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Warum das humanitäre Völkerrecht revisionsbedürftig ist.
Der Krieg hat seine Erscheinungsform geändert. Gestützt auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrats werden Staatsführungen beseitigt und Gesellschaften umgestaltet - die Welt soll friedlicher gemacht werden.
Doch internationale Einsätze mit humanitärem Anspruch entfernen sich zunehmend von ihrem eigentlichen Ziel. Immer drängender werden die Fragen nach Sinn und Zweck laufender Interventionsmissionen, vor allem, weil die Zahl der getöteten Zivilisten steigt.
Die internationalen Vereinbarungen der Staatengemeinschaften, die dem
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Produktbeschreibung
Warum das humanitäre Völkerrecht revisionsbedürftig ist.

Der Krieg hat seine Erscheinungsform geändert. Gestützt auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrats werden Staatsführungen beseitigt und Gesellschaften umgestaltet - die Welt soll friedlicher gemacht werden.

Doch internationale Einsätze mit humanitärem Anspruch entfernen sich zunehmend von ihrem eigentlichen Ziel. Immer drängender werden die Fragen nach Sinn und Zweck laufender Interventionsmissionen, vor allem, weil die Zahl der getöteten Zivilisten steigt.

Die internationalen Vereinbarungen der Staatengemeinschaften, die dem militärischen Handeln Grenzen setzen sollen, können auf heutige Konfliktsituationen nicht mehr angemessen reagieren und bedürfen dringend einer Revision. Gerd Hankel skizziert, wie eine solche Revision aussehen könnte.
Autorenporträt
Gerd Hankel, Dr. jur., Völkerrechtler und Sprachwissenschaftler, ist wissenschaftlicher Angestellter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2011

Rücksichtsvolle Gewalt
Humanitäres Völkerrecht und Verhältnismäßigkeitsprinzip

Das humanitäre Völkerrecht will den Krieg eindämmen und einhegen, um ihn auch wieder beenden zu können und die unbeteiligte Zivilbevölkerung nach Möglichkeit zu schonen. Das gelingt in den internationalisierten nichtinternationalen bewaffneten Konflikten unserer Tage - also den unter Beteiligung dritter Staaten geführten Bürgerkriegen - immer weniger. Gerd Hankel macht dafür nicht nur Regelverletzungen durch die ungleichen, asymmetrisch kriegführenden Parteien - etwa den Missbrauch von Zivilisten als menschliche Schutzschilde - verantwortlich. Vielmehr leistet nach seiner Auffassung das gegenwärtig geltende Kriegsvölkerrecht selbst der Gewalteskalation Vorschub und bedarf deshalb dringend einer deeskalierenden Revision, insbesondere bei Militärmissionen, die vorgeblich humanitäre Ziele verfolgen, also gerade den Schutz von Menschen bezwecken.

Hankel will erstens Aufständischen den Kriegsgefangenenstatus zuerkennen, um sie vor Strafverfolgung wegen der bloßen Beteiligung an den Feindseligkeiten zu bewahren. Das erscheint nur angemessen, wenn sie erst durch die ausländische Intervention aus der Position der (de facto geführten) Regierung verdrängt worden sind (wie im Fall der Taliban in Afghanistan), wäre im Übrigen generös und könnte die Rückkehr zur Gewaltlosigkeit befördern. Aber die Staaten wollen sich verständlicherweise ihre Handlungsfreiheit bei der Bekämpfung der Aufständischen, dem Feind im Innern, erhalten, der ihre Einheit und/oder ihre politische Ordnung bedroht. Im Übrigen haben Aufständische auch schon nach geltendem Recht Anspruch auf Schutz vor Folter und auf ein faires Gerichtsverfahren. Wenn sie stark genug sind, eine Verhandlungslösung zu erzwingen, wird das Versprechen der Straffreiheit ohnehin Teil dieser Lösung sein.

Die Besatzungspraxis im Fall des durch militärisches Eingreifen von außen bewirkten Regimewechsels entspricht schon lange nicht mehr dem überkommenen Besatzungsrecht. Darin ist Hankel zuzustimmen. Seine Vorschläge zur Bildung einer Übergangsregierung aus Vertretern des Landes und für eine internationale Übergangsverwaltung, beide durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen autorisiert, sind allerdings nicht wirklich neu. Sie mögen zwar die Legitimationsbasis für den regime change verbreitern, garantieren aber keineswegs eine friedliche Entwicklung. Wirklich einschneidende Konsequenzen hätte Hankels dritter Änderungsvorschlag: Entgegen dem bisherigen Verständnis des humanitärvölkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips soll der Tod vieler Zivilisten nicht mehr als "Kollateralschaden" einer Kriegshandlung um ihres militärischen Vorteils willen hinzunehmen sein. Die gebotene Rücksichtnahme auf Zivilisten ungeachtet militärischer Notwendigkeiten würde eine Änderung der Kriegführung erzwingen: Statt zielungenauer Distanzwaffen, bei deren Einsatz die hohe Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der Zivilbevölkerung besteht, müssten Bodentruppen der Intervenierten den Feind direkt bekämpfen. Darauf aber wollen sich die intervenierenden Staaten wegen der damit verbundenen höheren eigenen Verluste nicht einlassen; so weit geht ihr Altruismus nun auch wieder nicht.

Natürlich muss eine hohe Zahl ziviler Opfer einen humanitär begründeten Einsatz nachhaltig diskreditieren, und so werden Interventionisten nicht müde, die beschworene humanitäre Katastrophe, die es durch militärische Intervention abzuwenden gelte, in den schwärzesten Farben zu malen, um deren voraussichtliche und in Kauf genommene Opfer zu rechtfertigen. Da genügen (selbst schwere) Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht nicht, da muss schon ein Völkermord her. Darunter machen wir es nicht. Der Verbalradikalismus geht der Gewalteskalation voraus.

CHRISTIAN HILLGRUBER

Gerd Hankel: Das Tötungsverbot im Krieg. Ein Interventionsversuch. Hamburger Edition, Hamburg 2010. 131 S., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Drei Vorschläge zur Revision des humanitären Völkerrechts sind es, die Gerd Hankels "Tötungsverbot im Krieg" unterbreitet, wie Christian Hillgruber notiert. Für nötig halte Hankel eine Anpassung des Völkerrechts deshalb, weil es die Gewalt eher befördere als verhindere, zumal bei Militäreinsätzen mit humanitären Absichten. Der Rezensent lässt durchblicken, dass er diesem Ansatz prinzipiell zustimmt, wenngleich er nicht jeden der drei Revisionsvorschläge Hankels gleichermaßen sinnvoll findet. Kriegführenden Staaten vorzuschreiben, Rebellen als Kriegsgefangene zu behandeln etwa, ist nach Auffassung des Rezensenten nicht nur unrealistisch, sondern auch kaum pragmatisch gedacht. Interessanter findet Hillgruber die Überlegung Hankels, den prinzipiellen Schutz von Zivilisten festzuschreiben und Kriegsparteien so zum nahezu ausschließlichen Einsatz von zielgenauen Waffen nebst Bodentruppen zu verdammen. Doch auch beziehungsweise gerade hier werde der Wunsch wohl Vater des Gedanken bleiben, meint Hillgruber mit Blick auf die dann zu erwartenden Verlustlisten intervenierender Staaten.

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