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»Liebe Itta - deine Briefe sind mir schon zu etwas ganz Unentbehrlichem geworden und jeden Tag, wenn ich in den Briefkasten vorm Haus sehe, tue ichs mit dem Gedanken: ob wohl von dir etwas dabei ist«, schrieb der 24-jährige Peter Weiss im Frühjahr 1941 an Henriette Itta Blumenthal. Ihr Briefwechsel erstreckt sich über zwei Jahre, von April 1941 bis Mai 1943; die Briefe sind das Zeugnis einer kurzen, aber intensiven und intimenFreundschaft und Selbstoffenbarung und markieren den Anfang einer Seelenforschung, die Peter Weiss über zwei Psychoanalysen schließlich zur Niederschrift seiner autobiografisch inspirierten Romane führt.…mehr

Produktbeschreibung
»Liebe Itta - deine Briefe sind mir schon zu etwas ganz Unentbehrlichem geworden und jeden Tag, wenn ich in den Briefkasten vorm Haus sehe, tue ichs mit dem Gedanken: ob wohl von dir etwas dabei ist«, schrieb der 24-jährige Peter Weiss im Frühjahr 1941 an Henriette Itta Blumenthal. Ihr Briefwechsel erstreckt sich über zwei Jahre, von April 1941 bis Mai 1943; die Briefe sind das Zeugnis einer kurzen, aber intensiven und intimenFreundschaft und Selbstoffenbarung und markieren den Anfang einer Seelenforschung, die Peter Weiss über zwei Psychoanalysen schließlich zur Niederschrift seiner autobiografisch inspirierten Romane führt.
Autorenporträt
Peter Weiss, Maler, Filmregisseur, Romancier und Dramatiker, wurde 1916 in Nowawes bei Berlin geboren. Nachdem er in Prag Malerei studierte, emigrierte er nach Schweden. Ende der 1940er-Jahre begann er zu schreiben. Es entstand ein umfangreiches Werk an Theaterstücken (u. a. Die Verfolgung und Ermordung Jean-Paul Marats ..., Die Ermittlung) und Prosawerken (u. a. Die Ästhetik des Widerstands). Peter Weiss starb 1982 in Stockholm. Postum wurde ihm 1982 der Georg-Büchner-Preis zuerkannt.

Hannes Bajohr ist Philosoph und Literaturwissenschaftler und derzeit Postdoc am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Ideengeschichte, politischer Philosophie und Theorien des Digitalen. Zuletzt erschien im August Verlag: Schreibenlassen. Texte zur Literatur im Digitalen (2022).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2011

Von schöner Rettung in hoher Not
In den Briefen, die er Henriette Itta Blumenthal schrieb, zeigt sich Peter Weiss als haltloser junger Mann

Mitte April 1941 kehrte Peter Weiss in sein Elternhaus im schwedischen Alingsås zurück. Zuvor war er mit dem Versuch, sich als Maler in Stockholm zu etablieren, gescheitert. Jetzt musste er sich abermals den Ansprüchen seiner Eltern stellen, die von ihrem Sohn den Aufbau einer soliden bürgerlichen Existenz verlangten. Peter Weiss sah sich gezwungen, in der väterlichen Textilfabrik zu arbeiten, und fühlte sich in seinem künstlerischen Schaffen nicht nur behindert, sondern am Ende angekommen.

Die Krise, die Weiss in dieser Zeit durchlebte, ging an die Fundamente seiner Existenz. In Stockholm hatte er sich in einer Vielzahl von vorwiegend sexuellen Beziehungen verloren, ohne, wie er sich eingestehen musste, auch nur einmal geliebt zu haben. Seine männlichen Freunde warfen ihm moralische Verwahrlosung vor. Eine seiner Freundinnen konfrontierte ihn zudem mit der Aussicht auf baldige Vaterschaft. Damit war für Peter Weiss die Katastrophe perfekt.

Doch wächst nicht selten gerade da das Rettende, wo die Not am größten ist. Mit Henriette Itta Blumenthal trat in ebendieser schwierigen Zeit eine Frau in das Leben von Peter Weiss, der er sich anvertrauen konnte und zu der das Verhältnis bewusst platonisch bleiben sollte. Die Briefe an Henriette Itta Blumenthal lassen mehr als nur erahnen, dass es das erste Mal gewesen sein muss, dass der spätere Schriftsteller solches Vertrauen aufbringen konnte. Weiss, der der Ansicht war, nur eine Psychoanalyse könne ihm dabei helfen, die Loslösung vom Elternhaus zu schaffen und seine Persönlichkeit zu stärken, traute dieser Frau zu, in ihrer heilsamen Wirkung die Psychoanalyse zu ersetzen. Diese Erwartung war zu hoch angesetzt. Weiss sollte sich zwei längeren psychoanalytischen Behandlungen unterziehen, das erste Mal bei dem Arzt und Sexualwissenschaftler Peter Hodann, in dessen Haus sich Peter Weiss und Henriette Itta Blumenthal kennengelernt hatten.

