Produktdetails
  • Verlag: Steidl
  • Seitenzahl: 552
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 545g
  • ISBN-13: 9783882438031
  • ISBN-10: 3882438037
  • Artikelnr.: 10311087
Autorenporträt
Gerold Späth wurde 1939 als Spross einer Orgelbauerdynastie in Rapperswil am oberen Zürichsee geboren. Ausbildung zum Kaufmann, weit gereist. Der mehrfach ausgezeichnete Autor (1979 Alfred-Döblin-Preis, 1992 Preis der Schweizerischen Schillerstiftung u.v.a.m.) debütierte mit dem inzwischen legendären Roman "Unschlecht" (1970). Sein Werk umfasst Romane, Erzählungen, Hörspiele und Theaterstücke. Er lebt in Italien, Irland und Rapperswil
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.01.2003

Gefügige Frauen
Seltsame Wieder-Lektüre:
Gerold Späths „Unschlecht”
Die bemerkenswertesten Bücher sind die, die aus dem Rahmen fallen. Es sind nicht immer die besten, aber sie widersetzen sich Moden und Trends und behaupten einen starken Eigenwert. Gerold Späth gehört in die Reihe der Abweichler, der jetzt mit seinem Debüt in einer Neuauflage wieder zur Diskussion gestellt wird.
Als sich Schriftsteller in erregten Podiumsdiskussionen darauf einigten, das Alphabet politisch rot einzufärben, saß in Rapperswil am Zurichsee ein eigensinniger junger Mann, der sich um Dispute und Resolutionen, um Straßenkämpfe und Ideologien nicht scherte. Damals muss er das Feindbild eines Romantikers und Eskapisten abgegeben haben, der sich seiner Phantasie hingab und Wirklichkeiten, die seinem Innersten entsprangen, der objektiv überprüfbaren Realität vorzog. Während sich die einen in politischen Lagern versammelten und das Recht auf Wahrheit usurpierten, saß Gerold Späth als Außenseiter am Lagerfeuer des Phantasten und erzählte den Leuten völlig unzeitgemäß das Blaue vom Himmel. Fünf Jahre lang, zwischen 1965 und 1969, schrieb er an seinem Roman „Unschlecht”. Und jetzt, 32 Jahre nach dem ersten Auftauchen dieses Buches in der deutschen Literatur, ist es vom Steidl Verlag, der Gerold Späths Werke neu auflegt, wieder zugänglich gemacht worden. Was ist von ihm heute, im Abstand von Jahrzehnten, zu halten?
Und noch ein Knalleffekt
Wir befinden uns im Bereich der gehobenen Unterhaltung. Einer erzählt auf Teufel komm raus, er zieht alle Register, um den Leser bei Laune zu halten, er schwadroniert, dass einem Hören und Sehen vergeht. Bald sieht man, dass es ein Erzähler darauf abgesehen hat, sein Publikum in Bann zu ziehen. Er braucht ständig neue Reize, reiht einen starken Effekt an den anderen, diese Prosa zischt und raucht und pfaucht und kracht. Sie ist in ständiger Bewegung, duldet keinen Stillstand, der Knalleffekt befindet sich in ihrem dauerhaften Repertoire. Erzählökonomie gehört nicht zur Grundausstattung des Romans.
In den Zeiten der Politisierung bekam die Literatur gesellschaftliche Verantwortung aufgehalst. Gerold Späth verstieß vorsätzlich gegen die guten Sitten der Zeit. Er lässt Unschlecht selber erzählen, einen tumben Tor, auf seinen eigenen Vorteil bedacht, ein asoziales Wesen, das es darauf anlegt, seiner Gesellschaft eins auszuwischen. Sein Bericht steht in der Tradition des Schelmenromans. Unschlecht, ungeschlacht und bauernschlau, nimmt sich das Wort. Er treibt es bunt, er wird geprügelt und er teilt Prügel aus, und der Leser steht ihm zur Seite. So entsteht ein abwechslungsreicher Bilderbogen, in dem jedes Kapitel ein Abenteuer bereit hält.
