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Produktbeschreibung
Hat sich die Politik verspekuliert?

Autorenporträt
Uwe Müller, geboren 1957 in Wiesbaden, studierte Volkswirtschaft und Soziologie in Frankfurt am Main und begann seine journalistische Laufbahn als Redakteur bei der Düsseldorfer Verlagsgruppe Handelsblatt. 1990 wurde er Ostdeutschland-Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt", für die er seit 2002 als Reporter tätig ist. Uwe Müller lebt in Leipzig und Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.08.2005

Zum Thema
Befürworter und Gegner
Rüdiger Liedtke: Die Treuhand und die zweite Enteignung der Ostdeutschen. Edition Spangenberg, München 1993, 221 Seiten.
In diesem nicht mehr im Handel erhältlichen Band kommen Befürworter (Detlev Rohwedder, Birgit Breuel) und Gegner (Regine Hildebrandt, Gregor Gysi, Rudolf Hickel) der Treuhand zu Wort.
Größter anzunehmender Unfall
Uwe Müller: Supergau Deutsche Einheit. Rowohlt Verlag, Berlin 2005, 256 Seiten, 12,90 Euro.
Wer polemisch-dramatisierende Formulierungen schätzt, kommt voll auf seine Kosten. Die Wiedervereinigung sei zwar ein Glücksfall, die wirtschaftliche Bilanz aber vernichtend, meint Müller.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2005

Traum vom einfachen Kunstgriff
Uwe Müller klagt über den "Supergau Deutsche Einheit"

Uwe Müller: Supergau Deutsche Einheit. Zeitbombe Ost. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2005, 256 Seiten, 12,90 Euro.

Supergau Deutsche Einheit: Das ist nicht nur der Titel dieses Buches, es ist auch seine Botschaft, Kapitel für Kapitel, Seite für Seite. Der Klappentext spricht von einer schonungslosen Analyse der Situation Mittel- und Ostdeutschlands. Dies trifft nicht ganz zu. Was der Journalist und Volkswirt Uwe Müller hier vorlegt, ist ein provokanter Verriß. Verrissen wird die Politik seit dem Mauerfall 1989 und davor. Müllers Verriß liest sich wie folgt: Die DDR war ein vom Sozialismus ruiniertes Land, gestützt von westdeutschen Politikern, die für DDR-Kredite sorgten, aber Pläne für die Wiedervereinigung vergaßen. Als diese dann kam, gab es nichts als eine transfergestützte Scheinblüte: ein künstlicher Bauboom, gefolgt von industriellem Zusammenbruch, Arbeitslosigkeit, Geburtenrückgang, massiver Abwanderung und hoher Staatsverschuldung. Wirtschaftlich entwickelten sich "Sickergruben für Fördermillionen" und ein schwächlicher Mittelstand mit einer "schlaffen Gründergeneration", der es an marktfähiger Innovationskraft fehlt. Wirkliche Wachstumsdynamik gibt es nicht, sie findet anderswo statt.

Müllers Buch ist eine kurzweilige Lektüre. Es hat in Fülle, was ein provokanter Verriß braucht: plakative Sprachbilder, radikale Schlüsse und aufschreckende Fakten. Und es liefert einen eindeutigen Schuldigen: die Politik. Sie hat nach Müller vollkommen versagt, weil sie Ostdeutschland an den Subventionstropf gehängt hat statt, wie in Osteuropa, den eigenen Kräften freien Lauf zu lassen.

Historisch ist dies, mit Verlaub, eine oberflächliche Sicht der deutschen Einheit. Sie verkennt, daß die deutsche Politik nach 1990 nie frei war in der Wahl ihrer Mittel. Der osteuropäische Weg war verstellt. Es war auch marktwirtschaftlich nie vorstellbar, daß in Magdeburg und Chemnitz auf Dauer nur ein Fünftel des Lohnes von Hannover und Nürnberg gezahlt würde. Die hohe innerdeutsche Mobilität der Menschen - und allemal der qualifizierten Arbeitskräfte - hätte schnellstens den größeren Teil des Lohngefälles beseitigt, so wie überall dort auf der Welt, wo es praktisch keine sprachlichen, kulturellen und sonstigen Wanderungsbarrieren gibt. Und damit wäre auch die zentrale Voraussetzung für einen eigenständigen Wachstumsprozeß im Stile Osteuropas entfallen. Tatsächlich hätte nur der staatliche Fortbestand Ostdeutschlands dies verhindern können, gekoppelt mit Mobilitätsbeschränkungen wie Visumspflicht und restriktiver Arbeitserlaubnis. Kurzum: eine neue Mauer zwischen den Deutschen. Dies war undenkbar - politisch und menschlich.

Es mußte ein anderer Weg gefunden werden. Es ist der übliche steinige Weg, der im Grundsatz überall beschritten wird, um Regionen mit Entwicklungsrückstand innerhalb von Industrieländern in den Wettbewerb zu führen: Verbesserung der Standortbedingungen durch Investitionen in öffentliche Infrastruktur, Förderung von gewerblichen Ansiedlungen sowie Forschung und Wissenschaft, aber auch allgemeine Zuweisungen zur Finanzierung sozialer, kultureller und kommunaler Leistungen auf einem Niveau, das dem nationalen Standard entspricht. Dabei hat es ohne Zweifel Auswüchse in Mittel- und Ostdeutschland gegeben, und der Autor hat recht, wenn er darauf mit Nachdruck hinweist. In der ersten Dekade nach der Wiedervereinigung wurde vielerorts zu wenig getan, um Personal abzubauen, Leistungsgesetze einzuschränken und Fördermittel effizient einzusetzen. Aber diese Zeiten sind vorbei, es wird kräftig gegengesteuert. So hat das Land Sachsen-Anhalt seit Jahren einen Einstellungsstopp verhängt, das Weihnachts- und Urlaubsgeld für Beamte praktisch gestrichen und die Kosten der Kinderbetreuung um ein Viertel gesenkt. Warum verschweigt der Autor diese politischen Kraftakte, die es in den westdeutschen Ländern so nicht gibt? Stört es sein Urteil von den "Subventionsorgien im Osten", die "der politischen Moral schweren Schaden zufügen"?

