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Mauern sind schwer, unbeweglich, starr, manchmal auch aus elastischem Metall oder knospendem Grün. Ausgehend von Berlin erzählt Olaf Briese eine Kulturgeschichte der Mauern. In seinem materialreichen und mitreißend erzählten Buch spannt er den Bogen von ersten steinzeitlichen Siedlungen bis hin zu modernen Sicherheitsregimes. Mauern werden zu ebenso verborgenen wie souveränen Regenten, die den Menschen verändern. Diesem Aufstand der Dinge entspringt eine verkehrte Welt, der bewegte Themenpark der Moderne, der permanente Karneval der Kulturen. Die siebzehn Abschnitte, die Gartenund Ghettomauern…mehr

Produktbeschreibung
Mauern sind schwer, unbeweglich, starr, manchmal auch aus elastischem Metall oder knospendem Grün. Ausgehend von Berlin erzählt Olaf Briese eine Kulturgeschichte der Mauern. In seinem materialreichen und mitreißend erzählten Buch spannt er den Bogen von ersten steinzeitlichen Siedlungen bis hin zu modernen Sicherheitsregimes. Mauern werden zu ebenso verborgenen wie souveränen Regenten, die den Menschen verändern. Diesem Aufstand der Dinge entspringt eine verkehrte Welt, der bewegte Themenpark der Moderne, der permanente Karneval der Kulturen. Die siebzehn Abschnitte, die Gartenund Ghettomauern ebenso behandeln wie Friedhofs- und Fabrikmauern - bis hin zur berühmten Berliner Mauer -, schildern,wie die versteinerten Verhältnisse selbst ihr Lied spielen, wie Mauern ihren Eros entfalten und wie sie fallen und ständig neu erschaffen werden.
Autorenporträt
Olaf Briese, geboren 1963, lehrt als Kulturwissenschaftler in Berlin. Buch- und Aufsatzveröffentlichungen zu den Themen Katastrophe, Kultur und Angst sowie zur Philosophie- und Literaturgeschichte des 18.-20. Jahrhunderts, darunter Die Macht der Metaphern und Angst in den Zeiten der Cholera.

Falk Nordmann, Zeichner und Illustrator, lebt und arbeitet in Berlin. Ab 2007 Umschlaggestaltungen und Autorenportraits, seit 2013 Tierillustrationen der Reihe Naturkunden für Matthes & Seitz Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2012

Minimal Art mit Rollrasen und immerwährender Beleuchtung
Hier erfährt man alles über Berliner Mauern: Olaf Briese Kulturgeschichte spannt den Bogen von der Steinzeit bis zum Abriss eines architektonischen Weltwunders

Über die Berliner Mauer ist eigentlich alles gesagt. Oder doch nicht? Der Kulturwissenschaftler Olaf Briese stellt einfach noch einmal alles in Frage - weil man, je mehr Wissen und Erinnerung angehäuft werde, immer weniger verstehe - und entwickelt eine eigensinnige Kulturgeschichte der Mauer, wie es sie bisher nicht gab. Von der Steinzeit bis zum Verschwinden der Berliner Mauer im Nirwana offizieller Erinnerungsrituale spannt Briese einen kühnen Bogen, der en passant auch eine Stadtgeschichte Berlins überwölbt, deren Mauern er ökonomisch, ästhetisch und natürlich politisch analysiert. Ihrer jeweiligen "Verkultung" sei immer die Zerstörung vorangegangen, und je knapper die geschleiften Symbole vergangener Macht wurden, desto höher sei ihr Wert auf dem Markt der Erinnerung gestiegen.

Brieses Mauerkulturgeschichte nimmt ihren Anfang bei den Megalithgräbern der Mark Brandenburg, deren mutwillige Zerstörung auch so etwas wie die Austreibung heidnischer Götter war und die schließlich, geschreddert, für Nützliches wie den Straßenbau oder für Landmauern herhalten mussten. Er gräbt die "landesherrlichen Zwangspferche" des Mittelalters aus und entdeckt fragwürdige Begründungen für "freies Schussfeld" im Mauervorfeld nicht erst bei Ulbricht, sondern schon bei Adam Graf von Schwarzenberg im Dreißigjährigen Krieg, auch damals gegen den Willen der Berliner Bürger.

Brieses weit ausgreifende, originelle Mauer-Stein-Reise verlangt Einsatz und Aufmerksamkeit bis zum Schluss, um zu entdecken, wie sehr sich Mauer-Symbolik, rational oder irrational begründet, und Symbole über die Mauerzeiten wiederholten und doch niemals gleich waren. Er folgt, im Großen und Ganzen, der Chronologie der Mauerbauten und -zerstörungen über Jahrhunderte und durchbricht diese Ordnung doch immer wieder. Etwa wenn es um Fluchten geht, die zu verhindern viele Mauern errichtet wurden. Aber schon die Anti-Desertionsmauer des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. erfüllte nicht ihren Zweck als Weglaufsperre: Wer weg wollte, weil er das Eingesperrtsein nicht ertrug, suchte andere Möglichkeiten. So wie fast zweieinhalb Jahrhunderte später die "Wucht der Grenzdurchbrüche" von Ost nach West die Planer der perfiden Berliner Mauer überraschte und zu immer irrwitzigerer Perfektion, koste es, was es wolle, anspornte, an deren Ende die Vergeblichkeit stand.

