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Die Vita von Vittorio Alfieri (1749-1803) zählt neben Rousseaus Confessions zu den großen Autobiographien des 18. Jahrhunderts. Die fesselnde Lebensgeschichte des piemontesischen Grafen und dezidierten Republikaners, der 1789 Augenzeuge, dann scharfer Kritiker der Französischen Revolution wurde, steht ganz im Zeichen dieser epochalen Erfahrung: Mittels subtiler Ironie sucht sich das autobiographische Ich gegen die Zeitläufte zu immunisieren. Den Kontrast dazu bilden das Pathos des Tragikers Alfieri und jene Melancholie, die zum epochen- und standesspezifischen Leitmotiv der Vita wird.…mehr

Produktbeschreibung
Die Vita von Vittorio Alfieri (1749-1803) zählt neben Rousseaus Confessions zu den großen Autobiographien des 18. Jahrhunderts. Die fesselnde Lebensgeschichte des piemontesischen Grafen und dezidierten Republikaners, der 1789 Augenzeuge, dann scharfer Kritiker der Französischen Revolution wurde, steht ganz im Zeichen dieser epochalen Erfahrung: Mittels subtiler Ironie sucht sich das autobiographische Ich gegen die Zeitläufte zu immunisieren. Den Kontrast dazu bilden das Pathos des Tragikers Alfieri und jene Melancholie, die zum epochen- und standesspezifischen Leitmotiv der Vita wird. Literarische Werkstattberichte, Beschreibungen seines grand tour, der ihn bis ins winterliche Baltikum und in das "höchst afrikanische" Andalusien führt, amüsante Porträts zeitgenössischer Herrscher und komische Geschichten von Liebe und Hörigkeit machen den Reiz dieser hierzulande neu zu entdeckenden Autobiographie aus.
Autorenporträt
Vittorio Alfieri d Asti (1749-1803), bedeutendster italienischer Dramatiker seiner Zeit, veröffentlichte neben Tragödien auch Gedichte und eine Autobiographie ("Vita") sowie die beiden politischen Abhandlungen "Della tirannide" und die "Del principe e delle lettere".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2011

