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Schon bei seiner Ankunft in Bleston beschleicht Jacques Revel, der für ein Jahr in einem Export-Import-Unternehmen arbeiten soll, ein unbestimmtes Gefühl von Unbehagen, er fühlt sich verfolgt und beobachtet. Um zu verstehen, was um ihn herum passiert, beginnt er zeitversetzt mit Aufzeichnungen, in denen sich Gegenwart und Vergangenheit annähern und kreuzen. Doch durch die Niederschrift seiner Beobachtungen wird auch das Gewöhnliche rätselhaft und bedrohlich, die Stadt zu einem mythischen Labyrinth. Langsam wird er zum Opfer seiner eigenen Gedanken und das Chaos der Großstadt spiegelt sich in den verrückt-genialen Strukturen seiner Erzählung.…mehr

Produktbeschreibung
Schon bei seiner Ankunft in Bleston beschleicht Jacques Revel, der für ein Jahr in einem Export-Import-Unternehmen arbeiten soll, ein unbestimmtes Gefühl von Unbehagen, er fühlt sich verfolgt und beobachtet. Um zu verstehen, was um ihn herum passiert, beginnt er zeitversetzt mit Aufzeichnungen, in denen sich Gegenwart und Vergangenheit annähern und kreuzen. Doch durch die Niederschrift seiner Beobachtungen wird auch das Gewöhnliche rätselhaft und bedrohlich, die Stadt zu einem mythischen Labyrinth. Langsam wird er zum Opfer seiner eigenen Gedanken und das Chaos der Großstadt spiegelt sich in den verrückt-genialen Strukturen seiner Erzählung.
Autorenporträt
Butor, Michel§Michel Butor, geboren 1926, ist einer der bedeutenden französischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er studierte Philosophie und lehrte an Hochschulen in Kairo, Manchester, Saloniki und Genf. Sein vielschichtiges Werk, mit dem er den Nouveau Roman mitbegründete, wurde u.a. mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet.

Ritte, Jürgen§Jürgen Ritte, 1956 geboren, ist Direktor des germanistischen Instituts an der Université de la Sorbonne Nouvelle. Er gibt die deutsche Ausgabe der Korrespondenz Marcel Prousts heraus. 2013 wurde ihm der Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis zugesprochen. Ritte lebt in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2009

In großer Übersetzung

Ein mehr als fünfzig Jahre alter Roman - und schon eine Vorlage für die sogenannte Postmoderne: die Aufsplitterung der Realität, die tragende Rolle des Zufalls, die Unwägbarkeit des Lebens, die Übereinstimmung von Wirklichkeit und Erfindung und nicht zuletzt das Spiel mit dem Krimigenre. Jacques Revel kommt in eine englische Albtraumstadt (im Buch erstmals Butors Stadtplan-Skizze). Er sitzt im Zug, und was er durch die Scheibe sieht, löst sich in "Myriaden kleiner Spiegel" auf, "jeder reflektiert ein zitterndes Körnchen des spärlichen Lichts". Am Ende erkennt man die Quintessenz des Romans. Revel ist Französischkorrespondent für eine Firma, er gewöhnt sich nur schwer ein. Er geht durch die labyrinthische Stadt und schreibt darüber ein Tagebuch, die Atmosphäre ist beklemmend, überall wähnt man Brudermord. Revel will die geheimen Verbindungen akribisch ergründen, aber das geht nicht, denn der Feind ist die Stadt. Die Stadt als schauriges Wesen: Lovecraft hat das faszinierend beschrieben, Butor kommt ihm sehr nah. Butor las auch gern Jules Verne und Zola (so Jürgen Ritte im Nachwort), und er war selbst ein Vorbild. Alle haben von ihm gelernt, in Stil und Idee, von Georges Perec, Paul Auster, Jean Echenoz bis zum jungen Tanguy Viel. Eine wichtige Neuausgabe, klugerweise in der Übersetzung des großen Helmut Scheffel. (Michel Butor: "Der Zeitplan". Roman. Aus dem Französischen von Helmut Scheffel. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2009. 420 S., geb., 26,90 [Euro].)

