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Ein Dorf an der Elbe, vierzig Jahre in der DDR gelegen, gliedert sich nach der Wende wieder in Niedersachsen ein. Zwei Männer, die von hier in den goldenen Westen zogen, kehren siebzehn Jahre später nun zurück: um den Großvater zu pflegen der Polizist Jo Brüggemann, um die Kneipe der Eltern zu übernehmen der Journalist Jens Lewin. Sperrgebiet, Zaun und Aussiedlungswellen haben ihre Spuren im Dorf hinterlassen. Man schweigt hier gern auch über das Geheimnis, das Jens und Jo verbindet. Die Jugendfreunde gehen sich aus dem Weg,doch als sich Jens Frau Anne mit Jo anfreundet, reißt sie nichtsahnend…mehr

Produktbeschreibung
Ein Dorf an der Elbe, vierzig Jahre in der DDR gelegen, gliedert sich nach der Wende wieder in Niedersachsen ein. Zwei Männer, die von hier in den goldenen Westen zogen, kehren siebzehn Jahre später nun zurück: um den Großvater zu pflegen der Polizist Jo Brüggemann, um die Kneipe der Eltern zu übernehmen der Journalist Jens Lewin. Sperrgebiet, Zaun und Aussiedlungswellen haben ihre Spuren im Dorf hinterlassen. Man schweigt hier gern auch über das Geheimnis, das Jens und Jo verbindet. Die Jugendfreunde gehen sich aus dem Weg,doch als sich Jens Frau Anne mit Jo anfreundet, reißt sie nichtsahnend alte Wunden auf. Hatte Jo Anteil daran, dass Jens noch in der DDR ins Gefängnis kam? Dort hat er nicht nur die besten Jahre seiner Jugend verpasst, sondern auch die überschäumenden Tage der Wende. Anne will Verräter und Verratenen begreifen, doch sie sieht sich auf einmal zwischen zwei Männern stehen. Und mit der Aufdeckung vergangener Schuld zieht die nachbarschaftliche Katastrophe herauf In einer Grenzlandschaft mitten in Deutschland, vor einem großen zeitgeschichtlichen Panorama entspinnt "Nachglühen" ein Drama von Schuld, Scham und Verrat feinsinnig beobachtet, bestechend lakonisch und kraftvoll erzählt.
Autorenporträt
Jan Böttcher, geb. 1973 in Lüneburg, lebt als Autor und Singer/Songwriter in Berlin. Er hat deutsche und skandinavische Literatur studiert und arbeitet auch als Werbetexter, Herausgeber und Veranstalter von Lesungsreihen sowie des LAN-Festivals für junge Literatur. Seit zehn Jahren singt und textet er für seine Band Herr Nilsson. Jan Böttcher hat beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den Ernst-Willner-Preis gewonnen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008

Das große Schweigen in Stolpau
Konfrontationen und Verdrängungskünste auf historisch vermintem Gelände: Jan Böttcher erzählt so einfühlsam wie dezent aus dem ehemaligen Zonengrenzgebiet Von Christoph Schröder
Ein Mann, spätabends unterwegs. Er nimmt die letzte Fähre über den Fluss, er ist der einzige Passagier, „fünfzehn, sechzehn, siebzehn Jahre waren jetzt vorüber – und noch immer keine Brücke von West nach Ost”. Jo Brüggemann heißt der Reisende, der in seine Heimat fährt, die „flach, aber kurvig” ist, in die Vergangenheit, zu seinem Vater, zu seinem schwerkranken Großvater; ein Rückweg aus der Großstadt Hamburg in sein Dorf, das vor nicht allzu langer Zeit noch in einem anderen Land lag, jenseits der Elbe, und sich unmittelbar nach der deutschen Einheit wieder dem Bundesland Niedersachsen angegliedert hat. Zonenrandgebiet am anderen Ufer sozusagen, ideologisch und historisch vermintes Gelände.
