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Henri Sorge, gerade erst von einer Krankheit genesen, kehrt in seine Wohnung in einem Mietshaus zurück, das in eine Art Spital umgewandelt worden ist. Wahnvorstellungen bemächtigen sich seiner, die Beziehung zu seinen Mitmenschen wechselt zwischen Abscheu und Hörigkeit, Abhängigkeit und Abstoßung, Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühlen. Unentwegt stellt sich Sorge Fragen über die eigene Existenz, gibt seiner Bewunderung der Welt und des sie regierenden Gesetzes Ausdruck. Ständig widerspricht er sich dabei selbst oder negiert das Gesagte.

Produktbeschreibung
Henri Sorge, gerade erst von einer Krankheit genesen, kehrt in seine Wohnung in einem Mietshaus zurück, das in eine Art Spital umgewandelt worden ist. Wahnvorstellungen bemächtigen sich seiner, die Beziehung zu seinen Mitmenschen wechselt zwischen Abscheu und Hörigkeit, Abhängigkeit und Abstoßung, Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühlen. Unentwegt stellt sich Sorge Fragen über die eigene Existenz, gibt seiner Bewunderung der Welt und des sie regierenden Gesetzes Ausdruck. Ständig widerspricht er sich dabei selbst oder negiert das Gesagte.
Autorenporträt
Blanchot, MauriceMaurice Blanchot, der 2003 im Alter von 95 Jahren verstarb, ist einer der herausragenden französischen Schriftsteller und Denker der letzten 50 Jahre. Am engsten befreundet mit Georges Bataille und Emmanuel Levinas, hat er maßgeblichen Einfluß ausgeübt auf Autoren wie Foucault, Deleuze, Derrida, Nancy, aber auch auf Dichter und bildende Künstler.

Mälzer, NathalieNathalie Mälzer, 1970 geboren, ist Professorin am Institut für Übersetzungswissenschaft der Universität Hildesheim und arbeitet als Übersetzerin aus dem Französischen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2011

Vom Suchen und Finden der Wahrheit

Maurice Blanchot ist der Vater der postmodernen Literaturtheorie. Auch die deutsche Erstübersetzung seines 1948 entstandenen Romans "Der Allerhöchste" ist eine literarische Versuchsanordnung.

Weil sein Werk lange schon das Gesicht seines Autors ausgelöscht habe, entgegnete Maurice Blanchot einmal seinem Verleger, könne er ihm leider keine Fotografie von sich zur Verfügung stellen. Im Jahr 2003 ist der vermutlich radikalste unter den französischen Philosophenschriftstellern fünfundneunzigjährig gestorben. Zuletzt wurde er im Mai 1968 auf einer Studentendemonstration gesichtet und fotografiert. Seitdem existierten weder Bilder noch Geschichten aus dem Privatleben dieses diskret engagierten Intellektuellen, dessen Schreiben nach einer beinah tödlichen Begegnung mit den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen dem Sterben gewidmet war - dem Sterben mit literarischen Mitteln.

Nicht umsonst haben sich die Denker der Dekonstruktion, unter ihnen Michel Foucault, Jacques Derrida und Pierre Klossowski, an Blanchots Todespoetik abgearbeitet. In seinem essayistischen, noch mehr aber in seinem erzählerischen Werk sahen sie genau jene Kraft, jene trügerische différance am Werk, die später den "Tod des Autors" besiegeln sollte.

Fast alle Sentenzen der postmodernen Literaturtheorie gehen auf eine Auseinandersetzung mit den Werken Maurice Blanchots zurück. Von Wahrheiten, die sich im Sprechakt verbergen, ist dort die Rede, vom Wortsinn, der sich entzieht oder verflüchtigt. Den Topos vom Primat des Bedeutenden über das Bedeutete, des Werdens über das Sein hat Blanchot mustergültig vorweggenommen: Das Finden der Wahrheit wird darin durch den Akt des Suchens ersetzt.

In dieser Unabschließbarkeit liegt der Reiz dieser widerborstigen Lektüre. Wer sich jedoch nicht einlassen mag auf diese Treibjagd des Sinns, dem wird Blanchots Wüten gegen die Konventionen der rationalen Erkenntnis bald unendlich mühsam vorkommen. Wer es genießen will, muss sich auf das Abenteuer einer spekulativen Lektüre einlassen.

