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Ausgehend von der Abwesenheit jeglichen Äquivalents (selbst das Denken kann sich weder gegen die Wahrheit noch gegen die Realität austauschen) diagnostiziert Baudrillard die 'radikale Ungewißheit' der Welt. Die Notwendigkeit, künstliche Äquivalenzen zu schaffen, führt nur zu Figuren des Hyper, zu Prothesen, etc.

Produktbeschreibung
Ausgehend von der Abwesenheit jeglichen Äquivalents (selbst das Denken kann sich weder gegen die Wahrheit noch gegen die Realität austauschen) diagnostiziert Baudrillard die 'radikale Ungewißheit' der Welt. Die Notwendigkeit, künstliche Äquivalenzen zu schaffen, führt nur zu Figuren des Hyper, zu Prothesen, etc.
Autorenporträt
Jean Baudrillard, geboren 1929 in Reims, war von 1968 bis 1987 Professor für Soziologie an der Universität Paris-Nanterre. Auszeichnung: 1995 mit dem Siemens-Medienkunstpreis. Er war Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie der Kultur- und Medienkritik an der European Graduate School in Saas Fee. Buchveröffentlichungen. Jean Baudrillard verstarb 2007.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2000

Das andere Teilchen ist immer dasselbe
Jean Baudrillard auf dem Schwarzmarkt des Denkens: Ist der moderne Mensch noch zu retten?
Verführung, sagt Jean Baudrillard in seinem Buch Von der Verführung, ist das, was den Diskurs von seiner Wahrheit ablenkt und ihm seinen Sinn raubt. Der Verführer schwindelt. Aber dieser Schwindel steht für Baudrillard nicht in Opposition zur Wahrheit, sondern (ver)führt, ganz im Gegenteil, zu einer subtileren, wahreren Wahrheit. Und diese wahrere Wahrheit findet sich bei Baudrillard immer in einem Paradox. In dem, was sowohl real als auch virtuell ist, was sowohl sinnlos als auch sinnhaftig ist. Das Paradox ist eine zentrale Grundfigur in Baudrillards Denken. Gerade dieses Denken des Sowohl-als-auch macht es so schwer, seine Bücher auf Thesen zu reduzieren – zu jeder These findet sich leicht eine Gegenthese, die genauso gültig ist.
Die Dekonstruktivisten sind sich bewusst, dass sie immer nur im Innen des Systems denken können, und sie versuchen auf verschiedenste Weise, diesem logischen Hindernis zu entkommen, dem Innen, das keine Außenperspektive zulässt: Bataille hat sich für das Denken der Übertretung entschieden, Klossowski für das Denken im Double, und Baudrillard für das Denken im Paradox. Das Paradox ist Baudrillards Lösung für ein Denken des Draußen, wie Foucault es nennt, ein Denken jenseits des Denkens – ebendies führt zu dem „Rätsel Baudrillard”, von dem die Kritiker sprechen.
Sein neues Buch Der unmögliche Tausch ist ein paradoxes Unternehmen. Zum einen ist es ein anthropologisches Projekt, mit dem Baudrillard den Menschen retten will, das Menschliche des Menschen. Damit hat das Buch ein nostalgisches, in die Vergangenheit gerichtetes Anliegen. Zugleich aber begreift Baudrillard die Zukunft als Chance für eine Welt, die die Frage nach dem Sinn nicht mehr stellt, die jenseits der Repräsentation existiert, einer Repräsentation, die „aus toten Zeichen und aus leeren Versprechungen besteht”. In Von der Verführung hat er das Spiel als Möglichkeit entworfen, Kausalität, Determination und Scheinwahrheiten zu unterlaufen. Nun nennt er diese Möglichkeit die „poetische Übertragung der Situation”.