Brieses Anhäufung von Mauerwissen erreicht zuweilen enzyklopädisches Ausmaß und verliert sich auch, scheinbar, auf Nebenstrecken. Man erfährt alles über Friedhofsmauern, Schrebergärten vor Mauern, die Stacheldrahtzäune der Konzentrationslager und die Bunkermauern im Endkampf um Berlin 1945; doch gehört all dies zum Kontext, bewusst oder unterbewusst, vieler Entscheidungen, die nach 1961 gefällt wurden, um das Monstrum durch und um Berlin herum zu begründen, zu verändern und schließlich abzureißen. Wer sich darauf einlässt, erfährt zuletzt doch noch alles, was er bisher noch nicht wusste über Berlins letzte Mauer, den "antifaschistischen Schutzwall" der SED, der achtundzwanzig Jahre lang die Stadt zerschnitt und Symbol für die scheinbar unüberwindbare Trennung der Nachkriegswelt in zwei Blöcke war.

Brieses Perspektive auf die Berliner Mauer ist eine andere als die übliche, deren Er- und Bekenntnisse gerade erst wieder als Erinnerungsflut anlässlich des fünzigsten Jahrestages des Mauerbaus über uns kam. Seine Erkenntnisse beruhen auf Recherchen im Freiburger Bundesarchiv, wo er den Nachlass der DDR-Grenztruppen sichtete. Sein Befund zu den ungeheuren Kosten dieses ungeheuerlichen Bauwerks: Sie haben die DDR ruiniert. Die Ausgaben für die sogenannte Grenzsicherung stiegen schneller als das Nationaleinkommen. Also wurden 1988 - die Pleite stand allen DDR-Oberen außer dem irren Honecker täglich vor Augen - Pläne zur Kostensenkung erarbeitet. Die immerwährende Beleuchtung sollte zeitweise abgeschaltet und durch eine Hochtechnologiemauer ersetzt werden (wozu aber auch das Geld fehlte). Ein Papier aus dem Januar 1989, entstanden im Stab der Armee, liest sich ökologisch und verplante noch die neunziger Jahre.

Die Ästhetik des überstürzt als "Lottermauer" entstandenen Walls orientierte sich am Westen; nicht nur der Stacheldraht musste weg, weil er falsche Assoziationen weckte, sondern überhaupt wurde glatte Sachlichkeit fürs feindliche Auge angestrebt - reinweiße Minimal Art, sagt Briese. Das Brandenburger Tor bekam, wegen der Touristen und Staatsbesucher, Blümchen und Rollrasen vorgesetzt und für die eigenen Bürger gab es eine Vorgrenze, hinter der die eigentliche Mauer fast unsichtbar wurde, "ein mit Bilderverbot belegter Fetisch". Verschwunden aber ist die Mauer, so Briese, dank des "orgiastischen Abrisseifers" der Grenztruppen selbst. Die erträumten sich eine neue Karriere als Mauerteilstück-Verkäufer (worin sie sehr erfolgreich waren) und später als kommerzielle Abrissunternehmer mit einmaliger Empfehlung, was schiefging. Und so verschwand eines der - nach Brieses Ansicht - architektonischen Weltwunder des 20. Jahrhunderts einfach von der Bildfläche. An seine Stelle ist ein Erlebnispark getreten, zeitgeistkompatibel, zuweilen das Original kopierend.

Statt eines Epilogs bietet uns Olaf Briese lakonische Betrachtungen zu Franz Kafkas rätselhaften Text "Beim Bau der chinesischen Mauer", einem "Lehrstück auf die Normalsituation des Nichtverstehens". Denn für Briese bleibt die Mauer, die durch unsere Köpfe spukt, ein "Nahkampfplatz des Nichtverstehens" und auf jede Frage nach ihrem Sinn, nach Absicht und Zweck gibt es nie eine letztgültige Antwort, nur neue Fragen.

REGINA MÖNCH

Olaf Briese: "Steinzeit". Mauern in Berlin.

Mit Illustrationen von Falk Nordmann. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2011. 411 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Regina Mönch zeigt sich sehr eingenommen von der so eigenwilligen wie umfassenden Kulturgeschichte der Mauern in Berlin, die Olaf Briese vorgelegt hat. Im Großen und Ganzen chronologisch geht der Autor darin den Mauerbauwerken in und um Berlin von der Steinzeit bis zur Berliner Mauer nach, wobei er insbesondere in ihrer Symbolik und ihrem Abriss ein gewisses Muster erkennt. Die Aufmerksamkeit des Lesers sollte allerdings nicht abreißen, wenn er dem Autor auf seiner durchaus beanspruchenden Reise durch den Steinbruch der Mauergeschichten folgen will, warnt die Rezensentin. Genauso solle man sich nicht von den nur scheinbaren "Nebenstrecken" verunsichern lassen, die Briese von Friedhofsmauern über KZ-Stacheldrahtzäune oder zu Bunkermauern führt, denn dann wird dem Leser, wie die faszinierte Mönch betont, wirklich "alles, was er bisher noch nicht wusste" über die Mauer dargelegt. Sehr interessant fand die Rezensentin besonders die Ausführungen des Autors über die verheerenden Kosten, die durch die Mauer für die DDR entstanden, und die sie, wie die Rezensentin bei Briese lesen kann, "ruiniert" hat.

© Perlentaucher Medien GmbH