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Mit außergewöhnlichem Gespür für Innenwelten erzählt Cécile Wajsbrot die Geschichte einer Frau, die in der Betreuung ihrer kranken Angehörigen sich selbst abhandenzukommen droht. Sie evoziert die schmerzhafte Umkehrung der Familienverhältnisse, einer Eltern-Kind-Relation unter vertauschten Vorzeichen. Von den Verlusten des Kriegs und der Erfahrung materieller Not verschont geblieben, muss diese Generation doch mit einem ganz ähnlichen Schmerz leben: zu sehen, wie die Eltern ihr Wissen, ihr Gedächtnis, ihre Sprache, ihre Persönlichkeit verlieren. Lebenden Toten gleich irren sie durch unsere…mehr

Produktbeschreibung
Mit außergewöhnlichem Gespür für Innenwelten erzählt Cécile Wajsbrot die Geschichte einer Frau, die in der Betreuung ihrer kranken Angehörigen sich selbst abhandenzukommen droht. Sie evoziert die schmerzhafte Umkehrung der Familienverhältnisse, einer Eltern-Kind-Relation unter vertauschten Vorzeichen. Von den Verlusten des Kriegs und der Erfahrung materieller Not verschont geblieben, muss diese Generation doch mit einem ganz ähnlichen Schmerz leben: zu sehen, wie die Eltern ihr Wissen, ihr Gedächtnis, ihre Sprache, ihre Persönlichkeit verlieren. Lebenden Toten gleich irren sie durch unsere Welt und haben sich doch für immer aus dieser verabschiedet. Ein einfühlsamer, zutiefst berührender Bericht über die Macht familiärer Bande, den kräftezehrenden Kampf gegen die Hydra Alzheimer und damit auch das Ringen um das eigene Leben.
Autorenporträt
Wajsbrot, CécileCécile Wajsbrot, 1954 geboren, lebt als Romanautorin, Übersetzerin aus dem Englischen (u.a. Virginia Woolf) und Deutschen (u.a. Marcel Beyer, Wolfgang Büscher) sowie als Essayistin in Paris und Berlin. Auf Deutsch u.a.: Aus der Nacht und Nocturnes. Ihre Romane thematisieren oftmals die Shoa in Deutschland und Frankreich sowie das daran anschließende Schweigen, dem sie das Erinnern entgegensetzt. Cécile Wajsbrot war 2007 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. 2016 erhielt sie den Prix de l'Académie de Berlin, seit 2017 ist sie Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Große, BrigitteBrigitte Große, 1957 in Wien geboren, lebt als Übersetzerin aus dem Französischen (u.a. Georges-Arthur Goldschmidt, Frédéric Beigbeder, Linda Lê) und Englischen (Caroline W. Bytum) in Hamburg. Übersetzerpreis der Stadt Hamburg (1994), Hieronymusring (1999).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Interessant an diesem autobiografischen Buch findet Thomas Laux vor allem die Spannung, die entsteht aus familiärer Fürsorglichkeit und dem plötzlichen Gefühl, seines eigenen Lebens darüber verlustig zu gehen. Die Autorin Cecile Wajsbrot zeigt diesen Moment für Laux anschaulich anhand gleich dreier Mitglieder der eigenen Familiengeschichte, die unaufhaltsam in die krankheitsbedingte Sprach- bzw. Gedächtnislosigkeit abrutschen und die Erinnerung an den Holocaust mitnehmen. Die existentielle Bedrängnis und totale Erschöpfung, in der sich die helfende Autorin bald befindet, führt laut Laux zu einer Verschiebung von Empathie zu Zorn und Verbitterung und zu einer Dialektik von Einfühlung und Abschottung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2012

Bücher Cécile Wajsbrots "Die Köpfe der Hydra" (Matthes & Seitz, 19,90 Euro) ist ein kleines und doch großes Buch, ein Buch, das sich einem Genre nur schwer zuordnen lässt. Es ist ein Essay über das Altern, die Erinnerung und deren Verlust, das Erzählen, das Schweigen, das Sterben, den Tod - also über das Leben, wie es war, wie es sein sollte, seine Flüchtigkeit im Glück und seine Schwere im Leid. Cécile Wajsbrot erzählt davon, wie ihr Vater, der an Alzheimer erkrankt ist, nicht nur sich selbst zunehmend verliert, sondern sich auch von ihr immer mehr entfernt, trägt zusammen, was sie über Großmutter und Eltern, über Onkel und Tanten weiß, die durch glückliche Fügung Deportation und Vernichtung entkommen sind, nicht aber dem Gefühl der Schuld, das damit verbunden ist und auch ihr Leben bestimmt hat.