Der Briefkontakt mit der um zwölf Jahre älteren Frau bestand seit Anfang 1941 und wurde als sporadische Korrespondenz über Jahrzehnte hinweg bis zu Weiss' Tod im Mai 1982 aufrechterhalten. Die eigentliche brisante Phase dieser Beziehung aber liegt im Zeitraum von Sommer 1941 bis Frühjahr 1943 - sie ist in dem nun vorgelegten Briefband von der Seite Peter Weiss' vollständig dokumentiert und vorbildlich kommentiert. Die zwanzig präsentierten Briefe zeigen die oft quälende und von Selbstzweifeln geprägte Arbeit an der eigenen Persönlichkeit, das problematische Verhältnis zu den Eltern, das Suchen des Künstlers nach dem eigenen Ausdruck und die Frage, wie Nähe oder gar Liebe zu einem anderen Menschen überhaupt möglich sein kann. Die Briefe können als Quellgrund für Weiss spätere autobiographischen Romane "Abschied von den Eltern" und "Fluchtpunkt" verstanden werden. So betrachtet, bekommen die Leser von Peter Weiss mit diesem Buch ein wichtiges werkbiographisches Dokument in die Hand, das nicht nur wissenschaftliches Interesse bedient, sondern das problematische Werden des Autors Peter Weiss neu beleuchtet.

Mit Peter Weiss verbanden Henriette Itta Blumenthal einige lebensgeschichtliche Ähnlichkeiten. Wie ihr Briefpartner hatte sie jüdische Wurzeln und hatte nach dem Ersten Weltkrieg die tschechische Staatsbürgerschaft erhalten. Wie der Vater von Peter Weiss war auch Henriettes Vater als Unternehmer in der Textilbranche tätig. Sie floh vor den Nationalsozialisten nach Schweden und wollte, wie Peter Weiss, in die Vereinigten Staaten emigrieren. Am 29. September 1941 erhielt sie das dafür erforderliche Visum und reiste aus. In der ersten Zeit gelang es ihr, in Valatie im Bundesstaat New York als Lehrerin zu arbeiten. In den fünfziger Jahren hat sie sich zur Psychoanalytikerin ausbilden lassen, doch ist über ihren weiteren beruflichen Weg wenig bekannt. Im März 1995 starb Henriette Itta Blumenthal im Alter von neunzig Jahren in New York.

Nach 1943 unternahm Peter Weiss kaum noch Anstrengungen, den Briefkontakt mit ihr zu pflegen. Doch aufgrund der von Henriette ausgehenden Anhänglichkeit blieb er notdürftig aufrechterhalten und führte zu wenigsten zwei weiteren Treffen zwischen den beiden. Sosehr Weiss die mütterliche Freundin im Sommer 1941 brauchte, so deutlich schien sein Interesse an einer Beziehung mit ihr abzukühlen, als seine eigenen Probleme wenn nicht gelöst, so doch wenigsten gelindert waren. Für Henriette wiederum schien die Beziehung zu Peter Weiss auch über die Jahrzehnte hinweg von einiger Bedeutung geblieben zu sein. Noch 1972 schrieb sie an den nun berühmten Autor: "Weißt Du überhaupt noch, dass Du der einzige warst, der mich in Stockholm zum Zug begleitete, als meine Ausreise begann? Du sagtest mit großer Aufrichtigkeit ,wie schade, dass Du jetzt gerade fortgehst, wo wir uns wirklich etwas bedeuten'."

CHRISTIAN SCHÄRF

Peter Weiss: "Briefe an Henriette Itta Blumenthal".

Herausgegeben von Angela Abmeier und Hannes Bajohr. Verlag Matthes und Seitz, Berlin 2011. 175 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christian Schärf lobt die Edition der Briefe von Peter Weiss an Henriette Itta Blumenthal für ihre Vollständigkeit und ihren "vorbildlichen" Kommentar. Anhand der Briefe des jungen, als Künstler zunächst gescheiterten Weiss' lässt sich nicht nur die tiefe Krise ablesen, in der er sich zwischen 1941 und 43 befand. Er dokumentiert auch die schwierige Ablösung von seinen Eltern und zeigt, dass sich der Autor in dieser platonischen Freundschaft offensichtlich zum ersten Mal vollständig öffnet und jemandem anvertraut, meint der Rezensent. Damit kommt diesem Band eine werkbiografische Bedeutung zu, die auch den Laien seinen problematischen Werdegang als Schriftsteller nachvollziehen lässt, so Schärf angetan.

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