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Im Zentrum von 'Gedichte für dich' stehen daher die Gedichte Georges, die Fragen, die sie heute stellen und die Antworten, die man in ihnen finden kann. Wie können diese Gedichte, die rücksichtslos profitorientierten Kapitalismus und die Verantwortungslosigkeit moderner Beziehungen ebenso kritisieren wie Egoismus von Politikern und Naturzerstörung durch Industrie, heute gelesen werden? Darüber hinaus stellt diese brillant geschriebene Untersuchung auch Fragen, die ewig brennende sind: Kann man einem Dichter vertrauen? Kann man sich überhaupt je auf jemandes Wort verlassen? Was kann ein Wort bedeuten, wenn es verschiedene Bedeutungen haben kann?…mehr

Produktbeschreibung
Im Zentrum von 'Gedichte für dich' stehen daher die Gedichte Georges, die Fragen, die sie heute stellen und die Antworten, die man in ihnen finden kann. Wie können diese Gedichte, die rücksichtslos profitorientierten Kapitalismus und die Verantwortungslosigkeit moderner Beziehungen ebenso kritisieren wie Egoismus von Politikern und Naturzerstörung durch Industrie, heute gelesen werden? Darüber hinaus stellt diese brillant geschriebene Untersuchung auch Fragen, die ewig brennende sind: Kann man einem Dichter vertrauen? Kann man sich überhaupt je auf jemandes Wort verlassen? Was kann ein Wort bedeuten, wenn es verschiedene Bedeutungen haben kann?
Autorenporträt
Fricker, Christophe
Christophe Fricker, geb. 1978 in Wiesbaden, studierte Politik, Germanistik und Musikwissenschaft in Singapur, Freiburg, Halifax und promovierte über Stefan George am St John's College, Oxford. 2009 erhielt er den Hermann-Hesse-Förderpreis für den Gedichtband Das schöne Auge des Betrachters und edierte den Briefwechsel zwischen Friedrich Gundolf und Friedrich Wolters.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2012

Hier geht es um die Du-Erfahrung
Gesten der Freundschaft: Christophe Fricker setzt die Lyrik von Stefan George in neues Licht

Manchmal führen vermeintliche Spiegelfechtereien zum Ziel. Keiner, der die moderne Lyrik kennt, würde bezweifeln, dass Stefan George an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert bahnbrechend gewirkt hat. Anzunehmen, dass seine Lyrik inzwischen marginalisiert sei, weil die letzten beiden breit beachteten George-Studien, die Biographie von Thomas Karlauf sowie Ulrich Raulffs "Kreis ohne Meister", sich mehr um das Persönliche und das Nachleben Georges bekümmern, ist wohl genauso ein Trugschluss wie die Sorge, seine Verse könnten als gehobener Päderasten-Jargon verunglimpft werden.

Auch wer sich nur noch vage daran erinnert, wie Gottfried Benn, der Päderastie gänzlich unverdächtig, in seinem Marburger Vortrag "Probleme der Lyrik" Georges Kunstanspruch als das Initiationserlebnis seiner Generation verklärt, wird nicht auf den Gedanken kommen, den Dichter des "Jahrs der Seele" auf dekadente Knabenerotik zu reduzieren. Der jüngste Apologet von Georges Lyrik, der Germanist und Lyriker Christophe Fricker, beginnt genau mit einer Abwehr solcher, Georges Dichtung unterlaufender Vorwürfe - um sie dann im Zeichen der Aktualität des Meisters, um die es ihm geht, in ihr Gegenteil zu verkehren.

Ein dezidiert handwerkliches Verständnis vom Gegenstand und die Evokation menschlicher Nähe im Zeichen der Freundschaft verleihen, so Fricker, Georges Gedichten eine ethische Dimension, die sie vor totalitären Anverwandlungen, Allmachtsphantasien und Solipsismen immunisiert. Dass freirhythmische Lyrik der Moderne, wie etwa die eines Walt Whitman, jedoch allen ethischen Rückhalt verliere, während nur die metrisch gebundene, wie die Georges, noch ethische "Ordnung" repräsentiere, gehört dabei zu den fragwürdigen argumentativen Kurzschlüssen Frickers. Gut ist er hingegen dort, wo er mit akribischer Sensibilität in die Wortwerkstatt des Bingener Beschwörers hineinblickt. Er versucht seiner Lyrik Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem er ihn etwa mit Richard Sennett aus Bedingungen und Logik emphatisch verstandenen "Handwerks" heraus begreift - das wiederum gelingt nicht immer, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln.