Ähnlich einseitig fällt Müllers Darstellung der wirtschaftlichen Situation aus. Klar ist, daß von einem breit angelegten, selbsttragenden Wachstum in Mittel- und Ostdeutschland noch nicht die Rede sein kann, auch nicht in den Ballungszentren der Industrie. Aber klar ist auch, daß gerade in den vergangenen beiden Jahren das Verarbeitende Gewerbe kräftige Zuwachsraten bei Umsatz und Wertschöpfung vorgelegt hat, weit über dem deutschen Durchschnitt. Auch die Beschäftigung in der Industrie wächst wieder, wenn auch noch immer von zu niedrigem Niveau. Es gibt beachtliche Ansiedlungserfolge. Und die Abwanderung läßt nach.

Eine allzu düstere Krankheitsdiagnose nimmt man gern hin, wenn sie zu nützlichen Therapievorschlägen führt. Was liefert Müller an Vorschlägen, um Mittel- und Ostdeutschland voranzubringen? Zentraler Punkt ist für ihn die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone Ost - mit entschlackter Bürokratie und niedrigen Steuern, wie es schon die Dohnanyi-Gruppe empfahl. Dies ist der Versuch, wenigstens einen Teil des osteuropäischen Modells in Deutschland umzusetzen. Und es ist ein Vorschlag, bei dem das Herz jedes marktwirtschaftlich orientierten Ökonomen höher schlägt: Wenn es uns schon nicht gelingt, durch Deregulierung und Steuersenkung in ganz Deutschland die Weichen zu mehr Wachstum zu stellen, dann laßt es uns doch wenigstens in der Region tun, die am meisten unter den deutschen Standortmängeln leidet.

Der Vorschlag hat allerdings Tücken, vor allem was die steuerliche Sonderbehandlung des Ostens betrifft. Jede Senkung von Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuersätzen in Mittel- und Ostdeutschland bedeutet, daß eigene Einnahmen ausfallen, die sonst zur Deckung der laufenden Ausgaben verwendet werden könnten. Die Länder und Kommunen Mittel- und Ostdeutschlands finanzieren aber derzeit weniger als 50 Prozent ihrer öffentlichen Ausgaben über eigene Steuereinnahmen - was Müller polemisch beklagt. Eine weitere Steuersenkung würde diese Steuerdeckungsquote zusätzlich vermindern. Das ist eine abenteuerliche Vorstellung.

Nur eine parallele drastische Ausgabenkürzung könnte einen zusätzlichen Transfer- oder Verschuldungsbedarf verhindern. Sie liefe darauf hinaus, die letzten großen Ausgabenblöcke freiwilliger Leistungen der mittel- und ostdeutschen Länder kräftig herunterzufahren, vor allem in den Bereichen der Bildung, Wissenschaft und Forschung. Haushaltsrechtlich handelt es sich dabei zwar weitgehend um Konsumausgaben, tatsächlich geht es aber um wichtige Investitionen in die Standortqualität, ohne die jeder moderne volkswirtschaftliche Wachstumskern verkümmert.

Es ist merkwürdig, daß der Volkswirt Uwe Müller diese Zusammenhänge nicht sieht oder nicht sehen will. Er steht damit nicht allein. Die Wunschträume vom einfachen und eleganten Kunstgriff für den Aufbau Ost bleiben ungebrochen. Als Grundlage für die Politik taugen sie nicht.

KARL-HEINZ PAQUÉ

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Karl-Heinz Paque sieht in Uwe Müllers Buch "Supergau Deutsche Einheit" weniger die im Klappentext angekündigte "schonungslose Analyse der Situation Mittel- und Ostdeutschlands", als vielmehr einen "provokanten Verriss". Dank seiner "plakativen Sprachbilder", "radikalen Schlüsse", "aufschreckenden Fakten" und der Nennung eines eindeutig Schuldigen, der Politik, stellt das Buch für Paque zwar eine "kurzweilige Lektüre" dar. Aber Paque lässt keinen Zweifel daran, dass Müller inhaltlich weit über das Ziel hinausschießt. So hält er ihm historisch eine "oberflächliche Sicht" der deutschen Einheit vor. Er gibt Müller darin durchaus Recht, dass es nach der Wende zu Auswüchsen in Mittel- und Ostdeutschland gekommen ist, hebt aber hervor, dass inzwischen längst gegengesteuert wird. Die politischen Kraftakte zur Kostensenkung in Sachsen-Anhalt etwa verschweige der Autor. Müllers Darstellung der wirtschaftlichen Situation findet Paque zu "einseitig". Seinen Vorschlag, eine Sonderwirtschaftszone Ost einzurichten, hält er für kaum realisierbar. "Die Wunschträume vom einfachen und eleganten Kunstgriff für den Aufbau Ost bleiben ungebrochen", resümiert der Rezensent. "Als Grundlage für die Politik taugen sie nicht."

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