In diesem Sinne hat man es auch bei der ersten deutschen Übersetzung des im Jahr 1948 im französischen Original erschienenen Romans "Der Allerhöchste", auf Französisch "Le Très-Haut", mit einer experimentellen Situation zu tun. Schriftsteller, Erzähler und Leser befinden sich in ihrer existentiellen Orientierungslosigkeit auf Augenhöhe. Kein auktorialer Rädelsführer dirigiert das Geschehen, und kein souveräner Rezipient zieht daraus seine voreiligen Schlüsse. Und welche Schlüsse wären aus diesem Roman auch schon zu ziehen?

Henri Sorge ist ein braver Standesbeamter, der das Gesetz achtet und seine Pflichten klaglos erfüllt. "Ich war nicht allein, ich war ein beliebiger Mensch. Wie sollte ich diese Formel je vergessen?" Mit dieser Selbstaussage verkörpert Sorge genau jenen sozialen Typus, der von Albert Camus über Georges Perec bis zu Michel Houellebecq längst zum Inventar der französischen Literaturgeschichte gehört. Immer wieder ist das Scheitern des kleinen Angestellten an einem technokratischen und deshalb menschenunwürdigen System beschrieben und beklagt worden.

Existenzphilosophische Fragen zur Rolle des Einzelnen in einem totalitären Ganzen gehören zum literarischen Odeur der späten vierziger Jahre. Im Jahr 1947 erscheint "Die Pest" von Albert Camus. Eine Epidemie, die sich unschwer als Metapher für die damals aktuellen ideologischen Verheerungen in Europa entschlüsseln lässt, stellt die Solidarität zwischen den Menschen auf eine harte Probe. Ein Jahr später ist auch in Maurice Blanchots Text von einer Epidemie die Rede. Henri Sorge hat sich wohl angesteckt oder ist gar die Quelle einer mysteriösen Seuche.

Sein Wohnhaus wird in eine Krankenstation umfunktioniert. Die staatliche Aufsicht verhängt Ausgangssperren. Revolutionäre proben indes den Aufstand und versuchen den Erzähler auf ihre Seite zu ziehen. Oft redet Sorge im Fieber, wahnhafte Bilder wechseln sich mit mythologischen, an die Orestie gemahnenden Familienaufstellungen ab. Blanchot arbeitet mit Ellipsen, rasanten Perspektivwechseln und Paradoxien. "Begreifen Sie doch: Alles, was von mir kommt, ist für Sie nichts als Lüge, denn ich bin die Wahrheit." So stellt man sich keinen konsistenten Charakter vor, aber genau jene Persönlichkeitsspaltung entspricht Maurice Blanchots poetologischem Entselbstungsprogramm.

"Was ist los mit Ihnen?", wird Sorge von seinem Vorgesetzten einmal gefragt. "Das ist ja die reinste Philosophie." Ja, "Der Allerhöchste" ist die reinste Philosophie oder zumindest ihre literarische Probe aufs Exempel. Der Text vereint Sprach-, Metaphysik- und Totalitarismuskritik vor narrativer Folie. Die Figuren sind nie ganz bei sich selbst, ihre Aussagen sind im Wortsinn verrückt und wirken deshalb auf den Leser verstörend. Gerade weil der Wahn sich im Laufe des Romans immer unaufhaltsamer Bahn bricht und in einer, wie die Übersetzerin Nathalie Mälzer-Semlinger in ihrem instruktiven Nachwort schreibt, "langage fou" gipfelt, gerät die Lektüre bald selbst zu einer intellektuellen Wahnsinnstat. Blanchots Gewährsmänner sind die großen Metaromanciers Kafka und Beckett.