Der missgelaunte
Bruder Casanovas
Poesie ohne Kniefall:
Vittorio Alfieris Autobiographie
Als Vittorio Graf Alfieri 1769 im Alter von zwanzig Jahren in Berlin Friedrich dem Großen vorgestellt wurde, regte sich bei ihm „keinerlei Bewunderung oder Respekt, als ich ihn sah, sondern nur Empörung und Wut. Und diese Impulse verstärkten sich täglich, wenn ich all das bemerkte, was nicht so war, wie es hätte sein sollen, und was trotzdem für richtig gehalten und als recht gerühmt wurde. Ein Minister des Königs, Graf Finck, der mich vorstellte, wollte wissen, warum ich an jenem Tage meine Uniform nicht angelegt habe, obwohl ich doch meinem König diente. Ich antwortete ihm: ,Weil ich der Meinung war, an diesem Hofe gäbe es schon genug Uniformen.‘“ Doch ließ der stolze Italiener, der da so genau wusste, wie die Dinge hätten sein sollen in Preußen, es sich nicht nehmen, dem preußischen König bei der Audienz scharf ins Auge zu sehen.
Zuvor, in Wien, hatte er die Bekanntschaft mit dem Hofdichter Pietro Metastasio verschmäht – warum? Alfieri war in den kaiserlichen Gärten von Schönbrunn Zeuge gewesen, „wie Metastasio vor Maria Theresia den üblichen kleinen Kniefall machte und dabei so servil-beglückt und schmeichlerisch dreinschaute, dass ich als jugendlicher Verehrer des Plutarch in Rechthaberei verfiel und niemals bereit gewesen wäre, mich mit einer Muse anzufreunden und gemein zu machen, die sich jener despotischen Autorität anbiederte, die ich so heftig verabscheute“. Kein Wunder, dass Alfieri im weiteren Verlauf dieser Reise der berühmten Alleinherrscherin Katharina II. gar nicht erst vorgestellt werden wollte.
Ein knorriges Gewächs, dieser piemontesische Graf, Tragödiendichter und Zeitgenosse Goethes (1749 bis 1810)! Auf Italienisch erweist er sich in seiner Autobiographie, die nun nach fast zweihundert Jahren von Gisela Schlüter zum ersten Mal wieder vollständig neu verdeutscht und kommentiert wurde, sogar als noch steiler. Die Plutarch-Berufung in der Metastasio-Anekdote lautet original: „ed io giovenilmente plutarchizzando“ – „ich aber nach Jugendsitte plutarchisierend“. Der kleine Kniefall des Dichters ist eine „genuflessioncella“, ein im Deutschen nur plump ausfallendes „Kniefällchen“.
Alfieri war einmal eine europäische Größe, mit seinen Tragödien schlug man sich noch am Weimarer Hoftheater herum. Sie sind längst von der Bühne verschwunden, mit Ausnahme des „Saul“, einem schwerblütigen Bibeldrama, das der Titelfigur Gelegenheit zu ausladender Rezitation bietet. Der Rezensent hat einmal eine Aufführung davon vor italienischen Schulklassen erlebt, die bald so laut zu tuscheln und zu kichern begannen, dass der weißbärtige Hauptdarsteller den Vortrag unterbrach, seinen Bühnenthron an die Rampe schieben ließ und feierlich von der Schönheit Alfierischer Verse sprach, mit der Aufforderung, alle, die davon gelangweilt seien, hätten nun Gelegenheit, den Zuschauerraum zu verlassen. Dann herrschte Ruhe, der Thron wurde zurück in den Bühnenhintergrund geschoben und Saul deklamierte weiter.
Alfieris Autobiographie, 1790 bis 1803 in mehreren Phasen abgefasst, diente der Ergänzung und Erläuterung seiner pompösen eigenwüchsigen Kunst, der Rundung eines Lebens, das sein Verfasser als einzigen Widerstandsakt gegen sein Jahrhundert begriff. Da Alfieri einige tyrannenfeindliche Traktate publiziert und lange in Paris gelebt hatte, musste er mit dem Ruf kämpfen, ein Anhänger der Französischen Revolution zu sein. Doch er war nichts weniger als das: Tyrannis war ihm immer gleich widerwärtig, ganz gleich, ob sie von großstädtischen Volksmassen oder von autokratischen Herrschern kam. Alfieri vertritt die italienische Variante jenes europäischen Adelsliberalismus, für den in England Edmund Burke, in Deutschland Gentz oder Metternich stehen; die italienische Farbe besteht dabei in der Zutat von römisch-republikanischer Rhetorik.
Alfieris „Vita“ gehört zu dem Strom von Autobiographien, die durch den Druck von Benvenuto Cellinis Lebensbeschreibung im frühen 18. Jahrhundert ausgelöst wurde. Mit Rousseau teilt er den grundsätzlichen Hader mit der eigenen Zeit – gleich zu Beginn motiviert durch die Schilderung einer bedrückenden Erziehung in einer Turiner Kadettenanstalt –, von Montaigne hat er schonungslose Selbstkritik gelernt und von den antiken Klassikern die sittliche Strenge. Als Goethe, der Cellini-Übersetzer, sich an „Dichtung und Wahrheit“ machte, hat er sich auch Alfieris „Vita“ angeschaut und sich später mit Zelter darüber ausgetauscht; scharfsinnig erkannte er, dass Alfieri die Tyrannen hasste, „weil er in sich selbst eine Tyrannen-Ader fühlte“. Daher wollte es Goethe auch anders machen als Alfieri, nämlich ein Leben im Einklang, nicht im Widerstreit, mit der eigenen Zeit darstellen.
Schon um solcher Bezüge willen muss man dankbar sein, dass dieser missgelaunte Bruder Casanovas nun wieder da ist. Wer die selbst im Deutschen spürbare steife stilistische Appretur durchdringt, wird mit einer Fülle reizvoller historischer Details belohnt, authentischen Nachrichten aus einem der begabtesten Jahrhunderte Europas. GUSTAV SEIBT
VITTORIO ALFIERI: Vita. Mein Leben. Übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Gisela Schlüter. Dieterichsche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2010. 576 Seiten, 24 Euro.
Er hasste die Tyrannen, weil er in
sich selbst eine Tyrannenader fühlte
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gustav Seibt fühlt sich reich beschenkt mit dieser nun wieder auf Deutsch vorliegenden Biografie des "knorrigen Gewächses" Vittorio Alfieri, Tyrannenhasser und Zeitgenosse Goethes. Um so recht in den Genuss all der Giftspritzereien Alfieris gegen sein Jahrhundert und seine Potentaten zu kommen, muss sich Seibt allerdings durch einen steifen Stil fechten. Dahinter verbergen sich tolle Montaigne'sche Selbstkritik, sittliche Strenge und eine Menge historischer Details aus einem begabten Jahrhundert, freut sich der Rezensent.

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