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»Da das Schicksal sich listigerweise unscheinbar kleidet, begann alles mit einem Abendspaziergang, der allen vorigen zu gleichen schien.« Remouald Tremblay, ein hünenhafter Mann mit dem Lächeln eines Esels, führt ein von Routine bestimmtes Leben als Bankangestellter und opfert jede freie Minute der Pflege seinestyrannischen gelähmten Vaters. Das ändert sich, als er in der Ruine einer vom Feuer zerstörten Kneipe einen Gegenstand entdeckt und einsteckt. Was von nun an passiert, gerät mehr und mehr außer Kontrolle.

Produktbeschreibung
»Da das Schicksal sich listigerweise unscheinbar kleidet, begann alles mit einem Abendspaziergang, der allen vorigen zu gleichen schien.« Remouald Tremblay, ein hünenhafter Mann mit dem Lächeln eines Esels, führt ein von Routine bestimmtes Leben als Bankangestellter und opfert jede freie Minute der Pflege seinestyrannischen gelähmten Vaters. Das ändert sich, als er in der Ruine einer vom Feuer zerstörten Kneipe einen Gegenstand entdeckt und einsteckt. Was von nun an passiert, gerät mehr und mehr außer Kontrolle.
Autorenporträt
Gaétan Soucy, 1958 in Montréal geboren, studierte Mathematik, Astrophysik und Philosophie. Lehraufträge führten ihn nach Japan, das ihm zur zweiten Heimat wurde. Bis zu seinem Tod im Jahr 2013 lebte er in Montréal und erhielt für seine Bücher, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden, zahlreiche Preise.

Andreas Jandl, 1975 geboren, studierte Theaterwissenschaften, Anglistik und Romanistik in Berlin, London und Montréal. Seit 2000 arbeitet er freiberuflich als Redaktionsassistent, Dramaturg und Übersetzer aus dem Englischen und Französischen. Zu seinen Übersetzungen gehören Theaterstücke und Romane u.a. von Daniel Danis, Nicolas Dickner, Mike Kenny, Michael Mackenzie, Gaétan Soucy und Jennifer Tremblay.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2011

Von Schuld durchdrungen

Die pathologische Seite von Begehren und Moral in literarischer Verrätselung: Mit seinem Roman "Die unbefleckte Empfängnis" fordert Gaétan Soucy den Leser heraus.

Vor zwei Jahren erschien Gaétan Soucys zweiter Roman "Die Vergebung", Teil einer Trilogie. Der Frankokanadier erzählt darin die Geschichte eines arbeitsgehemmten Komponisten, der nach zwanzig Jahren in seinen Heimatort zurückkehrt, um eine alte Schuld zu bereinigen. Der Weg ist zugeschneit, das Auto rebelliert, mit Hundeschlitten müht er sich durchs nordkanadische Eis. Erst jetzt erscheint auf Deutsch "Die Unbefleckte Empfängnis", der erste Teil jener "Trilogie der Vergebung". Seit diesem Debüt 1994 gilt Soucy, 1958 geboren in Montréal, in seinem Heimatland als Meister düsterer, raffiniert verschachtelter Literatur.

Saint-Aldor, wohin es jenen schuldbeladenen Komponisten zieht, spielt auch hier schon eine Rolle: als kalter, mythischer Ort, der selbst mit Zug und Schlitten unerreichbar bleibt. Auf dem verschneiten Weg dorthin sind diesmal Remouald unterwegs, ein verstörter Bankangestellter, und sein gehbehinderter alter Stiefvater. Sie sollen die kleine Sarah zu ihrer Mutter ins Sanatorium bringen - eine unmögliche Aufgabe, denn die Kleine, die nie spricht, hüpft fix wie ein flinkes Tier durch den Schnee. Bald sieht man hier und dort ein Streichholz aufglimmen, das sie anzündet, dann wieder nur stockdunkle Nacht. Irgendwann geht das Mädchen im Dickicht des Schneetreibens einfach verloren. So treibt man durch diesen leicht surrealen Roman, bevor sich mancher Nebel lichtet.

In Soucys traumartigen Welten steht zunächst nichts am rechten Platz. Identitäten changieren, Menschen haben nach dem Anblick eines Madonnenbildes Erscheinungen und zucken wild. Handlungsstränge führen wie auf Bildern von Piranesi albtraumhaft ins Nichts oder biegen überraschend ab, in Richtungen, die logisch nicht zu erklären sind. Sinne schwinden und Körper erlöschen, als stünden die Figuren vor dem Jüngsten Gericht. Aber selten legen sie Geständnisse ab. Und so bleibt es dem Leser überlassen, die skurrilen Teile dieses Romans zu einem großen Gemälde zusammenzusetzen.

Nach dem Verlust des Mädchens gehen die Erwachsenen in einer Holzfällerhütte in Flammen auf, Remouald verzückt gebeugt über jenes ominöse, hinreißende Heiligenbild. Und ein paar Seiten später, als man die beiden verkohlten Leichen zurück in ihre Gemeinde gebracht hat, ergötzt sich dort der örtliche Bestatter an ihren verrenkten Leibern - eine teuflische Gestalt, die unter anderen Schuljungen zu Voyeuristen seiner tierischen Kopulierakte macht.