Für jenes sprachlich hoch konzentrierte Kapitel, das seinen neuen Roman „Nachglühen” (nach einem kurzen Prolog) eröffnet, wurde Jan Böttcher im vergangenen Jahr bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet; nun, da der Text im Ganzen vorliegt, zeigt sich, dass Böttcher die Erwartungen nicht enttäuscht: „Nachglühen” ist ein fabelhaftes Buch.
Jo Brüggemann also kehrt nach Stolpau zurück; der Großvater hat ihn rufen lassen. Gesprochen wird nicht allzu viel, das zeichnet sämtliche Beziehungen in „Nachglühen” aus: Die Dynamik, von denen sie geprägt sind, und die nicht wenigen Konflikte verlaufen größtenteils unter der Oberfläche eines unbehaglichen Schweigens. Und zu verschweigen gibt es eine ganze Menge.
Jo Brüggemann selbst beispielsweise, der Polizist ist, hat ein Disziplinarverfahren hinter sich, weil es diverse Beschwerden wegen seines angeblich rüden Verhaltens im Dienst gegeben hat. „Humorige Menschen wachsen woanders auf”, hat er zu seinen Vorgesetzten gesagt, die darauf mit Unverständnis reagiert haben. Nun schiebt er Dienst bei den Funkern. Auch bei Hans Brüggemann, Jos Vater, scheint etwas aus dem Lot geraten zu sein – tagelang durchstreift er die Gegend, um eine Vogel-DVD zu erstellen, erkundet die Naturschönheiten, die nach dem Abbau der Grenzanlagen (die zugleich für eine besondere Art von Landschaftsschutz gesorgt haben) noch beeindruckender geworden sind. Beliebt, das merkt man schnell, ist Jos Vater im Dorf nicht; ein Umstand, der mit der deutsch-deutschen Vergangenheit, mit seiner Rolle im Dorf vor der Wende zu tun zu haben scheint.
So setzt Jan Böttcher Steinchen für Steinchen seines Stolpauer Mosaiks zusammen. Sorgfältig und effizient komponiert ist der Spannungsbogen, der „Nachglühen” trägt, höchst geschickt und schlüssig führt Böttcher Charaktere ein, gibt ihnen Kontur und Stimme. So auch im Fall von Jens Lewin, der gemeinsam mit seiner Frau Anne den Dorfkrug übernimmt, die einzige Kneipe in Stolpau, die zuvor von seinen Eltern geführt wurde. Jens entsorgt den DDR-Ramsch, aus dem zuvor die Inneneinrichtung bestanden hatte; er will den Dorfkrug der Gegenwart anpassen und muss feststellen, dass hier, im sturen Norddeutschland, Veränderungen eher unerwünscht sind. Die neue Espressomaschine, die er eigens angeschafft hat, bleibt unbenutzt; stattdessen trinken die Frauen von Stolpau lieber weiter ihren Filterkaffee, wie schon seit jeher. Es ist eine unaufdringliche und doch immer wieder frappierend einleuchtende Symbolsprache, die Böttcher seinem Roman unterlegt hat, wie überhaupt „Nachglühen” auch in der Auserzählung individuell einschneidender Ereignisse stets ein dezentes Buch bleibt.
Mit der Ankunft von Jens geraten die Verhältnisse in Bewegung. Man spürt, dass Jens ein in seiner zunehmenden Apathie ein gebrochener Mann ist; man erfährt, dass dies ein Resultat aus diversen Konfrontationen mit der DDR-Staatsmacht ist, die als juvenile Mutprobe begannen und schließlich in einem Gefängnisaufenthalt mündeten; man ahnt, dass der Gefängnisaufenthalt in engen Zusammenhang mit Jens’ zerbrochener Freundschaft zu Jo Brüggemann steht, so wie auch die tiefe Abneigung, die Jens gegen Jos Vater hegt. Anne, die Jens im Westen kennen gelernt hat, hat mit der ganzen Sache nichts zu tun und weiß und versteht nichts von dem, was in ihrem Mann seit der Ankunft in Stolpau vorgeht (das Schweigen ist auch in dieser Beziehung übermächtig). Sie bemüht sich einerseits um die Herstellung eines Zustandes dörflicher Normalität; andererseits nähert sie sich zusehends dem für sie geheimnisumwitterten Jo an.