Ausgangspunkt für Baudrillards Analyse der Welt, des Menschen und des Denkens ist seine wohlbekannte Losung vom Verschwinden der Realität. Wir sind heimgesucht von einer optischen Täuschung, wenn wir die Welt und den Menschen weiterhin an den Kriterien des Realen messen, denn dieses Reale ist im Zuge der Vereinheitlichung verloren gegangen. Hat sich der Mensch früher dadurch ausgezeichnet, dass er sich vom Anderen, Nicht-Menschlichen, unterschied, so verfügt er heute nicht mehr über dieses Andere. „Unser Leben steht im Zeichen der Ablehnung aller radikalen Andersheit”, schreibt Baudrillard: „Für das Teilchen gibt es keinen Anderen. Das andere Teilchen ist stets dasselbe. ” Das Humane und das Inhumane, Mensch und Maschine, Leben und Tod werden im Zeitalter von Gentechnologie und virtuellen Realitäten nicht mehr unterschieden. Das Subjekt spaltet sich in virtuelle Doppelgänger, es wird im Klon zur Kopie, aber es wiederholt damit auf unendliche Weise immer nur sich selbst; jegliche Möglichkeit, ein Anderer zu sein, ist ihm genommen. Das Ergebnis ist der Tod des Menschen, der sich selbst in seinem künstlichen Double vernichtet. Anstelle von Nietzsches Ewiger Wiederkehr, die dem Leben eine beruhigende Ordnung und einen Sinn verleiht, sieht Baudrillard das bedrohliche Phantasma eines endlosen Nebeneinander. Metastasen statt Metamorphosen.
Tausch und Täuschung
Baudrillards Vision ist eine Apokalypse, die der Mensch im Versuch, sein Leben gegen plurale Identitäten, gegen ein Doppelleben auszutauschen, selbst herbeiführt. Der Tausch aber ist in Baudrillards Modell unmöglich. Um sich die Illusion zu bewahren, dass das Leben einen Sinn hat, haben die Menschen Tauschprinzipien erfunden, die auf einem dualen Gleichgewicht beruhen: gut und böse, wahr und falsch. In Wirklichkeit aber sind die Paar-Beziehungen asymmetrisch, stehen in einer „ironischen Beziehung” zueinander, wie Baudrillard es nennt. Heute versucht der Mensch, dieses duale Prinzip, das einen Sinn versprach, zu zerstören – alles wird einem Einheitsprinzip unterworfen. Das Ergebnis, so Baudrillard, ist das perfekte Verbrechen: „Wir befinden uns auf dem Weg zum perfekten Verbrechen, auf dem Weg zur unerbittlichen Perfektion eines technischen und künstlichen Universums, das die Erfüllung all unserer Wünsche erleben wird, auf dem Weg zu einer Welt, die durch die Eliminierung sämtlicher Antikörper vereinheitlicht wird. ” Das Opfer dieses Verbrechens ist nichts anderes als der Mensch selbst.
Doch Baudrillard hat noch Hoffnung: „Das Spiel ist noch nicht aus. ” Das Opfer, der Mensch, kann sich durch das Denken vor dem Verbrecher (der er ja paradoxerweise selber ist) retten. Baudrillard spricht von einem „Schwarzmarkt des Denkens”, einem Denken, das nutzlos ist und damit jeder rationalen Vereinheitlichung der Welt zuwiderläuft: „Wenn es nämlich in unserem System eine Funktion gibt, die dabei ist, vollkommen nutzlos zu werden, dann ist dies das Denken. ” Und hier kommt das Paradox wieder zum Einsatz: Erst die Existenz eines Einheitsdenkens macht das Denken einer radikalen Nutzlosigkeit möglich, und gerade darin besteht „die letzte Freiheit” des Menschen, die Möglichkeit, den Menschen als Menschen zu retten.
Als Beispiel für dieses nutzlose, aber menschliche Denken analysiert Baudrillard den Film Ein unmoralisches Angebot mit Robert Redford und Demi Moore: Redford bietet eine Million Dollar, um für eine Nacht etwas zu kaufen, was man nicht kaufen kann, nämlich Demi Moore. Menschen aber haben keinen Wert, der Tausch ist unmöglich. Was Baudrillard an dem Film so fasziniert, ist der Versuch, einen Tausch zu vollbringen, der nur scheitern kann – Demi Moore kehrt zu ihrem Film-Ehemann zurück. Der Mensch ist, wie die Welt, nicht austauschbar, denn es gibt kein Äquivalent zur Welt. Oder zum Menschen. Was bleibt, ist das nutzlose Denken.
„Die Welt ist uns als rätselhaft und unerkennbar gegeben; es ist die Aufgabe des Denkens, sie, wenn möglich, noch rätselhafter und unerkennbarer wiederzugeben', schreibt Baudrillard: „Da sich die Welt auf einen Zustand des Deliriums hin entwickelt, muss man ihr gegenüber einen delirierenden Standpunkt einnehmen. ”
SCHAMMA SCHAHADAT
JEAN BAUDRILLARD: Der unmögliche Tausch. Deutsch von Martin Sedlaczek. Merve, Berlin 2000. 205 Seiten, 28 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2000

Ich bin gewissermaßen Kolumbus
Und ihr seid gezwungenermaßen entdeckt: Baudrillard macht abhängig / Von Andreas Platthaus