Aufgestaute, unterdrückte Triebe, die explosionsartig aufbrechen, sind der Träger dieses Romans. Und so überzieht vor allem das Vage, Angedeutete diesen Sündenpfuhl aus schwarzer Pädagogik und Doppelmoral. Ein Junge bekommt vom Vater eine Klammer ans Gemächte gelegt und muss schriftlich um Bestrafung bitten; eine Lehrerin schnuppert begehrlich an ihren Schützlingen, während sie innerlich verwelkt; Mütter schnitzen sich am Krankenbett ihres Sohnes lustvoll mit dem Messer den Handballen auf und führen ihr Blut an dessen Lippen - es soll stärken. Säfte und archaische Vorstellungen spielen überhaupt eine wichtige Rolle in diesem Roman, der in seinem polyphonen Getümmel doch jenen Remouald Tremblay ins Zentrum stellt: ein behäbiger, naiver Mann mit fiebrigen Phantasien, Nachfahr jener kafkaesken Figuren, die ihre eigene Fremdheit plagt bis ins Mark. Als Kind war er ein Wunderknabe, der den Pfarrer mit seinen Fragen bis an die Grenzen des theologisch erklärbaren Weltbildes trieb. Ein traumatisches Erlebnis riss ihn vom Pfad. Und so geht er durch den Tag, angezogen vom Verfall, abgestoßen von den vergrabenen, abscheulichen Erinnerungen, von denen wir erst ganz am Ende dieser Geschichte erfahren.

Soucy überzeichnet seine Figuren. Sie wirken, als seien sie einem barocken Theaterstück entsprungen und doch der gähnenden Lebensleere ausgesetzt, welche der Alltag den verklemmten Einwohnern dieses Städtchens beschert. Quell des Bösen sind hier religiöse Dogmen - strafende Instanzen, unter denen die Liebe eine furchterregende Gestalt angenommen hat.

Im vergriffenen dritten Teil dieser Trilogie, "Das Mädchen, das die Streichhölzer zu sehr liebte" (2001), notiert ein schwangeres Mädchen im Keller seines Elternhauses nach dem Tod des sadistischen Vaters Erlebnisse und Träume. Die jetzt vorliegende literarische Einführung in diese abgrundtief kranke Welt enthält bereits Motive für das Kommende. Seine Schwäche liegt am überschäumenden Material, das immer dann aus der Kontrolle gerät, wenn es sich nicht der dunklen Atmosphäre überlässt, sondern auf die schnelle Pointe schielt. Dennoch begegnet man einem Textgefüge, geformt aus dem Urgefühl einer Lebensschuld, das Soucy hier zwischen trostbedürftig-tierartigen Menschen immer wieder plastisch einfängt. Wirklichkeitsschnipsel zerstieben im Traumstrudel, unwirkliche Sequenzen werden schaudernd klar. Unbefleckt scheint hier niemand - außer womöglich Sarah, das Mädchen, das sich im Schnee verliert.

Der Roman bleibt befremdlich, mit sprachlich stark ausgeloteten Abgründen, für die Andreas Jandl und Frank Sievers kalt-präzise Entsprechungen im Deutschen finden. Gerade in der spröden Verschlossenheit dieser Welt liegt ihr Reiz.

ANJA HIRSCH

Gaétan Soucy: "Die Unbefleckte Empfängnis". Roman.

Aus dem Französischen von Andreas Jandl, Frank Sievers. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010. 331 S., geb., 22,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit dem dritten Band seiner "Trilogie der Vergebung" hatte Gaetan Soucy Angela Schader einen kostbaren Moment der "Erleuchtung" geschenkt. Nach dem ebenfalls von ihr gepriesenen zweiten Band ist nun endlich der erste Teil auf Deutsch erschienen, mit dem Soucy 1994 literarisch debütierte, wie die Rezensentin mitteilt. In dessen Zentrum steht ein "mit deutlich messianischen Zügen ausgestatteter" Mann, dessen Vergangenheit immer wieder mit Macht in seine Kleinbürgerexistenz einbricht und sie schließlich zerstört, erklärt die Rezensentin. Sie muss zugeben, dass es der Erstling noch nicht mit seinen zwei Nachfolgern aufnehmen kann. Zu unglaubwürdig erscheint ihr der finstere Gegenspieler der Hauptfigur, und man finde hier noch nicht die gleiche erzählerische Raffinesse. Und dennoch kann Schader bereits deutlich den "außergewöhnlichen Autor" hervorscheinen sehen und muss anerkennend zugeben, dass die Handlung derart virtuos konstruiert ist, dass die "Schwäche" des Romans lange Zeit nicht auffällt. Und dann findet die Rezensentin auch hier "Momente von abgründiger Tiefe", die sie wieder ganz in den Bann dieses gekonnt zwischen surrealer und realistischer Erzählweise oszillierenden Debüts geraten lässt.

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