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Sergio Pitol sieht in Die Kunst der Flucht sein wichtigstes Buch. Es ist die freudige und reflektierende Summe seines Lebens, seiner Reisen und Lektüren; ein Lebens-Buch, vergleichbar den Erinnerungsbüchern Elias Canettis. Die Kunst der Flucht ist aber auch ein inniges Bekenntnis zur europäischen Kultur, ein Buch über den exzessiven Zusammenhang von Leben und Schreiben. Pitol steht damit in einer Reihe mit Autoren wie W.G. Sebald, die mit ihrem alle Genres übergreifenden Schreiben Literatur im wahrsten Sinne schaffen: Ein Pionier in der Überschreitung verschiedener Genres. Seine Literatur ist…mehr

Produktbeschreibung
Sergio Pitol sieht in Die Kunst der Flucht sein wichtigstes Buch. Es ist die freudige und reflektierende Summe seines Lebens, seiner Reisen und Lektüren; ein Lebens-Buch, vergleichbar den Erinnerungsbüchern Elias Canettis. Die Kunst der Flucht ist aber auch ein inniges Bekenntnis zur europäischen Kultur, ein Buch über den exzessiven Zusammenhang von Leben und Schreiben. Pitol steht damit in einer Reihe mit Autoren wie W.G. Sebald, die mit ihrem alle Genres übergreifenden Schreiben Literatur im wahrsten Sinne schaffen: Ein Pionier in der Überschreitung verschiedener Genres. Seine Literatur ist so frei, wie Cervantes es wollte. (Juan Villoro in seiner Laudatio zur Verleihung des Cervantes-Preises an Pitol)
Mit hinreißendem Schwung verwischt Pitol in Die Kunst der Flucht die Grenzen zwischen Erzählung und Essay. In drei großen Blöcken erzählt er von der Erinnerung, dem Schreiben und dem Lesen. Unterhaltsam und spannend wie in seinen Romanen, schildert er seine Begegnungen mit berühmten Autoren und öffnet ein großes Panorama europäischen und lateinamerikanischen Geistes der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erzählung und Essay in einem, vermittelt dieses Buch auf fröhliche Weise Bildung und die Kunst, sich auf andere Kulturen einzulassen. (Art Press, Paris)
Autorenporträt
Sergio Pitol, 1933 in Puebla, Mexiko, geboren, studierte in Mexiko-Stadt Jura und Literaturwissenschaft und war als Literaturprofessor und Diplomat in zahlreichen Ländern tätig. Er hat Romane, Erzählungen und Essays geschrieben und gilt als einer der angesehensten Autoren Lateinamerikas. Seine Übersetzungen aus dem Russischen, Polnischen und Englischen haben das Werk von Nikolai Gogol, Anton Tschechow, Witold Gombrowicz, Henry James, Joseph Conrad und Jane Austen in Mexiko bekannt gemacht. Für seine Bücher erhielt er viele Preise, darunter den Premio Herralde de Novela, den begehrten Premio Juan Rulfo und 2005 den Premio Miguel de Cervantes. Pitol lebt heute in Xalapa, Veracruz.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2008