Dieses Buch liest man am besten rückwärts. Denn erst auf der letzten Seite nennt Jean Baudrillard die drei Theoreme, die seiner Philosophie zugrunde liegen. Das erste lautet: "Die Welt ist uns als rätselhaft und unerkennbar gegeben; es ist Aufgabe des Denkens, sie, wenn möglich, noch rätselhafter und unerkennbarer wiederzugeben." Wenn möglich? Durchaus, durchaus, wie "Der unmögliche Tausch", das neue Buch des einundsiebzigjährigen Soziologen, beweist. Wobei der enigmatische und verbergende Charakter sich nicht dem bekannt assoziativen Argumentationsstil Baudrillards verdankt - daran hat man sich nach einem Dutzend Büchern gewöhnt und schätzt es -, sondern der Verstörung, die das Buch auslöst, wenn es vor dem Hintergrund der klassischen Philosophie gelesen wird. Freiheit? Führt ins Unglück. Menschenrechte? Eine diktatorische Privilegierung unserer Art. Evolution? Alles war vom Urknall an da. Kritik? Relikt einer früheren Geschichte. Neu denken heißt nichts denken. Allerdings "nichts" in Anführungszeichen. "Man kann auch sagen", heißt es auf der vorletzten Seite, "daß der Welt tatsächlich ,nichts' fehlt und daß das Denken der Schatten ist, der von diesem Nichts auf die Oberfläche der realen Welt fällt."

Nun kann man sich mit dem zweiten der drei grundlegenden Theoreme beruhigen: "Da sich die Welt auf einen Zustand des Deliriums hin entwickelt, muß man ihr gegenüber einen delirierenden Standpunkt einnehmen." Doch das Delirium entlastet den Philosophen nicht vom Zwang zur Konsequenz. Dieses zweite Theorem beschwört die Situationisten herauf, natürlich auch Nietzsche, und deutet damit die wichtigsten Gewährsleute Baudrillards an. Seine Philosophie ist kein Liebesdienst, wie es die Etymologie der Disziplin verlangt. Doch wie stets ist es eine Philosophie der Liebe, der Liebe zum Anderen, hier vor allem zu dem, was Georges Bataille, ein weiterer Ahnherr, den "verfemten Teil" genannt hat. Bei Baudrillard ist dieser Teil das, worüber man nicht verfügen kann. Darauf gründet er seine Hoffnung, und dazu zählt selbstverständlich das Nichts. Das Nichts, das alte Problem der Metaphysik, ist in der Welt, doch es wird verfemt. Es muß in der Welt sein, denn außerhalb der Welt ist - nichts? Nein, das wäre ein Widerspruch. "Es gibt kein Äquivalent zur Welt."

Dieser Satz steht auf der ersten Seite. Und er bedingt zweihundert Seiten später das dritte Theorem, das letzte Wort Baudrillards: "Der Spieler darf nie größer sein als das Spiel selbst; genausowenig darf der Theoretiker größer sein als die Theorie oder die Theorie größer als die Welt selbst." Die Welt ist die obere Schranke des Denkens, über sie kann niemand hinaus. Da sie kein Äquivalent hat, kann sie nicht ausgetauscht und nicht repräsentiert werden. Das klingt harmlos. Aber es ist die Lunte der lebenden Bombe Baudrillard.

Denn erst einmal legt diese Feststellung die Basis für die erste Hälfte des Buches, seine stärkste, überschrieben wie das gesamte Werk mit "Der unmögliche Tausch". Wenn der größte Tausch, der der Welt, mißlingen muß, dann ist unser ganzes ökonomisches Prinzip zum Scheitern verurteilt. Es ermangelt ihm an Stabilität, und dieses Schicksal teilt es mit den restlichen gesellschaftlichen Sphären. Das ist eine andere, eine grundlegendere Verabschiedung des Austauschprinzips als die, die Jeremy Rifkin (der Baudrillard gern zitiert) in seinem letzten Buch "Access" formuliert hat, mit dem man Baudrillard zusammen lesen sollte, um den Unterschied zwischen delirierender Philosophie und dem Delirium eines Trendforschers zu erfassen. Baudrillard stellt in Frage, wo Rifkin lauter Antworten parat hat.

