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Produktdetails
  • Biografie
  • Verlag: Berliner Vorwärts Verlagsges.
  • Seitenzahl: 710
  • Erscheinungstermin: Oktober 2006
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 1615g
  • ISBN-13: 9783866022904
  • ISBN-10: 3866022905
  • Artikelnr.: 20836036
Autorenporträt
Prof. Dr. Helga Grebing ist Historikerin. Nach Studium an der Humboldt-Universität und der Freien Universität Berlin und Promotion arbeitete sie zunächst als Redakteurin und Verlagslektorin in München, bevor sie 1961 Referentin bei der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung wurde, danach Habilitation in Frankfurt/Main, Lehrstuhl in Göttingen und Bochum, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 1995 lehrte. Zahlreiche Veröffentlichungen insbesondere zur Geschichte der Arbeiterbewegung und zur politischen Ideengeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.07.2007

CSU auf der Oppositionsbank
Als der „rote Baron” in Bayern das Sagen hatte
Im vergangenen Jahr wurde sein 100. Geburtstag gefeiert, was auch der Anlass für die Herausgabe des zweibändigen Sammelbands „Waldemar von Knoeringen” war; in diesem Jahr wird – in aller Stille, versteht sich – ein „Jubiläum” begangen, das die Bedeutung seines Wirkens unterstreicht: 50 Jahre SPD-Opposition in Bayern. Für jüngere Menschen ist es ja kaum noch vorstellbar, dass die SPD in Bayern regiert und den Ministerpräsidenten gestellt hat. Das war in der Zeit der Viererkoalition von 1954 bis 1957. Wilhelm Hoegner war – wie schon 1945/46 nach der Ernennung durch die Besatzungsmacht – der rote Regierungschef des weißblauen Freistaats, und der „rote Baron”, wie Waldemar von Knoeringen teils ironisch, teils respektvoll genannt wurde, war der Architekt dieses Bündnisses der bayerischen SPD mit der Bayern-Partei, dem Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen sowie der FDP.
Alles vergessen? Wie ungerecht das wäre, macht der Beitrag des Historikers Michael Stephan deutlich: Die Koalition hat auf Betreiben Knoeringens gegen die Stimmen der CSU die Gründung der Politischen Akademie in Tutzing durchgesetzt, die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit ins Leben gerufen (die freilich erst seit 1964 so firmiert), das Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik von Göttingen nach München geholt und Pläne für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Hochschulen geschmiedet, den sozialen Wohnungsbau forciert, den Landesentwicklungsplan auf den Weg gebracht und die Fremdenverkehrsförderung mit dem Naturschutz verknüpft.
Vielleicht ist dies alles auch deshalb nicht so präsent, weil die konservative Mehrheit im Lande diesen Zeitabschnitt gerne verdrängt, die Bayernpartei die Spielbankenaffäre und der GB/BHE
die Zeitläufte nicht überlebt hat, und die SPD mit manchen Bilanzposten heute wenig anfangen kann, etwa dem Gar-
chinger Atom-Ei und dem damals völ-
lig unstrittigen Ruf nach Atomkraft-
anlagen.
So wichtig aber dieser Nachtrag zur Landesgeschichte auch sein mag, so falsch wäre es, sich nur auf diese drei Jahre zu konzentrieren. Das gesamte politische Lebenswerk Waldemar von Knoeringens ist bedeutsam, weil es Wege zur Mehrheitsfindung aufzeigt, aber auch einen Politik-Stil, der heute aktueller denn je ist. Das beginnt mit seinem Entschluss, gegen sein konservatives Herkunftsmilieu mit 20 Jahren der SPD beizutreten. Der Brief, mit dem er dies seinem Großvater gegenüber rechtfertigt, gehört – bei allem jugendlichen Pathos – zu den bewegendsten Texten des zweiten, des dokumentarischen Bandes.
Als hellsichtiger und wortgewaltiger Gegner der Nazis engagiert er sich in Widerstand und Exil und sammelt Auslandserfahrungen, die ihn vor allem mit britischen Labour-Positionen vertraut machen: Akzeptanz „eines liberaldemokratischen Wertekonsenses”, „Keynesianismus als integraler Bestandteil des politischen Denkens” (so Julia Angster in ihrem Essay über den „westlich geprägten” Remigranten).