Beinahe blind in Venedig
Sergio Pitols Autobiographie eines Wörternarren
Als der junge Sergio Pitol 1961 zum ersten Mal nach Venedig gelangt, kommt er gerade aus Triest und ist müde. Er hat, wie er in „Die Kunst der Flucht” schreibt, dort nicht Joyce und auch sonst niemanden gesucht, aber der Rezeptionist des Hotels hatte plötzlich bemerkt, dass das Visum des mexikanischen Schriftstellers abgelaufen war. Missmutig habe man ihm erlaubt, in der Hotelhalle zu übernachten. Am frühen Morgen sei er losgefahren und um sieben Uhr in Venedig eingetroffen. Das Schlimmste aber sollte noch kommen: Als Pitol den Koffer bei der Gepäckaufbewahrung abgab, bemerkte er, dass er seine Brille beim müden Aussteigen vergessen hatte. Endlich in seiner Traumstadt angelangt, würde er wenig sehen können.
Der 1933 geborene Sergio Pitol ist mit seinen leichten, sarkastischen, oft brillant arrangierten Romanen wie „Die göttliche Schnepfe” oder „Eheleben” hierzulande erst in den vergangenen Jahren bekannt geworden. Da geht es etwa um eine Frau, die alle ihre Liebhaber anstellt, um ihren Mann zu ermorden, doch einer nach dem anderen scheitert. Wenn man „Die Kunst der Flucht” liest, so etwas wie die Autobiographie eines Wörternarren auf Reisen, versteht man, woher die Leichtigkeit in diesem Fall kommt. Sie ist eine unaufdringliche Mischung aus altmodischer Bildung und Witz.
Was macht der quasi-blinde Autor in Venedig? Er verzweifelt nicht, nimmt den seltsamen Kampf auf, den leichten Dauernebel vor seinen Augen zu durchdringen. Angesichts der Aussichtslosigkeit seines Unterfangens gerät er bald in Verzückung. Die Silhouette der Stadt wirkt auf ihn wie in den Veduten von Turner: „Ich lief inmitten von Schatten. Ich sah und sah nicht, nahm Bruchstücke einer wandelbaren Wirklichkeit wahr. Das Gefühl, mich in einem Randbereich zwischen Licht und Finsternis zu befinden, wurde immer eindringlicher, als ein feiner, auf und ab tanzender Sprühregen das Helldunkel schuf, in dem ich mich bewegte.” Geradezu Glück stellt sich ein, als sich der tapsend-schwankende Pitol an einen Abschnitt bei Bernard Berenson erinnert, der die „musikalischen” Farben Venedigs preist. Umrisse und Details könnte er sowieso nicht erkennen.
Heute ist Pitol ein weltgewandter Schriftsteller, der es als in Warschau und anderswo vagabundierender Übersetzer von Dostojewskij, Conrad, Gombrowicz und Henry James schließlich bis zum Kulturattaché in Paris bringen sollte.
Zwischen Hütte und Stadt
Doch der Karriereanfang sah anders aus. Er habe seine Kindheit in Potrero verbracht, im Bundesstaat Veracruz, wo Zuckerrohr angebaut wird. „Der Ort war so ungesund, wie es damals gewiss die Landgüter Neuguineas, Obervoltas und Amazoniens waren. Auf kurze Zwischenspiele körperlicher Tätigkeit folgten lange Perioden, in denen mich das Sumpffieber, das bösartige Tertianafieber ans Bett fesselte.” Lesen wird zur einzigen Unterhaltung. Schnell wechselt das Kind von Jules Verne zu „Krieg und Frieden”. Und die geschriebenen Romane werden durch einen anderen ergänzt. Pitol wächst bei seiner Großmutter auf, die nur Besuche von ihrer beinahe hundertjährigen Amme erhält, von ihrer Schwägerin und ein paar Jugendfreundinnen, die alle einstimmen in das Lamento über die verlorene Zeit vor der Revolution, in der „man” noch zur Kur nach Italien fuhr.
Von 1961 bis 1988 bleibt Pitol in verschiedenen europäischen Städten, sehr anschaulich schildert er in einem Tagebuch-Auszug das Hippie-Barcelona von 1968, das den jungen mexikanischen Bildungsbürger, der gerade noch in der Belgrader Botschaft gearbeitet hat, mit anderen Welten bekanntmacht. Doch ebenso selbstverständlich wie Pitol früher gereist ist und sich im diplomatischen Milieu bewegte, wie viele lateinamerikanische Schriftsteller, scheint er seit der Rückkehr nach Mexiko an zwei kaum voneinander entfernten Orten zu leben. Er ist nach Xalapa gezogen, in die Hauptstadt von Veracruz: „Morgens gehe ich hinaus aufs Land. Dort habe ich eine Hütte, und ich verbringe mehrere Stunden damit, zu schreiben und Musik zu hören. Ab und zu mache ich eine Pause und spiele im Garten mit meinem Hund.” Zur Essenszeit kehre er in die Stadt zurück, um am Nachmittag noch mal in die Hütte zu gehen, wieder schreibe er, lese, telefoniere, „ab sechs Uhr abends gibt es keine Macht der Welt, die mich aus dem Haus bringt.” Er lese und arbeite bis zwei Uhr morgens. „Dieser Lebensrhythmus, der einen, wie viele meinen, zur Verzweiflung bringen müsste, ist der einzige, den ich mir vorstellen kann.”
Die Gelassenheit von Pitols autobiographischer Prosa aus den Jahren 1990 bis 1995 kommt vielleicht manchmal eine Spur zu ausgeruht daher, aber meist finden seine Erzählungen der unterschiedlichsten Lese- und Reiserlebnissen einen interessanten Dreh. Die Unruhen von Chiapas sind bei Pitol genauso Thema wie Tschechows Anleitung zum Schreiben für seinen Bruder, die ungelesenen Bücher im eigenen Regal oder der Anschlag auf die Uffizien, den Pitol, gerade in Italien, nur um einen Tag verpasst. All diesen Geschichten gemeinsam ist eine verblüffende Mischung aus Offenheit und Bescheidenheit. HANS-PETER KUNISCH
SERGIO PITOL: Die Kunst der Flucht. Aus dem mexikanischen Spanisch übersetzt von Ulrich Kunzmann. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2007. 383 Seiten, 26,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr angetan zeigt sich Rezensent Hans-Peter Kunisch von der unaufdringlichen Mischung aus altmodischer Bildung und Witz, Offenheit und Bescheidenheit dieses Buchs, dessen Texte er in der Summe auch als eine Art "Autobiografie eines Wörternarren" gelesen hat, und das ihn besonders durch seine Leichtigkeit beeindruckt hat. Auch liefert ihm das Buch Erkenntnisse über die Quellen und Ausgangslagen von Sergio Pitols Literatur. Und Erkenntnisse über die schwierigen Ausgangsbedingungen dieses mexikanischen Autors, den er heute als Weltbürger begreift, der aus ärmlichen Verhältnissen stammt. Zwar kommen Kunisch die autobiografischen Texte dieses Bandes mitunter eine Spur zu ausgeruht daher. Doch meist finden die unterschiedlichen Schilderungen von Reise- und Leseerlebnissen am Ende noch einen interessanten Dreh und beeindruckt Pitol den Rezensenten, weil Ereignisse wie die Unruhen von Chiapas für ihn ebenso Thema wie Anton Tschechows Anleitung zum Schreiben sind.

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