Einerseits verweist Fricker auf die Unabdingbarkeit von Georges "Kreis", das in diesem fraglos vorausgesetzte Meister-Schüler-Verhältnis sowie den Werkstattcharakter der mit den "Blättern für die Kunst" repräsentierten Literatur, auf Zusammenhänge, ohne die Georges Selbstverständnis in "mittelmäßiger" (Hofmannsthal) Umgebung nicht nachvollziehbar wäre; andererseits muss er in Anlehnung an Harold Blooms Theorie der "Einflussangst" indirekt konzedieren, dass nur epigonaler Folgsamkeit sich widersetzende Einstellungen einen wirklich originellen Dichter ausmachen. Dem Versuch, die ethisch-poetischen Trieb-, Flieh- und Bindekräfte von Georges Welt immanent darzustellen, tun solche Widersprüche keinen Abbruch. Allerdings problematisiert der Autor sie auch nicht, denn Kritik an Georges Lebens- und Poesiemodellen liegt Fricker nun gerade am fernsten.

Der bei aller intimen Kenntnis immer sachlich-unprätentiöse Ton seiner Erörterungen nimmt Georges Erscheinung sowie dem Zirkel seiner Jünger (ein Begriff, den er meidet) immerhin jeden Nimbus des Elitären. Frickers Sympathie gilt dem Anreger neuer, über Gesten der Freundschaft vermittelter Tradition ebenso wie dem Bewahrer, Sammler und Interpreten des Alten, Vergessenen - die berüchtigte Verkünderfigur Georges verblasst dagegen zum Klischee. Frickers George wird vielmehr zum Prototyp jener Art Intellektueller, die man heute gerne als "wertekonservativ" bezeichnet: "George muss eine herausgehobene, auffällige Sprache sprechen, die sich von der Standardsprache der Zeit absetzt, weil diese Normalsprache bereits zu einer Verfallssprache geworden ist."

Was man George als Verkündung attestiert hat, ist eigentlich, so Frickers Pointe, Gestus der Begegnung mit dem Anderen, ist Anspruch und Apostrophe eines Gegenübers. Seine Gedichte enthielten kaum monologische Erfahrungen, sondern öffneten sich dem Dialog, dem Miteinander, der Du-Erfahrung. Darauf zielt auch Frickers Titelwahl "Gedichte für Dich". Im "Imperativ des entzückten Ermunterns", den Georges Lyrik kultiviere, werden die Entzugserscheinungen moderner Profanisierung zugunsten euphorischer Gemeinsamkeit und befeuernder Vorahnung zurückgewiesen. Das Rühmen als den Verfall konterndes poetisches Verfahren preist Fricker mit George als Strategie von größter Nachhaltigkeit.

Die Originalität dieses Zugangs, gerade am antimodernen Widerstand eines "starken" Dichters dessen Modernität und Gegenwärtigkeit zu entdecken, nimmt für sich ein. Mag Fricker auch gelegentlich zu vorbehaltlos um uneingeschränktes Wohlwollen für Georges eigenwilligen Habitus werben, mag man sich oft längeres Verweilen bei einzelnen Gedichten anstatt das Ausweichen ins Allgemeine oder einiges mehr über Georges Verhältnis zu anderen Dichtern seiner Generation (etwa Borchardt, Rilke oder Däubler) wünschen, so ist doch ein Unternehmen zu begrüßen, das weder Karlauf noch Raulff in ihren George-Büchern primär interessierte: nämlich Georges Gedichte heutigen Lesern zu erschließen. Eine solche Einführung liest man umso lieber, als sie selten ist.

JAN RÖHNERT

Christophe Fricker: "Stefan George - Gedichte für Dich".

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2011. 383 S., geb., 26,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jan Röhnert ist schon allein deshalb von Christophe Frickers Buch zu Stefan Georges Lyrik so angetan, weil der Germanist und Lyriker sich intensiv darum bemüht, dem Leser von heute einen Zugang zu den Gedichten zu vermitteln. Fricke tut einen Blick in die sprachliche Werkstatt des Dichters, arbeitet sein emphatisch handwerkliches Verständnis von Lyrik heraus und interpretiert Georges Gedichte als hymnische Beschwörung der Freundschaft und des Dialogs. So nimmt er den Dichter  gegen Vorwürfe der "totalitären Anverwandlungen, Allmachtsphantasien und Solipsismen" in Schutz. Für den Rezensenten sind die Ausführungen Frickers nicht ohne Fehlschlüsse und Widersprüche, einnehmen aber tut ihn die feinfühlige Akribie, mit der der Germanist und Lyriker sich die Gedichte Georges vornimmt. Zudem sagt Röhnert der bei aller Verbundenheit Frickers mit Person und Werk des Dichters stets "sachlich-unprätentiöse Ton" dieser Studie sehr zu.

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