen ägyptischen „Wurzeln” und weist darauf hin, dass heute „der Eingang in den Louvre durch die Tür des Pavillon Denon in eine durchsichtige Pyramide” (!) führt.
Solche kryptischen Beziehungen suggeriert Sollers auch zu einzelnen Zeitgenossen, die Vivant Denon zwar nicht gekannt hat, denen er aber hätte begegnen können, etwas zu Friedrich Hölderlin oder dem Marquis de Sade. Dadurch erscheint Denon als Exponent einer Epoche und als Seismograf epochaler Umwälzungen. Die verbindet Sollers bezeichnenderweise mit Künstlern wie dem Lyriker Arthur Rimbaud, denn „Künstler”, meint Sollers, „unterwerfen sich nicht der menschlichen Gemeinsamkeit, sie treten aus ihr hervor”.
Philippe Sollers schreibt über Vivant Denon aus einer Haltung nachträglicher Zeitgenossenschaft. Anders gesagt: er schreibt mit dem Spiegel in der Hand, und den Spiegel hält er mal sich selbst, mal hält er ihn Vivant Denon vor, an den er Fragen hat. Dass sie großenteils Fragen bleiben, liegt weniger an Sollers als an Denon, dessen Diskretion so groß war, dass von ihm nur ganz wenige persönliche oder gar intime Zeugnisse vorhanden sind, als aufschlussreichste die Briefe an seine venezianische Freundin Isabella Teotochi Albrizzi.
Bei diesem Spiegelspiel erlaubt Sollers sich viele, auch für einen Essayisten allzu viele Selbstgefälligkeiten. Selbstkritik bekundet er nur indirekt: mit der Wahl seines Gegenübers Vivant Denon, der sein geistiger Antipode ist. „Gewöhnlich beschreibt er, urteilt nicht. Er zeichnet, aber empfindet nichts”, hebt Sollers an Denon hervor, rühmt ihn als jemanden, der auch „im Verborgenen” leben kann („versteckt, weil glücklich”) und spricht von Denons „Zurückhaltung” und „Scham”. Kurzum: Philippe Sollers sehnt sich weg aus „Zeiten der entfesselten Subjektivität”, und daher kommt es, dass sein „Kavalier im Louvresehr viel mehr eine Liebeserklärung an Vivant Denon als ein Buch über ihn geworden ist.
HANNS GRÖSSEL
PHILIPPE SOLLERS: Der Kavalier im Louvre. Vivant Denon (1747–1825). Aus dem Französischen von Hans Thill. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2000. 302 Seiten, 49,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Die Bilderlust eines Frauenliebhabers
Philippe Sollers identifiziert sich mit Vivant Denon und erzählt aus einem turbulenten Leben / Von Felicitas von Lovenberg

Er hat sie alle becirct: Ludwig XV., Robespierre, Napoleon, Ludwig XVIII., Voltaire, und, noch aus seinem Grab auf dem Père Lachaise heraus, seinen Biographen Philippe Sollers. Dominique Vivant De Non war eben eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Eine Doppelbegabung, sah er selbst sich in erster Linie als Künstler, während die Nachwelt vor allem den Schriftsteller Denon rezipierte. Nebenher war dieser homme de lettre, dem der Beruf des Gesandten ausgedehnte Reisen ermöglichte, auch noch leidenschaftlicher Karikaturist, Kunstsammler, Freund der Frauen und geistreicher Causeur.

Schon seine Zeitgenossen dürfte das Phänomen Denon immer wieder verblüfft haben mit seiner Fähigkeit, Menschen jeden Alters und beiden Geschlechts allerorts für sich einzunehmen. Doch er war ein diskreter Beobachter, über dessen Privatleben nur wenig bekannt ist. Ein Mann, der selbst nicht politisch motiviert war, doch große politische Umschwünge und ihre Protagonisten aus nächster Nähe erlebte, humanistisch gebildet und voller Wissensdrang - wer könnte sich besser eignen für eine Biographie, die nicht nur den Menschen, sondern auch seine Zeit beleuchtet? Dabei ist Vivant Denon längst kein Unbekannter mehr. Erst im vergangenen Herbst widmete der Louvre seinem Begründer eine große Ausstellung, unter dem Titel "Nur diese Nacht" erschien bei uns vor zwei Jahren die letzte Übersetzung seiner Novelle "Point de lendemain".