"Der Allerhöchste" ist aber kein Repräsentant einer wie auch immer zu definierenden avantgardistischen Gattung, er hat seine eigene begründet. Damit zielt Blanchot auf etwas, das man Metaphysik des künstlerischen Nullpunkts nennen könnte. Die "Reinheit" der Sprachkunst, die sich um keinen Preis mimetisch geriert, wird einer "kranken" abbildhaften Belletristik gegenübergestellt. In seinen vor drei Jahren in Deutschland veröffentlichten Essays aus den Jahren 1941 bis 1944 führt Maurice Blanchot dieses ästhetische Konzept aus. "Das Journal des débats" erschien unter den Fittichen des Général Pétain, und damit schließt sich der künstlerisch-politische Kreis um den einstigen Résistance-Kämpfer. Zwar hat Blanchot rechtzeitig von seinen faschistischen Neigungen Abstand genommen und eine vorbildliche Karriere als engagierter Linksintellektueller eingeschlagen, dennoch lassen seine von der Dekonstruktion vereinnahmten Überzeugungen einen Hang zum erkenntnistheoretischen Urschlamm erkennen.

Ein Autor, der auf ein Publikum hin schreibe, behauptete Blanchot einmal, schreibe in Wahrheit nicht. "Daher die Bedeutungslosigkeit von Werken, die geschrieben wurden, um gelesen zu werden." Ist ein Leser, der den Ideen seines Autors versucht zu folgen, damit ein schlechter, am Ende sogar ein falscher Leser? Die erste Übersetzung von Maurice Blanchots drittem und letztem Roman gibt uns jetzt Gelegenheit, diese Fragen aus kritischer Distanz zu beantworten.

KATHARINA TEUTSCH

Maurice Blanchot: "Der Allerhöchste".

Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2011. 408 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.01.2012