Späth gönnt sich manche Albernheiten. Er liebt derbe Scherze, er flunkert, um Eindruck zu schinden. Der Aberwitz schlägt den Witz, und jeder Trumpf, den er auf den Tisch knallt, muss im nächsten Augenblick schon wieder übertrumpft werden. Diese Prosa posiert. Sie kokettiert mit dem Leser, sie möchte ihm etwas beweisen. Sie will ihm zeigen, dass sie es spielend mit der faden Wirklichkeit aufnimmt, indem sie sich in einen Rausch der Übertreibung hineinsteigert. Sie erzählt nicht alles, was der Fall ist, sondern alles, was der Unfall ist. Sie bekommt etwas Selbstgefälliges, Behäbiges, sie ist sich ihrer Wirkung bewusst und findet sich damit zufrieden ab. Wenn der Leser erschlagen von der Fülle der Einfälle umsackt, hat sie ihren Zweck erreicht.
Der Bundespräsident und so
Gut möglich, dass weit im Hintergrund „Die Blechtrommel” als Vorbild gedient haben mag. Einer gegen den Rest der Welt versetzt Zeit und Gesellschaft in Aufruhr. Er setzt sich äußerlich von den anderen ab, ist ein Exot unter Kleinbürgern. Aber die schweizerische Variante der Gesellschaftskritik fällt aus der Zeit. Einmal liest Unschlecht Zeitungen, weil er an Heiratsannoncen interessiert ist. „Las im Stern, dass der Bundespräsident und so, und las im Spiegel, dass die außerparlamentarische Opposition und so.” Mehr Hinweise auf die Gegenwart, in der der Roman spielt, finden sich nicht.
Deshalb fallen die Attacken gegen die Provinzgesellschaft so bieder aus, weil sie Allerweltsgestalten treffen: der Herr Pfarrer, ein geldgieriger Schlaumeier, der Herr Friedensrichter, ein bigotter Charakter voller Eigennutz, die gefügigen, liebestollen Frauen, sie alle verfügen über so wenig Eigenleben, weil sie aus zweiter Hand stammen. Die Sprache unternimmt größte Anstrengungen, ihnen Individualität einzuhauchen, in der Geschichte wirken sie dann doch wie altbekannte Figuren, die sich aus älterer Literatur klammheimlich in dieses Buch geschlichen haben. Der Roman möchte für rotznäsig frech gehalten werden, und redet uns Pappkameraden als veritable Gegner des Erzählers ein.
Es gibt Bücher, die ehrenwert scheitern. Dieses ist ein solches. Es setzt an zum Sprung, ein einzigartiges, unverkennbares Individuum zu werden und erschrickt im letzten Moment vor allzu viel Mut. Und so wird dann doch nur ein übermütiges Werk daraus, auf das immerhin das Vergnügen des Autors beim Schreiben abgefärbt hat. Und für ein Debüt aus dem Jahr 1970 sieht es allemal tollkühn aus.
ANTON THUSWALDNER
GEROLD SPÄTH: Unschlecht. Roman. Steidl Verlag, Göttingen 2002. 552 Seiten, 25 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieses Romandebüt aus dem Jahr 1970, das nun in einer Neuauflage vorliegt, fällt für Anton Thuswaldner aus dem Rahmen einer Zeit, in der Literatur vor allem politisch zu sein hatte. Dieses Buch, das in der Tradition der Schelmenromane seinen Protagonisten Unschlecht von einem Abenteuer ins nächste schwadronieren lässt, gehört für den Rezensenten in den Bereich der "gehobenen Unterhaltung". Der Autor ziehe dabei "alle Register" und biete ständig neue Effekte, um den Leser in seinen Bann zu ziehen, so Thuswaldner, der Erzählökonomie jedenfalls nicht zu den schriftstellerischen Grundeigenschaften Späths zählt. Allerdings ist die Gesellschaftskritik, die der Roman entfaltet, für den Geschmack des Rezensenten ziemlich "bieder", weil sie immer nur "Allerweltsgestalten" trifft, wie den raffgierigen Pfarrer oder die liebeshungrige Frau. Doch trotz allen sprachlichen Aufwandes gelingt es Späth nach Ansicht des Rezensenten nicht, aus seinen "Pappkameraden" richtige Menschen zu machen und so sieht er den Autor "scheitern", wenn auch durchaus "ehrenwert", wie er betont. Zumindest, so Thuswaldner abschließend, merkt man beim Lesen, dass der Autor sich beim Schreiben amüsiert hat.

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