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Die Grand Dame der amerikanischen Literatur entwirft das Bild einer Welt im Umbruch. Ein Roman über eine deutsche Emigrantenfamilie im New York der Dreissiger Jahre. Nominiert für den International Booker Prize 2005.

Produktbeschreibung
Die Grand Dame der amerikanischen Literatur entwirft das Bild einer Welt im Umbruch. Ein Roman über eine deutsche Emigrantenfamilie im New York der Dreissiger Jahre. Nominiert für den International Booker Prize 2005.
Autorenporträt
Cynthia Ozick erhielt 2008 den PEN/Nabokov Award und 2011 den National Jewish Book Award - Lifetime Achievement Award.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2006

Die Familie hinter dem Vorhang
In der Bronx sehen wir uns wieder: Ein Roman von Cynthia Ozick

Ein amerikanischer Roman? Gewiß, denn er wurde von einer amerikanischen Autorin verfaßt, hat vornehmlich New York zum Schauplatz, führt in seiner Person allerlei Yankee-Typen vor. Und auch wieder nicht, denn das Buch konfrontiert seine Leser mit Problemen, die nicht von Amerikanern, sondern von Deutschen geschaffen wurden. Das zentrale Handlungsjahr ist 1935, in Deutschland werden die Juden verfolgt und können von Glück sagen, wenn sie nur Heim und Habe einbüßen und mit Leib und Leben davonkommen. Eine Handvoll Betroffener finden wir in einem ziemlich jämmerlichen Teil der New Yorker Bronx, die Gelehrtenfamilie Mitwisser, Vater, Mutter und fünf Kinder.

Cynthia Ozick, die den Roman schrieb, stammt selbst aus einer jüdischen Exilfamilie; allerdings kamen ihre Eltern nicht aus Deutschland, sondern aus Rußland, und die Tochter wurde 1928 in New York geboren. Aber Flucht ist Flucht, und das Erlebnis des Heimatverlustes, der Schwierigkeit, alte Wurzeln in neue Erde zu senken, macht allen Emigranten zu schaffen. Von dieser Schwierigkeit erzählt Cynthia Ozick, aber nicht nur davon. Das besondere an ihrem Buch ist, daß es keineswegs bloß den Chor der Anklagen gegen Hitler vervollständigt. Sie erwähnt von dem, was im nationalsozialistischen Deutschland vorging, gerade so viel, daß man die Situation der Familie Mitwisser begreifen kann, weitere historische Kenntnisse setzt sie einfach voraus. Denn sie hat kein Geschichtsbuch verfaßt, sondern ein Geschichtenbuch, Porträts von Menschen, Berichte von dem, was sie fühlen, denken, tun.

Kurz gesagt, man kann sich für die handelnden Personen interessieren, selbst wenn man von den politischen Kräften, die auf sie einwirken, wenig weiß. Für den Professor zum Beispiel, der auf wissenschaftlichen Seitenstraßen wandelt. In seiner deutschen Vergangenheit hat er einer längst ausgestorbenen jüdischen Sekte nachgeforscht und kann, obwohl es ihm nichts einbringt, auch im Exil davon nicht lassen, weil es sein altes Selbstwertgefühl am Leben hält. Seine Familie liebt er, versteht aber deren Denken und Treiben nicht. Frau Mitwisser, einst eine angesehene Naturwissenschaftlerin, hat den Absturz in Armut und Vergessenheit nicht verkraftet und flüchtet sich ins Krankenbett. Die drei Söhne, kindlich bis halbwüchsig, schwanken zwischen deutscher Prägung und amerikanischen Ansprüchen, sie sind bockig und laut, man kommt schwer an sie heran. Ihr Schwesterchen ist ein zuwenig beachtetes Kind, sie spielt nur stumm vor sich hin. Die Älteste dagegen, sechzehn, siebzehn Jahre zählt sie, hat sich zum Motor des Familienganzen entwickelt, ohne sie würden alle an Unordnung, Schmutz, Hunger eingehen.