Vielleicht glaubt der französische Schriftsteller und Journalist Philippe Sollers, der ja schon an vieles geglaubt hat (Stalinismus, Marxismus, Maoismus, Katholizismus) mittlerweile auch an Wiedergeburt. Hielte er sich nämlich für die Reinkarnation von Vivant De Non, dem Vielbegabten, würde dies erklären, warum ihm dessen literarische Biographie "Der Kavalier im Louvre" zur Hymne geraten ist. Bereits 1995 erschien Sollers' Buch in Frankreich, als eine von mehreren Recherchen über das Leben Denons. Nun liegt es auf deutsch vor, erschienen im Rahmen des Förderprogramms mit Unterstützung des französischen Außenministeriums: Es ist die erste Biographie, die den Tausendsassa endlich auch in Deutschland ausführlich vorstellt. Denon erweist sich bis heute als hervorragender Botschafter Frankreichs, zumal Sollers, selbst eine französische Persönlichkeit von Rang, ihn pausenlos ins beste Licht rückt. Glaubt man Sollers, so war Vivant Denon eine Art intellektueller James Bond des achtzehnten Jahrhunderts: immer dort, wo etwas los war, bekannt für seinen Wagemut, die Kleidung stets impéccable, immer mit mehreren Frauen auf einmal beschäftigt, immer diskret.

Als Denon im Jahr 1802 mit dem Erscheinen seines mehrbändigen, reich illustrierten Reiseberichts aus Ägypten berühmt wird, ist er es eigentlich schon längst. Bereits 1776 war seine erotische Erzählung "Point de lendemain" ohne Nennung des Verfassers erschienen: Mit dieser Episode einer éducation sexuelle im Ancien régime wollte er demonstrieren, daß "galante" Literatur gänzlich ohne "anstößige" Worte auskommen kann. Doch nicht nur diese Novelle - die Geschichte eines jungen Mannes, der von einer älteren, verheirateten Frau verführt wird - erregte damals Aufsehen. Auch Denons priapische Zeichnungen machten die Runde unter den Libertins; der Louvre stellte mehr als zwei aufgeklärte Jahrhunderte später nur einen einzigen dieser Kupferstiche aus.

Geboren wird der Chevalier De Non im Januar 1747 in Burgund, bei Châlon-sur-Saône, inmitten von Weingärten. Der Wein ist wichtig; er soll "unserem Helden", wie Sollers ihn gern nennt, später als lukratives Tauschobjekt beim Kunsthandel dienen. Während des Kunststudiums in Paris beginnt er seine politische Karriere mit einer Finte: Tagtäglich schleicht er sich in die Galerie von Versailles, um den König unverhohlen anzustarren, wenn dieser vorbeigeht, bis seine Majestät es schließlich satt hat und ihn anspricht. Denon soll geantwortet haben, er wolle nur in der Nähe des Vielgeliebten sein und ihn ungestört betrachten. Solche Komplimente ebnen den Weg: Er wird zum Ordentlichen Edelmann des Königs - einer Karriere in der literarisch-künstlerischen Welt steht nichts mehr im Weg.

Denons Aufgaben sind nie klar umrissen. Er wird geschickt, er reist - zunächst nach Sankt Petersburg, wo er Diderot trifft. Seine Begabung liegt darin, sich kundig zu machen - als begabter Zuhörer und gewandter Redner. Seine Berichte sind aufmerksam, klar und unabhängig: Kein Wunder, daß der russische Hof nicht lange Freude an ihm hat. Nach einem kleineren, dafür um so öffentlicheren Skandal wird er gebeten, das Land sofort zu verlassen. Just ist Ludwig XV. gestorben; Denon kehrt nicht nach Frankreich zurück.