Dass im ehemaligen Grenzgebiet zu DDR-Zeiten ausschließlich regimetreue Bürger wohnen durften, versteht sich von selbst – Jos Großvater hat sich ein Zitat Friedrichs des Großen zum Wahlspruch anverwandelt: „Wie ein Land an der Grenze funktioniert, so funktioniert ein Land”. Die Grenze ist in Stolpau nicht abgebaut worden und verläuft quer durch die sozialen Konstellationen der Dorfbevölkerung.
Nur ganz selten bricht die unterschwellige Wut, die Kontrolle, Denunziation und Machtlosigkeit hervorgerufen haben, sich Bahn: „Fünf Sekunden passierte gar nichts. Der Alte sah ihn nicht mal an. Aber er hörte auch nicht auf zu grinsen. Da schnellte Jens Lewin hinter dem Tresen hervor, stand schon in Brüggemanns Rücken, packte ihn am Kragen und zerrte ihn vom Barhocker. Hans Brüggemann holte aus und schlug ihm mit voller Wucht vor die Brust: ,Was nimmst du dir raus, Junge!‘, rief er, griff sein halbvolles Bierglas am Stiel und zerschlug den Kelch am Tresen. Jens Lewin verpasste dem alten Mann daraufhin ansatzlos eine Ohrfeige, trieb ihn mit drei starken Stößen vor sich her, schmiss ihn gegen die Tür des Windfangs, wobei sich der Stiel des kaputten Glases in dessen Handballen bohrte.” Niemand fühlt sich danach besser. Es ist, als sei nichts geschehen.
Jan Böttcher, geboren 1973 in Lüneburg, ist zwar ein Autor, dem der norddeutsche Zungenschlag geläufig ist, aber er ist kein ostdeutscher Schriftsteller. Es muss ein ungeheures Maß an Recherche und Einfühlungsvermögen nötig gewesen sein, um einen Roman wie diesen schreiben zu können; einen Roman, dem etwas ebenso Seltenes wie Staunenswertes gelingt: Er vereint Mentalität, Topographie und Historie zu einem atmosphärisch dichten Gesamtbild. Man sollte mit dem Wort sparsam umgehen, und doch ist es hier angebracht: In der ihm eigenen Bescheidenheit hat Jan Böttcher mit „Nachglühen” ein stilles Meisterwerk geschrieben.
Jan Böttcher
Nachglühen
Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2008. 238 Seiten, 19,90 Euro.
Die neue Espressomaschine bleibt ungenutzt, die Frauen trinken weiter ihren Filterkaffee
Wie ein Land an der Grenze funktioniert, so funktioniert ein Land. Ein Zitat Friedrichs des Großen, das im ehemaligen Grenzgebiet der DDR zum Wahlspruch werden konnte. Foto: Christian Ohde/Bildagentur Hamburg
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Sichtlich beeindruckt ist Alexander Cammann von Jan Böttchers Roman "Nachglühen". Das Buch markiert für ihn nicht nur das Ende der Ostalgie, es zeigt auch, "wie eine neue gesamtdeutsche Literatur entstehen kann". Dass der Autor als Westdeutscher, der seit den 90er Jahren in Berlin lebt, die Stimmung und Atmosphäre in einem an der innerdeutschen Grenze liegenden Provinzort der späten DDR derart genau und stimmig beschreibt, quittiert Cammann mit großer Bewunderung. In diesem Zusammenhang bescheinigt er Böttcher eine erstaunliche Recherche- und Anverwandlungsleistung. Stark findet er zudem die Geschichte, die mit Krimiplot, "lakonisch-witzigen Dialogen", "herber Elblandschaft" und "personalisierter Vergangenheit" geradezu auf eine Verfilmung mit August Diehl und Florian Lukas in den Hauptrollen hingeschrieben sei.

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