puh

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2009

Die Stadt weist die Annäherungsversuche Revels zurück
Es peitscht der Regen, er hat dich lieb
Michel Butors Debütroman „Der Zeitplan” erzählt die Geschichte einer schleichenden Verhexung durch die nordenglische Industriestadt Bleston
„Das Gedächtnis der Bewohner Blestons für das Wetter erregt meine Bewunderung und erschreckt mich zugleich; sie können genau sagen, ob es an dem gleichen Tage des vergangenen Jahres etwas mehr oder weniger geregnet hat, als ob darin der Hauptunterschied zwischen diesen beiden 1. November läge, als ob sich für sie in der Zwischenzeit niemals etwas ereignet hätte.”
Ein Leben aus Regen: So stellt sich Jacques Revel die nordenglische Industriestadt Bleston dar. Anfang der fünfziger Jahre kommt Revel hierher, um die französische Korrespondenz der Firma Matthews and Sons zu übernehmen. Nicht nur das Wetter, auch das Essen ist bedeutend schlechter als daheim; der Schock, den Revel in Bleston erleidet, geht allerdings über kulinarische und klimatische Fragen weit hinaus. Gleich bei seiner Ankunft verspürt er eine existentielle Bedrohung. Irgendetwas ist dieser Stadt eigen, das ihn tief erschauern lässt.
Doch statt sich einschüchtern zu lassen, statt sich zu verkriechen und darauf zu warten, dass sein auf ein Jahr begrenzter Aufenthalt in Bleston zu Ende geht, stellt er sich der Stadt; erst, indem er sich ein wohnlicheres Zimmer sucht und dafür bis in entfernteste Viertel vordringt, dann, nach sechs Monaten, indem er anfängt Tagebuch zu schreiben.
Es ist ein rückwirkendes Tagebuch: Aufs genaueste versucht Revel darin zu rekonstruieren, was in der Zeit seit seiner Ankunft geschehen ist: wie die Zimmersuche verlief, wie er Freundschaften schloss, erst mit einem schwarzen Arbeiter, dann mit einem schüchternen Kollegen, einer Frau in einer Schreibwarenhandlung, schließlich mit einem Krimiautor.
Revel nennt das Tagebuch eine „Aufklärungs- und Forschungsarbeit”, ein „Ausgraben, Ausbaggern”, und schließlich ganz offen eine „Suche”. Als eins von zwei großen Vorbildern nämlich steht „Die Suche nach der verlorenen Zeit” über „Der Zeitplan”, dem 1956 erschienenen Debütroman Michel Butors. Der Autor war damals gerade dreißig Jahre alt, und hatte eben erst zwei Jahre als Lektor im englischen Manchester hinter sich. Manchester stand zweifellos Modell für das Bleston des „Zeitplans”.
Und doch versteckt sich hinter diesem Bleston noch ein zweites, vielleicht sogar stärkeres Urbild: Kafkas „Schloss”. Wie auch K. versucht, einen Weg ins Schloss zu finden, so sucht Revel einen Schlüssel zum Verständnis Blestons. Er versucht der Stadt näher zu kommen, wird von ihr aber immer wieder – wie der Landvermesser bei seinen Versuchen, das Schloss zu erreichen – zurückgewiesen. Die Atmosphäre des Undurchdringlichen, Unheimlichen, der Kälte und Vergeblichkeit, die irritierenden Momente von Trost und Versöhnung, sie scheinen direkt aus Kafkas Universum entnommen.
Und doch, oder gerade weil Butor in „Der Zeitplan” Kafka und Proust amalgamiert– selbst die mäandernde Satzbewegungen scheinen direkt bei Proust entlehnt – steht der Roman für sich. Seine Konstruktion ist auf gewisse Weise sogar luzider als die seiner Vorbilder: Während Revel rückwirkend Tagebuch führt, gerät ihm die Gegenwart in die Quere. Immer häufiger drängt es ihn, auch von unmittelbar Erlebtem zu berichten.