Anneliese heißt das Mädchen, das diese schwierige Rolle übernahm, sie dient obendrein als Vermittler, wenn es darum geht, daß die Ansässigen die Zuwanderer besser verstehen. Dennoch ist nicht sie es, die uns das Mitwisser-Haus aufschließt. In des Professors Diensten wirkt eine junge Amerikanerin, Rose Meadows, teils als Sekretärin, teils als Haushaltshilfe, teils als Kinderwärterin. Genaugenommen wird sie gar nicht gebraucht, bekommt auch kein Geld, der Professor und die Seinen haben ja selbst keins. Eigentlich müßte Rose davongehen - aber wohin? Sie ist eine Waise, also ebenfalls heimatlos. Das fesselt ihr Hände und Füße, verstärkt aber ihre Empfindlichkeit und damit ihre Beobachtungsgabe. Kaum einer vermag im Hause Mitwisser so viel wahrzunehmen wie Rose, deshalb ist vor allem sie es, die uns den tiefen Blick in die verstörten Emigrantenseelen ermöglicht.

Aber noch ein zweiter Fremder zieht die Vorhänge beiseite und erlaubt uns einen Augenschein auf die Mitwisser-Bühne: James A'Bair, eigentlich nicht mehr als ein durchschnittlicher Yankee, aber mit einer besonderen Last beladen. Er ist Sohn und war Modell eines Kinderbuchschreibers, der Vater verewigte ihn als "Bear-Boy", als wonnigen Bärenjungen, der über den ganzen Globus hinweg alle Herzen gewann und dem Autor Gewinn verschaffte. Dieser Reichtum gehört nun dem Erben, also James. Der aber kommt nicht darüber hinweg, daß er nie seines Vaters Kind, sondern stets nur dessen Dukatenesel war. So versucht er, wenigstens bei den armen deutschen Juden echtes Ansehen zu erwerben: Er kauft sich für sein Geld bei ihnen ein.

Spätestens jetzt könnte man sich fragen, ob man zwangsläufig die Bedingungen Deutschlands und Amerikas zur Hitler-Zeit als Hintergrund haben muß, um Schicksale zu finden, wie sie dieses Buch vorführt. Aber Cynthia Ozick drängt uns diese Frage nicht auf. Nirgends tut sie so, als wolle sie ein Zeitalter porträtieren. Sie bildet Menschenseelen ab und läßt keinen Zweifel daran, daß deren große und kleine Kümmernisse in jeder Geschichtsphase denkbar sind, eben auch in der, die sie gewählt hat. Versteh deinen Mitmenschen und erbarme dich seiner, sagt ihr Roman. Und wenn man dahin vordringt, dann hat man im selben Atemzug auch eine wichtige historische Lehre begriffen.

Dann kommt einem das, was mit den Romanhelden weiterhin geschieht, durchaus nicht so privat vor, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint: James und Anneliese werden ein Paar, die Liebe hält nicht, der verstörte James bringt sich um, Anneliese bekommt eine Tochter, diesem Mitwisser-Enkelchen fällt der "Bear-Boy"-Reichtum zu. Die Geldnöte der Familie sind vorbei. Happy-End? Nicht bei Cynthia Ozick. In keiner Romanpassage leitet sie das Menschenglück von materiellen Äußerlichkeiten ab. Überall geht es darum, sich selbst zu finden und anderen zu helfen, das gleiche zu tun. Und auch darum, daß dies meist nicht funktioniert und daß die Blindheit, die es verhindert, an dem Unrecht schuld ist, das Menschen seit je einander antun.

SABINE BRANDT

Cynthia Ozick: "Der ferne Glanz der Welt". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Rumler. Pendo Verlag, München und Zürich 2005. 399 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sabine Brandt gefällt Cynthia Ozicks Emigrantenroman offenbar, auch wenn sie es nie explizit erwähnt. Den Großteil der Rezension versucht sie vielmehr, Ozick von dem Vorwurf zu befreien, sie habe eine Geschichtsbuch geschrieben. Nein, informiert Brandt, vielmehr ein "Geschichtenbuch", das zu jeder Zeit und vor jedem Hintergrund spielen könnte. Zwar ist die jüdische Familie Mitwisser vor dem Nationalsozialismus nach New York geflohen. Aber "nirgends tut Ozick so, als wolle sie ein Zeitalter porträtieren." Die Figur des Kindermädchens Rose hält Brandt zudem für eine gute Idee, weil sie mit ihrer von außen kommenden Empfindsamkeit einen "tiefen Blick in die verstörten Emigrantenseelen" erlaube.

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