Wie der „rote Baron” Politik machte, schildert Hans-Jochen Vogel in einem sehr persönlich gehaltenen Beitrag.
Knoeringen sammelte Nachwuchstalente um sich, vor allem aus dem Hochschulbereich (darunter, neben Vogel, der spätere Bundesgeschäftsführer Peter Glotz und der spätere Münchner SPD-Vorsitzende Hans-Günter Naumann) und eröffnete ihnen Wirkungschancen an
der Georg-von-Vollmar-Akademie auf Schloss Aspenstein am Kochelsee, deren Gründer und Leiter er war: ein früher Vorfahre heutiger Mentoring-Programme. Er eroberte für die SPD damals mit der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Akademiker” noch völlig unbekanntes Neuland und regte Vortragsreihen an, die Furore machten: über Atomenergie, die Welt der Roboter oder Christentum und Politik.
Eher glücklos
Das von ihm propagierte „Gespräch mit jedermann” war mehr als ein Versuch, eigene Ideen unter die Leute zu bringen, nämlich eine Initiative, um das Legitimationsdefizit der politischen Parteien durch ernsthaften Programm-Dialog mit Nicht-Mitgliedern abzubauen. Und das bereits Jahrzehnte vor der Politik- und Partei-Verdrossenheit! Das verlieh der verkrusteten Partei intellektuelle Anziehungskraft, brachte dem Initiator, gerade in den eigenen Reihen, aber auch den Ruf „hochfliegender Pläne” oder „illusorischer Visionen” ein.
Tatsächlich ist er in der Bundespartei, wo er einige Jahre Stellvertreter neben Herbert Wehner war, zwar ein erfolgreicher Verfechter des Godesberger Programms gewesen, ansonsten aber eher glücklos. Willy Brandt, der zeitweise mit ähnlichen Vorbehalten der „Macher” leben musste, würdigte den bayerischen Vordenker der Sozialdemokratie bei der Beisetzung im Münchner Waldfriedhof am 7. Juli 1971 mit den Worten, er habe die Gabe gehabt, „die Wirklichkeit von heute und morgen oft deutlicher zu erkennen, als es manche derer vermochten, die dem bloßen Tagesgeschehen verhaftet waren”.
Beigesetzt wurde Waldemar von Knoeringen übrigens im Grab Georg von Vollmars, als dessen legitimen Nachfahren er sich sah – als Spross verarmten Adels, der sich der Arbeiterbewegung verschrieb, zunächst revolutionären Theorien anhing, aber dann die eigene Partei lehrte, dass die Theorie korrigiert werden muss, wenn sie mit der Realität nicht mehr übereinstimmt. CHRISTIAN UDE
HELGA GREBING/DIETMAR SÜSS (Hrsg.): Waldemar von Knoeringen (1906-1971). Ein Erneuerer der deutschen Sozialdemokratie. Vorwärts Buch, Berlin 2006. 710 Seiten, 29,80 Euro.
Waldemar von Knoeringen mit Herbert Wehner und Erich Ollenhauer (von rechts) 1960 vor dem Flug zu einem Kongress im israelischen Haifa. Foto: SZ
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Hollmann begrüßt erfreut die zweibändige Publikation mit Texten über und von Waldemar von Knoeringen, denn er findet, dass der 1971 gestorbene SPD-Politiker zu Unrecht heute fast vergessen ist. Nachdem der Rezensent einen eingehenden biografischen Abriss des Lebenswegs Knoeringens dargelegt hat, äußert er sich zu den vorliegenden Bänden. Der erste Band versammelt zehn Beiträge, die Leben und Werk des Politikers aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten, erklärt Hollmann. Trotz einiger - verzeihlicher - Wiederholungen und der unverhohlenen "Sympathie" der Autoren und Autorinnen für Knoeringen sieht der Rezensent den nötigen kritischen Abstand stets gewahrt, wie er lobt. Der zweite Band, der 50 Texte aus der politischen Karriere Knoeringens enthält, wirft ein erhellendes Licht nicht nur auf die politischen Ideen des Politikers, sondern auch auf seine außerordentliche Persönlichkeit und die rhetorische Begabung Knoeringens, so der Rezensent beeindruckt.

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