Doch wer alles ein-, aus- und vorhersieht, ist noch kein Hellseher. Das aber ist Baudrillard - in übertragenem Sinne, weil er den Schatten zum Hoffnungsträger macht. Denn der apokalyptischen Analyse folgt die Verheißung. Aus der Erkenntnis der Unaustauschbarkeit und Unmöglichkeit der Repräsentation resultiert Widerstand der von Politik, Recht, Philosophie und Ökonomie Unterjochten. Baudrillard gebraucht hier die Metapher des Schwarzmarktes, der als Korrektiv zum "Kontroll- und Verbotssystem" fungiert.

Was wird dort gehandelt? Das ist nicht die Frage, weil es nicht auf Tausch ankommt, sondern auf Präsenz. Der Schwarzmarkt ist der Ort des Denkens. Seine Dunkelheit setzt die grundlegende Opposition wieder in Kraft, die Baudrillard überall am Werk sieht: "Ein Symmetriebruch eröffnet die Existenz der sichtbaren Welt." Der Tausch wird nun weg vom ökonomischen, hin zum dialektischen Prinzip geführt: zum Austausch. Die Dinge dürfen sich nicht ineinander verwandeln, das Andere muß zu seinem Recht kommen. Das ist Hegel, aber ohne Herr und Knecht. Das ist Kant, aber ohne Freiheit. Baudrillard setzt auf gegenseitige Abhängigkeit.

Das ist aber auch nicht ganz so originell, wie er glaubt. Der Verweis auf das Andere, so führt er aus, setzt die traditionelle Wissenschaft ins Unrecht: "Im Grunde genommen hat die Wissenschaft unablässig ein beruhigendes Szenario geschaffen, dessen Voraussetzung die Entzifferung der Welt durch das Fortschreiten der Vernunft bildete. Und im Rahmen dieser Hypothese haben wir dann die Welt, die Atome, Moleküle, Teilchen, Viren usw. ,entdeckt'. Niemals aber wurde die Hypothese aufgestellt, daß die Dinge, während wir sie entdecken, gleichzeitig uns entdecken, und daß es sich bei der Entdeckung um eine duale Beziehung handelt." Niemals? Es genügt der Verweis auf die Wissenschaftstheorie eines Landsmanns (F.A.Z. vom 14. November): Nie etwas von Bruno Latour gehört, der Gute! Wenn man Baudrillard etwas vorwerfen kann, dann das Kochen im eigenen Sud.

Aber dabei zuzusehen, wie Philosophie verkehrt wird, wie ein philosophisches System in seine Bestandteile zerlegt wird, hat durchaus Erkenntniswert. Gegen alle Bemühungen einer endgültigen Theorie setzt Baudrillard seine Forderung nach Dualität. Ihm ist etwa das Klonen ein Graus, weil in der identischen Reproduktion die Überwindung des Todes angelegt ist - und damit wäre die Sicherheit für das Andere, entstehen zu können, dahin. Alles braucht sein Anderes, auch das Leben.

So liefert Baudrillard einen anregenden Zwischenruf, besonders zu den entscheidenden Debatten dieses Jahres, die er 1999, als das Buch in Frankreich erschien, geradezu prophetisch erahnt hat. Ja, er ist ein Hellseher, war es schon immer, mit allen Unwägbarkeiten, die für Wahrsager typisch sind. Wie Kolumbus sucht er die unpopulären Wege zum Ziel, und bisweilen macht er Entdeckungen, die er sich selbst wohl kaum erträumt hätte. Nur müßte er noch von einigen Lesern mehr entdeckt werden als bislang.

Jean Baudrillard: "Der unmögliche Tausch". Aus dem Französischen von Markus Sedlaczek. Merve Verlag, Berlin 2000. 205 S., br., 28,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Mensch ist einem Einheitsprinzip ausgeliefert, er kann kein anderer als er selbst mehr sein, alles andere ist nichts anderes als der Mensch. So die wenig beglückende (wenngleich natürlich auch kaum verständliche) Diagnose Baudrillards für unsere Gegenwart, die die Rezensentin Schamma Schahadat weitgehend kommentarlos (und so wohl zustimmend) in ihrer Kritik nachvollziehend entfaltet. Rettung, so Baudrillard, könne nur ein "nutzloses" Denken bringen, ein Denken, das die Welt "noch rätselhafter und unerkennbarer" wiedergibt als sie eh schon ist, etwa im Versuch zu tauschen, was nicht zu tauschen ist, wie in Adrian Lynes Film "Ein unmoralisches Angebot", der in diesem Buch analysiert wird. Das Schlusswort hat in der Rezension wie hier Baudrillard: "Da sich die Welt auf einen Zustand des Deliriums hin entwickelt, muss man ihr gegenüber einen delirierenden Standpunkt einnehmen."

© Perlentaucher Medien GmbH