Um diese gegenwärtigen Ereignisse allerdings verständlich zu machen, muss er auf die Vergangenheit zurückgreifen, in der Regel allerdings auf eine andere als die, über die er sich vorgenommen hat zu schreiben. Und diese Vergangenheiten wollen dann wieder durch andere erklärt werden. Auf diese Weise werden seine Aufzeichnungen zunehmend komplexer.
Am Ende haben sich fünf Erzählstränge herausgebildet, von denen drei aus der Vergangenheit in die Gegenwart und zwei von der Gegenwart in die Vergangenheit reichen.
Dabei gelingt es Butor meisterhaft, die Fäden in der Hand zu behalten, und mit musikalischer Leichtigkeit, vergleichbar einer Fuge, läuft der Roman schließlich auf sein Ende zu. Der Versuch Revels, Bleston durch die Schrift zu bannen, ist bis dahin allerdings in eine Beschwörung Blestons umgeschlagen: „deine böse Stimme, Bleston”, heißt es irgendwann. Der „schleichenden Verhexung” durch die Stadt hat sich der Franzose nicht entziehen können.
Ähnlich ergeht es dem Leser dieser hervorragend übersetzten, sehr schön ausgestatteten Ausgabe: Vom ersten Satz an ist er von Revels „Zeitplan” und von Bleston Stadtplan in Bann geschlagen. Zusammen mit Revel versucht er, sich einen Überblick zu verschaffen, durchstreift die Straßen, fährt Bus und kennt sich bald auch im Linienplan aus. Er besucht die „Alte” und die „Neue Kathedrale”, betrachtet Tapisserien, die die Geschichte des Theseus zeigen, und Glasmalereien, die die Geschichte Kains darstellen, beschäftigt sich mithin also auch auf mythologischer und symbolischer Ebene – Theseus und Kain sind Gründer von Städten – mit dem, was es bedeutet, in einer Großstadt zu leben, und erlebt bald selbst, wie Revel, „eine Art ständige Angst” angesichts vieldeutiger Zeichen und geheimnisvoller Unfälle.
„Wie könnte ich dich nicht hassen, Bleston, schreibt Revel in seinem Tagebuch. Der Leser aber kann nicht anders als die Geschichte dieser Stadt, diese Geschichte, die zugleich eine literarischen Stadtschöpfung ist, zu lieben: „mit welcher Erleichterung ich hierher gelangt bin, mit dem siebzehner Bus, dann, nach dem Umsteigen an der Kreuzung Tower Street/ White Street dicht bei Matthews and Sons, mit dem siebenundzwanziger und schließlich die letzten zweihundert Meter zu Fuß unter den sich lichtenden Regenschleiern, die mich liebkosten!”
TOBIAS LEHMKUHL
Michel Butor
Der Zeitplan
Aus dem Französischen von Helmut Scheffel. Matthes und Seitz Verlag, Berlin 2009. 424 Seiten, 26,90 Euro.
„die letzten zweihundert Meter zu Fuß unter den sich lichtenden Regenschleiern”
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Kafka und Proust als Amalgam - Die beiden Säulenheiligen der literarischen Moderne sind die Vorbilder für Michael Butors Debütroman, den dieser 1956 niederschrieb, erklärt Rezensent Tobias Lehmkuhl und findet Gefallen an diesem Buch. Gleich einer Fuge nämlich führt Butor die fünf Erzählstränge "meisterhaft" und "mit musikalischer Leichtigkeit" parallel, so dass Lehmkuhl zum Vergleich ausholt: So wie der Protagonist Revel von der Stadt Bleston in Bann gezogen wird, so kann sich auch der Leser der Lektüre nicht entziehen. Gleichzeitig entspricht der gewachsene Hass des Franzosen Revels für Bleston, den er in einem Tagebuch dokumentiert, der wachsenden Liebe des Lesers für dieses Buch. Sehr gut übersetzt und sehr schön ausgestattet, findet Rezensent Lehmkuhl schließlich und zitiert zum Abschluss begeistert eine von Revels Busfahrten herbei.

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