Unser Mann spricht Italienisch, Latein und Griechisch. Er liebt Italien. Ende der Siebziger macht er sich auf den Weg gen Sizilien. Doch auf seinem Posten in Neapel hält er es nicht lange aus. Im Mai 1788 zieht Denon nach Venedig, wo er fünf Jahre bleibt - ohne staatstragende Aufgaben. Hier trifft er Isabella Teotochi Marin, die Gräfin Albrizzi. Sie nennt ihn "Vivente", er nennt sie "Bettine", Byron nennt sie "die Madame de Staël Italiens". Sie gilt als seine große Liebe; sicher ist, daß sie einander ihr Leben lang geschrieben haben. In Venedig kauft Denon ein: "vierzig Zeichnungen des Parmigianino und sechzig des Guercino". Was er sich nicht leisten kann, kopiert er: Werke von Lucas van Leyden, Callot, Rembrandt, auch Tizian, Correggio und Fragonard. Zudem erteilt er Zeichenunterricht, gratis. Sein Privatleben bleibt im Dunkeln, doch Sollers, ganz Autor des Romans "Femmes", gesteht ihm einiges zu, mindestens "ein Maximum an Abenteuern mit Frauen".

Als Denon wegen freimaurischer und anderer Verstrickungen 1793 aus Venedig ausgewiesen wird, ist die Französische Revolution weit entfernt. Er ist katholisch und adlig, was sich rächt: Seine Güter sind beschlagnahmt. Flugs ändert er seinen Namen, aus dem Chevalier De Non wird der Citoyen Denon. Als er Ende 1793, auf dem Höhepunkt des Terreur, nach Paris zurückkehrt, hat er Beschützer auf höchster Ebene: Jacques Louis David, Mitglied des Sicherheitsausschusses. Sein Name wird von der Schwarzen Liste gestrichen, er erhält seine Güter zurück.

Joséphine erwirkt seine Teilnahme als Zeichner und Berichterstatter an der Expedition nach Ägypten mit dem jungen Feldherrn Napoleon Bonaparte. Als unterhaltsamer Gesellschafter und mutiger Begleiter ist er eine große Bereicherung auf der anstrengenden Reise, auf der er wichtige Kontakte für die Zukunft - Directoire, Consulat, Empire - knüpft. Sein Bericht "Die Reise nach Ober- sowie Unter-Ägypten", erschienen bei Didot L'Aîné, erreicht in wenigen Monaten zwanzig Auflagen, ein sensationeller Erfolg. Sollers, stets zu Superlativen aufgelegt, nennt den Bericht einen der großen Multiplikatoren des neunzehnten Jahrhunderts.

Nicht nur der Reise selbst, auch dem Erfolg seines Berichts mag es zu danken sein, daß der Erste Konsul noch im selben Jahr eine neue, wichtige Position mit Denon besetzt. Er ernennt ihn zum Generaldirektor der Museen, als da waren der Louvre, das Musée des Monuments Françaises, das Musée Spécial de la Peinture Française in Versailles, das Hôtel des Medailles sowie die Gobelinwerkstatt Aubusson und die Porzellanmanufaktur Sèvres. Denon hat Maler, Graveure und Bildhauer unter sich. Vor allem aber ist er zuständig für den Erwerb und Transport von Kunstgegenständen für den Staat. Alsbald schon reist er den napoleonischen Armeen hinterher, bewaffnet mit Katalogen und Kunstverstand, und requiriert Kunstwerke, die den Ruhm des späteren Louvre, der damals noch Musée Central und von 1803 an Musée Napoleon heißt, mehren sollen. Als Denon sein Amt antritt, ähnelt das Museum eher einem Asyl als einem Palast: Künstler hausen dort, kochen und arbeiten. An Latrinen herrscht akuter Mangel. Mit unermüdlichem Arbeitseifer, Geschmack und Sachverstand verwandelt Denon das Museum in eine professionelle Einrichtung. Nicht immer unterstützt Napoleon ihn darin. Zu Recht betont Sollers Denons Geschick, einerseits Napoleons Drang nach Repräsentation zu befriedigen, der Kunst vor allem als Mittel der Propaganda begriff, während Denon das Museum gleichzeitig zum Hort der Kunst schlechthin in Europa macht. Die Hof- und Historienmaler, die die napoleonische Ära künstlerisch idealisieren und im Bild festhalten sollen, heißen David, Gérard, Gros und Girodet.

