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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: VSA
  • Seitenzahl: 240
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 382g
  • ISBN-13: 9783879757695
  • ISBN-10: 3879757690
  • Artikelnr.: 25014897
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2000

Entsublimiert
Philosophisch-kritische Aufsätze
des Einzelgängers Leo Kofler
Mit seinem berühmteren Generations- und (jüdischen) Leidensgenossen Erich Fromm teilt Leo Kofler das Schicksal, doppelt verkannt zu sein: Diejenigen nämlich, die von Philosophie nichts verstehen (darunter der Herausgeber des vorliegenden Bandes), halten ihn für einen bedeutenden Philosophen – während diejenigen, die unter jener Berufsbezeichnung akademisch fest verankert sind, über ihn die Nase rümpfen. Wie den einen der Autodidakt sympathisch, so ist den anderen der Polyhistor suspekt, der sich um eifersüchtig gehütete Fachgrenzen nicht kümmerte, mit gleicher Kompetenz geschichtsphilosophische wie wissenssoziologische, anthropologische und ästhetische Themen zu behandeln vermochte. In seinem intellektuellen Habitus, geprägt vom „Roten Wien” der Zwischenkriegszeit, war Kofler (1907–1995) ein begnadeter „Erwachsenenbildner”, der in einem Alter, in dem Zunftkollegen normalerweise emeritiert werden, durch einen Ruf an die Ruhr-Universität Bochum (1972) zunächst in einen tiefen Konflikt gestürzt wurde: er konnte seine Volkshochschüler in ganz Nordrhein-Westfalen doch nicht so ohne weiteres im Stich lassen . . .
Es ist deshalb verdienstvoll, wenn jetzt, nach dreizehn Jahren, wieder eine Sammlung mit Gelegenheitsarbeiten Koflers präsentiert wird. Aber kann sie dem großzügigen Urteil Iring Fetschers standhalten, der in seinem Nekrolog Kofler als einen der neben Georg Lukács, Ernst Bloch und Herbert Marcuse „profiliertesten kritischen Marxisten in Deutschland” nannte? Mit einigen Einschränkungen durchaus. Diese betreffen in erster Linie Christoph Jünkes Einleitung, die deutlich auf eine der political correctness verpflichtete linke Glaubensgemeinde zugeschnitten ist, die sich mit der Schere im Kopf am wohlsten fühlt.
Hingegen war Kofler ein erfrischend unbefangener Gelehrter – etwa wenn er danach fragte, was die bürgerliche Gesellschaft „im Innersten zusammenhält”. In ihren Anfängen war es die Verweigerung des Wahlrechts für die Besitzlosen gewesen, die von Milton bis Locke, und zwar damals noch besten Gewissens, legitimiert wurde. Im „Späthkapitalismus” und seinen diversen Varianten jedoch stellt sich die Problematik wesentlich komplizierter dar, und hier entfaltet Kofler seine eigentlichen Stärken. Parallel zu Marcuse analysiert er das Phänomen der von dem orthodoxen Freudianer so getauften „repressiven Entsublimierung”, das sich, vom Kölner Karneval bis zur Berliner Love Parade, in schönster Beliebigkeit zeigt und dessen quasi „Urmodell” der historisch beschlagene Kofler in den Saturnalien des antiken Rom entdeckte. Wem das zu anspruchsvoll sein sollte, für den hat er zusätzlich die griffigere, sozusagen empirisch im Alltag verifizierbare Formel parat: „Das Meckern ist das Ventil des Spießers. ” Im Zentrum der Erörterungen steht die grassierende Mentalität des Alles-Konsumieren-Könnens (und -Wollens). Nur hatte Kofler nicht das Glück, dass sich, wie bei Marcuse, ein Filmregisseur gefunden hätte, der sein Denken in eine grandiose Einstellung konzentrierte: der am Ende von Antonionis Zabriskie Point in Zeitlupe explodierende Kühlschrank.
Koflers in diesen Band aufgenommene scharfe Ausfälle gegen die „Grünen” erklären sich nicht zuletzt daraus, dass er sie als vollkommen unfähig ansah, dem rapiden Absinken einer umfassend konzipierten humanistischen Erziehung gegenzusteuern. Eher stimmte er da schon (im Vorwort zu seinem Buch Vergeistigung der Herrschaft, 1991) Joachim Kaiser zu, der davor gewarnt hatte, die DDR, aus der Kofler bereits 1950 vertrieben worden war, vorschnell zu verdammen, und auf deren bemerkenswerte Kulturleistungen verwies. Wie man es auch dreht und wendet: Kofler bleibt, auch nach seinem Tod, ein sperriger theoretischer Restposten aus einer versunkenen Epoche, den in ein Museum zu verbannen jammerschade wäre.
STEFAN DORNUF
LEO KOFLER: Zur Kritik bürgerlicher Freiheit. Ausgewählte politisch-philosophische Texte eines marxistischen Einzelgängers. Hrsg. Christoph Jünke. VSA-Verlag, Hamburg 2000. 242 Seiten, 29,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wie Erich Fromm sei Kofler zeit seines Lebens ein verkannter Wissenschaftler gewesen, schreibt Stefan Dornuf: die einen rümpften über ihn die Nase, weil er quer zu den Disziplinen wilderte, die anderen, so auch der Herausgeber, hielten ihn für einen bedeutenden Philosophen, der er - so Dornuf - nicht war. Kofler sei Autodidakt, Marxist und ein völlig unorthodoxer Gelehrter gewesen, dem die Einleitung von Christoph Jünke überhaupt nicht gerecht werde: "auf eine der political correctness verpflichtete linke Glaubensgemeinde zugeschnitten". Die im Buch versammelten Beiträge bezeugen nach Dornuf dann doch lobenswerterweise die Sperrigkeit von Koflers Theorien und Ansichten, etwa seine Ausfälle gegen die Grünen oder seine Theorie der "repressiven Entsublimisierung", die sowohl vom Kölner Karneval wie der Berliner Love Parade handelt. Alles streitbare Positionen - viel zu schade, meint Dornuf, diesen Mann ins Museum zu bringen.

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