Erzählen als Daseinskampf
Erstmals in deutscher Sprache: Maurice Blanchots Erzählung „Der Allerhöchste“
Auf der Ebene allerhöchster Abstraktion vollzieht der Erzähler von Maurice Blanchots „Der Allerhöchste“ einen Zirkelschluß. Er setzt sich als Erzähler ein, bleibt aber den Nachweis seiner Existenz schuldig; denn die Grenzen seines immanenten Daseins kann er nicht überschreiten. Sein Versprechen, im „Kommentar meines Handelns . . . die höchste Wahrheit aufblühen“ zu lassen, verrät den umfassenden Wirklichkeitsverlust, den er bekämpft.
Nicht mehr die Evidenz von beschriebenem Leben, dargestellter Welt steht auf dem Spiel. Der Erzähler ist lediglich bestrebt, das eigene vorweggenommene Dasein zu erschließen, zu sichern und in ein Lebensgefüge einzuordnen. Nach rund 400-seitiger rastloser Verwirklichungsarbeit ist er dem Noch-Nicht seiner Existenz soweit entkommen, dass er im letzten Satz melden kann: „Jetzt. Jetzt ist es soweit: Ich rede.“ Von einer räumlichen Unterkunft spricht er nicht.
Sein Name Henri Sorge verrät seine Herkunft aus der Begrifflichkeit Heideggers. Blanchots Erzählung ist im Original (Le Très-Haut, wörtlich „Der Sehr-Hohe“) 1948 erschienen, fünf Jahre nach Sartres Vermittlung der Daseinsanalytik Heideggers in „Das Sein und das Nichts“. Gleichzeitig entstand Becketts Molloy, der erste Band einer Romantrilogie, deren Figuren die Möglichkeit abhanden gekommen ist, sich in ihrer Bewusstseinswelt ohne objektives Gegenüber ihres Daseinsgrundes zu vergewissern. Blanchot dagegen suchte einen Ausweg aus Heideggers leergeräumter Welt.
Die Leere des Anfangs füllt sein Erzähler, indem er sich als Figur einsetzt: „Ich war nicht allein. Ich war ein beliebiger Mensch“ und ist im nächsten Moment an einem U-Bahneingang in ein Handgemenge verwickelt. Auf dem Polizeikommissariat stellt sich heraus, dass die Balgerei und das folgende Streitgespräch Mittel waren, mit Hilfe des Anderen die eigene Existenz zu bestimmen. Dem Muster der Urszene folgen die neun in Kapitel gefassten Lebensstationen Sorges. Sie bieten auf, was der Bewusstseinsroman im Laufe seiner Geschichte an melodramatischen Seelenlandschaften entworfen hat, symbiotische Verschmelzungs- und Auflösungskrisen, Geschichten der Täuschung, Verschwörung, erotischen Verwicklung, familiären Schuldverstrickung, der schizophrenen Spaltung. In Bildern des Schreibens und der Krankheit kehrt die Erzählung immer wieder zu ihrer Ausgangslage zurück, dem Daseinskampf des Schreibenden, der die Welt erzeugt, durch die er taumelt.
Zunächst reiht er unverbundene Bilder. Auf das Polizeiverhör folgt der Besuch seiner Mutter und Schwester an seinem Krankenbett im Hospital und ein gereiztes, endlich abbrechendes Gespräch mit seinem Tischnachbarn in einem Restaurant nahe des Rathauses, wo er als Standesbeamter tätig ist. Er betritt die eigene Wohnung und macht die Bekanntschaft von Nachbarn, unter ihnen eine Frau, die er später in ihrem Fotogeschäft besucht. Ein Besuch der Schwester, seine Heimkehr in den Schoß der Familie, die häusliche Pflege und Gespräche mit Mutter und Stiefvater werden zum Ausgangspunkt eines Familienkonflikts, der die Umrisse des Orest-Mythos annimmt.
In dem Maße, in dem der Erzähler die Ereignisse zeitlich bestimmt und von sich abrückt, gewinnt er selbst an Identität und die Erzählung an Zusammenhang und scheinobjektiver Wirklichkeit. Henri Sorge, 24 Jahre alt, ist im Rathaus einer namenlosen, Paris ähnelnden Stadt beschäftigt und wohnt in einem ihrer Elendsviertel. Seine Krankheit verallgemeinert sich zu einer in der Stadt grassierenden Epidemie; und der Familienkonflikt gewinnt als Verschwörung Aufständischer gegen die staatliche Obrigkeit in der Person offenbar seines Stiefvaters geschichtliche Dimensionen. Der Erzähler ist in die Intrige verstrickt und bekämpft sie zugleich im Namen von Recht und Gesetz.
Die Grenzen zwischen dem erzählenden Ego und seinen Geschöpfen und Gegenständen brechen immer wieder zusammen, und die Wahrheiten seiner Selbstkommentierung bleiben instabil. Sein Gegenstandsbezug stützt sich allein auf die Zeit, innerhalb der das Bewusstsein eine größere Bewegungsfreiheit hat als im Raum. So brüchig ist die Existenz, die er schreibend entwirft, dass er am Ende im selben Atemzug zum „Einen“, „Hohen“ heroisiert und möglicherweise umgebracht wird. Das ist der Augenblick seiner fiktiven Geburt und der abschließende Höhepunkt der Spiegelungsszene des existentialistischen Narziss.
Das humane, tiefsinnige Buch hat Nathalie Mälzer-Semlinger ohne Verlust an sprachlicher Vieldeutigkeit ins Deutsche übersetzt. Das ist in diesem besonderen Fall fast schon ein Bravourstück. Ihr Nachwort und der Essay des Autors zum Orest-Mythos erschließen deutschen Lesern die weiten Horizonte der erzählten Philosophie Blanchots.
SIBYLLE CRAMER
MAURICE BLANCHOT: Der Allerhöchste (Le Très-Haut). Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Nathalie Mälzer-Semlinger. Mit einem Essay von Maurice Blanchot. Matthes & Seitz, Berlin 2011. 410 Seiten, 24, 90.
Maurice Blanchot (1907-2003)
Foto: Eze France
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein richtige Leserim im Falschen möchte Katharina Teutsch sein, muss sie sein, um Maurice Blanchots letzten Roman mit seiner erkentnistheoretischen Wühligkeit überhaupt lesen zu können. Dass der "Philosphenschriftsteller" Blanchot mit der Figur des kleinen Angestellten in existentieller Not in einer Traditionslinie mit Camus, Perec und Houellebecq steht, hilft Teutsch nämlich auch nicht weiter. Eher schon vermag eine spekulative Lektürehaltung Teutsch weiterzuhelfen und die Ahnung, dass dieser Text nicht das Finden der Wahrheit propagiert, sondern die Suche nach ihr. Für Teutsch ist das Buch darum alles andere als eine Erzählung, es ist "reinste Philosophie", Sprach- und Metaphysikkritik, den Figuren in den Mund gelegt, und zum Glück, wie Teutsch zu finden scheint, mit einem brauchbaren Nachwort versehen.

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