Die Ausstellungssäle des neuen Musée Napoleon sind zunächst eingeteilt in den "Saal der Flüsse" für die Skulptur und den "Saal des Ufers" für die Malerei, erst später werden sie, Denons enzyklopädischem Anspruch getreu, nach Schulen und chronologisch geordnet. Aus Florenz hat man Michelangelo, Andrea del Sarto, Giorgione herangeschafft, hier hängt nun Raffaels Transfiguration Christi, Veroneses "Hochzeit zu Kanaa". Die große Galerie zählt bald 945 Bilder, darunter Werke aus Ulm, Jena, Berlin, Potsdam, Kassel, München, Wien. Manchmal tauscht oder kauft man Bilder, doch meistens rafft man einfach. Nicht alles geht an den Louvre; auch die anderen Museen wollen ausstaffiert sein, sehr zu Denons Leidwesen: Das Pariser Museum ist sein Augapfel. Als die alliierten Truppen nach Paris einrücken, beherbergt der Louvre unter anderem die Laokoon-Gruppe, den Apoll vom Belvedere, die Pferde von San Marco, die Venus Medici, die Sammlung Borghese. Außerdem zählt Sollers 24 Poussins, sieben Da Vincis, neun Correggios, fünfzehn Veroneses, zehn Tintorettos, 25 Raffaels, 24 Tizians. Gerade erst hat Denon die sogenannten italienischen Primitiven entdeckt: Cimabue, Fra Angelico, Giotto, Masaccio, Ghirlandaio. Diese damals noch wenig bekannten Künstler will er mit Bildern der deutschen und flämischen Schule des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts zusammenbringen: "ein Punkt, an dem die Malerei aufbrach, um wahre Wunder zu vollbringen", in der Tat.

Als die Russen, Österreicher, Preußen und Engländer Paris besetzen, tauft Denon sein Museum kurzerhand um. Ludwig XVIII. läßt ihn im Amt, bis die Frage der Restitution geregelt ist. Als die alliierten Truppen ihre Kunstwerke aus dem Louvre abholen, entfährt Denon ein vielsagender Aufschrei: "Sie haben nicht die Augen, die Meisterwerke zu sehen!" Mit der Abwanderung der Kunstwerke zerbricht seine museale Vision, den Besuchern die abendländische Kunstgeschichte anhand von Meisterwerken zu vermitteln. Denon bittet um seine Entlassung; er ist achtundsechzig Jahre alt. Fortan ordnet und katalogisiert er seine eigene Sammlung und widmet sich der neuen Technik der Lithografie. Er lebt zwischen Raffael, Correggio, Caravaggio, Tizian, Veronese, Rembrandt, Breughel, Rubens, Van Dyck.