beha

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2012

Wie überlebt man
sein Überleben?
Cécile Wajsbrots Buch über
ihren Alzheimer-kranken Vater
Bücher über Demenz haben Konjunktur. Das liegt nicht nur daran, dass Alzheimer in der alternden Gesellschaft ein weit verbreitetes Phänomen geworden ist, sondern auch an der Symbolkraft dieser Krankheit. Eine Gesellschaft, die Individualität, Freiheit und Selbstbestimmung als ihre wichtigsten Werte feiert, begegnet ihrem größtmöglichen Schrecken, wenn das Ich im Vergessen verschwindet. In der Konfrontation mit Alzheimer stellt sich die Frage nach dem, was eine Person ausmacht, auf radikale und ziemlich deprimierende Weise. Soll das Funktionieren der Hirnzellen, Nerven und Transmitterstoffe wirklich alles gewesen sein?
Die französische Schriftstellerin und Übersetzerin Cécile Wajsbrot gibt diesen Fragen eine noch größere Dringlichkeit. Als Tochter von Holocaust-Überlebenden, aufgewachsen in einer polnischstämmigen jüdischen Familie in Frankreich, hat das Bewahren und Weitergeben der Erinnerung für sie unmittelbare Notwendigkeit. In ihrem neuen Buch „Die Köpfe der Hydra“ berichtet sie von der Alzheimer-Erkrankung ihres Vaters, vom Schlaganfall der Großmutter und von Wahnvorstellungen einer dementen Tante. Alle haben sie auf unterschiedliche Weise mit Sprach- und Wirklichkeitsverlust zu kämpfen.
Der Vater spricht gar nicht mehr, die Großmutter zuletzt nur noch die Worte „vielleicht“ und „auch nicht“. Die Erzählerin ist unentwegt mit Pflege, Alltagsorganisation und Geldproblemen beschäftigt. Darüber hinaus ist sie aber auch in der Pflicht, das Familiengedächtnis zu bewahren. Wenn die Eltern, die einst nur durch glückliche Umstände der Deportation entkamen, nun im Vergessen verloren gehen, überleben diese „Überlebenden“ gewissermaßen sich selbst. Sie sind noch da, aber nicht mehr im Besitz ihrer Geschichte, die sie der Tochter übereignet haben.
Es liegt wohl allzu nahe, die Alzheimer-Erkrankung in so einer Familie als Reaktion auf die historischen Erfahrungen psychologisch zu deuten, sie eben nicht nur als ein organischen Abbauprozess zu sehen, sondern als letzte Konsequenz eines Schweigens, das diese Generation sich auferlegt hat. Mit dem eher wortkargen Vater hat die Tochter nie viel verbunden, jetzt aber ist sie durch seine Krankheit an die Sorge um ihn gefesselt, fühlt sich vereinnahmt und bedrängt von dem Gefühl, das eigene Leben darüber mehr und mehr zu versäumen. Die Familie wird ihr zur „Hydra“, der immer neue Köpfe nachwachsen.
Cécile Wajsbrots Bericht ist rückhaltlos autobiographisch. Ihn als „Geschichte“ zu bezeichnen, wie es der Verlag tut, verspricht schon zu viel an formaler Gestaltung und fiktionaler Freiheit. Im Autobiographischen liegt für Wajsbrot der innerste Kern aller Literatur. Sie schreibe „eine Art Tagebuch, aber ohne Datum, in dem nur die Zeit vergeht, eine Zeit, die gleichzeitig stagniert und verrinnt“, während sich „von Tag zu Tag Mühsal und Erschöpfung“ summieren. Das ist in der Reduktion auf den ermüdenden Alltag nicht leicht auszuhalten.
Wasser-Metaphern durchziehen den ganzen Text. So ist die Sprache für den Vater nur noch eine „der Überschwemmung durch die nächste Flut geweihte Insel“; die Erzählerin sieht sein Leben als etwas, das überläuft und sie zu überschwemmen droht; und die Familiengeschichte wird zum Ballast, den sie am liebsten über Bord kippen würde. Diese Metaphernwelt umfasst auch die titelgebende Hydra als Wasserschlange und reicht bis zu einer identifikatorischen Lektüre von „Moby Dick“, die dazu führt, Vater und Tante als „zwei weiße Wale“ zu bezeichnen, denen die Erzählerin in unbekannte Meere folgen muss.
Das alles dient nicht unbedingt der Präzision, eher dem Ausdruck von Stimmungen. Wenn alles zerfließt, versinkt, untergeht – und diese Gefühle legt die Alzheimer-Erkrankung nahe – ist Unschärfe Teil des zu beschreibenden Phänomens. Doch gerade dann wäre eine klare, kalte, trennscharfe Sprache wünschenswert, wie das Arno Geiger in seinem Vater-Buch „Der alte König in seinem Exil“ sehr viel besser gelungen ist.
Vielleicht hat es damit zu tun, dass Cécile Wajsbrot, wie sie in einem Interview verriet, mit ihrem Text zunächst gar nicht zufrieden war. Als sie ihn im Jahr 2000 abgeschlossen hatte, warf sie ihn weg und löschte alle Dateien. Erst als ihr zehn Jahre später ein übersehener Ausdruck in die Hände fiel, hatte das Werk vor ihren Augen Bestand. Dass es selbst erst vergessen und wiederentdeckt werden musste, gehört nun auch zu seiner Geschichte. In der Zwischenzeit aber hat Cécile Wajsbrot mehrere Bücher geschrieben, die sich mit der Erinnerungsproblematik beschäftigen und in denen sie ihrer Familiengeschichte bis nach Polen folgt. Den Imperativ des Erinnerns, gegen den sie sich in „Die Köpfe der Hydra“ noch wehrte, hat sie längst akzeptiert. Die Familienangehörigen, deren Verlöschen sie da so belastete, sind inzwischen alle gestorben. So ist dieses Buch über Erinnerung inzwischen selbst zu einer Erinnerung an eine vergangene Zeit geworden.
JÖRG MAGENAU
CÉCILE WAJSBROT: Die Köpfe der Hydra. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2012. 190 Seiten, 19,90 Euro.
Der Unschärfe des Leidens
hätte eine umso klarere Sprache
einen besseren Dienst erwiesen
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