Zwar erkennt Sollers, der Schriftsteller, die Radikalität von Denons Museumspolitik nicht und weiß das Projekt darum auch nicht als zweifellos wichtigste Leistung Denons zu würdigen. Doch kommt ihm das Verdienst zu, Denons Leben in neun gleichgewichtigen Kapiteln entfaltet zu haben - aus der Perspektive eines, der uns glauben machen möchte, er sei eigentlich dabeigewesen. Also spekuliert er drauflos, etwa anläßlich eines Besuchs Hölderlins in Paris: "Vielleicht ist er Vivant sogar begegnet? Warum nicht? Wir sind nicht dazu gezwungen, mit einem materiellen Beweis aufzuwarten. Es ist auf jeden Fall möglich, also gewissermaßen (zumindest für mich) Wirklichkeit." Diese Passage ist bezeichnend für Sollers, der die Stationen "Vivants" - man duzt sich, gewissermaßen - chronologisch getreu nachzeichnet und gerne ausschmückt.

Geschichte ist eben auch, was hätte sein können: Sollers liebt das Konditional. Die Identifikation mit dem Idol Denon geht allerdings so weit, daß der Leser manches Mal nicht mehr weiß, wo Denon aufhört und Sollers beginnt. Dabei scheut der Autor die Wertung und die Interpretation der Geschichte. Es gibt nur ein Urteil: Alles, was Denon tut, sagt, schreibt und denkt, ist fabelhaft. Sollers verteidigt Denon bis aufs intellektuelle Blut, meist ohne Not. Auf die Attacke eines Ungenannten beispielsweise reagiert er so: "Vivant ist ein Abenteurer, keine Frage. Den Seßhaften aller Konfessionen wird er immer ein Dorn im Auge sein. Mich interessiert eher, daß er selbst keine Vorurteile kannte, seine Selbstbeherrschung, seine Wachheit, seine Geschmeidigkeit, seine innere Raschheit, sein Sinn für die Relationen und schließlich seine dauerhaft gute Form, ob intellektuell oder physisch." Neue Erkenntnisse über Vivant Denon sind bei Sollers nicht zu finden; ein großer Rechercheur ist er nicht. Aber in eleganten, lebhaften Szenen malt er uns recht hübsch und auch durchaus plausibel aus, wie es hätte sein können. Wenn Vivant Denon am Ende dennoch fern bleibt, so liegt dies an seiner Idealisierung: Gänzlich ohne Makel ist kein Mensch.

Am 26. April 1825 stirbt Vivant Denon in seiner Wohnung am Quai Voltaire Nummer 5, inmitten seiner Kunstwerke. Sein Nachfolger am Museum wird mit Dominique-Auguste Ingres ein wirklich begnadeter Künstler, aber kein Visionär. "Beneidet und gehaßt zu werden bis ins Grab, wenn man keinerlei Verbrechen begangen hat (sondern gerade im Gegenteil), ist immerhin ein hervorragendes Zeichen", findet Sollers. Vivant Denon hätte einen akribischen Biographen und nicht nur einen Lobredner verdient. Eine pauschale Ehrenrettung hat er nicht nötig.

Philippe Sollers: "Der Kavalier im Louvre. Vivant Denon (1747-1825)". Aus dem Französischen übersetzt von Hans Thill. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2000. 330 S., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit Ursula Pia Jauch ist Philippe Sollers an eine besonders kundige Rezensentin geraten. Sie weiß viel über den französischen Schriftsteller, Graveur, Diplomaten und Gründer des Louvre Baron Denon, dem es gelungen ist, sämtliche Erschütterungen der europäischen Geschichte zwischen 1747 und 1825 schadlos zu überstehen. Und weil Jauch die Literatur über diese schillernde Figur kennt, schneidet Sollers Buch eher schlecht ab. Zu viel Pathos, zu viel seelische Anteilnahme bescheinigt die Rezensentin dem Autor. Und vor allem zu viele "auktoriale Eitelkeiten" des Verfassers. Zu sehr sonnt sich Sollers im Licht seines Protagonisten, kritisiert Jauch. Er sehe sich selbst als "Bruder im Geiste" - das findet Jauch nun wirklich vermessen. Wenn nur ein nüchterner Lektor in eine solche Nabelschau straff eingegriffen hätte, das Buch wäre für die Rezensentin lesenswerter gewesen.

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